Als ich im Oktober 2009 die letzte Buell testete, wachte ich in der Universitätsklinik von Birmingham, Alabama auf. Fünf Tage später machte Harley die Buell-Hallen plötzlich für immer dicht und mich damit zum letzten Crasher dieser Marke. Bis heute bestreite ich aber jeden Zusammenhang zwischen meiner Kaltverformung des 1125 RR-Prototypen und dem Harley-Aus für Buell – so teuer wäre die Reparatur auch wieder nicht gewesen.
Trotzdem kann ich es Erik Buell nicht hoch genug anrechnen, mir nach dieser Geschichte den Schlüssel für den 33800 Euro teuren Special Edition-Prototyp seiner jüngsten Kreation in die Hand zu drücken. Es ist die in Karbon getauchte Straßenversion des AMA-Rennmotorrads, mit dem Erik Buells Piloten einige Podiumsplätze einfahren und ihn mit dem dritten Rang in der Konstrukteurswertung wieder auf die Landkarte erfolgreicher Sportmotorradmarken setzen konnten. Jetzt, mit dem Geld des indischen Zweiradgiganten Hero im Rücken (siehe Interview Seite 88), soll es in diesem Jahr in der Superbike-WM und mit Serienmotorrädern für eine breitere Kundschaft weitergehen.
All-American-Bike

Das Premium-Modell dieses Plans steht nun also vor mir. Neben dem feinen Karbon fallen einem sofort das Öhlins-Fahrwerk und die in Michigan von M & A Castings gefertigten Magnesium-Räder ins Auge. Als ich schließlich mein Bein über das Heck geschwungen habe, kommt mir die EBR 1190 RS trotz spärlichem Racer-Polster ganz schön hoch vor. Rollt sie erst einmal, sitzt man dagegen sehr versammelt auf dem von einem Zweizylinder angetriebenen Superbike – und für größere Piloten gar nicht mal so unbequem. Die Stummel waren für meinen Geschmack etwas weit nach unten geneigt, aber das kann jeder Fahrer mit den einstellbaren Lenkerenden selbst entscheiden.
Der Sound des Rotax-Triebwerks ist ein Statement. Der wassergekühlte Motor klingt noch nach einem Old-School-Twin – monumental, wobei die Erde bei jedem Dreh am Gasgriff unter den Füßen bebt. Trotzdem bleibt die Belästigung sensibler Nachbarn in vertretbarem Rahmen. Rotax-Twin? Es ranken sich einige Geschichten um die Entstehung dieses Motors, der für die Buells aus Österreich nach Wisconsin geliefert wurde. Heute ist das nicht mehr so, die EBR fast ein All-American-Bike.
Wie dem auch sei, durch Vibrationen fällt der Motor dank Ausgleichswellen nicht auf. Der Druck unten herum passt sehr gut zum Alltag, erreicht man aber 7000/min, fegt der Sturm los. Das liegt mit an der relativ geringen Schwungmasse, die im Verhältnis zum ursprünglichen 1125er-Rotax der letzten Buell-Modelle deutlich reduziert und damit die Drehfreude erhöht wurde. Das Gas nimmt die RS mit erdigem Twin-Grummeln ganz „smooth“ an, ohne den rechten Antritt zu verschlafen. Trotz fehlendem Ride-by-Wire hat man aber nicht das Gefühl, der Grip am Pirelli Supercorsa SP könnte unter dem kraftvollen Drehmoment bei allzu forschem Dreh am Gasgriff unkontrolliert abreißen. Mit Harmlosigkeit hat das nichts zu tun, denn das Vorderrad steigt trotzdem bei engagiertem Einsatz zum Powerwheelie, weshalb wir das Setup anglichen und diese Wheelie-Lust gerade am Kurvenausgang ganz gut wegbügeln konnten.
Einzig die Übersetzung geriet eindeutig zu lang

Die Gangwechsel gingen auch ohne Schaltautomat, den ich in dieser Preiskategorie aber erwarten darf, sauber vonstatten. Einzig die Übersetzung geriet eindeutig zu lang. Auf der kurzen Teststrecke von Blackhawk mit sieben meist zügigen Kurven auf drei Kilometern ging fast alles im zweiten Gang, und selbst auf der Landstraßenrunde fiel das auf. Hinten fehlen bei der 16/41-Übersetzung mindestens drei Zähne für die Kette. Richtig gehört, Kette! Anhänger des alten Buell-Zahnriemenantriebs müssen sich mit diesem Paradigmenwechsel abfinden.
Was nicht für die Bremse gilt. Dort hält Erik Buell an der großen Mono-Bremsscheibe entlang der Felge fest. Im Gegensatz zu vielen Testkollegen finde ich das gar nicht schlecht und schreibe das feine Handling der EBR auch den reduzierten rotierenden Massen dieser Konstruktion am Vorderrad zu. Zwar erforderte das Testbike gehörige Handkraft, bis sich die Beläge der Achtkolben-Zange von Nissin akurat in der Scheibe verbeißen konnten, aber von Aufstellmoment, Fading oder Pulsieren im Bremshebel habe ich nichts gemerkt.
Das Bike fühlt sich nach Supersport an

Vielleicht hat das US-Superbike bei der Beschleunigung einen Nachteil gegenüber der Vierzylinder-Armada in der Superbike-WM, und ihm fehlen wohl noch gut 15 bis 20 PS an Topend-Power. Dafür ist die kleinere und schlankere EBR deutlich agiler. Kein Wunder bei einem Lenkkopfwinkel von 68 Grad und einem Nachlauf von nur 86 Millimeter.
Aber auch die Rahmenkonstruktion spricht Bände. Im Gegensatz zu Ducatis Pseudo-Monocoque in der Panigale ist der EBR-Rahmen für Verfechter der reinen Lehre ein wirkliches Monocoque, das neben dem Motor als tragendem Element auch die 17 Liter Sprit mit aufnimmt und das Gesamtgewicht auf 176 Kilo (mit Wasser und Öl, ohne Benzin) drückt.
Die so konstruierte EBR lenkt irre flink ein und lässt sich wunderbar von einer auf die andere Seite werfen. Das Feedback der Öhlins-Gabel ist formidabel, und ohne jegliches Zeichen von Untersteuern am Kurvenausgang ließ sich die 1190 genüsslich übers Vorderrad durch noch so enge Kurven peitschen. Die Gewichtsverteilung gelang trotz Straßen-relevanter Anbauteile wie Blinker, Kennzeichenhalter etc. mit 53 Prozent auf dem Vorderrad sehr sportlich.
Das Bike fühlt sich auch auf der Rennstrecke einfach nicht nach Superbike, sondern mehr nach Supersport an, und so steigere ich Runde um Runde den Speed über die gesamte Kurvenphase, bis mir wieder mein Sturz mit der letzten Buell einfällt, die mich mit ähnlichen Manieren, dann aber ohne Traktionskontrolle brutal in die Botanik befördert hat. Um es mir deshalb nicht endgültig mit Erik zu verscherzen, nehme ich die 1190 RS am Kurvenausgang schnell wieder hoch, denn auch sie hat kein Elektronikpaket. Im Moment, denn in der Superbike-WM kommt eines zum Einsatz, dass bald auf die Serie übertragen werden soll.
PS-Daten

Antrieb
Zweizylinder-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 128 kW (174 PS) bei 9750/min*, 132 Nm bei 9400/min*, 1191 cm³, Bohrung/Hub: 106/67,5 mm, Verdichtung: 13,6:1, Zünd-/Einspritzanlage, 61-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.
Fahrwerk
Leichtmetall-Monocoque, Lenkkopfwinkel: 68 Grad, Nachlauf: 86 mm, Radstand: 1407 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm
Räder und Bremsen
Magnesium-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 386-mm-Einzelscheibenbremse mit Achtkolben-Schwimmsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Festsattel hinten.
Gewicht (ohne Treibstoff): 176 kg*,
Tankinhalt: 17,1 Liter Super
Grundpreis: 33800 Euro (zzgl. NK)*
EBR 2014 in der Superbike-Wm

Neben Ducati wird 2014 ein zweiter Hersteller in der Superbike-WM mit Twin-Motoren antreten: EBR. Das Geld für das Abenteuer kommt von Hero MotoCorp, Indiens Top-Zweiradproduzent (6,2 Millionen motorisierte Zweiräder 2012), der sich zunächst nach fast 30-jähriger Partnerschaft von Honda löste und im Juli für geschätzte 18 Millionen Euro 49,2 Prozent der EBR-Anteile übernahm. Die US-Marke soll den Indern als Entwicklungsmotor bei großen Bikes und als Imageträger weltweit dienen. Deshalb treten die EBR-Racer mit großflächiger Hero-Werbung und als Team Hero EBR in der Superbike-WM an.
Um in der Weltmeisterschaft starten zu dürfen, muss EBR bis Saisonbeginn 125 Maschinen als Homologationsbasis produziert haben. Bis 30. Juni 2014 müssen es 375 und am Saisonende 1000 Stück sein. Das Serienfahrzeug soll als EBR 1190 RX für etwa 14 000 Euro auf den Markt kommen. Das erfolgreiche AMA-Rennmotorrad heißt RS, von dem es nun eine teure Edelvariante mit Straßenzulassung geben wird.
Interview mit Erik Buell: "Wir agieren bald wieder weltweit"

Im Jahr 2009 hat Harley hier Buell dicht gemacht. Was hat sich seither getan?
Buell: Das Aus für Buell eröffnete mir einige Möglichkeiten, das zu machen, was ich wollte, nämlich echte und eigenständige Rennmotorräder zu bauen, was mit Harley nicht gegangen wäre. Jetzt arbeiten hier wieder 110 Leute – ich habe mit 60 Mann deutlich mehr Ingenieure bei EBR als früher bei Buell. Insgesamt sollen bis zur Markteinführung der RX in diesem Jahr noch etwa 30 dazukommen. Und wir haben temporär Ingenieurteams von Hero hier.
Wie kam Hero zu EBR?
Buell: Vor ein paar Jahren wurde ich Pawan Munjal vorgestellt. Wir haben uns gleich verstanden. Er hat eine Vision und ist zudem auch Ingenieur.
Das kam dann zur rechten Zeit mit dem Honda-Ausstieg bei Hero?
Buell: Das war der Grund, warum mich einer meiner Freunde damals Pawan vorgestellt hat. Er sagte: „Du bist raus bei Harley, und mein Freund Pawan hat sich gerade von Honda getrennt – ihr solltet euch mal treffen.“
Und dann wollte Hero EBR ganz?
Buell: Nein. Nachdem wir uns kennengelernt und mehrfach gegenseitig besucht hatten, war mir klar, dass sie an Individualismus und Beziehungen glauben. Pawan wollte mehr eine partnerschaftliche Zusammenarbeit als ein Tochterunternehmen und er hat verstanden, dass wir beide mehr von diesem freien Unternehmertum bei EBR haben werden. Wir werden auch Hero-Importeur für USA und Kanada. EBR ist zwar eine US-Firma aus dem konservativen Mittelwesten, aber wir denken global.
Die Motoren kamen bisher von Rotax aus Österreich. Wo wird der RX-Motor gebaut werden?
Buell: Hier müssen wir mal ein paar Missverständnisse ausräumen: Der 1125er-Buell wurde von Buell und Rotax gemeinsam entwickelt. Harley hatte für so einen wassergekühlten Twin keine Kapazität und wollte auch den Motorenbau nicht an sich ziehen. Also ging das über Rotax, obwohl es ein eigenständiger Motor ist, dessen Teile in keinem anderen Rotax-Motor stecken. Nach dem Buell-Aus ging der Motor an Rotax, und wir haben ihn dort gekauft. Heute suchen wir selbst alle Zulieferer aus und bauen den Motor hier in East Troy zusammen. Rotax liefert nichts mehr. Auch früher stellten sie nur drei Teile wie etwa das Kurbelgehäuse her und bauten den Motor zusammen. Ich habe Ersatz für diese Teile finden müssen und kann jetzt den ganzen Motor selbst bauen. Er ist auch kein aufgemotzter 1125er, sondern ein 110-prozentiger EBR-Twin mit 140 komplett anderen Teilen.
Und jetzt geht es damit in die Superbike-WM?
Buell: Wir werden ein weltweit agierender Hersteller – Hero auch. Dies müssen wir aufbauen, und die Superbike-WM bietet uns dafür die Bühne. Hero ist Indiens Nummer eins und weiß, dass sie gute Produkte haben, aber wie transportiert man das in die Welt? Hero ist überzeugt, das Roadracing in Indien in den nächsten zehn Jahren ein großes Ding wird, die Inder sind sehr sportversessen. EBR möchte gleichzeitig die Technologie auf das nächste Level heben, obwohl das sehr hart werden wird. Trotzdem gehen wir in die Champions League und nicht in die EVO-Klasse. Sie werden uns schlagen, aber wir lernen.

Wer wird fahren und wer leitet das Team?
Buell: Wir haben darüber nachgedacht, ob wir für diese Europa-dominierte Serie nicht einfach Fahrer und Team einkaufen. Aber wir wollen auf allen Gebieten lernen, und wir nehmen uns die Zeit zu lernen. Ich will amerikanische Fahrer im Team. Deshalb fahren bei uns Geoff May und Aaron Yates, die mit EBR 2013 schon in der AMA gefahren sind. Wir haben viele Talente in den USA, aber der Umstieg von der AMA in die WM ist hart. Europäer einzukaufen wäre sicher einfacher, aber ich möchte den Leuten zeigen, was für Talente in Amerika unterwegs sind. Unsere Jungs kennen die Strecken nicht und haben auch keine Chance, sie bei Tests kennenzulernen. Also wird das ein Sprung ins kalte Wasser, aber wir haben ein gemischtes Team in Italien sitzen, in dem auch Amerikaner arbeiten. Teambesitzer ist Claudio Quintarelli aus Bergamo, und Teamchef Giulio Bardi hat lange für die SBK-Orga gearbeitet, saß in der Team-Vertretung und war davor als Ingenieur für Fred Merkel aktiv.
Gab es schon Tests in der Besetzung und mit neuem Bike?
Buell: Wir werden prinzipiell mit dem Bike aus der AMA anfangen, das selbstverständlich permanent verbessert und weiterentwickelt wird. Beim offiziellen Test in Phillip Island Mitte Februar werden wir natürlich dabei sein, aber da ist es dann nur noch eine Woche bis zum Auftaktrennen. Deshalb wollen wir Ende Januar in Spanien testen.
Da Sie bis Ende 2014 für die WM-Homologation 1000 Einheiten fertigstellen müssen, basiert das Rennmotorrad auf der RX. Wann beginnt die Produktion der Maschinen?
Buell: Jetzt im Januar geht es los. Eigentlich wollten wir im Dezember beginnen, aber ein paar Zulieferer schafften den Termin nicht. Wir wollen gleich mit hohen Stückzahlen loslegen und haben bereits ein gutes Netz an Händlern aufgebaut, die schon Einzahlungen gemacht haben und die Bikes natürlich schnell haben wollen. Da können wir nicht kleckern, sondern müssen klotzen. Wir wollen ein paar Tausend Maschinen in diesem Jahr bauen. Bei Buell haben wir 15 000 Einheiten in derselben Halle produziert und wir könnten jetzt mehr bauen, aber das wird in ein paar Jahren dann der Fall sein.