Wheelies taugen nicht zum Schnellfahren. Im Gegenteil: Sie verhageln einem auf der Rennstrecke die Rundenzeit. Deshalb kümmern sich Wheelie-Assistenzsysteme bei Motorrädern für gewöhnlich darum, dass das Vorderrad am Boden bleibt – oder so schnell wie möglich wieder auf den Boden kommt.
Die Technik erlaubt aber auch das Gegenteil: nämlich das Vorderrad lange in der Luft zu halten. Noch in jüngster Vergangenheit erforderte dies intensives Üben auf abgesperrtem Gelände, Mut und das Risiko eines Überschlags einzugehen. Heute genügt es, das passende Motorrad in der Garage zu haben.
Denn moderne Wheelie-Assistenzsysteme von Bosch und Continental, mit 6-achsiger IMU, können Motorradfahrer auf Wunsch dabei unterstützen, möglichst lange einen Wheelie zu fahren. Und dabei achten sie auch darauf, dass sich das Fahrzeug möglichst nicht überschlägt.
Motorräder, die auf Wunsch Wheelies unterstützen
- KTM 1390 Super Duke R : In ihrer aktuellen Generation ab 2024/2025 ist die KTM 1390 Super Duke R mit einem IMU-gesteuerten Wheelie-Control-System von Bosch ausgestattet. Es begrenzt das Hochziehen des Vorderrads automatisch, sobald ein bestimmter Winkel erreicht ist. Das bedeutet: Die Elektronik regelt das Drehmoment, um den Wheelie zu kontrollieren. So könnte auch ein weniger geübter Motorradfahrer mehrere hundert Meter einen Wheelie fahren, einfach, indem er Gas gibt.
Die Wheelie-Kontrolle ist in mehreren Stufen einstellbar. Jede Stufe erlaubt ein unterschiedliches Maß an Vorderrad-Hebe-Potenzial. - Triumph Speed Triple 1200 RS: Die "Speedy" verfügt über ein gezieltes, IMU‑gestütztes Wheelie‑Control-System von Continental. Die Wheelie‑Funktion ist separat steuerbar und lässt ebenfalls mehrere Stufen zu – von leichter Abhebung bis zu knapp unter dem Balancepunkt.
Fabian Dresler schrieb für PS 5/2025 zur Triumph Speed Triple 1200 RS: "Die Front-Wheel-Lift-Control lässt sich in 4 Stufen einstellen, die das Vorderrad mehr oder weniger hochsteigen lassen, bevor die Elektronik eingreift. Auf gerader Strecke hält das Bike sogar über Hunderte Meter die Front in der Luft, ohne dass der Fahrer dafür etwas tun muss, außer den Gasgriff festzuhalten." - Ducati Hypermotard 698 Mono: Auch die Supermoto von Ducati ist, je nach Ausstattung, mit einem Wheelie-Assistenten ausgestattet. Im Modus 'Wheelie-Assist-Strategie' unterstützt die Elektronik den Fahrer aktiv dabei, den Wheelie einzuleiten und zu halten, indem die Gasannahme so gesteuert wird, dass das Vorderrad leichter angehoben werden kann und der Wheelie-Winkel dynamisch an das Motordrehmoment angepasst wird.
Wie funktioniert die Wheelie-Assistenz?
Zuerst einmal muss der Fahrer – oder die Fahrerin – das Vorderrad allein lupfen. Je nach Wheelie-Kontrolle kann vorher in verschiedenen Stufen eingestellt werden, bis zu welcher Neigung das System einen Wheelie zulassen soll. Ist das Vorderrad erst einmal in der Luft, muss das Fahrpersonal einfach mutig am Gas bleiben. Die Motorbremse greift, sobald die Sensoren Obacht schreien.
Allerdings gibt es keine hundertprozentige Garantie dafür, dass sich das Motorrad nicht überschlägt. Da die Kontrolle des Wheelies abhängig ist vom Balanceakt zwischen Drehmoment und Motorbremse, könnten die Systeme bei Bodenwellen, abruptem Gefälle oder Rampen möglicherweise nicht schnell genug reagieren. Auf ebenen Strecken dürften aber lange Wheelies für das vielfach abgedroschene "breite Grinsen unterm Helm" sorgen – zumindest bei all jenen, denen ein solches Fahrmanöver Spaß bereitet.
Für ehrgeizige Rundenzeiten-Fahrer
Für die Fraktion, die auf der Rennstrecke der letzten Hundertstelsekunde nachjagt, ist diese Funktion natürlich kontraproduktiv. Denn die Leistung soll ja möglichst optimal auf die Straße kommen und nicht in der Luft verpuffen. Gute Nachricht: Alle Motorräder, die einen Wheelie unterstützen, können ihn auf Wunsch auch verhindern.
Für Wheelie-Geübte
Für die Wheelie-Geübten unter uns kann die Wheelie-Assistenz ungewohnt sein. Wer sein Vorderrad sonst etwa per Kupplung wohl dosiert in die Höhe lupft, darf sich womöglich erst einmal umstellen. Es reicht der beherzte Zug am Gas. Die Betätigung der Kupplung kann das System durcheinanderbringen, sodass der Wheelie gar nicht erst eingeleitet werden kann.
Für Wheelie-Willige
Bei allen, die bereits mehrmals mit dem Gedanken gespielt haben, Wheelies zu üben und zumindest in der Theorie bereits damit vertraut sind, könnten mit der Wheelie-Assistenz die letzten Hemmungen fallen. Aber, wie gesagt: Verlasst euch nicht zu 100 Prozent auf das System, sondern sichert euch mit dem allzeit bereiten Fuß über dem Hinterradbremshebel gegen Überschläge ab.
Für Wheelie-Anfänger
Wir empfehlen an dieser Stelle ausdrücklich, sich in jedem Fall vorher theoretisch mit dem Thema zu befassen, damit klar ist, wie die Physik wirkt – und warum die Hinterradbremse essenziell ist für dieses Fahrmanöver. Zudem gilt für Wheelies generell: Sucht euch ein ruhiges Plätzchen, am besten privates, abgesperrtes Gelände – Wheelie-Assistenz hin oder her.
Rechtliche Lage im Straßenverkehr
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. In Deutschland gibt es kein ausdrückliches Gesetz, das Wheelies auf öffentlichen Straßen verbietet. Allerdings greifen allgemeine Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung (z. B. zur Beherrschung des Fahrzeugs) und des Strafgesetzbuchs (z. B. bei Gefährdung), die von der Polizei auf Wheelies angewendet werden können. Ob ein Wheelie als Ordnungswidrigkeit oder sogar Straftat gewertet wird, hängt stark von der konkreten Situation und der Auslegung durch Polizei oder Gericht ab. "Nicht ausdrücklich verboten" bedeutet also keineswegs automatisch "erlaubt".
Versicherung
Wenn bei einem Wheelie ein Unfall passiert, kann die Kfz-Haftpflichtversicherung zahlen – aber die Kasko (Teil-/Vollkasko) könnte wegen grob fahrlässigen Handelns die Zahlung kürzen oder verweigern. Im schlimmsten Fall können sogar Regressforderungen drohen.