KTM-Krise. Es fehlen Milliarden. MOTORRAD analysiert

Die KTM-Insolvenz – Analyse, Hintergründe & Zusammenhänge
KTM wird überleben, aber 1.500 Jobs fallen weg

Veröffentlicht am 05.12.2024
KTM wird überleben, aber 1.500 Jobs fallen weg
Foto: Matteo Pesamosca

Statt unbeschwerter Weihnachten sind es aktuell höchst unsichere Zeiten für rund 3.600 KTM-Mitarbeiter. Ab 13. Dezember stehen im KTM-Stammwerk die Bänder still. Die unfreiwillige Weihnachtspause wird bis Ende Februar 2025 dauern. Die KTM AG ist mitsamt der dazugehörigen KTM Components GmbH und der KTM F&E Entwicklungs-GmbH seit 29. November 2024 in Insolvenz mit Eigenverwaltung.

Praktisch täglich wurden die betroffenen Mitarbeiter – von denen rund 20 Prozent aus dem benachbarten Bayern über die Grenze nach Oberösterreich zur Arbeit pendeln – von offiziellen Stellen in Mitarbeiterversammlungen informiert, was sie nun zu erwarten haben. Das ausgefallene Novembergehalt mit dem Weihnachtsgeld soll aus einem Insolvenzentgelt-Fonds kommen, der aus Lohnnebenkosten finanziert wird. Dafür müssen die Mitarbeiter aber Anträge stellen. Das Dezembergehalt will KTM regulär auszahlen. Und bei weitem nicht alle KTM-Werker werden die Produktion wieder aufnehmen. Ab März wird nur noch im Ein-Schichtbetrieb gearbeitet. Rund 1.000 Arbeitsplätze sind schon weg, und laut österreichischen Zeitungen werden etwa 500 weitere Mitarbeiter ihre Jobs noch verlieren.

Gläubigerversammlung am 20. Dezember

Doch es gibt einen kleinen Lichtblick, der wenigstens Händler und Kunden von KTM freuen dürfte: Die Marke als solche wird die aktuelle Krise wohl überleben. "Nach den ersten durchgeführten Erhebungen" sei er zuversichtlich, dass das Unternehmen fortgeführt werden kann, sagte der vom Gericht für die Dauer des Insolvenzverfahrens eingesetzte Sanierungsverwalter Peter Vogl. Zu weiteren Details will sich der Rechtsanwalt, mit dem KTMs Management ab sofort jede Entscheidung abstimmen muss, erst nach der ersten Gläubigerversammlung äußern. Diese findet am 20. Dezember am Landesgericht in Ried im Innkreis statt.

Doch schon jetzt steht fest, dass die KTM-Krise die ganze Region Mattighofen hart trifft: So hat die Stadt wegen zu erwartender Ausfälle von Gewerbesteuereinnahmen die für 2025 geplante Sanierung eines Freibads und einer Schule gestoppt. Und ein Vertreter der örtlichen Handelskammer nannte die Situation für die angesiedelten Zulieferer teilweise "existenzbedrohend". Viele der Firmen hätten mit KTM offene Rechnungen, von denen sie "vermutlich nur einen Bruchteil bezahlt bekommen."

Die ersten Anzeichen

Auch wenn KTMs Insolvenzantrag sowohl Händler wie auch Kunden der Marke kalt erwischt hat, so gab es davor doch gewisse Anzeichen einer Krise. Eines davon war die überraschende Verkleinerung des Vorstands des Mutterkonzerns Pierer Mobility AG im Oktober 2024 von sechs auf zwei Personen. Auch Hubert Trunkenpolz, Neffe des KTM-Gründers, musste seinen Posten räumen. Boss und Eigentümer Pierer aber blieb: Er sitzt bei KTM seit über 30 Jahren fest im Sattel. 1991 sollte er den österreichischen Offroad-Motorradhersteller KTM nach dessen Insolvenz im Auftrag einer Schweizer Firma sanieren, was ihm gelang. 1992 übernahm er KTM selbst und baute die Marke zu einem milliardenschweren, schwer durchschaubaren Firmengeflecht aus.
Der studierte Energie- und Betriebswirtschaftler Pierer (68) hatte die Probleme offenbar kommen sehen: Schon im Dezember 2023, also vor einem Jahr, beklagte er die aus seiner Sicht "nachteiligen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa". Die Pierer Mobility AG nutzte das als Begründung für die Verlagerung von Arbeitsplätzen zu Bajaj nach Indien und zum Produktionspartner CFMoto nach China. Am KTM-Standort in Mattighofen gingen die ersten 300 Jobs verloren – inzwischen sind es 1.000.

Überproduktion führt zu Preisnachlässen

Ursachen: KTM-Manager Hubert Trunkenpolz nannte im MOTORRAD-Interview im September 2024 die Gründe für die Krise, die damals allerdings längst nicht so dramatisch schien. Man habe aufgrund der hohen Nachfrage während der Pandemie die Jahresproduktion in Mattighofen auf über 200.000 Stück hochgefahren – und es später dabei belassen. Doch dann ging die Nachfrage wieder zurück, und KTM stand plötzlich mit viel zu vielen Motorrädern da, speziell des Baujahrs 2023. Nun kamen die Händler ins Spiel: Sie sollten die überzähligen Motorräder abverkaufen. Bis zu 30 Prozent Rabatt gab es im Sommer 2024 auf die 2023er-Modelle, mit der Folge, dass die 2024er-Modelle stehen blieben. Um sie loszuwerden, gibt es nun wieder einen Nachlass, diesmal 19 Prozent, die Käufer zahlen praktisch keine Mehrwertsteuer. Das alles kostet Geld. Zum einen wegen der finanziellen Unterstützung der Händler, die solche Preisnachlässe nicht stemmen können, zum anderen etwa durch die Standgebühren: Allein bei einer deutschen Spedition sollen noch rund 8.000 der 2023er-Modelle stehen, für die KTM pro Monat je 15 Euro zahlen muss – das summiert sich, zumal es in anderen Ländern ähnlich aussieht.

Händler analysieren

Weltweit sind es laut KTM-Insolvenzantrag rund 130.000 Motorräder, die KTM mitsamt Tochtermarken 2023 nicht absetzen konnte. Als Gründe für die schwächelnde Nachfrage nennt ein Händler, der namentlich nicht genannt werden möchte, die zu hohen Preise: "Jedes Jahr fünf Prozent teurer und immer 2.000 Euro mehr als die Konkurrenz – das rächt sich. Vor allem, wenn gleichzeitig bekannt wird, dass einige Modelle technische Probleme haben, etwa beim Kabelbaum." Auch die gehen auf die Überproduktion zurück, denn Mattighofen ist nur auf rund 160.000 Motorräder pro Jahr ausgelegt. Wird mehr gebaut, kommt es zwangsläufig zu Ungenauigkeiten.Trotz alledem hat der zitierte Händler das Vertrauen in den über Jahrzehnte so erfolgreichen KTM-Boss keineswegs verloren: "Mit der Insolvenz verfolgt Stefan Pierer einen klaren Plan. Ich bin optimistisch, dass er das wieder hinkriegt."Dass Pierer ein echter Visionär ist, bestreitet niemand. Doch es gibt auch zweifelhafte Entscheidungen des Unternehmers. Etwa die, Motorräder von drei Marken – KTM, Husqvarna und GasGas – anzubieten, die sich im Grunde nur durch die Lackierung unterscheiden.

Führte falscher Stolz zu Fehlentscheidungen?

Dann sind da noch die Fahrräder: Dass "KTM Fahrrad" 1992 an einen österreichischen Rad-Großhändler ging, der mit dem Markennamen seither gute Geschäfte macht, ist für Pierer wie ein Stachel im Fleisch, weshalb er selbst in das Business einstieg. Während der Pandemie hatten die Räder der Marken Husqvarna, GasGas und Felt durchaus Erfolg, doch heute macht das Fahrradgeschäft Miese in Millionenhöhe. Für Kopfschütteln in der Industrie sorgte auch der Deal mit CFMoto. Nicht nur, dass man gemeinsame Entwicklungen betreibt und etliche Mittelklasse-Modelle von den Chinesen fertigen lässt – KTM macht auch den Europa-Vertrieb für CFMoto und holt sich damit eine deutlich günstigere Konkurrenz, oft mit gefälligerem Design, selbst ins Haus. Und dass der indische Partner Bajaj 2007 mit 14,5 Prozent bei KTM einstieg, inzwischen aber knapp die Hälfte hält, kann man als immer höheren Finanzbedarf deuten.

Zu schnelles Wachstum schadet

Die eigentliche Ursache für die Krise dürfte aber im zu schnellen Wachstum liegen. Von 2011 bis heute hat sich die Beschäftigtenzahl in Mattighofen verdreifacht, Jahr für Jahr wurden Rekordumsätze und -gewinne gemeldet. Dann reichte ein Fehler – Pierer und seine Manager schätzten die Nachfrageentwicklung falsch ein. Die nicht verkauften Motorräder binden nun das Kapital, das anderswo fehlt, zudem stiegen die Kreditkosten. Das alles zusammen führte zu einer regelrechten Schuldenexplosion: Waren es Mitte 2022 noch 256,5 Millionen Euro, standen Mitte 2024 satte 1,47 Milliarden Euro Schulden im Finanzbericht. Laut Insolvenzantrag sind es aktuell sogar 1,8 Milliarden. Wie geht es weiter? Das von KTM nun beantragte Insolvenzverfahren sieht vor, dass der Hersteller einen Sanierungsplan vorlegt, in dem den Gläubigern eine Quote von mindestens 30 Prozent angeboten wird, zahlbar in längstens zwei Jahren. Der Vorstand – Pierer selbst und sein neuer Vize Gottfried Neumeister – kann das Unternehmen weiterführen, aber unter Aufsicht eines Insolvenzverwalters, der vom Gericht eingesetzt wird. Die Gläubiger müssen dem Sanierungsplan mehrheitlich. Als Termin dafür wurde vom Gericht der 25. Februar 2025 festgesetzt.

Allerdings gibt es bis dahin noch ein paar Unwägbarkeiten. So scheint es möglich, dass KTM die frisch erworbene Tochter MV Agusta gleich wieder abgeben muss. Auf der Messe in Mailand Anfang November, noch ehe die Krise sich zuspitzte, gab es Gerüchte um ein Interesse des chinesischen Herstellers QJ an MV. Und am MV-Sitz in Varese wurde bereits die bisherige Besitzerfamilie Sardarov gesichtet, die noch 49,9 Prozent an MV hält und offenbar zu retten versucht, was zu retten ist. Ein weiterer Punkt betrifft die Marke Husqvarna, denn der Markenname könnte automatisch an den ursprünglichen Eigner Electrolux zurückfallen, falls der aktuelle Besitzer in Insolvenz geht. Allerdings wohl nicht, wenn weiter Motorräder gebaut werden, was KTM ja vorhat – wenn auch stark gebremst. So wird die Produktion in Mattighofen von Zwei- auf Einschichtbetrieb heruntergefahren und im Januar und Februar 2025 ganz gestoppt, um den Lagerbestand zu reduzieren. Der ist allerdings so hoch, dass Experten mit zwei bis drei Jahren rechnen, ehe sich die Lage wieder normalisiert. Zudem lässt sich nicht vorhersehen, wie die Kunden reagieren – ob sie KTM treu bleiben oder angesichts der Insolvenz lieber zu anderen Marken wechseln.

Was bedeutet die Situation für KTM-Kunden?

Den Händlern ging bereits am 27. November ein Schreiben zu, das MOTORRAD vorliegt und in dem ihnen versichert wird, dass alle Abmachungen weiter gelten. Das betrifft vor allem die Boni, denn beim Abverkauf der KTMs blieben den Händlern kaum Gewinnmargen; ohne Boni müssten viele von ihnen um ihre Existenz fürchten. An die KTM-Kunden wandten sich Pierer und sein Vize Neumeister in einem kurzen Video auf YouTube: Sie versicherten, dass es sich nur um einen "Boxenstopp" handle und KTM bald wieder gut dastehen würde. Kurz danach schob der Hersteller noch eine Mitteilung nach, derzufolge sich für die Kunden nichts ändere, weder bei der Lieferung von Motorrädern und Ersatzteilen noch beim Kundenservice. Wie die Kunden auf die Krise reagieren, lässt sich allerdings nicht voraussehen. Viele Händler rechnen mit einem weiteren Rückgang der Nachfrage. Wie auch immer das finanzielle Abenteuer für KTM ausgeht: Stefan Pierer kämpft zwar nach eigenen Worten um sein Lebenswerk, wird aber in jedem Fall weich landen. Sein Privatvermögen wurde von Forbes 2023 auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt.