Der Einstieg in das Motorrad-Schrauben ist – besonders für Leute ohne technische Ausbildung und wenig Erfahrung – oft nicht ganz einfach. Unsere Schraubertipp-Serie verbindet die Theorie mit der praktischen Umsetzung aus der Perspektive des Lernenden. Coaching-Kandidat und "Azubi" Willy ist ein alter Freund von MOTORRAD-Schraubertipp-Experte Ralf Petersen. Schraubererfahrung hat er so gut wie keine und sich stets auf Werkstätten beziehungsweise kundige Hobbyschrauber verlassen. Nach der letzten gepfefferten Rechnung für eine Inspektion hat er sich entschlossen, zukünftig mehr selbst zu machen. Bei der Umrüstung seines Motorrads auf Stahlflexleitungen führt er fast die gesamten Schrauberarbeiten allein durch.
Bremsenwartung an der Honda NTV 650, Baujahr 1988
Das zu beschraubende Motorrad ist eine Honda NTV 650, Baujahr 1988, mit 85.000 Kilometer auf der Uhr. Die Maschine weist deutliche Gebrauchsspuren auf. Die Vorderradbremse hat einen schwammigen Druckpunkt und lässt sich nur mit relativ hoher Handkraft zu einer ausreichenden Verzögerung motivieren. Der erste Blick auf die Bremszangen ist ebenfalls ernüchternd. Die Schwimmsättel lassen sich kaum bewegen, und die Trägerplatten der Bremsbeläge sind deutlich sichtbar angerostet. Die ganze Anlage schreit förmlich nach einer Wartung. Die Bremsflüssigkeit ist immerhin fast neu.
Gummileitungen gegen Stahlflexleitungen tauschen
Die Aufgabe besteht im Ausbau der alten und Montage der neuen Bremsleitungen sowie der Überprüfung und Wartung der kompletten Bremsanlage. Dass Bremsleitungen zu den Verschleißteilen gehören, ist vielen Motorradfahrern gar nicht klar. Da sie in der Regel aus Gummi bestehen, werden sie durch den Kontakt mit der Bremsflüssigkeit im Laufe der Zeit weich und im schlimmsten Fall porös. Man merkt es beim Bremsen, denn der Druckpunkt wirkt schwammig, weil sich das Gummi unter Belastung weitet. Die Hersteller empfehlen deshalb, die Leitungen alle 4 – 5 Jahre zu erneuern. Eine Altersangabe findet man entweder gedruckt auf den Schläuchen oder als Banderole.
Die alten Gummileitungen der NTV 650 haben eine DOT-Nummer von 1988! Beim Austausch der Leitungen sind Stahlflexleitungen eigentlich alternativlos. Sie werden nicht aus Gummi, sondern aus alterungsresistentem Teflon hergestellt und sind mit einem flexiblen Drahtgewebeschlauch ummantelt, der die Leitung vor Beschädigungen wie Knicken oder Scheuern schützt. Und da sie sich unter Belastung weniger ausdehnen kann, den Druckpunkt deutlich verbessert. Einmal montiert, müssen Stahlflexleitungen nicht mehr gewechselt werden. Es gibt sie je nach Bauart bereits ab rund 60 Euro (für Einscheiben-Bremsen) mit ABE, der Eintrag in die Fahrzeugpapiere entfällt somit.
Schrauberbereich vorbereiten und Material checken
Der gesamte Schrauberbereich wird mit Tüchern und einem Werkstattteppich abgedeckt. So rollt nichts weg, man hat reichlich Platz zum Ablegen von Werkzeug und Material und vermeidet Flecken auf dem Boden.
Das bestellte Material umfasst: Je eine Stahlflexleitung von TRW (mit ABE) für vorn und hinten, Bremsflüssigkeit DOT 4, die passenden Schellen zur Montage sowie 2 Stahlbusventile zum problemlosen Entlüften schlagen mit knapp 200 Euro zu Buche.
Zur Einführung gibt es erst einmal ein wenig Theorie in Bezug auf die Funktion von Pumpe, Flüssigkeit, Leitung und Bremszange. Im Handbuch schauen sich Autor und "Azubi" die entsprechenden Schnittzeichnungen an und legen besonderen Wert auf die Anzugswerte. Danach: Trainingseinheit am Drehmomentschlüssel. Da die Hohlschrauben und Entlüftungsventile an einer Bremsanlage besonders empfindlich sind, dürfen sie nur exakt mit den angegebenen Drehmomentwerten angezogen werden. Weil Willy noch nie mit einem Drehmomentschlüssel gearbeitet hat, beginnen wir mit einigen "Trockenübungen" an einer alten Bremszange. Verwendet man ein Qualitätsprodukt, dann ist dies keine große Herausforderung (siehe auch MOTORRAD Drehmomentschlüssel-Vergleichstest). Ist der einfach einzustellende Wert erreicht, löst der Schlüssel automatisch aus.
Wie demontiere ich die Bremsleitungen am Vorderrad?
Der nächste Schritt ist die Demontage der alten Vorderrad-Bremsleitungen, im Grunde denkbar simpel. Nach dem Entfernen des Deckels und der Gummidichtung am Bremsflüssigkeitsbehälter machen wir zuerst einmal ein Foto, um den Stand der Bremsflüssigkeit zu dokumentieren. Der hängt nämlich von der Stärke der Bremsbeläge ab und sollte später möglichst genauso aufgefüllt werden. Bremsflüssigkeit ist stark ätzend. Deshalb sollten alle Fahrzeugteile, die sich in der Nähe der Bremsanlage befinden, gegen Spritzer und austretende Flüssigkeit gut abgedeckt werden. Ein Eimer mit klarem Wasser und Schwamm sollte ebenfalls griffbereit sein.
Nun wird die Bremsflüssigkeit im Ausgleichsbehälter mit einer Spritze vollständig abgesaugt. Im Anschluss kann die Hohlschraube der Bremsleitung unten am Bremssattel abgeschraubt werden, damit man die restliche Flüssigkeit in ein passendes Gefäß ablaufen lassen kann. Es empfiehlt sich, dabei Schutzhandschuhe zu tragen, um die Haut vor der aggressiven Bremsflüssigkeit zu schützen. Nun wird die Hohlschraube der Bremsleitung an der Handbremspumpe herausgedreht, und die Bremsleitung kann aus den Haltern an der Telegabel entfernt werden, indem man diese ein Stück zurückbiegt.
Wie demontiere ich die Bremsleitungen am Hinterrad?
Genau das gleiche Prozedere führen wir auch bei der hinteren Bremsanlage durch. Der Bremsflüssigkeitsbehälter sitzt hier unter dem rechten Seitendeckel. Die erste Hohlschraube ist wieder an der Bremszange zu finden und die zweite am Bremszylinder neben dem Fußbremshebel. Zusätzlich demontieren wir hier aber noch die Halter der Bremsleitung. Sie sind viel zu groß für die neue, wesentlich dünnere Stahlflexleitung, und außerdem sind sie stark korrodiert. Eigentlich müssten wir jetzt nur die neuen Leitungen anschrauben und befüllen. Da die Bremszangen aber schon bei der Sichtprüfung sehr auffällig waren, ist eine Demontage zwecks Kontrolle unvermeidlich.
Wie baue ich die Bremszangen am Motorrad ab?
Der Abbau der Zangen ist eigentlich alles andere als kompliziert, denn sie hängen ja nicht mehr an der Leitung und werden lediglich von zwei Schrauben gehalten. Doch schon bei der Madenschraube, die den Haltestift für die Bremsbeläge sichert, zeigen sich erste Probleme. Sie ist dermaßen "festgebacken", dass sie sich nur mit größter Mühe drehen lässt, und auch der eigentliche Haltestift lässt sich nur mit erheblichem Kraftaufwand lösen. Nachdem beide Bremszangen schließlich abgebaut sind, zeigt sich, dass sie seit Ewigkeiten nicht mehr gewartet wurden. Die Gleitstifte des Schwimmsattels sind in ihren Führungen fast festgegangen und die Kolben stark verschmutzt und korrodiert.
Welche Werkzeuge und Materialien benötige ich für die Wartung der Bremszangen?
- Bremskolbenrücksteller
- Bremskolbenzange
- Bremszylinderpaste
- Nevr-Dull-Polierwatte
- Kupferpaste
- Bremsenreiniger
Die hintere Bremszange lässt sich damit völlig problemlos warten. Dank der Bremskolbenzange können wir den Kolben zum Reinigen mit Bremsenreiniger/Polierwatte ein Stückchen herausziehen und drehen.
Probleme bei der vorderen Honda-Bremszange
Bei der vorderen Bremszange tauchen aber unerwartete Probleme auf. Auf den beiden Kolben sitzen nämlich kleine, hitzeisolierende Platten. Diese Konstruktion wurde kurzzeitig bei verschiedenen Honda-Modellen Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre verwendet. Die Kolben haben eine Art Vertiefung, in der diese Platten sitzen. Und genau die verhindert den Einsatz der Bremskolbenzange, sodass wir die Kolben weder herausziehen noch drehen können. Nun ist Improvisieren angesagt. Glücklicherweise findet sich in der Garage ein Kompressor mit zahlreichen Adaptern. Mit Druckluft, die wir nach ein bisschen Bastelarbeit durch das Loch der Hohlschraube in die Zange blasen können, gelingt es uns schließlich, die Kolben ein Stück herauszudrücken, sodass wir sie reinigen, mit Bremszylinderpaste einschmieren und durch mehrfaches Hin- und Herbewegen wieder gängig machen können. Dabei leistet der Bremskolbenrücksteller gute Dienste.
Zustand der Bremsbeläge
Die Bremsbeläge selbst sind in akzeptablem Zustand und weder verschlissen noch verglast, auch wenn die Grundplatte an verschiedenen Stellen angerostet ist. Auch sie werden gereinigt und dann mit Kupferpaste auf der Rückseite versehen wieder eingebaut. Die ganze Aktion, für die eigentlich keine besonderen Kenntnisse notwendig sind, hat uns trotzdem eine Menge Zeit gekostet. Doch das ist typisch für Reparaturen an älteren Motorrädern. Beim Schrauben findet sich immer irgendetwas, mit dem man so nicht gerechnet hatte.
Die überholten Bremszangen werden auf die Scheiben gesetzt und festgeschraubt. Dabei kommen erneut der Drehmomentschlüssel (35 Nm) sowie ein paar Tropfen Schraubensicherung (zum Beispiel Loctite) zum Einsatz. Auch das ist keine Herausforderung, ebenso wenig wie der Einbau der Stahlbusventile, die uns das Entlüften erleichtern sollen. Das alte Entlüftungsventil wird einfach herausgeschraubt und gegen das neue Stahlbusventil ausgetauscht. Dann wird es mit dem gleichen Drehmoment wie das alte Ventil (6 Nm) angezogen.
Wie montiere ich die Stahlflexleitungen für die Vorderradbremse?
Vor der Montage der neuen Leitungen werden diese mit den alten Leitungen verglichen und erst lose angelegt, um zu prüfen, ob sie in Bezug auf Länge, Winkel und Dicke der Ringanschlüsse auch genau passen. Falls die Ringanschlüsse dicker oder dünner sind, müssen andere Hohlschrauben verwendet werden. Die Stahlflex-Ringanschlüsse oben und unten lassen sich bei den meisten Ausführungen gegebenenfalls vorsichtig in die richtige Position drehen. Bei unserem Projekt passt aber alles perfekt. Zur finalen Montage werden natürlich neue Dichtscheiben verwendet, die dem Kit auch beiliegen.
Die provisorische Montage der vorderen Leitung ist in wenigen Minuten erledigt, denn die Original-Halter können dabei verwendet werden. Sie sind zwar etwas größer, da die Blechhaken aber einfach etwas weiter zugedrückt werden können, ist das kein Problem. Dann prüfen wir die spannungs- und scheuerfreie Verlegung unter Belastung und federn die Gabel dazu kräftig ein. Ohne die Ringanschlüsse zu verdrehen, werden diese mit dem angegebenen Drehmoment (35 Nm) angezogen.
Wie montiere ich die Stahlflexleitungen für die Hinterradbremse?
Ähnlich einfach ist die Montage der hinteren Leitungen. Hier kommen allerdings noch zusätzlich die neuen und wesentlich schöneren Halter zum Einsatz, inklusive neuer Inbusschrauben. Da die Schwinge gut zugänglich ist, ist auch diese Arbeit schnell erledigt, und das Resultat kann sich sehen lassen.
Wie befülle und entlüfte ich die Bremsanlage?
Es folgt der für viele Hobbyschrauber schwierigste Teil der Aktion: das Befüllen und Entlüften der Anlage. Mithilfe einer einfachen Plastikspritze (100 ml reichen) und einem passenden, gut sitzenden Schlauch, der auf das Entlüftungsventil gesteckt wird, drücken wir die Bremsflüssigkeit langsam von unten nach oben und damit automatisch auch den allergrößten Teil der Luft aus dem System. Das ist ebenso simpel wie effizient und funktioniert besonders bei einem einfachen Einscheiben-Bremssystem ohne ABS wie der NTV schnell und reibungslos. Das Stahlbusventil am Bremssattel wird dazu 1,5 Umdrehungen geöffnet und steht damit in der Position Befüllen/Wechseln. Zum danach anstehenden Entlüften wird es nur eine halbe Umdrehung geöffnet, und auf das Ventil setzen wir die Stahlbus-Vakuum-Befüll- und Entlüftungshilfe, eine Art Mini-Pumpe. Mit ihr lässt sich zusätzlich noch ein Unterdruck erzeugen.
Jetzt muss man nur noch mit dem Bremshebel vorsichtig pumpen. Am Anfang bemerkt man keine Veränderung, aber dann spürt man, wie sich langsam Druck aufbaut, und schließlich ist die Bremse wie von Zauberhand perfekt entlüftet. Der Druckpunkt ist jetzt hart und knackig, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Bremsen tadellos funktionieren.
Am Ende wird die Bremsflüssigkeit wieder auf das korrekte Niveau aufgefüllt (wir haben ja noch die Fotos!), die Deckel der Bremsflüssigkeitsbehälter zugeschraubt und die Bremse im Stand mehrfach betätigt – fertig. Die anschließende Probefahrt zeigt dann den vollen Erfolg der Schrauber-Arbeit. Die Bremsanlage arbeitet jetzt wieder einwandfrei und leichtgängig.