Bei BMW S 1000 XR , Kawasaki Versys 1100 SE und Suzuki GSX-S 1000 GX liegen bei den jeweiligen Nenndrehzahlen (12.000/9.500/11.800/min) folgende Tempi an: erster Gang: 120/95/129, zweiter Gang: 152/127/161 und dritter Gang: 184/155/193 km/h. Die verbleibenden drei Fahrstufen ersparen wir uns an dieser Stelle ebenso wie die Diskussion über Sinn oder Unsinn von derart viel Leistung. Zumal bei Fahrzeugen, deren Einsatzgebiet die Rennstrecke eher nicht ist.
BMW S 1000 XR: Probleme beim Kaltstart
Im nasskalten Hier und Jetzt zählen andere Dinge: sauberer Kaltstart zum Beispiel, den schaffen alle mit links. Doch die BMW S 1000 XR dreht auf den ersten Metern danach derart hoch, dass man verschärft gegen die Bremse fahren muss, um im 30er-Bereich zu bleiben. Auf glattem Untergrund kann dies das ABS auf den Plan rufen, was die Sache dann richtig spannend macht. Dieser Spuk ist zwar, je nach Temperatur, nach 200 bis 300 Metern vorbei, doch auch diese muss man erst einmal überstehen. Im Wortsinn.
Auf Temperatur gebracht, braucht es auf der BMW dann zum Anfahren am meisten Drehzahl, will man sie nicht abwürgen. Kawasaki Versys 1100 SE und Suzuki GSX-S 1000 GX sind in der Beziehung absolut problemlos, beide lassen sich kalt wie warm auch noch im Dritten easy anfahren. Überhaupt kann der BMW-Vierer nur bedingt verhehlen, dass er ursprünglich, wenn auch stark überarbeitet, aus der Doppel-R kommt. Er wirkt stets etwas nervös und hibbelig, etwa so wie ein Rennpferd beim Weg in die Startbox. Angesichts der vorherrschenden Bedingungen nicht gerade optimale Voraussetzungen, doch selbst hier passt der Road-Modus (insgesamt gibt es Eco, Rain, Road, Dynamic und Dynamic Pro, wobei sich bei Letzterem Gasannahme, Traktions- und Wheeliekontrolle und ABS-Wirkung feintunen lassen), um die XR stets sicher auf Kurs zu halten.
Fein dosierbare Bremsen und sensibel regelndes ABS
Bei nasskaltem Wetter sind definitiv andere Tugenden als Spitzenleistung gefragt. Eine entspannte Sitzposition zum Beispiel, hier bietet die aktuelle BMW S 1000 XR gegenüber ihrer Vorgängerin deutlich mehr Platz und Bewegungsfreiheit und einen besonders für Inline-Fours sehr schmalen Knieschluss. Und Wetterschutz. Der ist eher mittelprächtig, der Windschild (hier in Größe Medium) lässt sich zwar per Knebel händisch in zwei Positionen justieren, lässt aber dennoch reichlich Wetter durch. Das gilt auch für die mäßig robusten Handprotektoren, dafür haben die Heizgriffe eine eingebaute Grillfunktion. Auch die bei Bedarf kräftig zupackenden, fein dosierbaren Bremsen samt sensibel regelndem ABS haben einen beruhigenden Einfluss auf das Nervenkostüm des Fahrers.
Wenngleich auch sie, und das gilt selbstredend auch für Kawasaki Versys 1100 SE und Suzuki GSX-S 1000 GX, bei einstelligen Temperaturen und Nieselregen nur am untersten Ende ihrer Möglichkeiten gefordert werden können. Denn wenn das Kurveneingangstempo oberhalb des Griplevels der Straße liegt, nützt die beste Elektronik nichts (mehr), dann wird es teuer. Und/oder schmerzhaft. Was man aber schon in diesem Bereich feststellt, ist, dass die Investition von satten 1.400 Euro in die Schmiederäder der BMW dieser zu einer Leichtfüßigkeit verhilft, an die weder die Kawa und schon gar nicht die Suzuki herankommen. So wiegt das vordere Komplettrad (also einbaufertig) der BMW 10,6 Kilogramm, während das der Kawa satte 13,0 auf die Waage drückt. Das der Suzuki dürfte ähnlich viel wiegen. Dieses Weniger an rotierenden (und ungefederten) Massen spürt man bereits im Stadtverkehr und bei flotten Tempi natürlich umso mehr.
Kawasaki Versys 1100 SE ab 17.345 Euro
Da kommt selbst die nicht nur angesichts ihrer stolzen 263 Kilogramm Gewicht sehr agile Kawasaki Versys 1100 SE nicht heran. Die ist ansonsten gut gerüstet fürs Widrige. Ist der größte Schild im Feld in der oberen Position fixiert (etwas fummelig mit zwei Rändelmuttern) und die Heizgriffe auf volle Pulle gestellt, ist man recht ordentlich gegen Wind und Wetter gefeit. Den Rain-Modus braucht es auch hier nicht zwingend, er greift doch arg restriktiv ins Geschehen ein. Dass die Bremse etwas weniger forsch zu Werke geht als die der BMW S 1000 XR, geht fast schon als Vorteil durch.
Ebenso wie der Vierer, der für 2025 von ohnehin gut eingeschenkten 1.043 Kubik auf deren 1.099 aufgebohrt wurde. Unter 6.000/min macht er sehr kultiviert, fein dosierbar, aber kräftig und souverän seinen Job. Darüber wirds dann kribbelig. Er kommt übrigens als einziger des Trios ohne Auspuffklappe aus. Die Quickshifter/Blipper-Kombi funktioniert top, allerdings ist das Gefühl im Schalthebel etwas teigig. Die wie bei den beiden anderen auch mechanisch betätigte Kupplung erfordert die niedrigste Handkraft. Fast schon schade, dass man sie nur zum Anfahren/Anhalten benötigt.
Einstellbare Federvorspannung bei der Versys 1100 SE
Durch die relativ lange Übersetzung der Kawasaki Versys 1100 SE liegen die Beschleunigungs- und Durchzugswerte zwar leicht hinter den anderen beiden, aber immer noch auf einem Level, der abseits des Stammtischs ohne Bedeutung ist. Freunde des Individual-Setups können im Rider-Mode ihrer Lust frönen. Neben der Federvorspannung lassen sich Zug- und Druckstufendämpfung vorne und hinten jeweils separat verändern und auch das Ansprechverhalten des Vierers sowie die Traktionskontrolle anpassen. Der Weg dahin (und auch zurück) ist allerdings wenig intuitiv. Wer gerne zu zweit unterwegs undnicht ständig auf der Jagd nach Bestzeiten ist, kommt an der Kawa kaum vorbei, denn vorne wie hinten ist man bei ihr vielleicht einen Tick zu touristisch, aber sehr kommod und mit reichlich Platz gesegnet untergebracht.
GSX-S 1000 GX mit anpassbarer Traktionskontrolle
Das gilt für die Suzuki GSX-S 1000 GX so nicht, auf ihr sitzt es sich aktiv-dynamisch, gleichwohl nicht unbequem. Auch der Hintermann ist, sofern nicht gerade ein Hüne, deutlich besser platziert, als man es angesichts des relativ kompakten Sitzpolsters erwartet. Auch bei ihr lassen sich Mappings, Traktionskontrolle und Motorbremsmoment, Federvorspannung im Allgemeinen sowie die Dämpfung vorne wie hinten im Speziellen separat an die persönlichen Bedürfnisse anpassen. Was via schnell durchdrungener Menüstruktur im 6,5-zölligen TFT-Display mittels eines Steuerkreuzes easy funktioniert. Am meisten wurden beim Testbike aber Heizgriffe vermisst. Die gibt es zwar im Original-Zubehör von Suzuki, waren aber nicht montiert. Was es hingegen nicht gibt, sind andere Schilde. Das vorhandene ist nicht nur das kleinste im Testfeld, sondern auch nur mühsam und mit Werkzeug in drei Positionen montierbar. Immerhin halten die zwar großen, aber arg fragilen Handprotektoren einen Gutteil des Regens von den Fahrerhänden fern.
Suzuki mit mächtigem Vorschub auf BMW-Niveau
Einen Großteil ihrer Faszination zieht die Suzuki GSX-S 1000 GX aus ihrem Antrieb, dem in seinen Grundfesten mittlerweile 20 Jahre alten, K5 genannten Reihenvierer, der sein Debüt seinerzeit in eben jenem K5 genannten Supersportler GSX-R 1000 feierte. Er läuft und klingt stets etwas rau und kehlig und spart auch nicht mit stets präsenten, feinen Vibrationen. Es ist ihm im Grunde völlig egal, in welchem Gang und mit welcher Drehzahl man gerade unterwegs ist. Wer Drosselklappenöffnungswinkel sät, wird Vorschub ernten. Mächtigen Vorschub mit Durchzugswerten auf BMW-Niveau. Dass seine Gesamtübersetzung noch etwas kürzer ist als die der BMW S 1000 XR, ist dabei natürlich hilfreich. Wobei an dieser Stelle erwähnt sei, dass das Testbike noch nach Euro-5 homologiert war. Inwiefern sich das 5+-Modell da unterscheidet, wird sich zeigen.
Defensives ABS und spürbare Aufstellmomente
Es wäre wünschenswert, wenn sich Suzuki bei diesem auch der beiden wesentlichen Kritikpunkte annähme. Denn zum einen zeigte sich die vordere Bremsanlage beim Testbike derart stumpf, dass man nach jedem Fahrzeugwechsel zunächst einen Defekt vermutete. Auch das ABS regelt arg defensiv, worunter dann auch die Bremswirkung leidet. Der zweite Punkt, der sich schon beim Top-Test und beim Alpen-Masters andeutete und bei Kälte noch mehr zum Tragen kommt, ist das Einlenkverhalten. Die Suzuki bringt nämlich das Kunststück fertig, gleichzeitig kippelig und unhandlich zu sein, zudem plagt sie ein spürbares Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage. Offenkundig harmoniert der serienmäßig montierte Dunlop Roadsport 2 mit Sonderkennung nur bedingt mit der Suzuki GSX-S 1000 GX und ist zudem recht kälteempfindlich.
Denn je höher die Temperatur, desto weniger ausgeprägt ist das Verhalten. Beide Mängel sind mit wenig Aufwand zu beheben, und dann kann man sich mit der Suzuki den charakterlich wohl nakedsten Crossover in die Garage stellen. Bei der Gelegenheit könnte man auch überlegen, ob der Speedcutter bei 215 km/h wirklich nottut, denn die anderen 1.000er-Geschwister dürfen laufen, was geht. Nicht, dass das wirklich nötig wäre, aber Sie wissen schon: der Stammtisch! Und so bleibt am Ende (wieder einmal) die Erkenntnis: Egal ob Fußballbundesliga, Motorrad-Zulassungsstatistik oder Testergebnisse – ohne die Bayern würde es an der Spitze deutlich abwechslungsreicher zugehen.