Top-Test Kawasaki ZX-12R

Top-Test Kawasaki ZX-12R Es geht voran

»Keine Atempause«, sang Fehlfarben vor Jahren, »Geschichte wird gemacht, es geht voran!« Auf der ZX-12R jetzt noch effektiver, denn die Speed-Queen wurde umfassend modellgepflegt. Für noch mehr Monarchie im Alltag.

Es geht voran fact

Und wenn wir schon bei der neuen Deutschen Welle sind: »Das alles und noch viel mehr«, röhrte Rio Reiser selig etwas später, »würd´ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär´!« Einmal ein König! Aber: Konjunktiv. Würde, wäre, hätte, sollte, täte. Also: Wenn ich nicht gerade den unseligen 100er-Verbrauch führe, täte ich der ZX-12R mal richtig Feuer geben – und wäre ohne Zweifel ein König. Wenn auch nur für das im Moment recht verkehrsarme Autobahnstück zwischen Rottweil und Singen. Aber so! Die pure Hölle. 3500/min, rechts fegen Sonntagsausflügler selbst mit den lahmsten Gurken der Wochenendfrische am Bodensee entgegen, der VW-Bus hinter dir mit Lichthupe im Dauereinsatz – irgendwas läuft hier falsch. Nicht nur mit der Spurwahl, weil man mit der schnellen 12er generell links fährt. Auch mit der Aufgabenstellung. Noch mehr Dampf propagiert Kawasaki, weil jetzt zusätzlich auch die Leistung unter vollem Staudruck in der Airbox (190 PS) angegeben wird. Bei Tempo 100 staut sich aber höchstens der Verkehr hinter dir! Ein besseres Handling verspricht Kawasaki durch ein an allen Ecken modifiziertes Fahrwerk. Bei diesem Tempo ist selbst ein 34-Tonner handlich. So, jetzt reicht´s. Schluss mit Konjunktiv. Klonk, klonk, klonk, klonk. Runter in den Zweiten und dann richtig durchgeladen. »Ich will Spaß, ich geb Gas!« Der obligatorische 100er-Verbrauch kann warten.
Und der ungeduldige Lichthuper bleibt stehen. Jedenfalls aus der Perspektive der neuen, filigraneren und deutlich eleganteren Rückspiegel. Verschwindet mit dem übrigen rückwärtigen Verkehr in einer anderen Galaxie. Jetzt gelten andere Gesetze, scheint die normale Fahrphysik außer Kraft gesetzt. Dritter, Vierter, Fünfter – 200 km/h, 240 km/h, 280 km/h. Da, wo andere sich dem anstürmenden Fahrtwind beugen, marschiert die 12er locker weiter durchs Drehzahlband. Und dann der Sechste. Nochmals fällt die Drehzahlmessernadel, wieder kämpft sie sich erfolgreich zur 11000er-Marke hoch, um danach nur noch verhalten und subjektiv ohne Geschwindigkeitszuwachs weiter zu marschieren. 11200/min, 11300/min – das war´s. Tachoanzeige 298 km/h. Stillstand.
Innere Einkehr. Während draußen die Welt vorbeirauscht. Ein Gegensatz, den kein Motorrad derart nachdrücklich transportiert wie die schnelle Kawasaki. Denn gegen jene Einflüsse, die Geschwindigkeit jenseits von Drehzahl und Tachoanzeige wahrnehmbar machen, kapselt die ZX-12R ihren Piloten wirkungsvoll ab. Tief geduckt hinter der Verkleidung, ist der Fahrtwind kaum spürbar, hält der einzigartige Monocoquerahmen aus Aluminium beide Räder sicher in der Spur, zeugt keinerlei Instabilität von den Grenzen der Federelemente, sind Brückenabsätze und Bodenwellen kein Thema. Geschwindigkeit findet im Kopf statt.
Ganz selten auch im Rückspiegel. Denn da drängen sich altbekannte Scheinwerfer formatfüllend ins Bild, reißen dich aus der rasenden Einsiedelei. ZX-12R, Modelljahr 2001, ganz klar. Keinen Deut langsamer, weil die freiwillige Selbstbeschränkung Exzesse jenseits der 300 km/h verbietet. Dass der Abstand nicht gleich bleibt, sondern die grüne Verfolgerin abfällt, aufholt, abfällt, aufholt, liegt an der komplett überarbeiteten Einspritzsoftware. Immer wieder läuft die Grüne bei 11000/min abrupt in den Begrenzer, fällt die Drehzahl um rund 500/min, um einen neuen Anlauf zu nehmen und sich ein ums andere Mal an der harten Mauer der Political Correctness die Verkleidungsnase einzurennen.
Besonders jene Extremisten, denen jedwede Beschneidung der technischen Möglichkeiten ein Greul ist, werden das geschickte kaschieren der 300er-Beschränkung bei der neuen ZX-12R ebenso dankbar zur Kenntnis nehmen wie die nochmalige Verbesserung des ohnehin schon sehr guten Windschutzes durch eine um zwei Zentimeter höhere Verkleidungscheibe. Aber auch alle, die einfach außerdordentlich gut motorisiert ihrem gepflegten Zweiradvergnügen nachgehen wollen, sollten aufhorchen. Über 140 Änderungen sollen es beim 2002er-Modell sein – allesamt weit abseits unvernünftiger Leistungseskapaden, sondern im Dienste von mehr Geschmeidigkeit.
Dass in dieser Hinsicht kleine Ursachen große Wirkung haben können, zeigt im Zeitalter komplexer Kennfelder ausgerechnet ein simpler mechanischer Eingriff. Dem Öffnen der Drosselklappen setzt die Neue nämlich deutlich weniger Widerstand entgegen als die Kampfgenossin im Rückspiegel. Ein Trumpf, der vor allem dort sticht, wo Tempiwechsel an der Tagesordnung sind und Richtungswechsel nicht als störend empfunden werden. Auf der Landstraße, jenem Terrain also, auf dem die Kawasaki-Ingenieure zu Recht Verbesserungsbedarf sahen. Der fahrwerksseitige Maßnahmenkatalog: geringerer Gabelbrückenversatz, längerer Nachlauf, tiefere Schwingenaufnahme, anderes Federbein und zusätzlich eine von Kawasaki Deutschland empfohlene Heckanhebung (Detail siehe Kasten). Auf den Hinterreifen vom Format 200/50 ZR 17 hingegen mochte man nicht verzichten. Allerdings wechselte die Dunlop-Reifengeneration: statt D 207 nun der Nachfolger D 208.
Wie viel von der verbesserten Landstraßenperformance auf dessen Konto gehen und was die übrigen Modifikationen ausmachen, lässt sich nicht ohne weiteres ausmachen. Fest aber steht: Die Jüngere gibt sich bei Richtungswechseln (auch im MOTORRAD-Handlingparcours) deutlich geschmeidiger, lenkt williger ein und liegt in Schräglage neutraler als die Vorgängerin. Ganz verleugnen kann sie ihre fette Pelle jedoch immer noch nicht. Der 200er macht vor allem bei Bodenwellen in Schräglage auf sein Format aufmerksam, lässt die Heckpartie ein – wenn auch nicht mehr so ausgeprägtes – Eigenleben führen, während das Vorderrad sauber führt und nur in Extremsituationen zum Kurvenausgang drängt. Noch besser: Die satt dämpfenden und fein ansprechenden Federelemente taugen nicht nur für topfebene Autobahnen, sondern sorgen auch auf Landstraßen der dritten Kategorie für eine angenehme Mischung aus Komfort und Rückmeldung. Diesbezüglich liegt die Neue eindeutig vorn, was im Verbund mit einer zwar sportlichen, aber doch entspannten Sitzposition für ambitioniertes Touren sorgt. Mit der Einschränkung freilich, dass eventuelle Mitfahrer sich auf der Zwölfer nach wie vor nicht sonderlich wohl fühlen. Zu hoch das Soziusplateau, zu hoch die Fußrasten. Das ist schade, denn das Fahrwerk wird mit der Mehrbelastung locker fertig. Und der Motor erst recht. Denn selbst wenn sich die umfangreichen Modifikationen (siehe Kasten) nicht so signifikant niederschlagen wie die Fahrwerksverbesserungen, gilt: Ein leichtes Zucken im rechten Handgelenk reicht, um 248 Kilogramm vollgetankt brachial zu beschleunigen. In Zahlen: Von 60 auf 100 km/h vergehen 3,5 Sekunden, von 100 auf 140 km/h braucht sie nur 0,1 Sekunden und von 140 auf 180 gerade 0,4 Sekunden mehr. Das nun etwas leichtgängigere, aber nach wie vor recht knochige Getriebe braucht dazu nicht bemüht werden, der letzten Gang reicht für diese Fabelwerte. Angemerkt sei aber auch, dass sich die Alte einzig von 60 auf 100 km/h mit 3,8 Sekunden etwas mehr Zeit lässt, und eben jener Bereich zwischen 2500/min und 3500/min ist es auch, in dem sich die neue ZX-12R zumindest in Sachen Drehmoment von ihrer Vorgängerin absetzen kann.
Für die reinen Beschleunigungswerte gilt das nicht, sie liegen – und lagen – jenseits von Gut und Böse. Wer in gut sieben Sekunden aus dem Stand auf 200 km/h beschleunigen will, ist nach wie vor herzlich eingeladen. Leider – und das ist der einzige Aspekt, in dem die Kawaski-Entwickler rückwärts statt vorwärts gemacht haben – schlagen sich derartige Übungen, wie übrigens auch das gemütliche Touren, in einem unangemessen hohen D-Zug-Zuschlag nieder. 6,8 Liter auf der Landstraße sind des Guten zu viel, runde sieben Liter bei Tempo 130 ebenfalls. Der Komfortgewinn durch sanftere Gasanahme hingegen, den die Überarbeitung der Einspritzung zum Ziel hatte, ist nur minimal. Besonders unterhalb von 4000/min geht die Neue immer noch sehr ruppig ans Gas und erreicht in Verbindung mit deutlichem Spiel im Antriebsstrang höchstens Regionalbahnniveau.
Den eiligen Reisenden wird das nicht ernsthaft stören. Er erfreut sich nach wie vor an den strahlenden Leistungen der Doppelscheinwerfer, dem informativen Cockpit – und neuerdings an mehr Handlichkeit und der dynamischeren Verkleidungsfront. Und natürlich daran, dass es auf der ZX-12R nach wie vor richtig voran geht. Denn das ist – daran hat sich ebenfalls nichts geändert – ein wahrhaft königliches Vergnügen.

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Die wichtigsten Änderungen im Detail - Kawasaki ZX-12R

Motor:Kurbelwelle mit 20 Prozent mehr SchwungmasseÜberarbeitetes ZündkennfeldEffektivere Kühlung durch zwei kleine statt einen großen LüfterLeistungsstärkere ÖlpumpeÜberarbeitete KupplungSchaltwelle mit 14 statt 13 Millimeter DurchmesserFahrwerk: Weniger Gabelbrückenversatz (28 statt 32 Millimeter)Längerer Nachlauf (98 statt 93 Millimeter)Längere GabelfedernTiefere Schwingenaufnahme (zwei Millimeter)Geänderte FederbeinanlenkungNeues Federbein (fünf Millimeter kürzer, weichere Feder, stufenlose Dämpfungsverstellung)Leichtere SchwingeSonstigesUm 30 Prozent größere Ram-Air-ÖffnungGeänderte FrontpartieUm zwei Zentimeter höhere VerkleidungsscheibeNeue SpiegelGeändertes CockpitNeue Farben Fahrwerkseinstellungen:Gabel: Federbasis sechs Ringe sichtbar, Druckstufe 1 ¾ Umdrehungen auf, Zugstufe 2 ¾ Umdrehungen auf. Federbein: Federbasis sechs Gewindegänge sichtbar, Druckstufe 2 ¼ Umdrehungen offen, Zugstufe 3 ½ Umdrehungen offenBereifung: Vorn Dunlop D 208 FJ (2,6 bar), hinten Dunlop D 208 J (2,9 bar)Achtung: Kawasaki empfiehlt für die neue ZX-12R eine Heckanhebung mittels Unterlegscheibe um zwei Millimeter (Modell 2001 4,5 Millimeter). Die Distanzscheiben sind beim örtlichen Kawasakihändler vorrätig, die Testmaschine war mit der Anhebung ausgerüstet.

Fazit - Kawasaki ZX-12R

Bei Kawasaki geht’s voran. Brachiale Fahrleistungen, stabiles Fahrwerk, tolle Bremsen: dafür war die ZX-12R bekannt. Dazu gesellt sich nun hinzugewonnene Handlichkeit und Neutralität. Ergebnis: Sie sammelt auf der Straße und im Top-Test-Parcour reichlich Punkte. Am Benzinverbrauch allerdings sollten die Grünen noch arbeiten.

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