Yamaha MT-09 im Fahrbericht

Yamaha MT-09 im Fahrbericht
Breites Grinsen für schmales Geld

Zuletzt aktualisiert am 12.09.2013

"Wir empfehlen dringend, am Anfang den Standard-Modus drin zu lassen." Das klingt ja fast schon wie eine Warnung. Etwa so, als wenn der Bauer zum Kind sagt: „Achtung, fass nie den elektrischen Weidezaun an!“ Das hat früher schon nicht funk­tioniert. Also schalten wir bei der Yamaha MT-09 gleich einmal trotzig in diesen geheimnisvollen A-Modus. Was soll da schon schiefgehen? Schließlich hat man als Profi-Tester ja schon ganz andere Kaliber als einen 850er-Dreizylinder mit überschaubaren 115 PS gezähmt.

Huiii – das geht aber ganz schön voran!

Huiii! – das geht aus dem Stand heraus aber ganz schön voran. Der Dreizylinder tritt mit einem solchen Schub an, dass das Vorderrad bereits nach wenigen Metern eine Handbreit über dem Boden schwebt. Und er legt dann im mittleren Drehzahlbereich kontinuierlich nach, sodass man kurz vor dem unfreiwilligen Backflip hastig den zweiten Gang einwirft. In dem das gleiche Spiel dann wieder von vorn beginnt. Selbst im Dritten – nun stehen bereits locker um die 100 km/h auf dem Tacho – wirkt die Frontpartie der Yamaha MT-09 bei voller Beschleunigung immer leicht und luftig.

Ein unerwartetes Spektakel, obwohl die Stuntshow bei der vorabendlichen Präsentation in einer von Fackeln ausgeleuchteten Halle schon eine Ahnung davon gab, dass die Konstrukteure eine ziemlich dynamische Fahrmaschine anpeilten. Wie üblich hatte Yamaha mit markigen Worten quasi einen ideologischen Überbau zur neuen Yamaha MT-09 geliefert. Da ging es um „The dark Side of Japan“, es fielen Attribute wie „Instinct, Underground, Passion“. Eben die andere, bisher weniger bekannte Seite Japans.

Okay, wir haben verstanden. Gehen wir nach der anfänglichen Wheelie-Show eben zurück in den ans Herz gelegten Standard-Modus. Der aus zwei Gründen so heißt: Erstens, weil er nach Einschalten der Zündung automatisch immer drin ist. Und zweitens, weil er in der Wirkung in der Mitte zwischen aggressivem A- und softem B-Modus liegen soll.

Unglaubliche Elastizität und seidiger Motorlauf

Yamaha

Nun gut, wie ausgewechselt wirkt das dermaßen gezähmte Triebwerk aber im Standardprogramm auch nicht gerade. Der Triple gibt sich fast genauso explosiv und kraftvoll. Zudem verwöhnt er in jedem Modus mit unglaublicher Elastizität und seidigem Motorlauf, typisch Dreizylinder eben. Im Sechsten durch die wuselig-unübersichtlichen Ortschaften an der kroatischen Adriaküste zuckeln, dann am Ortsausgang, ohne zu schalten, das Gas aufziehen – das macht der 850er der Yamaha MT-09 nicht nur klaglos mit, sondern fühlt sich im gesamten Drehzahlband zwischen 2000 und 11 000 Umdrehungen immer pudelwohl.

Ein wahrhaft fantastischer Antrieb, der Drehmomentstärke und Drehfreudigkeit in überzeugender Weise paart. Und ordentlich klingen tut er auch noch. Das typische Surren der Triumph-Dreizylinder zeigt er nicht, stattdessen einen nicht übermäßig lauten, aber sonor sägenden Sound aus dem hübschen Stummelauspuff, untermalt von heiserem Röcheln aus der Airbox. Die gesunde Mitte zwischen japanischem Understatement und italienischem Gebrüll.

Was will man diesem begeisternden Triebwerk anlasten? Dass der Begrenzer Triple-typisch unvermittelt eingreift, wenn es gerade am schönsten ist? Geschenkt, irgendwann muss der Spaß ja ein Ende haben. Im Gegenteil spricht es für die Drehfreude und Spritzigkeit, dass man mit der Yamaha MT-09 hier und da mal im Begrenzer landet. Dass es ein klein wenig in den Lenkerenden kribbelt? Überhaupt kein Problem, man will ja auch etwas spüren, fühlen. Der Dreizylinder vermittelt viel mehr Charakter und Emotion als der seidige, aber im Vergleich saftlos erscheinende Vierzy­linder der FZ8-Schwester. Dass die unteren Gänge ein wenig surren? Gibt sich vielleicht noch. Dass in den engen Kurven die Leistung im Lastwechsel ein wenig zu hart einsetzt? Dafür gibt es ja schließlich noch den B-, den Softie-Modus.

Und der zähmt den Dreizylinder nun wirklich spürbar. Ohne ihm dabei jedoch die letzten Zähne zu ziehen. Im Gegenteil, auch hier kommt der Schub unkastriert, nur muss für gleichen Vortrieb das Gas immer ein wenig mehr aufgezogen werden.

Yamaha MT-09 vollgetankt unter 190 Kilogramm

Mal im Vertrauen gesagt: Am Ende landet wohl jeder früher oder später immer in diesem Modus, ob Profi-Tester oder Hobbyfahrer. Er ist der richtige für den Alltag, denn er glättet die ansonsten ziemlich abrupten Lastwechsel-Übergänge. Weitere elektronische Assistenzsysteme sind bei der Yamaha MT-09 nicht an Bord, wäre in dieser Preisklasse schließlich auch unüblich. Wobei eine Traktionskontrolle auf den berüchtigten rutschigen Straßen in Kroatien gar keine schlechte Idee wäre, vor allem angesichts dieses kräftigen Drehmoments.

Die Explosivität des Motors ist aber nicht der alleinige Grund für die mitreißende Fahrdynamik der Yamaha MT-09. Ein Blick in die technischen Daten weist ein Gewicht von vollgetankt unter 190 Kilogramm aus, in dieser Preiskategorie sicher mehr als ungewöhnlich wenig. Zum Vergleich: Eine Kawasaki Z 800 wog im Test 231 kg, eine FZ8 217 Kilo. So konnten es sich die Techniker leisten, die Geometrie ziemlich gemäßigt zu belassen, und trotzdem ein hervorragendes Handling erreichen. Die Yamaha MT-09 lenkt sich leicht und flockig, wirkt in jeder Situation neutral und bleibt auch bei Geschwindigkeiten weit jenseits der in Kroation erlaubten 90 km/h stabil auf Kurs. Ob ein Lenkungsdämpfer nötig wäre? Hin und wieder zuckt der Lenker schon ein wenig, echtes Kickback war hier aber nicht auszumachen, obwohl das Vorderrad wie gesagt häufig knapp über dem Asphalt segelt und auf den Bodenwellen auftitscht.

Schräglagenfreiheit mit 61 Grad praktisch grenzenlos

Zugegeben, der kleine 14-Liter-Tank trägt auch ein wenig zum niedrigen Gewicht bei. Bedenken, dass damit die Reichweite sinkt, will Yamaha durch einen optimierten Verbrauch zerstreuen. Bei den Test- und Fotofahrten zeigte der nicht besonders übersichtliche Bordcomputer um die fünf l/100 km an, es geht aber wohl auch deutlich darunter. Und immerhin sorgt eine Anzeige der Restreichweite dafür, dass man das Tankvolumen der Yamaha MT-09 auch ausnutzen kann.

Schmal und kompakt macht der kleine Tank Yamaha MT-09 außerdem. Die Taille wirkt wespenhaft, die flach konturierte Sitzbank ist vorn ganz schmal und ergibt in Kombination mit der niedrigen Sitzhöhe eine geringe Schrittbogenlänge. Das passt für kleine wie große Fahrer, nur 1,90-Meter-Piloten wie der Autor wünschen sich zwei, drei Zentimeter mehr Sitzhöhe. Weil die Maschine dank des kompakten Dreizylinders – bei dem allerdings links die auf dem Kurbelwellenstumpf sitzende Lichtmaschine herausragt – auch unten so schmal ist, konnten die Fußrasten im Vergleich zu den FZ8-Modellen tiefer platziert werden. Trotzdem ist die Schräglagenfreiheit mit 61 Grad praktisch grenzenlos, das ist R6-Niveau.

Yamaha MT-09 Testride-Video

Die kann man bei miserablem Grip nie und nimmer ausloten, auf griffigem Asphalt würden die sportlichen Bridgestone S 20-Pneus sicher jede Menge Grip bieten. Lädt man geradeaus auf dem holperigen kroatischen Geläuf einmal voll durch, wirkt die ansonsten sensibel ansprechende Federung der Yamaha MT-09 leicht überfordert.

Die Yamaha MT-09 wird die Mittelklasse aufmischen

Der Motor ist fast schon italienisch-aggressiv abgestimmt, das Fahrwerk eher japanisch-soft. Was im Alltag sicher kein Nachteil ist. Bei scharfem Tempo wünscht sich der Straßenkämpfer jedoch mehr Progression und eine stärker gedämpfte Grundabstimmung, das kann die begrenzt wirkende Zugstufenverstellung nicht verhindern. Das optionale ABS hatten die getesteten Maschinen noch nicht an Bord. Die einteiligen Zangen zwicken zwar gut berechenbar in die Scheiben, in Deutschland wird die ABS-Quote aber wohl nahe 100 Prozent liegen.

Mit Sicherheit wird die Yamaha MT-09 die Mittelklasse gehörig aufmischen. Es gibt nur ­wenige Motorräder, die so viel Fahrspaß, Charakter und Emotion bieten – und dafür muss man oft viel tiefer in die Tasche greifen. Am Ende ist also auf jeden Fall der Käufer der lachende Dritte.

Daten und Fakten

Yamaha

Motor
Wassergekühlter Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung Ø 41 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 415 W, Batterie 12 V/8,6 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkup­plung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 2,813.
Bohrung x Hub: 78,0 x 59,1 mm
Hubraum: 847 cm³
Verdichtungsverhältnis: 11,5:1
Nennleistung: 84,6 kW (115 PS) bei 10 000/min
Max. Drehmoment: 87,5 Nm bei 8500/min

Fahrwerk
Brückenrahmen aus verschraubten Aluguss-Hälften, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 41 mm, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Alumi­nium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 298 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alugussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17

Maße und Gewichte
Radstand 1440 mm, Lenkkopfwinkel 65 Grad, Nachlauf 103 mm, Federweg v/h 137/130 mm, Sitzhöhe 815 mm, Gewicht vollgetankt 188 kg (mit ABS 191 kg), Tankinhalt 14 Liter.

Garantie: zwei Jahre
Farben: Blau, Dunkelviolett, Orange, Mattgrau
Preis: 7495 Euro (ohne ABS), 7995 Euro (mit ABS)
Nebenkosten: 170 Euro

Warum Dreizylinder?

Yamaha

Gerade im Hubraumbereich zwischen 600 und 900 cm3 bezeichnen viele den Dreizylinder als idealen Motor. Dafür gibt es handfeste Argumente. Einzelhubräume zwischen 200 und 300 cm3 sind ver­brennungstechnisch gut zu beherrschen. ­Dreizylinder-Reihenmotoren sind kompakt und sehr effizient, daher heute auch in Autos ein Thema. Im Motorrad bieten sie zudem spezielle charakterliche Reize. Yamaha nennt den Motor CP3, was für Crossplane-Dreizylinder steht. Damit wird eine Analogie zum CP4-Motor der YZF-R1 hergestellt, außerdem zum CP2-Motor der XT 1200 Z, beide mit unregelmäßigen Zündabständen.

Konfiguration auch in den M1-MotoGP-Maschinen

Crossplane bedeutet gekreuzte Ebene: In Achsrichtung betrachtet liegen die Hubzapfen nicht in einer Ebene. Bei Zwei- und Vierzylindern wird das durch Versatz der Hubzapfen gegenüber der üblichen Anordnung erreicht. Beim Dreizylinder mit regelmäßigen 120 Grad Hubzapfenversatz ist das von Haus aus so. Vorteile hat ein CP-Motor wegen seines „sauberen“ Drehmoments. Bei normalen Vierzylinder-Reihen­motoren stören Massenkräfte den Drehmomentverlauf stärker. Crossplane-Motoren pulsieren stärker, was ihren Charakter betont, aber auch Vorteile in der Kontrollierbarkeit bieten soll. Deswegen verwendet Yamaha diese Konfiguration auch in den M1-MotoGP-Maschinen.