Sonntagmorgen, 1. Juli 2001, 2.34 Uhr. Die B 27, Höhe Vaihingen/Enz, ist regennass und um diese Zeit nahezu unbefahren. Die Langstreckentest-Kawasaki ZX-12R, Kilometerstand 44212, rollt mit 100 km/h Richtung Heimat, nach Stuttgart. Ohne Ankündigung reißt ein blockierendes Hinterrad den Fahrer aus der nächtlichen Konzentration, er kuppelt vergebens. Das Rad bewegt sich kurzfristig wieder, blockiert erneut, die ZX-12R kommt mitten auf der Bundesstraße zum Stehen. Nach dem ersten Schreck laufen dem Fahrer die Schweißperlen: Nicht auszudenken, wenn dies bei Topspeed passiert wäre.
Per Transporter gelangt Kawasakis Flaggschiff am darauffolgenden Tag auf den Seziertisch in die MOTORRAD-Werkstatt. In der Ölwanne finden sich eine Handvoll Getriebeteile. Kawasaki Deutschland wird informiert, die defekte ZX-12R nach Friedrichsdorf transportiert, von MOTORRAD-Technikchef Waldemar Schwarz und Kawasaki-Technikern zerlegt. Das Abtriebsrad des vierten Gangs ist unerklärlicherweise vollkommen zerbröselt, das gesamte Getriebe ist durch Bruchstücke zerstört, die Wellen sind verbogen. Außerdem sind Teile zwischen die Räder des Anlasserantriebs gelangt, so dass die Kurbelwelle ausgetauscht werden müsste das Zahnrad des Anlasserantriebs auf der Kurbelwange ist stark beschädigt. MOTORRAD beschließt, den Langstreckentest abzubrechen.
Alle Mutmaßungen über die Gründe das Ganze passierte, ohne dass ein Schaltvorgang ausgeführt wurde gehn schließlich in dieselbe Richtung: Es scheint sich um einen Materialfehler zu handeln. Die Testmaschine von MOTORRAD ist, laut Kawasaki, weltweit die Einzige, die einen solchen Schaden aufweist. Die heikle Frage hierbei: Ob sie das auch in Zukunft bleibt? Denn kaum eine andere ZX-12R hat seit der Markeinführung im März 2000 so viel Kilometer abgespult. Der Blick in das Getriebe der Langstreckentestmaschine der Schwesternzeitschrift PS sie überstand die 50000 Kilometer nahezu unbeschadet offenbart ein beinahe identisches Verschleißbild an den Schaltgabeln: Die hintere linke Schaltgabel hat sich in die Nut des Schieberades vom sechsten Gang stark eingearbeitet. MOTORRAD ist der Meinung, dass das große Spiel der Schaltgabel als Auslöser des Getriebeschadens nicht in Betracht kommt. Für die starken Abriebspuren haben die Kawasaki-Techniker folgende Erklärung: Die zuverlässige Übertragung der 178 PS erfordert stark hinterschliffene Mitnehmerklauen, die das Herausspringen der Gänge verhindern. Dadurch wird beim Schaltvorgang viel Druck auf die Gabeln ausgeübt. Das führt zu höherem Verschleiß und zu einer etwas knochigen Schaltung. Letzteres wurde von einigen Fahrern im Testbetrieb beanstandet. Bis auf unbedenkliche Laufspuren an Pleuel-, Nockenwellen- und Kurbelwellenlagern präsentiert sich das Innenleben des Motors ansonsten sehr gut, an den 545 Betriebstagen zwischen erstem und letztem Atemzug spielten die Einzelteile offensichtlich gut zusammen.
Die Gemeinschaft der Fahrer dagegen ist zerstritten und extrem polarisiert. Die Einträge im Fahrtenbuch reichen von »geiler Fahrmaschine« bis »das braucht kein Mensch«. Was beides zutrifft. Die ZX-12R wurde kompromisslos darauf ausgelegt, die Stärkste und die Schnellste zu sein. Zum ersten Mal in der Geschichte fand ein 200er-Hinterreifen im seriellen Motorradbau Verwendung. Und versorgte das Aufstellbegehren des Bikes stets mit neuer Nahrung. Erstausgerüstet mit dem Dunlop D 207, erwies sich die zu einem späteren Zeitpunkt erhältliche Bridgestone-Paarung BT 010 vorn und BT 011 hinten als neutraler. Ließ sich von Bodenwellen nicht so stark zum Aufstellen anregen wie der Dunlop und ermöglichte im Schnitt 20 Prozent höhere Laufleistungen. Diese wurden von dem Michelin Pilot Sport nochmals überboten. Hielt der Dunlop mit 4700 und der Bridgestone 6200 Kilometer, überstand die Michelin-Mischung rund 8200 Kilometer, reichte aber an den Grip und das homogene Fahrverhalten des Bridgestone nicht heran.
Apropos homogen. Die Einspritzung der 12er zauberte im sanften Schiebebetrieb sowie bei Konstantfahrten im Drehzahlbereich zwischen 4000 und 6000/min ein Geruckel in das Fahrzeug, das über die gesamte Testdistanz nahezu alle Fahrer nervte (siehe Kasten Stellungnahme). Hinzu kamen feine Vibrationen, die sich über den mittleren Drehzahlbereich verteilten und manche Finger einschlafen ließen.
Wo viel Schatten ist, muss auch viel Licht sein stimmt. Die schrägen Augen der ZX-12R schlagen selbst in die tiefste Nacht eine flutlicht-helle Schneise. Eigentlich ein Muss, denn der Bremsweg aus Topspeed beträgt 446 Meter vorausschauendes Fahren obligatorisch. Da macht die elektronische Kastration ab dem Baujahr 2001, eine freiwillige Beschränkung der Hersteller auf 299 km/h, den Kohl auch nicht mehr fett.
Auffällig wird die ZX-12R zum ersten Mal am 25. Juli 2000 nach fast 20000 Kilometern: Redakteur Jörn Thomas registriert mechanische Geräusche. Die Werkstatt attestiert einen gebrochenen Steuerkettenspanner. Das abgebrochene Teil liegt in der Ölwanne und hat keinen Schaden angerichtet. Der Spanner wird auf Garantie ersetzt. Knapp drei Wochen und 2000 Kilometer später lässt MOTORRAD die Kawasaki mit einem Heck-Höherlegungssatz ausrüsten (ab Juni 2000 serienmäßig). Eine 4,5 Millimeter dicke Distanzscheibe an der unteren Federbeinaufnahme sorgt dafür, dass die 249 Kilogramm einen Hauch mehr Handlichkeit gewinnen, ohne den superben Geradeauslauf selbst bei Topspeed in Gefahr zu bringen. Dass die 1200er über die Hälfte der Testdistanz auf der Autobahn zurücklegte, liegt zum einen an der schieren Power, die man genau hier ausleben kann, zum anderen am hervorragenden Windschutz und der moderaten Sitzposition. Reisen und Rasen die ZX-12R vereint zwei Gegensätze.
Dies schlägt sich in dem recht hohen Durchschnittsverbrauch von 8,1 Liter pro 100 Kilometer nieder. 5,9 Liter markierten das Minimum, 11,2 das Maximum da können 20 Liter Tankvolumen ziemlich knapp werden. Anfang November 2000, Kilometerstand 30166, bekommt Onliner Andreas Schulz Probleme beim Anfahren. Die Kupplung rutscht, die Beläge sind verschlissen und werden getauscht. Zwei Monate später, am 8. Januar 2001, gerät Kollege Siggi Güttner auf schneeglatter Fahrbahn ins Schlingern und fällt so ungünstig auf den Lichtmaschinendeckel, dass dieser einen Haarriss bekommt und das Öl in die Freiheit entlässt. Güttner fährt heim, registriert den Riss erst später. Um Folgeschäden vorzubeugen, wird die ZX-12R am 17. Februar 2001 bei Kawasaki Deutschland im Beisein von MOTORRAD zerlegt und die Lagerstellen überprüft. Alles in Ordnung. Bei der Durchsicht entdecken die Techniker einen defekten Kraftstoffsensor und einen Riss im Krümmer, tauschen die Teile inklusive Tank auf Garantie aus. Von dem sich anbahnenden Getriebeschaden ist zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu erkennen.
Abgesehen von einem hakeligen Tankschloss, das über mehrere hundert Kilometer einige Fahrer nervt, brummt die ZX-12R unauffällig weiter bis zum 10. Juni 2001. Servicechef Holger Hertneck rollt in Trento, Italien, mit ruckendem Hinterrad an eine Tankstelle: Eines der hinteren Radlager ist defekt, beide werden auf Garantie gewechselt, weiter gehts.
Bis knapp drei Wochen später der Test um 2.34 Uhr abrupt beendet ist. Die Überbleibsel des Getriebes befinden sich derzeit bei Kawasaki in Japan, werden einer genauen Untersuchung unterzogen. Nicht nur das Team von MOTORRAD hofft, das es wirklich ein Einzelfall bleiben wird.
Einzelfall?
Da laut Kawasaki Deutschland bislang weltweit kein ähnlicher Defekt aufgetreten ist, muss derzeit wohl von einem Einzelfall ausgegangen werden. Bei undefinierbaren Geräuschen aus dem Motorbereich oder Verschlechterung der Schaltbarkeit des Getriebes sollten ZX-12R-Eigner trotzdem vorsichtshalber eine Werkstatt aufsuchen. MOTORRAD bleibt am Ball und wird über Ergebnisse der weiteren Untersuchung sofort und ausführlich berichten.
Lesererfahrungen
Ich habe ein 2000er-Modell im März 2001 gekauft mittlerweile 5000 Kilometer damit zurückgelegt. Spitze finde ich den Windschutz und das stabile Fahrwerk. Zu bemängeln habe ich in erster Linie den hohen Benzinverbrauch. Im Alltagsbetrieb laufen zwischen neun und zehn Liter durch die Einspritzdüsen, auf der Autobahn sind es sogar 10,5 Liter. Aber auch der unsaubere Motorlauf ist ein Kritikpunkt. Zwischen 4000 bis 6000/min tritt extremes Konstantfahrruckeln auf. In engen Passagen macht sich darüber hinaus auch der dicke Hinterreifen bemerkbar. Der Dunlop D 207 hielt nahezu 5000 Kilometer. Allerdings muss hierbei ja die sehr schonende (und nervende) Einfahrphase berücksichtigt werden. Berthold Buck, StuttgartSeit April 2000 habe ich 11500 problemlose Kilometer zurück gelegt. Kaufgründe waren seinerzeit die versprochene unglaubliche Power sowie das starke Styling. Fahrwerksprobleme kenne ich gar nicht. Das neue Set-Up verbesserte ab August 2000 die Fahreigenschaften etwas. Einziges Manko der ZX-12R ist der hohe Benzinverbrauch (minimum 6,5 l/100 km) bei Landstraßentempo. Bei hohem Tempo geht der Verbrauch (maximal 11 Liter) in Anbetracht der Fahrleistungen in Ordnung. Die Montage einer MRA-Spoilerscheibe erhöht die hervorragende Schutzwirkung der Verkleidung nochmals, ein LSL-Superbikelenker verbesserte das Handling extrem. Ich bin super zufrieden mit dem Motorrad. Es ist konkurrenzlos, ich würde es jederzeit wieder kaufen. Wilfried Kaufhold Mein Motorrad wurde im Juni 2000 zugelassen und das ganze Jahr über, auch im Winter, gefahren. Im Februar 2001 flog bei Tempo 280 km/h das Ventil aus der Felge, die Aluminiummutter, die es halten sollte, war gebrochen. Durch die Zentrifugalkraft löste sich das Ventile aus der Felge und verursachte einen totalen Druckverlust. Es kam zu keinem Unfall. Bei einer Kontrolle der Mutter der vorderen Ventilmutter mit einem Maulschlüssel (nur leicht angezogen) zerbrach diese sofort. Im März 2001 habe ich die Maschine bei Kilometerstand 13500 verkauft. Das war mir auf Dauer zu gefährlich. Ulrich Kramer, Arnsberg
Kawasaki nimmt Stellung
...zu den VibrationenVibrationen an der ZX-12R sind uns nicht unbekannt. Hinweise über derartige Problematiken wurden von uns an den Hersteller nach Japan weitergeleitet. Starke Vibrationen können in Einzelfällen durch exakte Synchronisation der Einspritzanlage gemindert werden. ...zum KonstantfahrruckelnBei dem Modell A1, Baujahr 2000, ist das Phänomen bekannt. Es gab eine Empfehlung an die Händler, an Maschinen, bei denen extremes Konstantfahrruckeln auftritt, die Einstellung des Drosselklappenpotentiometers zu überprüfen. In einigen Fällen konnte der Austausch der Serien-ECU (Steuergerät) gegen eine speziell für den Betrieb in Höhenlagen entwickelte Einheit Besserung erzielen. Bei dem Modell A2, Baujahr 2001, tritt dieses Phänomen nicht mehr auf. Bedingt durch die elektronische Geschwindigkeitsbegrenzung auf 299 km/h und die damit verbundene Änderung des Kennfelds der Einspritzung können die 2000er-Modelle jedoch nicht mit der ECU-Einheit des 2001er-Modells ausgerüstet werden. ...zum defekten SteuerkettenspannerBislang gab es keinerlei diesbezügliche Probleme. Ein untypischer Schaden....zur verschlissenen KupplungDie Kupplung an der ZX-12R ist keinesfalls unterdimensioniert. Übermäßige Belastungen sowie Bedienungsfehler können die Ursache für schnellen Verschleiß sein. Des Weiteren ist es unbedingt erforderlich, die von Kawasaki vorgeschriebene Ölqualität SE, SF oder SG (bei SH oder SJ mit JASO MA-Spezifikation) einzuhalten. Es dürfen auch keine so genannten »Leichtlauföle« verwendet werden, da diese mit Additiven versetzt sind, die nicht nur die Beläge der Kupplungslamellen angreifen, sondern im Extremfall auch die Schmierleistung beeinträchtigen können. ...zu dem hakeligen TankschlossDerartige Probleme sind uns nicht bekannt. Bedingt durch den ständigen Kontakt mit Benzin könnte es zu einer Schmiermittel-Auswaschung des Schlossmechanismus gekommen sein. Ein paar Tropfen Allzwecköl können da Wunder wirken....zu dem RadlagerschadenMöglicherweise ist durch die Reinigung mit dem Dampfstrahler Wasser in die Lager eingedrungen, so dass es zu Korrosion kam. Wir betrachten diesen Schaden als Einzelfall. ...zum GetriebeschadenBislang ist Kawasaki weltweit kein ähnlicher Fall bekannt. Aus der Sichtuntersuchung der Trümmerstücke kann keine aussagekräftige Rekonstruktion des Schadensverlaufs oder eine Ursache abgeleitet werden. Das Getriebe wird von uns schnellstmöglich zum Hersteller nach Japan zu einer genauen Untersuchung und Materialprüfung gesandt. Der Befund ist ausschlaggebend für weitere Schritte. Bis zur endgültigen Klärung besteht jedoch kein Grund zur Beunruhigung.
Kosten
Wartung und Reparaturen auf 44212 Kilometer (Teile) Preise in Mark Bremsbeläge (2x vorn, 1x hinten) insgesamt 462,62Kettensatz 626,15Kettenschleifer 53,16Kraftstoffsensor, Tank und Krümmer GarantieKupplung 341,57Radlager GarantieRücklichtbirne 6,09Steuerkettenspanner GarantieInspektionen und Verschleißteile, Reparatur und Teile 3075,37*Reifen (inklusive Montage, Wuchten und Entsorgen) 5953,88Kraftstoff (3582 Liter à 1,95 DM) 6984,90Gesamtkosten 16014,15Anschaffungspreis 26590Wertverlust 10260Schätzpreis (Händlerverkaufspreis) 16300Kosten pro Kilometer (ohne Wertverlust) 0,36Kosten pro Kilometer (mit Wertverlust) 0,59*36000er Inspektion wurde bei Kawasaki Deutschland bei der Zerlegung wegen Verdacht auf Ölmangel durchgeführt und nicht berechnet
Wartung und Reparaturen
Wartung und ReparaturenHinterreifen gewechselt Dunlop D 207 4079Reifen vorn und hinten gewechselt Dunlop D 207 8297Hinterreifen gewechselt Dunlop D 207 13514Reifen vorn und hinten gewechselt Dunlop D 207,Bremsbeläge vorn gewechselt 18597Reifen vorn und hinten gewechselt Bridgestone BT 011/010 21682Reifen vorn und hinten gewechselt Bridgestone BT 011/010 28612Kettensatz und schleifer gewechselt 28757Kupplung sowie Bremsbeläge vorn und hinten gewechselt 30166Kraftstoffsensor, Tank und Krümmer gewechselt (Garantie) 32041Reifen vorn und hinten gewechselt Michelin Pilot Sport HPX 34048Bremsbeläge vorn gewechselt 40132Reifen vorn und hinten gewechselt Michelin Pilot Sport HPX 42568Radlager hinten gewechselt 43288
Zustand der Teile
ZylinderkopfDie Lauffläche der Nockenwelle ist gut, die Lagerstellen weisen aber kein optimales Laufbild auf. Die Sitze der Auslassventile sind leicht eingeschlagen, zeigen darüber hinaus auch leichte Brandspuren.ZylinderDie Zylinderlaufbahnen weisen sehr geringe Riefenbildung auf, die Kolben präsentieren ein ausgezeichnetes Tragbild. Sie haben keinerlei Riefen und nur leichte Laufspuren am Feuersteg. Das Laufbild der Kolbenbolzen und Pleuelaugen ist sehr gut, alle Pleuellager hingegen zeigen leichte Laufspuren.KurbelwelleAlle Kurbelwellen-Hauptlager weisen geringe Verschleissspuren auf, sind jedoch maßhaltig. KupplungUnbedenkliche, aber deutliche Laufspuren am Kupplungskorb, die Kupplungsnabe dagegen ist in gutem Zustand.GetriebeKapitaler Getriebeschaden durch den Bruch des vierten Gangrades auf der Abtriebswelle.FahrwerkNur sehr geringe Korrosionsbildung, alle Lagerstellen in gutem Zustand.
Fahrleistungen
Anfangsmessung Kilometerstand 1623Höchstgeschwindigkeit km/h 303Beschleunigung0-100 km/h sek 2,60-140 km/h sek 4,20-180 km/h sek 5,9Durchzug60-100 km/h sek 3,7100-140 km/h sek 3,8140-180 km/h sek 3,7Durchschnittlicher Verbrauch über 44212 KilometerKraftstoff (Normal) l/100 km 8,1Motoröl l/1000 km nicht messbar