Test BMW R 1100 S gegen Honda VTR 1000 F

Vergleichstest BMW R 1100 S gegen Honda VTR 1000 F

»Die R 1100 S ist kein Supersportler«, betont BMW immer wieder. Wir haben verstanden. Und die Honda VTR 1000 F ebenso.

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Ohne BMW zu nahe treten zu wollen: Aber der Hinweis, man möge die R 1100 S nicht als Supersport-Motorrad mißverstehen, wäre nicht zwingend notwendig gewesen. Man muß den neuen Sport-Boxer nur mal von vorn betrachten, ihm in die weit aufgerissenen Augen sehen, dann zeigt er einem schon, daß er heckwärts mit fremden Attributen kokettiert. Den Offenbarungseid leistet er bei der Gewichtskontolle: 246 Kilogramm – das wird in Zweizylinder-Kreisen nicht unbedingt unter der Rubrik magersüchtig eingestuft. Allerdings – und das zur Ehrenrettung – gehen neun Kilo davon aufs Konto des aufpreispflichtigen ABS. Die seitens BMW versprochenen 229 Kilogramm bleiben dennoch Makulatur.

Keine falschen Hoffnungen weckten die Bayern in puncto Leistungszuwachs: 98 PS waren versprochen, 103 erreicht unser Testexemplar. Höchst beachtlich, für einen luftgekühlten Twin. Eine gut im Futter stehende Ducati 900 SS beispielsweise bringt’s gerade mal auf 85 PS. Aber dafür wiegt die knapp einen Zentner weniger.

Zur Standortbestimmung des neuen Boxers ließ MOTORRAD die Honda VTR 1000 F antreten. Warum? Ganz einfach. Genau wie die BMW erhebt sie keine supersportlichen Ansprüche, mißt der Alltagstauglichkeit mehr Wert bei als den Rennstreckenqualitäten. Und außerdem gilt die VTR abseits des abgesperrten Kreisverkehrs nach wie vor als Zweizylinder-Referenz.
Damit sich das jüngste Münchener Kindl vor der Autorität aus Fernost nicht allzu sehr erschreckt, orderten wir den wassergekühlten V2 in gedrosselter Version – mit dem positiven Nebeneffekt, diese nach all den Jahren auch mal kennenzulernen. Bislang testeten wir nämlich nur offene VTR. Doch es soll Leute geben, die mit 98 PS fahren, und denen konnten wir bislang nichts erzählen.

Jetzt wissen wir mehr: Von wegen 98 PS – derer 105 sind es bei der Messung auf dem Bosch-Rollenprüfstand. Und draußen, im echten Leben, lassen sich kaum Unterschiede gegenüber der frei durchatmenden, 111 PS starken Variante ausmachen. Deutliche Kontraste hingegen zwischen dem Honda-V-Motor und dem Quertreiber von BMW. Da prallen zwei völlig unterschiedliche Kulturen aufeinander: bayerische Rauhbeinigkeit hier, asiatisches Streben nach Perfektion dort.

Höchst gepflegt, durch und durch trainiert, zu jeder Zeit leistungsbereit – so agiert das Triebwerk der Honda. Während sich der Boxer schon beim Anlassen erst mal kräftig schüttelt und 5000 Umdrehungen Anlauf braucht, um in den Bereich vorzudringen, der ihm am meisten liegt. Und dort beginnt er dann vor lauter Schaffenskraft heftig zu vibrieren, was sich in einschläfernder Manier an Händen und Füßen bemerkbar macht.
Klar ist: Die R 1100 S ist nichts für empfindliche Gemüter. Klar ist aber auch: Solange sie nicht mindestens drei Ventile von sich wirft, wird der wahre Bayern-Fan lächelnd 21 Riesen und ein paar Zerquetschte über den Tresen schieben, im Bewußtsein, den stärksten Boxer zu erwerben, den BMW je gebaut hat. Und dabei ist es ihm herzlich wurscht, daß dieser an Laufkultur eingebüßt hat, bei konstant niedriger Drehzahl nach wie vor ruckelt und weiterhin die häßlichsten Geräusche beim Schalten von sich gibt. Man hat ihm nie einen Rosengarten versprochen. Er weiß, worauf er sich einläßt. Und so ein geleckter Japaner würde ihn zu Tode langweilen. BMW-Boxer fahren war schon immer anders. Warum sollte sich das plötzlich ändern?
Wer’s nie erlebt hat, kann sich allerdings gar nicht vorstellen, wie anders Boxer fahren ist. Und wer von einer Honda VTR 1000 F in den Sattel einer R 1100 S umsteigt, fragt sich zunächst: Was kann man an einem so riesigen, schweren Klotz nur finden? Da geht doch gar nichts. Was für ein Kampf. Wie soll man mit so einem Ding zügig ums Eck kommen?
Nun – man muß nur Vertrauen fassen, muß sich und die Maschine ein bißchen zwingen. Nicht einfach so draufhocken und hoffen, daß alles von alleine läuft. BMW fahren heißt: Auseinandersetzung mit der Materie. Wer’s begriffen hat, wird immer mehr gefallen daran finden, sich immer kühner in Schräglage werfen. Das überarbeitete Fahrwerk hält’s aus. Bleibt in allen Lagen stabil. Vom Geschaukel der R 1100 RS distanziert sich die S meilenweit. Vom BMW-üblichen Federungskomfort allerdings ebenso. Denkbar straff abgestimmt, gabelt der Telelever so ziemlich jeden Mist auf, und auch von hinten her werden viel zu viele Fahrbahnunebenheiten bei der Besatzung vorstellig.
Eine weitere nicht nur vorteilhafte Eigenart: Selbst wenn die kräftige Doppelscheibenbremse mit äußerster Härte zupackt, zieht die R 1100 S den Kopf kaum ein. Bremsnickausgleich, sagen die Fachleute dazu. Und, daß so etwas prinzipiell gut sei. Im Fall der R 1100 S scheint man jedoch des Guten zu viel getan zu haben. Jedenfalls geht jede Menge Gefühl fürs Vorderrad verloren. Man weiß nie so recht, wann Schluß ist. Wohl denen, die sich für das knapp 2000 Mark teure Antiblockiersystem entschieden haben.
Die Honda geht da einen ganz anderen Weg: Deren Gabel schlägt bei derben Verzögerungsaktionen schlichtweg durch. Auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei. Abgesehen davon aber legt die VTR eine ordentliche Fahrwerksprüfung ab. Kurvenstabilität, Geradeauslaufstabilität, Lenkpräzision und Komfort okay. Bremsen befriedigend. Handling prima.
Sie macht es einem wirklich sehr leicht, die Honda. Mit ihr legt man einen Kurventanz auf den Asphalt, der sich gewaschen hat. So locker, wie sie sich führen läßt. So lässig, wie sie sich von einer Schräglage in die andere wirft. Anders als die BMW vermittelt sie nie das Gefühl, »paß auf, wenn ich ins Trudeln komme, dann ist ganz schön was geboten«. Das liegt zum einen daran, daß die VTR ganze 30 Kilo weniger wiegt, zum anderen an ihrer wesentlich schmaleren Bauweise und nicht zuletzt spielen die ergonomischen Gegebenheiten eine Rolle. Die Sitzposition auf der Honda fällt versammelter aus. Man ist näher am Motorrad dran – führt es nicht unter sich spazieren, wie bei der R 1100 S der Fall. Auf der man irgendwie ziemlich deutsch sitzt. Andererseits bietet die R 1100 S den besseren Langstreckenkomfort.
Und endlich sind wir bei den Themen angelangt, die dem neuen Boxer näher liegen als alles andere: Touring und Alltagstauglichkeit: In diesen Segmenten macht ihm die VTR nichts vor, denn da kennt sich der Bayer besser aus als der Japaner. So trumpft die BMW mit einem wartungsarmen Kardanantrieb auf. Dann gibt’s da ein freundliches Handrd, das die Verstellung der hinteren Federbasis enorm erleichtert. Wie? Ach ja, da gibt’s noch so ein Rädchen, oben, am Tank, das zur Verstellung der Zugstufe vorn dient. Da kann man während der Fahrt schön dran rumspielen – spürbaren Einfluß auf die Dämpfung hat’s nicht.
Selbstverständlich bietet die BMW auch guten Windschutz, einen ausgesucht bequemen Platz für den Sozius sowie nahezu vorbildliche Rückspiegel. Zur Serienausstattung zählen eine Warnblinkanlage und ein geregelter Dreiwege-Kat. Als Sonderausstattung sind Heizgriffe, Koffer, Tourenlenker, Hauptständer und 17 andere Sachen zu haben. Im Zubehörprogramm stehen Sachen wie Moosgummi-Lenkergriffe und elektrische Steckdose. Und bei Honda? Gibt’s gar nichts. Nicht mal einen vernünftigen Rücksitz oder Gepäckhaken. Aber einen Katalysator hat die VTR auch – stimmt. Nur leider keine Einspritzung.
Um die Bayerischen Motorenwerke hier in keinem falschen Licht erscheinen zu lassen: Freilich hat man in München auch an die Kunden gedacht, die den neuen Boxer nicht auf Reiseschiff, sondern auf Sportskanone trimmen wollen. Und denen kann mit dem sogenannten Sportpaket geholfen werden. Drin stecken ein Lenkungsdämpfer – so etwas trägt man heute – und verlängerte Federbeine, die das Fahrwerk vorn um 20, hinten um zehn Millimeter anheben, was die Schräglagenfreiheit von 50 auf 52 Grad erhöhen soll. Außerdem kann man ein 5,5-Zoll-Hinterrad mit 180er Reifen ordern. Ob das jedoch den großen Durchbruch bringt?
Wohl kaum. Ein richtiger Sprinter kann aus dem Sport-Boxer kaum werden. Dazu fehlen ihm einfach die nötigen Gene.

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