Na, das fängt ja gut an, das neue Jahrtausend – so denkt die konservative Stammkundschaft, als BMW im Jahr 2001 die neuartige F 650 CS präsentiert. Ein "Scarver" soll das sein. Damit können die Enduristen und Tourenfahrer wenig anfangen, zudem sind sie von den avantgardistischen Formen und Farben irritiert. Ansprechen will BMW mit dem "Scarver" jedoch andere, neue, jüngere Motorradfahrer und Motorradfahrerinnen. Doch das klappt auch nicht so recht.
BMW F 650 CS war ihrer Zeit voraus
Später wird man sagen und schreiben, die F 650 CS sei ihrer Zeit voraus gewesen. Wie der kurz zuvor erschienene C1-Roller mit Dach. Praxisvorteile des "Scarver"-Konzepts sind jedenfalls sein sauberer, leiser Endantrieb per Zahnriemen sowie der durch den Benzintank am Heck frei werdende Platz vorn, der entweder für Gepäck oder für das als Originalzubehör angebotene Audiosystem genutzt werden kann. Nebenbei ist die F 650 CS mit ihrem 50 PS starken Einzylinder-Motor und ihren unter 200 Kilogramm Fahrzeuggewicht schön unkompliziert zu fahren. Sogar noch einfacher als die normale Enduro-Ausführung der F 650, die als GS und GS Dakar fürs neue Jahrtausend modernisiert wird – und so erfolgreich weiterläuft.
Erste GS Adventure ab 2002, erste 1200er-GS ab 2004
Bei der großen Boxer-GS – längst die wichtigste BMW – gibt es ebenfalls Fortschritte. Ab 2002 gibt es von der R 1150 GS erstmals eine Modellvariante namens Adventure, höher, noch schwerer, mit größerem Tank und optional mit Alu-Koffern. Damit verbreitert BMW die Erfolgsspuren im Gelände und auf der Straße – abgekürzt GS – noch weiter. Und 2004 folgt auf die R 1150 GS die R 1200 GS. Erstmals mit 100 PS starkem Boxer und dabei nicht schwerer, sondern endlich wieder leichter. Viel leichter sogar, mit vergleichbarer Ausstattung um circa 25 Kilogramm, und selbst mit vollem Tank sowie den üblichen Sonderausstattungen deutlich unter 250 Kilogramm. Von dieser ersten 1200er-GS produziert und verkauft BMW nochmals signifikant mehr als von den bereits sehr erfolgreichen Vorgängermodellen.
BMW G 450 X und Husqvarna-Übernahme
Weniger gefragt, aber konsequenter geländetauglich als alle BMW Motorräder je zuvor sind andere Enduros, die BMW in den 2000er-Jahren dem staunenden Publikum präsentiert. Allen voran die G 450 X, deren hochdrehender Einzylinder-Motor von Kymco in Taiwan gefertigt wird und mit seiner Abtriebswelle koaxial am Schwingendrehpunkt sitzt. Diese innovative Konstruktion hält den Durchhang der Endantriebskette trotz langer Federwege konstant. Nur um 120 Kilo wiegt die 450er-Sport-Enduro, hat über 40 PS und Straßenzulassung – und keinen Erfolg, weder sportlich noch kommerziell. Ebenfalls Flops sind die G 650 X-Modelle mit Einzylinder-Motor von Loncin aus China und Montageband bei Aprilia in Italien. Und, last but not least, die komplette Übernahme der Motorradmarke Husqvarna samt Werk in Italien, wo ab 2007 viel zu viele Millionen BMW-Euros versickern.
BMW HP2 Enduro, HP2 Megamoto und HP2 Sport
Kein Flop, sondern von vornherein als edle Kleinserie konzipiert ist die HP2 Enduro. HP für High Performance und 2 für die Anzahl der Zylinder in Boxer-Form. Über 100 PS stark, ohne Ausgleichswelle zudem stark vibrierend. Die unkomfortable, dafür umso sportlichere Boxer-Enduro, die nicht GS heißt, bringt als Innovation ein Luftfederbein mit – das sich nicht durchsetzen kann. Auf die HP2 Enduro folgen die HP2 Megamoto und die HP2 Sport, letztere mit doppelten obenliegenden Nockenwellen (dohc) und 133 PS Nennleistung im nach wie vor luft-/ölgekühlten Boxer. Eine dank vieler Carbonteile rund 200 Kilo leichte Traum-BMW; wie die beiden anderen HP2-Modelle, aber noch higher performend.
Sportboxer und Reihenzweizylinder
Nicht ganz so extrem ist der Sportboxer R 1200 S, doch für die von der tourensportlichen Vorgängerin R 1100 S verwöhnte Stammkundschaft ist die 1200er-S dennoch zu sportlich, zu unbequem, zu unpraktisch. Noch ohne dohc-Ventiltrieb kommt sie auf spitz entfaltete 122 PS. Nur Wenige wissen das zu schätzen.
Ganz anderen S-Modellen von BMW gelingt der Durchbruch in den 2000er-Jahren ebenso wenig. Zusammen mit der F 800 S verläuft der Endantrieb per Zahnriemen noch einmal im Sande. Doch das Naked Bike R und – selbstverständlich – die Enduro GS mit dem von Rotax in Österreich gefertigten Reihenzweizylinder-Motor kommen sehr gut an. Mit gleichmäßigen Zündabständen klingt der mindestens 85 PS starke Twin wie ein Boxer.
Fahrwerkselektronik ESA, Duolever-Vorderradaufhängung
Von der K 1200 S mit Reihenvierzylinder-Motor bleiben hingegen im Laufe der Nuller-Jahre nur technische Elemente übrig, etwa die Fahrwerkselektronik ESA oder die Vorderradaufhängung Duolever nach Vorlage von Norman Hossack. Und mit den K 1300-Modellen führt BMW die Klappensteuerung für Abgasanlagen ein. Motorräder made in Germany werden damit lauter, das Staunen über die dynamische Entwicklung bei BMW geht weiter.
BMW S 1000 RR – Superbike made in Germany
Denn umso besser treffen die Weißblauen bei der richtig sportlichen Zielgruppe ins Schwarze. Mit der S 1000 RR. Dabei handelt es sich – bisher kaum vorstellbar bei BMW – um ein Superbike nach jahrzehntelang bewährter japanischer Bauart. Also mit Reihenvierzylinder-Motor im Aluminium-Brückenrahmen, mit konventionellen Radaufhängungen und Endantrieb per Kette. Die 193 PS Werksangabe zur ersten Version sind imposant und obendrein tiefgestapelt. Sensationellerweise gelingt es den Bayerischen Motoren Werken mit der Doppel-R ab 2009 auf Anhieb, die 200-PS-Marke am Prüfstand zu knacken. So schwimmt BMW im Haifischbecken der Superbikes nicht nur mit, sondern sogar noch schneller als die etablierte Konkurrenz.
Ende der 2000er-Jahre ist die Marke BMW Motorrad mitsamt Modellprogramm viel breiter und sportlicher aufgestellt, die Kundschaft ist tendenziell etwas jünger geworden. Was der "Scarver" nicht geschafft hat, klappt also schließlich doch. Mitverantwortlich für die ambitionierte Neuausrichtung, aber ebenso für die erwähnten Misserfolge in diesem Jahrzehnt ist ein gewisser Herbert Diess. Von 2003 bis 2007 leitet er BMW Motorrad und ahnt noch nichts von seinem späteren Wechsel zu VW. Alle 10 BMW-Jahrzehnte im Überblick