100 Jahre BMW Motorrad: Die 1990er-Jahre

100 Jahre BMW Motorrad
BMW Motorrad in den 1990er-Jahren

Veröffentlicht am 09.12.2023

Die 1990er – ein Jahrzehnt, in dem bei BMW richtig viel passiert. Die wohl wichtigste Neuerung betrifft aber kein Fahrzeug an sich, sondern einen Motor. Gemeint ist der neue Vierventil-Boxer. Der löst den alten Zweiventiler ab und wird zusammen mit der R 1100 RS erstmals 1993 vorgestellt. Dass es überhaupt so weit kommt, daran hegte so mancher damals Zweifel. Schließlich zeigten die Drei- und Vierzylinder-Reihenmotoren der 1980er-Jahre deutlich auf, dass BMW auch Fortschritt und Leistung kann, da wirkte der im Vergleich alte Boxer wie ein Relikt vergangener Tage.

An der Luftkühlung durfte niemand rütteln

Diesen Umstand kannten auch die Ingenieure in den BMW-Entwicklungsabteilungen. Wenn ein neuer Boxer kommen soll, muss er technisch fit fürs nächste Jahrzehnt sein. Allerdings: Der Boxer-Motor ist so typisch für BMW wie das Weißbier für Bayern. An Grundfesten wie der Luftkühlung durfte (noch) niemand rütteln. Um trotzdem mehr Leistung zu generieren, erhielt der neue Boxer Vierventil-Köpfe, die wegen der halbhohen Anordnung der Ventilsteuerung erfreulich schräglagentauglich ausfielen. Von den K-Modellen adaptierte man die Zünd- und Einspritzelektronik, die Bosch Motronic MA 2.2, und passte sie an den neuen Boxer an. Damit’s dem Motor nicht zu heiß wird, senkt an die Kolbenböden gespritztes Öl die Temperatur. Ein taugliches Layout, das dem neuen Boxer zu 90 PS bei 7.250/min verhilft.

Der neue Motor ist aber nicht das einzige Highlight der R 1100 RS. Als erstes Motorrad von BMW erhält sie einen Telelever. Der entbindet die Radführung vorn von den Federungs- und Dämpfungsaufgaben. Die übernimmt ein Federbein, das oben am Rahmen und unten an einem Längslenker befestigt ist. Der Vorteil: ein mechanischer Brems-Nickausgleich. Auf diese Fahrwerkstechnik setzt BMW bis heute, wenn der Bauraum vor dem Motor dafür ausreicht.

1994 bringt BMW den ersten Entenschnabel

Nach der R 1100 RS schiebt BMW im Jahr 1994 den ersten Entenschnabel, die R 1100 GS, nach, allerdings mit angepasstem Boxer-Motor. Ihr Antrieb leistet in der Spitze 80 PS und liefert ein Drehmomentmaximum von 97 Nm. Dies erreicht BMW durch eine leicht zurückgenommene Verdichtung im Vergleich zur R 1100 RS sowie eine modifizierte Motorsteuerung. Auch wenn ihr Design nicht sofort alle überzeugt, in Sachen Funktion machen ihr die damaligen Mitbewerber-Modelle nichts vor. Die R 1100 GS überdauert die 1990er-Jahre aber nicht. Im Jahr 1999 stellt BMW bereits die R 1150 GS vor. Der Entenschnabel bleibt, dafür gibt’s jetzt unterschiedlich große Rundscheinwerfer und einen Boxer-Motor mit 1130 cm³, der mit 85 PS noch kräftiger antritt.

Wer damals bei all den Neuheiten rund um die GS den alten Zweiventiler-Boxermodellen noch eine Träne nachweint, kann 1996 bei der Abschiedsvorstellung des ehrwürdigen Antriebs zur R 80 GS Basic greifen. Nach mehr als 70 Jahren und über 684 830 gebauten Einheiten beschließt sie das Kapitel Zweiventil-Boxer endgültig.

"Funduro" BMW F 650 ab 1993

Dreht sich in den 1990er-Jahren denn alles um den Boxer-Motor? Nein. Mit der F 650 bringt BMW 1993 einen neuen Einzylinder auf den Markt, den ersten seit 1966. Aprilia unterstützt bei Entwicklung und Produktion, Rotax liefert den Antrieb zu. Die "Funduro" richtet sich vor allem an Einsteiger, die BMW bisher nicht bediente. Novum aus Kostengründen: Als erste BMW hat die F 650 einen Ketten-Endantrieb statt Kardan. Kann das erfolgreich sein? Und wie! Neben der Zweizylinder-GS wird sie zum bestverkauften Modell im BMW-Programm der 1990er-Jahre.

Roller mit Dach – BMW C1

Und dann ist da noch etwas: ein Roller mit Dach! 1992 zeigt BMW erstmals eine Designstudie des C1, 1999 betritt er in der Realität die Motorradbühne. Bertone in Italien baut die Roller für BMW, Rotax liefert wie bei der F 650 den Motor. Sicherheitsgurte, die stabile Fahrgastzelle und ein Vorbau als Crash-Element sind zu der Zeit einmalig – und wären es noch heute. Der C1, der ohne Helm gefahren werden darf, entpuppt sich nicht als Erfolg. Der futuristische Roller wirft einen Blick in die Zweiradzukunft, glänzt mit tadelloser Funktion und hohem Praxisnutzen. Allerdings wissen das nur wenige zu schätzen. 2003 wird BMW das Kapitel C1 schließen.

Viel Mut beweist BMW indes auch 1996 mit der neuen K 1200 RS. Der Vierzylinder bricht zum ersten Mal mit der freiwilligen Leistungsbeschränkung auf 100 PS. Aus 1.172 Kubik entwickelt der Motor 130 PS bei 8.750 Touren. Mit derart gestählten Muskeln rennt die K bis zu 245 km/h schnell und setzt damit im BMW-Kosmos neue Maßstäbe. Nur in Frankreich und in Deutschland, dem Land der unbegrenzten Autobahn, gibt’s eine zivile 98-PS-Version. Um so viel Leistung auf die Straße zu bringen, spendeten die Boxer-Typen ihren Telelever, während ein neuer Aluminium-Brückenrahmen Lenkkopf und Schwingenaufnahme verband. Dieser neuen Sportlichkeit trägt auch die Lackierung der K 1200 RS Rechnung, deren Rautenmuster an den Seiten wohl kaum zufällig an eine Zielflagge erinnert.

BMW bringt Cruiser R 1200 C

Und damit zum Schluss doch noch einmal zurück zum Vierventil-Boxer, schließlich darf der noch in einer für BMW komplett neuen Motorradgattung ran: Cruiser. Die 1990er sind das Jahrzehnt der glänzenden, coolen Feuerstühle. Als weltweiter Anbieter will BMW ein Stück vom Kuchen der fast ungezügelten Nachfrage abhaben. Das Ergebnis heißt 1997: R 1200 C. Auch sie nutzt den Vierventil-Boxer als Antrieb. Für viel Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen wächst der Hubraum auf 1.170 Kubik, dazu gibt’s Updates beim Ventiltrieb und der elektronischen Motorsteuerung.

Als Lohn liefert der R-1200-C-Antrieb nach dieser Kur 98 Nm schon bei 3.000/min über den Kardan Richtung Hinterrad. So viel Innovationsgeist hat auch "James Bond"-Darsteller Pierce Brosnan überzeugt, der mit einer R 1200 C im Agentenstreifen "Der Morgen stirbt nie" in Thailand über einen Hubschrauber springt. Spektakulär, doch ein richtiger Erfolg wird der 1200er-Bayern-Cruiser nicht. 2004 wird damit Schluss sein, und die BMW R 18 wird erst in den 2020er-Jahren folgen.