Retro-Schwestern im Vergleich-Test: Yamaha XSR 900 und XSR 900 GP

Test Yamaha XSR 900 und Yamaha XSR 900 GP
Zwei Retro-Motorräder im Vergleich

Veröffentlicht am 03.04.2025

All diejenigen, deren Kontakt mit dem Motorradrennsport sich auf das aktuelle Jahrtausend beschränkt, verbinden die Marke Yamaha intuitiv mit der Farbe Blau. M1, R1, R6 – die Racebikes mit den gekreuzten Stimmgabeln auf dem Tank waren seither stets in diversen Blau-Variationen lackiert und haben neben Ruhm und Ehre in den vergangenen Jahrzehnten auch diverse Siege und Titel eingefahren.

Yamaha XSR 900 und Yamaha XSR 900 GP in Weiß-Rot

Doch wenn wir weiter zurückblicken, etwa in die Zweitakt-Ära der 80er- und frühen 90er-Jahre oder gar bis an die Anfänge des GP-Engagements von Yamaha 1961, tritt die Farbkombination Weiß-Rot ins Rampenlicht – die eigentliche Yamaha-Racing-Kombo, wie echte Fans wissen. Dass die Retro-Sportbikes Yamaha XSR 900 und Yamaha XSR 900 GP in exakt dieser Lackierung im Verkaufsraum stehen, ist also kein Zufall, sondern eine Hommage an alte, für manchen Fan noch glorreichere Zeiten.

Yamaha XSR 900 GP im Retro-Styling

Ganz besonders gilt das für die Yamaha XSR 900 GP, bei der das Retro-Styling von den Designern so konsequent umgesetzt wurde wie bei kaum einem anderen Modern-Classic-Bike auf diesem Planeten. Gelbe Startnummernfelder wurden in die Lackierung von Frontverkleidung und Sitzhöcker integriert, Racing-Schnellverschlüsse halten die Kanzel an Ort und Stelle und die nach unten gekröpften Lenkerstummel erinnern an die ergonomischen "Besonderheiten" von Sportmotorrädern des letzten Jahrtausends.

Nein, nicht nur von Sportmotorrädern. Rennmotorrädern. Denn wer Wayne Rainey oder Eddie Lawson und die zugehörigen Yamaha-Werksrenner noch kennt, dem schießen Bilder davon beim Anblick der XSR 900 GP unweigerlich wieder ins Gedächtnis. Lawson holte auf der YZR 500 in den Jahren 1986 und 1988 den WM-Titel, Rainey folgte zwei Jahre später mit drei Titeln in Serie (1990, 1991, 1992). Ja, das waren noch Zeiten, als Benzin und Öl gemeinsam verbrannt und bläuliche, nach unberechenbar explodierender Leistung duftende Wolken aus zu Birnen geformten Auspuffkrümmern in die Freiheit entlassen wurden.

GP mit neuster Yamaha-Technik

Mit dieser nicht von Euro-Normen beschränkten Art der Krafterzeugung hat die Yamaha XSR 900 GP freilich nichts mehr am Hut. Im Gegenteil, motorisch und elektronisch befindet sie sich auf dem neuesten Stand der Yamaha-Technik, nämlich jenem der MT-09 Jahrgang 2024. Damit ist sie ihrer Schwester, der "normalen" Yamaha XSR 900, sogar um ein Jahr voraus.

Joystick-Steuerung des Menüs mit fünf Fahrmodi und den überarbeiteten Quickshifter besitzt die nämlich noch nicht, ihr Display ist kleiner, weniger nutzerfreundlich und auch die Abstimmung der Motormappings wirkt mit roherer Gasannahme nicht ganz so ausgefeilt. Gleich bleibt die Sonderspezifikation "M" auf den Bridgestone-Reifen, die beim S22 der XSR 900 wie beim S23 der XSR 900 GP für einen günstigen Ableger des jeweiligen Reifenmodells mit nur einer Gummimischung für die gesamte Lauffläche steht. Trotzdem aktuelle Ware, die den hölzernen Pneus, welche zu Zeiten von Rainey und Co. auf Straßenmotorräder montiert wurden, um Welten voraus sind.

Traktionskontrolle, schräglagensensibles ABS

So natürlich auch die Assistenzelektronik, von der man damals noch nicht einmal zu träumen wagte. Traktions-, Slide- und Wheelie-Kontrolle gesellen sich zum schräglagensensiblen ABS und vier Motormappings. Alles einstellbar im Fünf-Zoll-TFT-Dashboard. Diese heute unverzichtbaren Features eines Sportbikes treffen beim Aufsitzen auf ein klassisches Arrangement. Zu den erwähnt steilen Lenkerstummeln fällt man über den lang gezogenen Tank weit nach vorne. Der Druck auf den Handgelenken ist zwar nicht Superbike-mäßig hoch, aber im Vergleich zur Yamaha XSR 900 mit breitem und hohem Lenker erscheint diese Position deutlich knackiger.

Ganz im Gegensatz zum Fahrwerk. Die voll einstellbaren und im Grundsetting relativ komfortablen KYB-Federelemente der Yamaha XSR 900 GP sind bemüht, dem durchschnittlichen Alter des Nostalgikers und dessen Bandscheiben gerecht zu werden. Fein ansprechend, weich federnd und ausreichend dämpfend verleihen sie dem Bike überraschend viel Federungskomfort, ohne dabei dem sportlichen Fahrgefühl entgegenzuwirken. Anreißer können nachjustieren, wenn das Federbein beim Beschleunigen zu sehr durchsackt. Wer der Straße sportlich nah sein will und dennoch nicht jeden Riss im Asphalt direkt in den Gliedmaßen spüren muss, weiß diesen Kompromiss aber zu schätzen. Er versüßt den Genuss des klassisch-modernen Fahrgefühls. Modern ist neben dem Fahrwerk nämlich auch das Handling. Der lässige Kurven-swing geht so locker von der Hand oder, besser, von der Hüfte, dass man für exaktes Zirkeln kaum Eingewöhnungszeit benötigt. So auch bei der Dosierung der initial starken Bremse mit wenig Leerweg.

XSR ergonomisch eher modernes Naked Bike

Klassisch neben dem Arrangement die Art, auf die sich die üppige Halbschale mit prominentem Verkleidungshalter vor dem Fahrer aufbaut und zum Klangkörper für das Ansauggeräusch des Dreizylinder-Motors wird. Rau faucht der Triple durch den Helm ins Ohr, macht Lust auf entschlossenes Durchbeschleunigen, ohne die Außenwelt übermäßig zu belästigen. Klassischer Sound, modern verpackt. Toll.

Gilt, klar, ebenso für die Yamaha XSR 900, auch wenn das Biker-Herz durch die aufrechte Sitzposition und "fehlende" Resonanz einer Kanzel weniger vom regelmäßig zündenden Triple in Schwingungen versetzt wird. Von außen ebenfalls klassisch anmutend, ist die XSR ergonomisch eher modernes Naked Bike. Über den breiten Lenker klappt sie kleinsten Impulsen folgend auch wegen der etwas aggressiveren Geometrie mit steiler stehendem Lenkkopf zackig ab, gibt im Umkehrschluss aber ein nicht so sattes Gefühl und lässt sich in Schräglage leichter aus der Ruhe bringen. Die etwas straffer abgestimmte, voll einstellbare Fahrwerkshardware spricht dazu weniger sensibel an, wodurch beim flotten Ritt in Kombination mit dem höheren Lenker etwas weniger Vertrauen zum Vorderrad aufkommt als auf der Yamaha XSR 900 GP. Am Heck bedingt auch die Hebelübersetzung des Federbeins (weniger Progression, höhere Federrate) den gröberen Umgang mit dem Gesäß des Reiters zugunsten eines direkteren Feedbacks.

890-Kubik-Dreizylinder

Und auch ihr Herzstück, den 890-Kubik-Dreizylinder, setzt die Yamaha XSR 900 etwas aggressiver in Szene. Nicht nur wegen der erwähnt härteren Gasannahme. Wählt man das scharfe Mapping "1", öffnet die Elektronik die Drosselklappen bereits kleinen Befehlen folgend außerordentlich weit und lässt viele Newtonmeter auf das Hinterrad los. Die GP geht einen Hauch relaxter zur Sache, ist weniger darum bemüht, ihre Kraft zur Schau zu stellen, als eine klare Verbindung zwischen Gasgriff und Hinterrad zu schaffen. Piekfein lässt sich jedes der 119 Pferdchen einzeln aktivieren, in der unteren Drehzahlhälfte beinahe ohne begleitende Vibrationen.

Dass die Yamaha XSR 900 GP in der Leistungsmessung knapp vier PS und drei Newtonmeter unter der Standard-Schwester liegt, lässt sich auf die dort montierte Akrapovic-Auspuffanlage aus dem Yamaha-Originalzubehör zurückführen. Sie löst für 2.138 Euro den schmucklosen Under-Engine-Auspuff ab und ist natürlich auch für das GP-Modell erhältlich. Im Racer Pack für 2.966 Euro wäre bei ihr zusätzlich noch ein Verkleidungsunterteil (plus ein kurzer Kennzeichenträger) enthalten, das die GP optisch noch näher an Raineys und Lawsons Grand-Prix-Maschinen bringt. Dann fehlen nur noch die Auspuffbirnen – mit entsprechendem Motor. Und Klang. Und der spitzen Charakteristik. Und der Anfälligkeit. Nein, dann lieber moderner Triple-Punch samt elektronischem Sicherheitsnetz im Kleid von damals. Einfach nach vorn lehnen, Stummel oder Lenkstange greifen und Yamahas Klassik-Show genießen.