Die Royal Enfield Shotgun 650 genannte Maschine stand in Downtown Los Angeles zur ersten Probefahrt bereit. Sie ist keinesfalls die Speerspitze der 650er-Plattform. Sie ordnet sich definitiv hinter Enfields Super Meteor neben der Continental GT und der Interceptor ein. Sowohl der Komfort als auch die Ausstattung sind bei der Royal Enfield Shotgun 650 etwas spärlicher als beim Top-Modell geraten. Jedoch teilt sie sich mit der Supermeteor den Antrieb samt Motorabstimmung und den Rahmen, die sich bis auf wenige Halter gleichen.
Royal Enfield Shotgun 650 mit 240 Kilo Leergewicht
Überraschenderweise hat man am Gewicht der Royal Enfield Shotgun 650 nicht gespart – beinahe alles ist aus Metall, nicht nur das allgemein Übliche. Auch beide Fender, Scheinwerfer, Scheinwerfermaske, Seitendeckel, Tank, Rücklicht, Schaltereinheiten … "Au Backe!", denkt man sich, das drückt auf die Waage. Die Inder beziffern das Leergewicht der Royal Enfield Shotgun 650 auf 240 Kilo. Wobei wir hier wieder dicht an der Super Meteor liegen, die 241 Kilo wiegt.
Angenehme und fahraktive Sitzposition
Hinein in den 790 Millimeter hohen Sattel. Angenehme Überraschung! Lenker, Fußrastenposition und Sitzhöhe ermöglichen eine sehr entspannte Sitzposition mit 90-Grad-Kniewinkel, die darüber hinaus noch nicht einmal inaktiv ist. Die Royal Enfield Shotgun 650 wirkt angenehm zierlich. Vor allem, wenn der Heckrahmen abgeschraubt ist. Hierzu sind nur vier Muttern zu lösen. Dieser Heckrahmen ist gleichzeitig Gepäckträger, wenn man den Soziussitz entfernt. Der Fahrer kann also wählen zwischen Solo oder Solo mit Gepäckträger oder dem Fahren zu zweit. Wieso ist da noch keiner zuvor draufgekommen?
Per Knopfdruck nimmt der bewährte, luftgekühlte 650er seine Arbeit auf. 47 muntere Pferdchen sind bereit, loszutraben. Im Nu ist der letzte Gang drin, das Getriebe ist, passend zur Leistung, recht kurz übersetzt. Der Sound aus den beiden ausladenden, schwarz lackierten Endschalldämpfern der Royal Enfield Shotgun 650 ist überraschend dumpf und potent. Wer die Pötte als zu lang empfindet, muss sich gedulden. Zwar bietet Royal Enfield schon 31 Customparts an, mit denen man das Motorrad individualisieren kann, doch ein Auspuff wird auch in absehbarer Zukunft nicht dabei sein.
Royal Enfield Shotgun 650 dreht fröhlich in den Begrenzer
Der kurzhubig ausgelegte Twin ist ein angenehmer Geselle, der nicht störend vibriert. Zwar ist die Kupplungsbetätigung bei der von uns getesteten Royal Enfield Shotgun 650 etwas indifferent, doch sie funktioniert einwandfrei. Im Nu sind die Gänge durchgesteppt, sie rasten präzise und sehr leicht ein. Wunderdinge sollte man von den 47 PS allerdings nicht erwarten, allerdings reicht die Leistung für alle Spielereien auf der Landstraße völlig aus. Kurzum: Die 47 PS in der Royal Enfield Shotgun 650 fühlen sich wesentlich lebendiger an als beispielsweise 50 PS in einer älteren Honda Transalp. Der Shotgun-Antrieb wirkt in keinem Drehzahlbereich träge, sondern dreht sogar fröhlich bis in den Begrenzer.
Aber braucht man das? Wer die Royal Enfield Shotgun 650 zum ersten Mal flüchtig sieht, ordnet sie aufgrund von Linienführung und Einzelsitz dem Bobber-Genre zu. Doch das will sie mitnichten sein. Einem echten Bobber würde mehr Motor-Schwungmasse gut zu Gesicht stehen, außerdem setzt man beim bobbern meist auf zwei gleich große Räder, die auch oft gern breiter sein dürfen. Die Royal Enfield Shotgun 650 hingegen rollt vorn über einen vergleichsweise schmalen 100/90-18er ab und bringt ihre Leistung über einen 150/70-17er auf den Boden. Und das macht sie gut.
Überraschend wendig und handlich
Die Royal Enfield Shotgun 650 gibt sich überraschend wendig und handlich, ohne beim zügigeren Tempo instabil zu werden. Hierzu trägt auch das recht straff geratene Fahrwerks-Setup seinen Teil bei. Nach der der Super Meteor ist die Shotgun Royal Enfields zweites Motorrad mit einer USD-Gabel und 120 mm Federweg. Wobei der Federweg der Stereobeine im Fall der Shotgun mit nur 90 mm etwas geringer ausfällt als bei ihrer Schwester. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer ständig über Schlechtwegstrecken fahren muss, sollte entweder eine andere Maschine wählen, oder hier die Federbeine tauschen. Hinten geriet die Abstimmung recht hart. Das generiert auf der anderen Seite jedoch auch Stabilität in schnell gefahrenen, langen Kurven.
Klar setzen die Rasten der Royal Enfield Shotgun 650 im Vergleich zu sportlichen Naked-Bikes etwas früher auf, doch wer eine weite Linie fährt, wie beispielsweise bei Regenfahrten, kann mit der 650er auch verdammt zügig unterwegs sein. Passend dazu geben sich die Bremsen keine Blöße und verzögern die Fuhre einwandfrei und sicher. Wenngleich wir hier nicht von einer Zweifinger-Betätigung sprechen. Vier sind schon notwendig.
Mix aus Naked-Bike und Urban-Cruiser
Pause nach 120 kurvigen Kilometern und einigen Meilen Stadtverkehr. Zeit genug, um die Royal Enfield Shotgun 650 einzusortieren. Entgegen der ersten Einschätzung ist die Shotgun ein Mix aus Naked-Bike und Urban-Cruiser gewürzt mit einem Hauch Bobber-Style. Vor Konkurrenz braucht sie sich nicht fürchten. Eine Triumph Bobber spielt mit 78 PS und knapp 15.000 Euro leistungs- und preistechnisch in einer völlig anderen Liga. Die Honda Rebel 500, die es ab 7.195 Euro und nahezu identischer Leistung gibt, ist wesentlich inaktiver zu fahren und lange nicht so ikonisch designt wie die Royal Enfield Shotgun 650.
Royal Enfield Shotgun 650 kostet ab 7.590 Euro
Ikonisch? Ja! Weil sie anders ist als andere. Cool, aber funktionell. Ausgewachsen, aber niedlich. Stylisch aber auch funktionell. Barock aber fahraktiv. Last but not least ist sie mit ihrem luftgekühlten 650er nicht nur ein würdiger Ersatz für Harleys ikonische 883-Modelle, die es längst nicht mehr gibt, sondern auch erschwinglich: ab 7.590 Euro geht‘s los. Aber warum heißt sie Shotgun? Viele Bezeichnungen aus Royal Enfields langer Historie waren schon wieder vergeben. Und gestartet haben die Inder 1891 nun mal mit der Produktion von Kleinwaffen. Erst zehn Jahre später präsentierten sie ihr erstes Bike. Da lag die Bezeichnung wohl auf der Hand.