Test Suzuki SV 650 S
Blind Date

Standortbestimmung. Die Suzuki SV 650 S trifft sich mit der Honda CB 500 S, der Yamaha YZF 600 R, der Kawasaki ZRX 1100 und ihrer großen Schwester, der TL 1000 S: Rendez vous mit einer Unbekannten.

Kein gewöhnlicher Test sollte es werden, da waren sich alle einig. Weil Suzuki mit der SV Neuland betritt. Ein 650er V2 mit nominell 71 PS, gerade mal 193 Kilogramm schwer, zu einem Preis, der eigentlich keinen Motorradfahrer kalt lassen kann: 11790 Mark. Das ist ein Wort. Oder eine Kampfansage, wie man’s nimmt. Mit wem oder was ist der kleine 90-Grad-Zweizylinder denn nun am ehesten zu vergleichen? Es folgten hitzige Diskussionen. Schließlich einigte man sich auf folgende Auswahl für die SV-Standortbestimmung: die Honda CB 500 S, weil sie in der karg besetzten Klasse »Unter 10000 Mark« seit Jahren den Ton angibt. Die Yamaha YZF 600 R, weil die Thundercat noch immer als eine der alltagstauglichsten 600er Sportmaschinen gehandelt wird. Die Kawasaki ZRX 1100, weil der dicke Reihenvierer mit seinem bulligen Drehmoment für Fahrspaß pur steht. Und schließlich die großes Schwester der SV, die Suzuki TL 1000 S. Ja, genau der großvolumige Zweizylinder, mit dem Suzuki vor gut zwei Jahren den Rest der Welt das Fürchten lehren wollte. Der Rest ist Geschichte.
Rätselraten während der Fahrt nach Frankreich. Steht da hinten im Transporter wirklich der neue Überflieger? Oder entpuppt sich die SV als ein hundsgewöhliches Motorrad, Prädikat »ganz nett«?
Zumindest bei den Zutaten, haben sich die Suzuki-Leute richtig Mühe geben. Das wirkt alles andere als billig. Da wäre beispielsweise dieser schön aufgebaute Gitterrohrrahmen, aus Aluminium versteht sich, genau wie die Schwinge oder die Fußrastenanlage. Oder die Zwei-in-eins-Auspuffanlage, komplett aus Edelstahl gefertigt, deren Schweißnähte aber mitunter etwas dick auftragen. Einen Hauptständer, den sucht man bei der SV leider vergeblich. Wenigstens sind an der Schwinge schon die Gewinde für die Aufnahmen eines Montageständers vorhanden. Ärgerlich: Der Kupplungshebel läßt sich, im Gegensatz zum Bremshebel, nicht einstellen. Und das bei einem Motorrad, das sich wegen seiner vergleichsweise niedrigen Sitzhöhe auch für kleinere Zeitgenossen anbietet. Fröhlicher stimmt da, daß Suzuki bei der Erstbereifung ein glückliches Händchen hatte: Die Metzeler ME Z4 harmonieren prima mit der SV. Für sehr sportive Naturen wurde der noch haftfreudigere Bridgestone BT 56 bereits homologiert.
In Frankreich angekommen, heißt es Platz nehmen – und sich auf Anhieb Zuhause fühlen. Denn die Sitzposition auf der zierlichen Suzuki tendiert zwar in Richtung Sport, ist aber nicht zu extrem und paßt erstaunlicherweise für kleine wie für größere Menschen. Keine Angst vor schmerzenden Handgelenken oder zwickenden Kniekehlen. Auch der Knieschluß am schmalen Tank gelingt tadellos. Lediglich die Sitzbank dürfte vielleicht einen Tick straffer gepolstert sein und zum Soziushöcker hin etwas mehr ansteigen.
Und wie fährt sie sich, die SV? Leicht. Wunderbar leicht und harmonisch. Gibt sich berechenbar und fährt genau dahin, wohin der Fahrer es gern hätte. Sie streßt einen nicht die Bohne. Auch bei höheren Geschwindigkeiten, denn obwohl die Halbschale knapp und flach geschnitten wurde, reicht der Windschutz bis 160 km/h völlig aus. Erst bei schnellerem Tempo hilft auf der SV nur noch eins: Kopf schleunigst Richtung Tank.
Ähnlich souverän zieht sich die SV in Sachen Bremsen aus der Affäre: Die vordere Doppelscheibenanlage agiert nicht zu bissig, mit gut ertastbarem Druckpunkt – und ohne zu schwächeln. Auch hier hat Suzuki nicht gespart, gut so. Die hintere Bremse dagegen geht recht giftig zu Werk. Und das Fahrwerk? Ebenfalls kaum Grund zum Meckern. Die Gabel spricht fein an und bietet ausreichende Dämpfungseigenschaften. Sehr sportliche Zeitgenossen wünschen sich allerdings härtere Federn. Schade eigentlich, daß Suzuki nicht wenigstens der halbverkleideten und teureren S-Variante eine Gabel mit verstellbarer Federbasis spendiert hat. Beim gut funktionierenden Federbein mit progressiver Umlenkung gibt’s so etwas. Sehr hilfreich für den Zweipersonenbetrieb. Für den sich die SV übrigens ganz passabel eignet. Und wenn sich beim fröhlichen Gasaufziehen aus langsamen Kehren ihre Front spürbar aus den Federn hebt? Keine Angst, Unarten wie Lenkerschlangen verkneift sich die Suzuki. Zumindest zeigt das Testexemplar keine Ansätze.
Doch taugt dieses Motorrad nicht nur zum streßfreien Landschaftsbummel, sondern fordert sportliche Einlagen geradezu heraus. Der Hauptgrund: ihr Vierventil-Motor. Zwar klingt der Twin im Stand eher langweilig, unter Last offenbart er jedoch sein wahres Ich. Dann gibt der behende bis in den Begrenzer eilende Triebsatz ein zunehmend beeindruckendes V2-Stakkato von sich. 75 PS meldet der Bosch-Prüfstand und druckt eine überaus ansehnliche Leistungskurve aus. Die sich die piffigen Japaner zunutze machten. Dank dieser homogenen Leistungskurve, die auch nach der Nenndrehzahl nicht in sich zusammenbricht, konnten die Techniker die SV schön kurz übersetzen. Das Resultat: für diese Klasse einmalig gute Durchzugswerte. Die SV kann mit deutlich hubraumstärkenen Twins mithalten. Und zwar ohne daß andauernd wie wild das gut schaltbare Getriebe bemüht werden muß, weil das Leistungsband angenehm weit gespreitzt ist. Was nervt? Das abruppte Lastwechselverhalten im höheren Drehzahlbereich.
Trotz der hervorragenden Meßwerte kam die SV einigen Kollegen etwas müde vor. Der Grund: Beim schnellen Gasaufziehen, etwa ab 6000/min, gönnt sich der mit 39er Gleichdruckvergasern bestückte V2 eine ewig erscheinende Gedenkpause, bis die unterdruckgesteuerten Gasschieber reagieren und den vollen Einlaßquerschnitt freigeben. So bleibt vor allem bei Fahrten mit ständig wechselnden Lastzuständen etwas von der Spritzigkeit und Spontanität des Zweizylinders auf der Strecke. Ein Phänomen, das bei der Ermittlung der Fahrleistungen nicht auftreten kann, weil dort die Gasschieber immer voll geöffnet sind. Ein dickes Plus des V2: Er geht äußerst sparsam mit dem Sprit um und überzeugt mit guten Kaltstartmanieren. Doch reicht das nicht, um guten Gewissens den fehlenden Katalysator unkommentiert zu lassen. Kurz: nicht mehr zeitgemäß.
Und wo steht die SV jetzt, wo soll man sie einordnen? Sicherlich deutlich über der Honda CB 500 S. Kunststück, bei knapp 2000 Mark Preisunterschied. Der muß sich ja irgendwo bemerkbar machen. Aber bei vielen Details gibt sich die Honda dann schon sehr pragmatisch. Kein Motorrad, zu dem man sich abends mit einer Flasche Bier in die Garage setzt, um sich einfach nur an seiner Schönheit zu ergötzen. Fahren, das läßt sich die Honda erwiesenermaßen ganz wunderbar. Schön entspannt.
Klar, in Sachen Fahrleistungen und Fahrwerksqualität gerät die CB gegenüber der SV ins Hintertreffen. Nur wer sich überwindet und die kleine Honda auspreßt wie eine Zitrone (keine Angst, sie macht das klaglos mit), kann der Suzuki einigermaßen folgen. Nur – das ist nicht alles. Verglichen mit der Honda fühlt sich die Suzuki wie ein richtig erwachsenes, viel teureres Motorrad an.
Die Suzuki fordert einen hochwertigeren Spielkameraden, sie soll ihn haben. Die Yamaha YZF 600 R. Sportlich, alltagstauglich, bewährt. Yamaha nennt die Thundercat jetzt »Supersporttourer«, was die Sache ziemlich gut umschreibt. Auch und gerade nach dem Erscheinen der grimmigen R6 hat sie ihre Daseinsberechtigung. Da wäre beispielsweise ihr vorbildlicher Sitzkomfort und die ausladende Verkleidung, die den Thundercat-Fahrer auch über 160 km/h wunderbar vom Winddruck entlastet. Nach wie vor lobenswert: das harmonische Fahrverhalten der Yamaha und ihre Lenkpräzision. Für den Rennbetrieb etwas zu weich geraten, aber wie geschaffen für noch so holperige Landstraßen. Da hat’s die Suzuki schwer. Die Souveränität der YZF strahlt sie nicht aus. Alles an der Yamaha wirkt ein Stück weit ausgereifter. Wertiger. Doch steht die SV diesem gediegenen Sportler näher als der CB.
Fahrwerksseitig zieht das Suzuki-Leichtgewicht nur beim Handling an der etwas ausladenden Yamaha vorbei. Und leistungsmäßig? Da dürfte dem SV-Twin im Vergleich zu dem auf Höchstleistung getrimmten 600er Vierzylinder ziemlich bald die Puste ausgehen. Stimmt auch, wenigstens beim Beschleunigen (siehe Meßwerte Seite 19). In Sachen Durchzug jedoch, eine Übung, die der Thundercat eigentlich sehr gut liegt, stiehlt ihr die SV die Show.
Erscheint ja alles ganz beeindruckend, was hier über die SV geschrieben steht. Aber insgeheim denkt der ein oder andere vielleicht doch, daß er ein richtiges, großes Motorrad braucht, mit richtig Druck und so. Weil diese Suzuki mehr etwas für Frauen und Anfänger ist – was ja auch zutrifft. Nicht umsonst gibt es eine 34-PS-Version (allerdings nicht in Gelb, das verstehe, wer will). Doch aufgepaßt, Chauvies. Selbst wenn Ihr auf einem Hubraumriesen vom Schlage einer Kawasaki ZRX 1100 unterwegs sein solltet: Irgendwann klebt Euch diese lästige, zierliche Maschine am Heck und will sich partout nicht mehr abschütteln lassen. Auf schmalen, verwinkelten Landstraßen zum Beispiel, wo jedes Kilo doppelt zählt und kein Mensch mehr die geballte Kraft eines 100 PS starken Big Bikes nutzen kann. Hier hält die handliche SV locker mit. Auch zum Überholen reicht ihr Druck problemlos aus. Und wenn die Zeichen auf Sturm stehen, sprich, die erste Gerade naht und die ZRX auf Durchzug stellt, was passiert dann? Die Kleine bleibt ewig lange dran.
Na gut, dann bügelt sie eben ein richtig dicker Sport-Twin. Her mit der großen Schwester Suzuki TL 1000 S. Ja, genau, die TL. Nach Anlaufschwierigkeiten – der 1000er 90-Grad-V2 hatte mit diversen Kinderkrankheiten zu kämpfen – nun doch noch zur Reife gelangt: keine Ölverdünnung mehr, Spritverbrauch inzwischen im Griff. Besagte TL maschiert noch immer so urgewaltig los, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Doch will sie von kundiger Hand bewegt werden, sonst fährt sie mit ihrem Reiter, wohin sie will. Problem: Diese überbreiten Reifen und ein schlecht funktionierender Lenkungsdämpfer. In schnellen Kurvenpassagen dampft dieses Geschoß der SV davon. Doch enge Serpentinen liegen der TL nicht. Dort muß der kleinen Schwester das Feld überlassen. Der sie neben den überlegenen Fahrleistungen noch etwas voraus hat: besseres, weil spontaneres Ansprechverhalten, dank elektronischer Saugrohreinspritzung.
Tja, wo steht sie nun, die SV? Auf ihrem ziemlich plump gefertigten Seitenständer, klar. Weil sie ja keinen Hauptständer hat. Aber wenn sie fährt, wo steht sie dann? Ganz klar: nicht etwa nur mittendrin, sondern weit, weit vorn. Wer geglaubt hat, ein günstiges Allround-Motorrad müsse zwangsläufig nach Brot und Butter riechen, sieht sich angenehm enttäuscht. Suzuki ist es gelungen, einen großen Charakter in eine Maschine zu packen, die sich ähnlich leicht fahren läßt wie eine Honda CB 500 S, weniger kostet als jedes sogenannte ausgewachsene Motorrad und nahezu jedes Metier beherrscht. Eine Maschine, auf die man sich mehr oder weniger blind verlassen kann.

Unsere Highlights

Fazit: Suzuki SV 650 S

Das haben wir also unter »neuer Mitte« zu verstehen. Deutlich mehr Motorrad unterm Hintern als bei der Honda CB 500 S. Sauber. Und dank des geringen Gewichts und guten Fahrleistungen hält der kleine Twin problemlos mit stärkeren Maschinen mit. Der V2-Motor der Suzuki SV 650 S überzeugt bis auf sein etwas träges Ansprechverhalten, auch in Sachen Spritverbrauch. Das Fahrwerk punktet mit guter Abstimmung und einer fein dosierbaren Bremsanlage. Suzuki legt die Meßlatte für die Konkurrenz damit ganz schön hoch.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023