Arturo Magni selbst beschrieb seine besondere Stellung in aller Bescheidenheit. Ein besserer Mechaniker sei er gewesen, erzählte er einst in einem Gespräch mit MOTORRAD-Korrespondentin Eva Breutel. Wichtige Entscheidungen die Renneinsätze betreffend, habe Conte Domenico Agusta, der Chef von MV, stets in glanzvoller Despotie selbst gefällt. Diese Selbsteinschätzung verschweigt vornehm die Tatsache, dass wenig erreicht und noch lange nichts gewonnen ist, wenn eine Rennmaschine frisch aufgebaut auf den Rädern steht. Die handwerkliche Umsetzung einer Konstruktion, die präzise Bearbeitung von Motor- und Fahrwerksteilen, die penible Einstellung aller Komponenten und all die Detailarbeit, die mit dem Begriff Abstimmung mehr verschleiert als beschrieben wird, oblag Arturo Magni, seit er im Jahr 1950 bei MV Agusta anfing. Als einfacher, aber wohl schon damals besserer Mechaniker.
Er war zarte 25 Jahre alt. Begeisterter Erbauer von Flugzeugmodellen und italienischer Meister im Langstreckenflug in einem selbst gebauten Segelflieger, hatte Magni seine berufliche Laufbahn beim Flugzeughersteller Bestetti Aeronautica in Arcore begonnen, wo er noch während des Krieges die Motoren von Militärflugzeugen wartete. Diese stellen höchste Anforderungen an die Sorgfalt der Mechaniker, und was Magni im Umgang mit ihnen lernte, prägte ihn fürs Leben. Den letzten Schliff erhielt er, als er 1947 zu Gilera wechselte, einem der ältesten italienischen Motorradhersteller, der ebenfalls in Arcore ansässig war. Für die Entwicklung eines 500er-Vierzylinder-Rennmotors suchte Ingegnere Pietro Remor ausdrücklich einen jungen Mechaniker, den er in seinem Sinn ausbilden wollte. Die Wahl fiel auf Magni, und als Remor im Frühjahr 1950 von Gilera zu MV Agusta wechselte, zog er ihn mit.
Mit leichten Modifikationen konstruierte und realisierte Remor seinen Vierzylinder für MV gleich noch einmal. Weil der Conte Agusta die neue 500er zunächst als Straßenmotorrad geplant hatte, erhielt sie einen Kardanantrieb und zur Verringerung der Kardanreaktionen eine Parallelogrammschwinge. Als Magni Jahrzehnte später Moto Guzzi-Motoren in seine Fahrwerke einbaute, nahm er diese Technik wieder auf. Die zwei Fotos der ersten MV-Vierzylinder aus den Jahren 1950 und 1953 zeigen bei genauem Hinsehen, wie viel die Techniker damals mit verschiedenen Federungssystemen, Dämpfungsvarianten, ja sogar Schaltmechanismen sowie Kardan- und Kettenantrieb experimentierten. Bei all diesen Änderungen dürfen wir uns Arturo Magni am Werk vorstellen. Immer an der Nahtstelle von Idee und Verwirklichung.
1966 hatte die MV-Rennmannschaft, seit 1955 unter seiner Leitung, bereits so viel Erfahrung gesammelt, dass ihre nächste Neukonstruktion einschlug wie eine Bombe: Gefahren von einem jungen Italiener namens Giacomo Agostini, gewann die neue 350er-Dreizylinder-Rennmaschine mit Vierventilmotor gleich ihren ersten Grand Prix-Einsatz. Aufgebohrt auf 377, später auf 474 cm³, half sie Agostini, im gleichen Jahr 500er-Weltmeister zu werden. Von da an gewann er jeden seiner MV-WM-Titel auf den ständig weiterentwickelten 350er- und 500er-Dreizylindermaschinen.
Sie ist das Motorrad der goldenen Ära von MV Agusta mit 350er- und 500er-Titelgewinnen in Serie, aber oft sehr langweiligen Rennen. Ungleich spannender war die Endphase des MV-Engagements in der Weltmeisterschaft, in Sachen Technik ein Gang auf einem messerscharfen Grat zwischen Sieg und Ausfall. Manchmal konnten Arturo Magni und sein Team regelrechte Raketen auf die Räder stellen. Zum Beispiel 1974 in Spa Francorchamps, als Phil Read in der ersten Runde nach einem Schiebestart mehrere Sekunden Vorsprung herausfuhr, den Rundenrekord unterbot und mit Dauerdrehzahlen von 15 000/min den schnellsten Renndurchschnitt in der Geschichte des GP-Sports schaffte. Andererseits gelang es den Technikern nicht, den Ventiltrieb der neu entwickelten Vierzylinder dauerhaft standfest zu machen und das Stempeln des Hinterrads beim Zurückschalten sowie das störrische Handling der MV zu verbessern. 1976 fuhr Giacomo Agostini auf dem Nürburgring den letzten Grand Prix-Sieg einer MV Agusta ein.
Arturo Magni baute nach der Schließung der Rennabteilung in Kooperation mit dem deutschen MV-Importeur Michael Hansen und zusammen mit seinen Söhnen MV-Straßenmotorräder. Auf der Basis des alten Zweiventil-Vierzylinders entstanden Maschinen mit bis zu 1100 cm³. Später setzte er BMW-, Honda-, Suzuki- und wie erwähnt Moto Guzzi-Motoren in seine Fahrwerke. Die Rahmen wurden stets klassisch aus Stahlrohr gebaut, meist rot lackiert und besitzen eine starke Dosis MV Agusta der klassischen Ära. Das ist kein Wunder; es steckt schließlich auch eine Menge Magni in MV.