Ein Sturz-Klassiker ist der Urlaubs-Crash: Die beladene Maschine verhält sich plötzlich ganz anders als sonst, weil sich der Schwerpunkt durch die Beladung stark verändert hat. Beim Rangieren bekommt die Fuhre Übergewicht oder man bleibt mit überbreiten Koffern irgendwo hängen. Auch beim Abstellen/Aufbocken auf losem Untergrund ist ein Umfaller schnell passiert. Legendär sind auch Umkipper in engen Serpentinen, mit oder ohne Abwürgen sowie Rutscher auf Sand oder heißem Asphalt.
Erste Hilfe für das Motorrad
Wenn nach einem Sturz Fahrer oder Fahrerin unverletzt sind und die Unfallstelle gesichert ist, kann man prüfen, ob sich die Maschine noch verkehrssicher bewegen lässt. Besteht auch nur der geringste Zweifel daran, sollte sie besser abgeschleppt werden.
Ist der Schaden nur gering, lässt sich mit Erster Hilfe bereits einiges erreichen. Abgebrochene Teile wie Blinker, zerstörte Verkleidungen, abgerissene Seitendeckel und Schäden am Plastikheck können meist mit Panzerband provisorisch gesichert werden. Auch Draht oder Zurrgurte können z. B. bei Koffern gute Dienste leisten. Beides sollte deshalb auf einer Urlaubstour nicht fehlen.
Ganz wichtig ist eine Prüfung auf Undichtigkeiten, denn ein Riss im Kühler oder ein Loch in einem Motordeckel können zum Austritt von Öl bzw. Kühlflüssigkeit führen.
Das deutet auf verzogene Telegabel hin
Als Nächstes steht ein vorsichtiger Fahrversuch an. Schleifende Geräusche oder schlagende Bremsscheiben deuten auf eine verzogene Telegabel hin. Die lässt sich eventuell nach dem Lockern der Gabelbrücken-Schrauben und der Radachse durch kräftiges Einfedern wieder in Form bringen.
Falls kein Sachverständiger eingeschaltet werden muss (z. B. wegen Schuldfrage oder Vollkaskoversicherung), steht eine gründliche Prüfung zu Hause an. Was ist krumm oder definitiv defekt, was ist nur abgeschabt und noch funktionstüchtig? Was lässt sich selbst und möglichst kostengünstig reparieren – und lohnt sich eine Reparatur überhaupt?
Hohe Kosten der Ersatzteile
Schäden im Lenkerbereich beschränken sich meist auf krumme Lenker, verbogene oder abgebrochene Kupplungs- oder Handbremshebel (bei Ersatz aus dem Zubehör auf ABE achten!), beschädigte Spiegel sowie vermackte Schutzbleche. Sie lassen sich ebenso wie zerstörte Blinker oder beschädigte Scheinwerfer und Armaturen relativ einfach wechseln.
Aber nicht nur Drehzahlmesser oder Tachometer sind erwartungsgemäß sehr teuer. Selbst einfache Originalteile überraschen häufig durch ihren hohen Preis. So kostet z. B. der Kupplungshebel einer BMW S 1000 RR stolze 180 Euro. Gleiches gilt für Fußrasten und Brems- bzw. Schalthebel. Günstige einwandfreie Gebrauchtteile sind oft nur schwer zu bekommen. Ein pfiffiger Ersatz aus dem Zubehör wie z. B. klappbare Hebel oder Hebelschützer, verbunden mit einem vielleicht ohnehin geplanten Umbau der Maschine, kann daher eine gute und billigere Alternative sein.
Die Reparatur von Metall
Während Kratzer zwar unschön, aber technisch unbedenklich sind, stellen Risse oder Löcher an Motorseitendeckeln ein Problem dar. Zur Reparatur von Metall, das keiner übermäßigen Hitze ausgesetzt ist, kann in der Regel ein auch als Kaltmetall bezeichneter Zweikomponentenkleber verwendet werden. Sobald die Bestandteile Kunstharz und Härter miteinander vermischt sind, setzt eine chemische Reaktion ein, und binnen weniger Minuten beginnt die Aushärtung. Als Vorarbeit müssen Flächen geglättet und entfettet werden.
Zweikomponenten-Knetmetall für unterwegs
Praktisch für unterwegs ist Zweikomponenten-Knetmetall, dessen Bestandteile nach dem Abschneiden so lange verknetet werden, bis sich eine einheitliche Farbe ergibt. Die Masse kann dann am Motordeckel festgedrückt werden, wobei möglichst nichts ins Gehäuse fallen sollte. In der Regel kann man sie nach zwei bis drei Stunden mit Schmirgelpapier, Feile oder Dremel bearbeiten. Auch hier sollte die Anwendungsfläche vorher entfettet werden.
Problemzone Auspuffanlage
Ein weiteres stark sturzgefährdetes Bauteil ist die Auspuffanlage. Größere Dellen am Endtopf oder stark beschädigte Krümmer sind häufig irreparabel. Am schlimmsten ist es, wenn die Stehbolzen am Zylinderkopf durch die Wucht eines Sturzes ausgebrochen sind. Dann wird die Reparatur teuer und kompliziert.
Vor einer Weiterfahrt muss zudem überprüft werden, ob der Auspufftopf noch Luft zur Schwinge hat. Ist dies nicht der Fall, den Endtopf wieder nach außen ziehen, da sonst teure Folgeschäden an der Schwinge entstehen. Wer nicht mit Kratzer am Auspufftopf leben möchte, kann ihn bei einem Spezialisten mit Keramik beschichten lassen oder kauft neu. Zubehöranlagen müssen natürlich für die Maschine zugelassen sein. Die Montage einer neuen, kompletten Auspuffanlage verlangt etwas Erfahrung und der Tausch eines Endtopfes in der Regel nur rudimentäre Kenntnisse.
Reparatursets für die Verkleidung
Egal, ob Sturz oder Kipper – eine Verkleidung trägt fast immer einen Schaden davon. Bei großflächigeren Beschädigungen hilft meist nur ein kompletter Tausch. Manche Zubehörspezialisten (wie z. B. Ricambi Weiss oder Racefoxx) bieten relativ günstig Nachbauten von Verkleidungsteilen als Ersatzteil an, besonders für Sportmodelle. Kleine Risse oder abgebrochene Haltenasen kann man oft noch selbst mithilfe von speziellen Reparatursets reparieren. Allerdings kann der Aufwand beträchtlich sein, zumal anschließend auch noch die Lackierung erneuert werden muss.
Zuerst muss man klären, aus welchem Material die Verkleidung besteht, denn nicht alle Reparatursets sind für alle Kunststoffarten geeignet. Bei Polycarbonat oder ABS-Kunststoffen kann man mit Flüssigkunststoff wie z. B. ProResin arbeiten. Bei GFK-, Kevlar- oder Carbonteilen verwendet man dagegen Reparatursets auf Polyesterharz-Basis und mit Glasfasermatten wie z. B. Prestolith.
Dremel, Schleifbandfeile, Schleifscheiben
Für Schleifarbeiten und das Ausfasern von Rissen haben sich ein Dremel oder eine Schleifbandfeile sowie Schleifscheiben für größere Flächen bewährt. Die Arbeitsschritte sind je nach Reparaturset unterschiedlich, aber in der Anleitung ausführlich beschrieben. Nicht vergessen, vor Beginn der eigentlichen Reparaturarbeiten die Verkleidungsteile gründlich zu reinigen und zu trocknen. Mit einer Farbsprühdose, ein bisschen Sorgfalt und Geschick lässt sich anschließend auch die Lackierung zumindest einigermaßen wiederherstellen.
Beim Tank wird es schwierig
Ist der Tank durch Kratzer oder Beulen lädiert, bringen Reparaturversuche von Laien meist nur wenig. Der Blickfang der Maschine lässt sich nur mit entsprechender Erfahrung bzw. Kenntnissen wieder in seinen Ursprungszustand versetzen. Helfen können gegebenenfalls sogenannte Beulendoktoren, die Dellen oder Beulen mit speziellen Verfahren beseitigen – nicht ganz billig, aber durchaus effizient.
Die Prüfung von Felge, Telegabel und Rahmen, an denen Schäden meist infolge einer starken punktuellen Belastung auftreten, ist erheblich aufwendiger. Zur Kontrolle einer Felge sollte man Rad und Reifen demontieren. Zunächst wird die Felge auf Risse oder Ausbrüche und anschließend mithilfe eines Wuchtbocks und einer Messuhr auf Verzug geprüft. Gussräder haben in der Regel Herstellungstoleranzen von max. 0,3 mm Seiten- und Höhenschlag.
Aufgrund ihrer hohen Betriebsfestigkeitsreserven (sie sind häufig sieben- bis zehnmal stabiler, als sie für die fahrdynamischen Belastungen sein müssten) können sie gegebenenfalls von einem Fachbetrieb instandgesetzt werden. Die Kosten dafür liegen bei circa 180 Euro. Seiten- und Höhenschläge von Drahtspeichenrädern lassen sich eventuell herauszentrieren. Gegebenenfalls muss auch die Bremsscheibe auf Schlag oder Verzug kontrolliert werden. Der maximal zulässige Seitenschlag beträgt auch hier 0,3 mm. Eine Bremsscheibe zu ersetzen ist für halbwegs versierte Schrauber kein Problem.
Ein besonderes Kapitel: die Telegabel
Während die dünnen Standrohre älterer Gabeln (Yamaha SR 500: 35 mm!) bei einem Unfall oft wegknicken und somit eine Art Knautschzone schaffen, leiten bei USD-Gabeln die systembedingt großdimensionierten Standrohre die Energie quasi ungebremst weiter, und es kommt häufig zu einem kapitalen Rahmenschaden. Auch kleinere Beschädigungen der Standrohre durch eine Einkerbung etc. können die Funktionsweise einer USD-Gabel erheblich beeinträchtigen.
Zur Prüfung auf Verzug einer Telegabel in eingebautem Zustand kann man eine Glasscheibe oder absolut plane Metallplatte verwenden, die so breit ist, dass sie zwischen der unteren Gabelbrücke und den Staubkappen an die Gabelholme angelegt werden kann. Wenn überhaupt, haben sich die Standrohre meist knapp unterhalb der unteren Gabelbrücke verbogen, weil hier das höchste Biegemoment herrscht. Die Scheibe muss absolut plan auf beiden Gabelholmen aufliegen. Falls nicht, die Schrauben an der oberen und unteren Gabelbrücke lösen, um eine eventuelle Verspannung der Gabel zu lösen. Dann alle Schrauben wieder festziehen und noch mal mit der Scheibe prüfen. Liegt sie immer noch nicht plan auf, ist die Gabel verzogen.
Alternativ kann man bei Standardgabeln auch die Tauchrohre ganz vorsichtig (Schutzbacken!) im Schraubstock einspannen und dann die Standrohre von Hand um ihre Längsachse drehen. Eine eventuelle Verformung lässt sich meist gut erkennen, denn es "eiert". Besser, aber auch aufwendiger ist es, die Tauchrohre auszubauen und über eine absolut ebene Fläche zu rollen. Dabei werden selbst kleinste Verformungen sichtbar.
Standrohre professionell richten lassen
Wesentlich aussagekräftiger ist die Profimethode, bei der der komplette Gabelholm auf einer entsprechend konstruierten Vorrichtung gedreht wird und man Abweichungen mithilfe einer Messuhr genau feststellen kann. Spezialfirmen können Abweichungen von bis zu 15 mm unter Umständen reparieren. Das Richten von Standrohren kostet zwischen 80 und 200 Euro, je nach Bauart.
Relativ häufig sind auch die Gabelbrücken beschädigt. Zur Prüfung werden sämtliche Schrauben an der Gabel gelöst und einer der Gabelholme komplett entfernt. Der zweite wird wieder festgezogen. Führt man den demontierten Holm wieder in die Gabelbrücke ein, dann darf er nicht klemmen oder an der oberen Gabelbrücke anecken. Eine Instandsetzung in der Fachwerkstatt ist mit rund 60 Euro aber relativ günstig.
Wichtige Überprüfung: der Rahmen
Besonders problematisch und teuer sind natürlich Rahmenschäden. Manche Hersteller verbieten sogar eine Reparatur, sodass der Rahmen immer ersetzt werden muss. Ein Blick auf die Lenkanschläge gibt eindeutige Hinweise. Sind sie auch nur geringfügig deformiert, hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Fahrwerksgeometrie verändert. Meist sind nicht nur der Lenkanschlag, sondern auch die untere Lagerschalenaufnahme, an die er angeschweißt ist, sowie die Gegenstücke an den Gabelbrücken beschädigt. Auch hier gibt es eine ganze Reihe von Spezialisten, die bei überschaubaren Kosten eventuell weiterhelfen können.
Ob und inwieweit ein Rahmen tatsächlich verzogen ist, lässt sich letztlich nur durch eine Vermessung überprüfen. Selbst klar sichtbare Unfallschäden bedeuten nicht unbedingt, dass er auch zu stark deformiert sein muss. Andererseits kann schon ein leichter Sturz oder Kipper durchaus zu einem kapitalen Rahmenschaden führen. Verschiedene Spezialfirmen wie z. B. Köster bieten für die Rahmenvermessung Messsysteme an, die im Zweifelsfall für Klarheit sorgen. Diese Systeme ermöglichen es, mit relativ geringem Zeit- und Arbeitsaufwand Geometrie-Abweichungen des Rahmens zu erkennen.
Außerdem lassen sich auch weitere sturzgefährdete Baugruppen wie Heckrahmen und Schwinge vermessen. Ein Messprotokoll bestätigt das Ergebnis der Überprüfung und dient als Nachweis, z. B. beim Verkauf. Kann der Rahmen noch gerichtet werden, wendet man sich wieder an einen Fachbetrieb, der eine entsprechende Reparatur ausführen kann. Da er dafür aber großenteils demontiert werden muss, ist der Arbeitslohn ähnlich wie beim Rahmentausch beträchtlich.
Vorbeugen ist besser als Reparieren
Final behandelt unser Schraubertipp auch noch die Schutzmaßnahmen, denn Vorbeugen ist besser als Reparieren. Zu schützen ist eigentlich alles, was weit hinausragt. Dazu gehören außer der Verkleidung insbesondere weit ausladende Kühler sowie überstehende Motordeckel.
Neben den klassischen Sturzbügeln gibt es im Zubehör auch spezielle Rahmen-Sturzpads, ferner Achs-Sturzpads, die Gabel und Schwinge schützen, sowie spezielle Motorschutzdeckel. Dank der guten Gleiteigenschaften des Materials helfen sie, Schäden zu verringern. Die Firma Racefoxx bietet eine große Palette von eigentlich für den Renneinsatz konzipierten Schutzteilen an, die sich aber auch für Standardmotorräder eignen. Der pfiffige Auspuffschutz hätte mir im Laufe meiner Motorradkarriere so manchen Kratzer am Auspuff erspart.
Vorsicht beim Gebrauchtkauf
Sturzschäden sind auch ein ganz wichtiges Thema beim Gebrauchtkauf. Ein kleiner Sturzschaden muss kein Drama sein. Wenn aber der Verkäufer die Frage danach verneint und man trotzdem Indizien dafür findet, ist Vorsicht angesagt. Kratzer oder überlackierte Teile, vor allem aber ein beschädigter Lenkanschlag sind eindeutige Hinweise. Nicht nur bei einem entsprechenden Verdacht, sondern auch beim Erwerb einer relativ teuren Maschine bietet eine Überprüfung der Rahmengeometrie die Möglichkeit, sich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.
Profitipp
Christoph Muzsnai ist seit 27 Jahren in Duisburg als Kfz-Sachverständiger tätig. Der Motorradprofi mit langjähriger Rennstreckenerfahrung arbeitet außerdem als Instruktor für das MOTORRAD action team und ist daher in vielfacher Hinsicht ein Spezialist für Sturzschäden. Ein Besuch bei ihm bot mir die Gelegenheit, eine Köster-Lehre in Aktion zu sehen, die mit einem patentierten Trio-Laser-Messsystem arbeitet. Der große Vorteil der Lehre ist, dass das Motorrad zur Überprüfung nicht zerlegt werden muss.

Sachverständiger und Motorrad-Spezialist: Christoph Muzsnai ist auch Instruktor beim MOTORRAD action team.
Im Falle der abgebildeten Ducati (Bild oben) wurde die Gabel nur ausgebaut, um sie ebenfalls fachmännisch zu überprüfen. Daher ist der Zeitaufwand mit knapp drei Stunden begrenzt und eine komplette Vermessung des Rahmens mit 300 Euro bezahlbar. Und nicht nur nach einem Unfall, sondern auch vor der teuren Restauration eines Klassikers durchaus sinnvoll.
Der Einblick in zahlreiche Gutachten, der mir gewährt wurde, offenbarte vor allem die enormen Kosten, die ein Sturz nach sich ziehen kann. Während ein nackter Rahmen mit 1.500 bis 2.000 Euro gar nicht mal so teuer ist, führt die Summe aller zu ersetzenden Teile inklusive der Arbeitszeit oft zu einem wirtschaftlichen Totalschaden. Daher erscheint der ultimative Tipp von Christoph auch unter finanziellem Aspekt sehr sinnvoll: Ein Sicherheitstraining ist der beste und sinnvollste Weg, um Sturzschäden zu vermeiden.