Die größten 15 Hersteller – nach Marktanteilen im Sommer 2023 in Deutschland – kennt jeder von uns: BMW, Honda, Kawasaki, KTM, Yamaha, Ducati, Harley-Davidson, Triumph, Suzuki, Husqvarna, Royal Enfield, Aprilia, Moto Guzzi, Indian und GasGas. Für einen Sieg bei Stadt, Land, Fluss reicht das noch nicht, doch da legen wir nach, mit CFMoto, Brixton, Jawa, QJMotor, Voge und Zontes beispielsweise. So bunt – und so unübersichtlich – war der Motorradmarkt noch nie. Wie kommt’s?
Das Zauberwort für viele jüngeren Marken heißt: Import. Wer eine Marke anmeldet oder Rechte einer bestehenden Marke kauft, darf Produkte damit anbieten. Importeure, wie die österreichische KSR Group, kreieren neue Marken wie Brixton oder Motron. Der Importeur sucht einen – meist chinesischen – Produzenten, bei dem er die passenden Fahrzeuge bestellen kann, verpasst ihnen den entsprechenden Marken-Look, inklusive Emblemen und Logos, und vertreibt die Modelle auf dem heimischen Markt – sei es China, Thailand, USA oder Europa.
Unterschied Importeur und Hersteller
Der Unterschied zu einem Hersteller liegt darin, dass Importeure nicht auf eigene Werke und in der Regel nicht auf eigene Entwicklungen zurückgreifen. Importeure sind auf die Produkte angewiesen, die ohne eigene Entwicklung vom Band laufen. Technisch ganz vorn können diese Motorräder also von Haus aus kaum sein. Zwar haben die Importeure auf Ausstattung und Design teilweise Einfluss, doch finale Entscheidungen trifft meist der Hersteller.
Gleiches Produkt, anderer Name
Hinzu kommt, dass die Produkte oft nicht nur von einem Importeur geordert werden, sondern beispielsweise von mehreren europäischen Importeuren. So kommt es, dass gleiche Modelle unter verschiedenen Markennamen in unterschiedlichen europäischen Ländern angeboten werden. Motorräder, die in Deutschland etwa unter der Marke Mash angeboten werden, sind in Tschechien als Jawas zu haben und auf den Philippinen als Bristol-Modelle. Ein anderes Beispiel, wonach ein Hersteller seine Modelle über nationale Importeure unter verschiedenen Marken verkauft: LexMoto (Großbritannien) und Mitt (Spanien). Die Motorräder selbst baut China-Riese Zongshen und "brandet" sie, für die nationalen Importeure, wie MOTORRAD-Kollege Jens Kratschmar im Beitrag „Kooperieren statt Kopieren bei Jawa und Bristol“ erläutert.
Welche Motoren sind eingebaut?
Gerne werden für diese Import-Maschinen etwas ältere, luftgekühlte Motoren verwendet, beispielsweise von Honda. Re-Engineering heißt das in Fachkreisen und bedeutet nichts anderes als Kopien oder Nachbauten mit kleinen Anpassungen. Der eigentliche Hersteller ist in den seltensten Fällen noch im Boot. Beispiel: Die in Deutschland erhältliche Mash X-Ride 650 greift auf den Motor der 1988er-Honda NX 650 Dominator zurück, angepasst an die Euro-5-Norm.
Neuere Fahrzeugkategorie Elektroroller
Anders kann das bei neueren Fahrzeugkategorien wie Elektrorollern aussehen. Hier scheint die Entwicklung auf dem Markt von Beginn an nicht von den großen Herstellern ausgegangen zu sein. Viele europäische Elektroroller-Marken beziehen ihre Fahrzeuge aus China und geben für das Produkt Alleinstellungsmerkmale vor, die ein chinesischer Produzent wiederum umsetzt. Wie die junge französische Marke Brumaire mit ihren beiden Elektroroller-Modellen 4700W und 3000W.
Hersteller lassen meist in Asien produzieren
Oft werden die Modelle der großen Hersteller nicht mehr in den heimischen Hallen produziert, sondern in einem asiatischen Land. Meist gilt das für die Motorräder mit kleineren bis mittleren Hubräumen, die auf dem Markt zu attraktiven Preisen angeboten werden sollen. Doch hier entwickelt der Hersteller selbst, produziert in eigenen Werken, überprüft regelmäßig die Qualität und kontrolliert die vorgegebenen Toleranzen. Beispiele sind Honda und Triumph in Thailand oder BMW und KTM in China und Indien.
Beteiligungen und Kooperationen zwischen Herstellern
Noch mal eine andere Variante, die beliebt ist, weil sie durch chinesische Gesetze gefördert wird: die Kooperation etablierter Hersteller mit jüngeren chinesischen Marken und Herstellern. Prominentes Beispiel ist hier die Kooperation zwischen CFMoto und KTM. Mit dem Europa-Vertrieb durch KTM bringt CFMoto nicht mehr ganz aktuelle KTM-Technik gepaart mit moderner Ausstattung zu attraktiven Preisen auf die europäischen Märkte.
Irritationen bei Herstellern
Derlei Kooperationen sind aber keine Garantie dafür, dass alle Produkte in Absprache der Partner entworfen und auf den Markt gebracht werden, wie das Beispiel von BMW und Loncin zeigt: Die Premium-Zweiradmarke des Loncin-Konzerns ist Voge. 2022 präsentierte Voge den großen Roller SR4 Max 350. Die Verwandtschaft zum BMW C 400 GT fiel auf den ersten Blick auf. Und vor dem Hintergrund, dass der BMW-Roller in Loncin-Werken in China gefertigt wird, überraschte das kaum. Kurze Zeit später präsentierte jedoch QJMotor den Fortress 350, der ebenfalls ganz klar vom BMW C 400 GT abstammt. Eine Kooperation von BMW und QJMotor ist hingegen uns – und BMW – bisher nicht bekannt. Und dass die beiden chinesischen Konzerne Loncin und Qianjiang zusammenarbeiten, wäre eine Neuigkeit.
Dass eine Partnerschaft mit der Kontrolle über die Produkte einhergeht, ist also nicht automatisch gesetzt. Eine neue Dimension erreicht das mehr oder weniger ungefragte Nutzen europäischer Partner-Technik in eigenen Produkten: Auf der EICMA 2022 stand bei Voge eine 900er-Reiseenduro, die eindeutig mit der BMW F-850-Technik aufgebaut wurde und im Prinzip die schon länger erwartete BMW F 900 GS vorwegnahm. Aus BMW-Kreisen war zu hören, in München sei man "not amused".
Unübersichtlicher Markt, intransparente Strukturen
Gefühlt haben wir es jede Woche mit einer neuen Motorradmarke zu tun, vorwiegend aus China. Der Motorradmarkt dort scheint zu florieren, und da Mittelklasse-Hubräume ab 400 Kubik populärer werden, haben die Produzenten immer öfter die europäischen Zulassungsvoraussetzungen mit im Blick. Hier gilt es, zu recherchieren, welche Modelle wir bereits kennen, die einfach unter einem weiteren Namen angeboten werden. Interessant ist meist auch, auf welche Technik, die Hersteller setzen, ob wir etwa den Motor schon aus einer nicht mehr ganz taufrischen Honda kennen.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die QJMotor SRK 800 RR, die im Juni 2023 geleakt wurde und deren Motor und Fahrwerk auf der CBR 650 R basieren, wie MOTORRAD-Kollege Maik Schwarz berichtet. Und der berühmte Honda-Twin mit 471 Kubik dürfte als China-Kopie mittlerweile sogar öfter produziert worden sein als das Honda-Original.
Während es bei den großen chinesischen Unternehmen mittlerweile einigermaßen klar ist, wer mit welchem westlichen Hersteller kooperiert, wird es bei den kleineren Marken schier unmöglich, das nachzuvollziehen. Mal gibt es bei diversen Markenämtern auf der Welt einen Hinweis im Kleingedruckten, mal stoßen wir zufällig darauf, wie kürzlich bei dem Elektroroller Cineco ES5. Den wollten wir euch eigentlich erst als CSC ES5 vorstellen, als China-Import für den amerikanischen Markt. Unsere Recherchen ergaben dann aber, dass es sich hierbei originär um ein Modell von Cineco handelt.
Und Cineco ist das Elektro-Sublabel von Zongshen. Wobei Zongshen auch unter Zonsen firmiert. Und deren Marke für Motorräder mit Verbrennungsmotor heißt Cyclone... Da den Überblick zu behalten, ist schier unmöglich.