Fahrbericht Terra Modena 198

Fahrbericht Terra Modena 198 Exklusives "Dankeschön"

So kann ein Dankeschön ausschauen, wenn Männer wie Pirelli-Motorsportchef Dario Calzavara einer ganzen Region Grazie sagen: ein Supermoto-Single, gewidmet der Gegend um Modena – und konstruiert von Enzo Ferraris Sohn Piero.

Exklusives "Dankeschön" Alexphoto

"Es war ein Traum von mir, dieser Region ein Motorrad zu widmen. Eine Gegend, die wie kein anderer Platz auf der Welt die Leidenschaft für den Motorsport verkörpert." Dario Calzavara verblüfft, versteigt sich nicht in die in Italien üblichen Fantasien über utopische Verkaufsprognosen oder den Ruhm künftiger Rennerfolge, sondern bleibt Realist – in einer von ihm bewusst geschaffenen Irrationalität. Dass sein Werk ein Kassenschlager wird, daran glaubt nicht einmal er selbst. Nicht bei einem Preis von 19650 Euro – plus Steuer wohlgemerkt – für die Einzylinder-Maschine. Denn Calzavara, in den achtziger Jahren Ferrari-Rennleiter in der Formel 1 und später Motorsportchef bei Pirelli, macht den Namen zum Programm: Die Terra Modena – das Land um Modena – besitzt im Motorsport längst Weltruhm. Ducati, Ferrari, Lamborghini, Maserati, Moto Morini – im Umkreis von 40 Kilometern um die Stadt in der Emilia-Romagna befinden sich einige der legendärsten Automobil- und Motorradhersteller der Erde. Auf deren Ressourcen und Zulieferer wurde bei der Konzeption und Produktion der Terra Modena so weit wie möglich zurückgegriffen.

Immerhin zeichnet Piero, jüngster Sohn des Ferrari-Firmengründers Enzo Ferrari, mit seinem in Modena ansässigen Entwicklungsbüro High Performance Engineering (HPE) für die Konzeption des Supermoto-Flitzers verantwortlich. Erfahrungen im Zweiradbereich besitzt HPE. Die Mannschaft entwickelte bereits den 750er-Motor der MV Agusta, dessen Namenszusatz F4 auf die illustre Herkunft des Vierzylinders aus dem Hause Ferrari hinweist.

Und letztlich fand die Ferrari-Truppe trotz grundsätzlich konventioneller Lösungen bei der Technik der Terra Modena 198 – die 1 steht für Einzylinder, die 98 für die Bohrung von 98 Millimetern – auch eigene Wege. Zwischen Lenkkopf und dem Gussteil der Schwingenaufnahme formt ein im Supermoto-Metier bislang noch nicht verwendetes, stabiles Doppelrohr
den vollständig aus Aluminium gefertigten Brückenrahmen. Die verwindungssteif erscheinende Konstruktion des Hauptrahmens erlaubt es, die Unterzüge zur einfacheren Motordemontage lediglich zu verschrauben. Genauso wie das Rahmenheck, das als Titanteil noch einige zusätzliche Gramm Gewicht gegenüber einer Alu-Version einspart. Das Federbein von Öhlins stützt sich ohne Umlenkung auf der aus Alu-Profilen geschweißten Schwinge ab, vorne federt eine ebenfalls von Öhlins gelieferte Gabel. Noblesse verströmen die Abdeckungen und Kotflügel aus Karbon, die beiden geschmiedeten Alu-Gussräder von Marchesini und die Vierkolben-Bremszange im Vorderrad. Radial angeschlagen und mit vier Einzelbremsbelägen bestückt, versprechen die Brembo-Stopper fulminante und feinfühlige Verzögerung.

Vollständig aus den Hallen von HPE stammt der mit einer Benzinspritzung von Dellorto ausgestattete Motor, der – vermutlich wegen der Vorliebe der Formel-1-Konstrukteure für hohe Drehzahlen – extrem ausgelegt ist. Mit besagten 98 Millimeter Bohrung und einem Hub von lediglich 59,6 Millimetern unterbieten die Techniker die derzeit kurzhubigsten 450er-Singles von KTM, Husqvarna (60,8 Millimeter) und TM Racing (60,1 Millimeter). Zudem treiben konstruktiv aufwendige Stirnräder die beiden oben liegenden Nockenwellen an – auch wenn’s bei den vorgesehenen Spitzendrehzahlen von 10000/min technisch nicht notwendig wäre. Immerhin spart diese Art des Ventiltriebs Bauraum und hält die Maße des Zylinderkopfs dadurch kompakt. Außergewöhnlich. Wenig souverän dagegen: Der verwaiste Stumpf der Kickstarterwelle lugt noch ängstlich aus dem rechten Gehäusedeckel – trotz E-Starter.

Vielleicht, weil der Mühe hat, den Einzylinder zum Leben zu erwecken. Nur zäh zieht er beim Druck aufs Knöpfchen den Kolben durch den Zylinder, bis der Single endlich gewaltig aus seinen zwei Schalldämpfern losballert. Euro3? Irgendwie geschafft. Erster Gang, Abfahrt. Hoppla, zunächst saugt der Nobel-Single wegen der wohl etwas voluminös geratenen 55er-Ansaugrohre lediglich asthmatisch nach Gemisch, um ab 5000/min dann abzugehen wie Schmitz’ Katze. Mit beeindruckender Leichtigkeit stürmt das vollgetankt gerade mal 130 Kilogramm schwere Bike voran, legt bei 7000/min noch ein paar Briketts nach, um kurz nach seinem Leistungsmaximum von 55 PS bei 9500 Touren vom Drehzahlbegrenzer eingebremst zu werden. Schnell ist klar, die Italienerin will gedreht werden
und hat die stets definiert zu schaltenden, eng gestuften Gänge bitter nötig, um permanent über der 5000er-Marke zu orgeln.

Dafür stellt sich auf Anhieb dieses typische, fast überagile Supermoto-Fahrgefühl ein. Die schmale Tank-Sitzbank-Kombination und der weit an den Körper herangerückte Lenker hilft, die Terra Modena wie ein Fahr-
rad von Kurve zu Kurve zu wedeln. Zumal die straff abgestimmten Federelemente die Maschine auch beim harten Anbremsen und
Beschleunigen am Aufschaukeln hindern. Auch der Geradeauslauf ist tadellos. Bei 150 km/h – dem durch die kurze Übersetzung bedingten moderaten Topspeed – bleibt die hochbeinige Diva sauber auf Kurs.

Und doch: Die zweirädrige Verbeugung vor der Region Modena bleibt eine typisch italienische. Eine, in der es nicht zwanghaft revolutionärer Technik oder perfekten Finishs bedarf, um die Mission zu erfüllen, sondern eben nur dieses einen, alles überstrahlenden Charakterzugs: Leidenschaft.

Wer ist Dario Calzavara?

Obwohl das Flair des Markennamens Ferrari dominant über der Terra Modena schwebt, verbirgt sich hinter diesem Projekt vor allem ein Name: Dario Calzavara. Der geborene Mailänder leitete das Formel-1-Rennteam von Ferrari zwischen 1981 und 1984. Bereits in dieser Zeit hegte der Teamchef offene Begeisterung für zwei Räder – und teilte sie mit seinen beiden Formel-1-Piloten. In Testpausen jagten Didier Pironi und Gilles Villeneuve die private BMW, mit der Calzavara täglich zur Arbeit fuhr, so lange
um die Ferrari-Teststrecke in Fiorano, bis Il Commen-
datore, Enzo Ferrari höchstpersönlich, aus Sorge um die Gesundheit seiner Fahrer Calzavara zum Verkauf der Maschine nötigte.
Nach 16 Jahren als Motorsportchef des Reifenherstellers Pirelli ließ sich Calzavara im vergleichsweise jugendlichen Alter von 50 Jahren pensionieren, um Zeit für seine heimliche Leidenschaft zu finden: ein Motorrad nach seinen ganz eigenen Vorstellungen
zu bauen. Weil ihm Superbikes unvernünftig erschienen (»zu dichter Verkehr und zu viele Radarfallen«), entschied sich der Ingenieur für ein Supermoto-Bike. Immerhin 1,7 Millionen Euro investierte der heute
56-Jährige in diesen Traum.

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