...was man draus macht.
...was man draus macht.
Seit nunmehr 75 Jahren kann sich Moto Guzzi auf Fans verlassen, die der Marke bedingungslose Treue schwören. Das ist erfreulich. Weniger erfreulich ist, daß die Zahl der Neuzugänge in dieser Gruppe seit Jahren geringer ist als die Zahl derjenigen, die sich aus Altersgründen daraus verabschieden. So ist es kein Wunder, daß die Traditionsmarke seit einiger Zeit versucht, die Kundschaft zu verjüngen, indem vermehrt auf Sportlichkeit und italienischen Schick gesetzt wird. Zweifelsohne der richtige Ansatz, der bislang jedoch nicht so richtig fruchten wollte.Jetzt kommt ein neuer Hoffnungsträger auf den Markt: äußerlich bereits bekannt, technisch aber auf Vordermann gebracht. Die Neue heißt Sport 1100 i und ist die mit einer Einspritzanlage versehene Weiterentwicklung des bekannten Zweiventil-Modells Sport 1100 mit Vergasermotor. Dabei unterzogen die Moto Guzzi-Techniker auch gleich das Getriebe einer Frischzellenkur, und gegen thermische Schwächen soll ein Ölkühler schützen, der vor der mächtigen Ölwanne montiert ist. Fahrwerksseitig wich die Marzocchi-M1R-Telegabel einer Upside-down-Version der holländischen Firma White Power, und die 1100 i rollt auf formschönen Dreispeichen-Rädern.Daß es auch unter den ganz harten Guzzi-Fans schon seit langem den Wunsch nach einem besseren Fahrwerk und leistungsstarken Motoren gibt, verdeutlichen zwei Ehrengäste, die eigens für diesen ersten Test der neuen Sport 1100 i eingeladen wurden. Bereits 1986 machte sich der schwäbische Tüftler Norbert Kienzler daran, Moto Guzzi einen Vorschlag zum Thema »besser fahren« zu unterbreiten. Mit seinem selbstgebauten, leichten Fahrwerk und dem damals nur 949 Kubikzentimeter starken Zweiventiler wußte die Noki-Guzzi die MOTORRAD-Tester schon vor zehn Jahren zu begeistern. Leider dauerte es eine ganze Weile, bis Moto Guzzi selbst ein verbessertes Modell präsentierte. Erst 1992 brachten die Italiener den ersten Sportler moderner Machart auf den Markt: die Daytona. Das Fahrwerk der 1000er markierte einen wesentlichen Fortschritt, endlich gehörten die üblichen unangenehmen Kardanreaktionen der Vergangenheit an. Auch am Motor hatten die Italiener Hand angelegt. Markantestes Merkmal: vier statt nur zweier Ventile. Auf Basis eben dieses nominell 93 PS starken Vierventilers machte sich die Firma Kramer in Hattersheim-Okriftel daran zu zeigen, daß nicht nur das neue Fahrwerk eine Stärke der Guzzi ist, sondern auch der Motor zu wahren Heldentaten fähig ist. Die Kramer-Guzzi leistet auf dem MOTORRAD-Prüfstand immerhin 114 PS und sorgt bei den Beschleunigungsmessungen mit 3,2 Sekunden von null auf 100 km/h für ungläubiges Staunen bei so manchem Tester. Übrigens, doch das nur am Rande: Auch die Serien-Daytona wurde unlängst überarbeitet. Sie soll nun 102 PS leisten, was MOTORRAD - mangels Testmaschine - allerdings noch nicht nachprüfen konnte.Aber bleiben wir bei der Hauptfigur dieser Geschichte. Die Sport 1100 i besticht zwar durch ihre elegante Aufmachung, macht es dem interessierten Guzzi-Neuling indessen nicht leicht, sich von ihren positiven Eigenschaften zu überzeugen. Die Ergonomie ist durch den extrem langen Tank etwas gestört. Die Hände müssen vor allem bei langsamer Fahrt den Oberkörper stützen und können die beiden Lenkerstummel nicht ganz so locker führen, wie das für eine gute Balance nötig wäre.Auch der bullige V-Motor verlangt einige Zeit der Gewöhnung. Unterhalb von 3000/min schüttelt er sich bei jedem Gasstoß und versucht dabei, die ganze Fuhre um die Längsachse zu kippen. Freilich, aufgrund des Massenträgheitsmoment der rotierenden Teile läßt sich das bei einer längslaufenden Kurbelwelle nicht vermeiden, aber diese Erkenntnis hilft dem unbedarften Neuling erstmal wenig. Die schwergängige Kupplung macht den Umgang mit der Guzzi ebenfalls nicht angenehmer, und wer nicht mit Nachdruck am Schalthebel zieht oder drückt, findet sich bisweilen zwischen zwei Gangstufen wieder - trotz des üäberarbeiteten Getriebes.Nun heißt es durchhalten. Denn wer seine erste Kontaktaufnahme mit der Sport 1100 i jetzt abbricht, der wird sie nie erleben, die Faszination Moto Guzzi. Nur wer sich über die Schwächen der Italienerin im Stop and go-Verkehr oder im engen Gewühl überfüllter Hauptverkehrsstraßen hinwegsetzt, wird auch ihre Stärken kennenlernen. Diese Guzzi braucht einfach Platz. Erst auf freien Landstraßen, gleich welcher Beschaffenheit, kann sie zeigen, was in ihr steckt.Mit jedem Kilometer weicht der Respekt vor der massigen Erscheinung. Trotz ihrer sprichwörtlichen Sturheit in Sachen Geradeauslauf entpuppt sich die 1100er als wahrer Kurvenschreck. Zwar fällt sie nicht gerade von allein von einer Schräglage in die andere, wenn aber der Druck auf die Lenkerstummel stimmt, läßt sie sich nicht zweimal bitten. Nach der etwas trägen Einlenkphase überzeugt die Sport durch eine unbeirrbare Linientreue, von der sie selbst auf welligem Untergrund nicht abweicht. Lenkkorrekturen erfordern in diesem Stadium der Kurvenfahrt deutlich weniger Kraft, als man aufgrund ihrer üppigen Abmessungen vermuten würde.Ausgesprochen sensibel sprechen die Federelemente der Sport dabei an. Die Grundabstimmung der neuen Gabel paßt prima zum hinteren Federbein. Fein genug, um selbst kleine Wellen und Kanten zu glätten, und straff genug, um auch im Soziusbetrieb nicht auf Block zu gehen. Kurz gesagt: Für Fahrwerkstuner bietet die Sport 1100 i kein großes Betätigungsfeld mehr.Und auch für Motorentuner gibt es weniger zu tun als bislang. Denn mit der Einspritzanlage hat sich die Sport eines Großteils ihrer negativen Eigenschaften entledigt. Vorbei sind die Zeiten schwergängiger, langhubiger Gasgriffe, die ohne ein mühseliges Nachfassen gar nicht auf einen Dreh zu öffnen waren. Alles läuft leicht und exakt dosierbar, ob beim Beschleunigen oder im Schiebebetrieb. Und obwohl sich die Änderungen am 1996er Aggregat lediglich auf die Verwendung einer Weber-Marelli-Einspritzung und der Montage eines kleinen Öhlkühlers beschränken, drückt die »i« mit 95 PS ganze zehn Pferdestärken mehr auf die Rolle als die letzte in MOTORRAD getestete Sport 1100 mit den klassischen 40er Dellorto-Vergasern.Geblieben ist allerdings die Schwäche im unteren Drehzahlbereich. Trotz 1064 Kubikzentimeter Hubraum wirkt der dicke Vau hier eher etwas schwach auf der Brust. Erst ab 3000/min zeigt er sich arbeitswillig, und ab 5000/min ist ihm dann auch eine gewisse Begeisterung bei dieser Arbeit anzumerken. Dabei hämmert er hart auf die Kurbelwelle ein. Klappern gehört zum Handwerk, sprich: Der Zweiventiler geizt weder mit mechanischen Geräuschen noch mit Vibrationen.Bei aller Anlehnung an traditionelle Werte hat man in Mandello dennoch für ein paar alltagserleichternde Einrichtungen gesorgt und neben neuen Schaltern Möglichkeiten zur Feinanpassung von Brems- sowie Kupplungshebel geschaffen. Allerdings befindet sich der Seitenständer immer noch in einer vom Sitzen aus unerreichbaren Position. Da heißt es: Erst absteigen, dann Ständer ausklappen. Vor allem für kleiner gewachsene Guzzisten ein unnötiger Balanceakt.Probleme gibt’s beim Testmotorrad überraschender Weise mit der Bremsanlage. Entgegen den Erfahrungen bei der Fahrpräsentation in Mugello fehlt es dieser Brembo-Anlage sowohl an Biß als auch an Ausdauer. Der teigige, sich ständig verschiebende Druckpunkt läßt auf Luft im System schließen. Nachdem die beiden vorderen Vierkolbenzangen entlüftet wurden, zeigt sich die großzügig dimensionierte Anlage denn auch in bester Verfassung.Nicht ganz so einfach ist eine undichte Stelle am Kardangehäuse zu beheben. Trotz eines Werkstattaufenhalts will die Guzzi auf schnelleren Autobahnetappen das Öl nicht halten. Ständig tropft das Schmiermittel auf die Felge und wandert durch die Fliehkräfte auf die Reifenflanke. Guzzi-Spezialisten behaupten allerdings, dieses Übel mit einem anderen Kardan-Simmerring in den Griff zu bekommen. Denn, davon sind sie überzeugt, die Basis stimmt, es kommt eben nur drauf an, was man draus macht.