Geschlossen und sicher fahren auf Tour, aber bei Schönwetter wahlweise frei und luftig im Urlaubsmodus entspannt dahindümpeln. Multihelme verkaufen sich als wahre Alleskönner - ein zu großes Versprechen?
Geschlossen und sicher fahren auf Tour, aber bei Schönwetter wahlweise frei und luftig im Urlaubsmodus entspannt dahindümpeln. Multihelme verkaufen sich als wahre Alleskönner - ein zu großes Versprechen?
Da waren‘s nur noch sieben… Schon seltsam, dieser Schwund. Im Vorfeld dieses Helmtests war die Zuversicht groß, ein üppig bestücktes Testfeld zusammenzustellen, zumal MOTORRAD bisher diese Helmkategorie noch nicht in Form eines Produkttests behandelt hatte. Doch schon ein erstes Problem bei der Einladung: Wie die Helmkategorie überhaupt betiteln? Modularhelme? Dann wären auch Klapphelme damit gemeint. Hybrid- oder Systemhelme? Mmh. Besser schien der Begriff „Multihelm“, denn die Helme wollen besonders vielseitig auftreten, verkaufen sich im Katalog gerne als „All-in-one“ oder „Verwandlungskünstler“.
Es schien außerdem, dass sich der Markt rege. Der italienische Hersteller Nolan stellte am Jahresanfang der Presse seinen neuen Nolan N44 in Almeria/Spanien vor (MOTORRAD berichtete in Heft 5/2013) - als modernen Nachfolger der Modelle N71 und N43E Air. Weitere Multihelme finden sich bei den hauseigenen Schwestermarken X-lite und Grex. Auch die in Bergamo benachbarten Konkurrenten Airoh und Caberg preisen diverse Alleskönner an. Schaut man bei den großen deutschen Filialisten herein, findet man zumindest bei Polo und Louis entsprechende Hausmarken-Produkte. Summa summarum kommt man auf mindestens 15 Modelle etablierter Helmhersteller, die dem Segment der Multihelme zuzuordnen sind. Da steckt Musik drin. Doch dann: Absagen.
In der Einladung zum Test wurde auf eine Doppelhomologation hingewiesen. Diese erkennt man übrigens direkt am Helm (Zertifizierungshinweis meistens am Kinnriemen aufgenäht): Das Kürzel „P/J“ steht für Integral/Jet. Bei Airoh entschuldigt man sich, dass die Produktion der zwei Multihelme J-105 und J-106 zum Saisonende auslaufe, man aber mit „neuen, frischen Modellen“ komme. Wann? Schwammige Antwort: „bald“. Der weltgrößte Helmhersteller HJC will seinen Helm mit P/J-Homologation nicht an den Start schicken, sagt: „Die Vorteile der Multifunktionalität gehen einher mit konstruktionsbedingten Lösungen, die man an einem Integralhelm in dieser Form nicht findet. Da die physikalischen Anforderungen einer ECE-Prüfung zu einem Zeitpunkt ratifiziert worden sind, als es den Helmtyp noch gar nicht gab, halten wir die Aussagen eines darauf beruhenden Tests für wenig aussagekräftig.“
Die Firma Roleff bewirbt im Online-Shop das Modell Stuttgart Hybrid: „Multitalent, verwendbar als Integralhelm oder Jethelm“. Auf Nachfrage, ob der Helm tatsächlich eine Doppelhomologation besitze, heißt es beim Kundenservice lapidar: „keine Ahnung“. Roleff wies die Einladung zum Test ohne Angabe von Gründen zurück, das spricht nicht gerade für großes Vertrauen ins eigene Produkt.
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PDF: Helme im Visier (MOTORRAD 12/1973)
Offenbar hatte man bei Polo die Einladung nachlässig überflogen und schickte das Modell Nexo Multi Jet ins Rennen, das laut Homologation ein reiner Jethelm ist. Ein Kinnteil besitzt er trotzdem - heikel, denn dieser Helm müsste laut Prüfordnung gerade deswegen mit gut sichtbarem Hinweis als „non protective“ gekennzeichnet sein. Unbestritten bieten Jethelme nicht die Sicherheit von Integralhelmen, die beim Sturz besser vor schlimmen Gesichtsverletzungen schützen. Vollvisierhelme werden deshalb auf dem Prüfstand durch einen Schlag - salopp gesagt - voll auf die Zwölf malträtiert. Jethelme bekommen hingegen nur seitwärts auf die Omme. Einen Abstreiftest müssen beide Typen bestehen, denn ein abgeflogener Helm hilft weder als Jet noch als Integral. Doch zurück zum Kinnschutz: Top-Verzögerungwerte bei Integralhelmen liegen aktuell bei zirka 60 g. Verzögerungswerte ab 150 g gelten schon als hoch kritisch - alle Multis im Test liegen deutlich darüber.
Aber es geht auch darum, nicht mit dem Gesicht voran über den Asphalt zu schleifen - es bedarf nur geringer Fantasie, sich die üblen Folgen auszumalen. In der Unfallrealität entstehen schon bei langsamen Geschwindigkeiten komplizierte Verletzungen, die ein vernünftiges Kinnteil abwenden kann. Was aber ist ein vernünftiges Kinnteil? Zumindest gibt ein geprüftes Teil Gewissheit, dass der Kinnschutz die Verletzungsgefahr womöglich nicht noch erhöht. Beim falsch ausgezeichneten Nexo waren die Stoßdämpfungswerte immerhin nicht deutlich schlechter als das Niveau einiger ordentlich nach ECE-Norm zertifizierter P/J-Helme. Unter Sicherheitsaspekten müsste man also das abnehmbare Kinnteil permanent dranlassen. Stellt sich die Frage: Wann ohne fahren? Auch Klapphelmträger stehen vor derselben Problematik. Wenn sie mit offener Klappe unterwegs sind, ist der Unfallschutz erheblich herabgesetzt, und wohl kein Pilot klappt während des Sturzes das Kinnteil herunter. So gesehen gäbe es für Klapp- und Multihelme keine Daseinsberechtigung. Für Jethelme erst recht nicht.
Dennoch bieten fast alle Hersteller Jethelme an. So auch Shoei, einer der größten japanischen Helmproduzenten. Obwohl Shoei grundsätzlich sehr offen für Innovationen ist, hält sich die Marke zumindest bei der Entwicklung von Multihelmen auffällig zurück: „Gerade das Thema Funktionalität erschien uns bisher in dem einen oder anderen Fall der von uns überprüften Helme als fragwürdig.“ Schaut man sich einige Vertreter der Klasse genauer an, könnte man dieser Einschätzung zustimmen. Es werden Multihelme angeboten, die eigentlich kaum mehr darstellen als technisch in die Jahre gekommene Jethelme, die relativ billig mit Kinnteil aufgerüstet wurden - klick und fertig. Kritisch betrachtet: mehr Marketing als Innovation. Zum Glück gibt es löbliche Ausnahmen im Test: Givi entwickelt schon seit Jahren immer neue Modelle, die Nolangroup hat sich die guten Ergebnisse fleißig durch eigene Labortests und gezielte Produktentwicklung erarbeitet, Caberg muss sich auch nicht verstecken.
Für wen eignen sich die transformierbaren Helme nun aber am besten? Auf jeden Fall für Südeuropa-Reisende. Dort im Sommer bei über 30 Grad im Großstadtgewimmel ist es nicht nur eine Wohltat, möglichst luftig zu fahren, sondern körperliche Überhitzung stellt sogar eine Gefahr für die aktive Sicherheit dar. Der Helm passt außerdem mit abgeklicktem Kinnteil gut ins (Roller-)Helmfach oder in die Koffer. Multis sind auch interessant für Cruiser-Touristen, die wetterfest zum Treffen fahren, aber stilecht mit Jet über den Boulevard gleiten wollen. Es gibt viele Gründe, sich für einen Multihelm zu entscheiden, schade nur, dass die aktuelle Auswahl an empfehlenswerten Modellen so gering ist. Das kann sich ändern, wünschenswert wäre es. Denn auch auf Tour Wahlfreiheit über Jet oder Integral zu haben, ist hoch attraktiv - so oder so.
Caberg Hyper X
Anbieter: Germot, Telefon 0 61 03/ 45 91 00, www.germot.de;
Preis: ab 179,90 Euro (Dekor 239,90 Euro);
Größen: XS bis XL;
Gewicht: 1450 ± 50 g/1540 g (Herstellerangabe/in Größe M gewogen);
Farben: Mattschwarz, Schwarz, Weiß, zwei Dekor-varianten;
Helmschale: Thermoplast;
Verschluß: Ratsche;
Herstellungsland: Italien;
ECE-Prüfzeichen: E 3 (Italien);
Ersatzvisiere: klar, getönte Sonnenblende;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Innenausstattung herausnehmbar, Bluetooth-Vorbereitung
Plus
Liegt auch bei 180 km/h und Schulterblick gut im Fahrtwind, Aerodynamik insgesamt ordentlich; auch als Jet tourentauglich durch tiefgezogenes Visier (guter Wetterschutz), angenehm leise bei Landstraßenfahrt; fein gestufte, siebenfache Visierrastung; Kinnteil vergleichsweise einfach an- und abzukoppeln; als Integralhelm vorteilhaft großes Sichtfeld; gutes Abstreiftest-Ergebnis
Minus
Belüftung an Stirn und Oberkopf kaum spürbar; Sonnenblende stößt je nach Fahrer an die Nase, Bedienungselement an Helmrückseite etwas umständlich zu erreichen; Abstand von Kinnteil zu Kinn grenzwertig nah, bei Stoßdämpfungstest Durchschlag am Kinnteil; Visiermechanik hakig und fummelig; Kunststoffanmutung sehr knarzig
Fazit
Der Hyper X punktet sich fleißig auf den dritten Platz, verpasst aber wegen Schwächen beim Kinnteil nur knapp die Note „gut“. Vielseitig, tourentauglich, ordentliche Qualität.
MOTORRAD-Urteil: befriedigend
Givi HPS X.01
Anbieter: Givi Deutschland, Telefon 09 11/95 51 00, www.givi.de;
Preis: 199 Euro;
Größen: XS bis XL;
Gewicht: 1490 ± 50 g/1590 g (Herstellerangabe/in Größe M gewogen);
Farben: Schwarz, Weiß, drei Dekorvarianten;
Helmschale: Thermoplast;
Verschluß: Ratsche;
Herstellungsland: Italien;
ECE-Prüfzeichen: E 3 (Italien);
Ersatzvisiere: klar, getönte Sonnenblende, Pinlock-Innenscheibe;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Innenausstattung herausnehmbar, Windabweiser, Wechsel-Kinnteil (stärker belüftet), Abdeckungen für Kinnteil
Plus
Gute, zielgerichtete Belüftung; Wechsel-Kinnteil für Sommer- und Wintersaison mit unterschiedlichen Belüftungen; Verarbeitung und Qualität auf gutem Niveau; als Integralhelm sehr leise auf Landstraße und bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit, großes Sichtfeld; Kinnriemen gut positioniert; Sonnenblende etwas dunkel, aber sehr effizient
Minus
Deutliche Passformschwächen, Drücken an Stirn und Hinterkopf, einigen Testern gelang kein Aufsetzen mit montiertem Kinnteil, zu enger Einstieg; Kinnteilverschluss umständlich, nur bei abgezogenem Helm und fummelig zu bedienen; Sonnenblendenbedienung sehr schwergängig; vierfache Visierrastung zu undefiniert
Fazit
Aerodynamisch gibt sich der Givi selbst auf der Autobahn keine Blöße, Verarbeitung und Ausstattung sind auch okay. Was man vom Tragekomfort nicht behaupten kann - kaum vorhanden.
MOTORRAD-Urteil: befriedigend
Nolan N44
Anbieter: Nolangroup Deutschland, Telefon 0 71 59/9 31 60, www.nolangroup.de;
Preis: 289,95 Euro (Dekor und Signalfarben 319,95 Euro);
Größen: XXS bis 3XL;
Gewicht: 1550 ± 50 g/1630 g (Herstellerangabe/in Größe M gewogen);
Farben: Grau, Mattgrau, Mattschwarz, Schwarz, Silber, Weinrot, Weiß, Signalgelb und -orange, drei Dekorvarianten;
Helmschale: Thermoplast;
Verschluß: Ratsche;
Herstellungsland: Italien;
ECE-Prüfzeichen: E 3 (Italien);
Ersatzvisiere: klar, getönte Sonnenblende;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Sonnenschirm abnehmbar, Abdeckungen für Visiermechanik, Innenausstattung herausnehmbar, Windabweiser, Bluetooth-Vorbereitung
Plus
Klasse Visiermechanik; Kinnteil komfortabel auf- und absetzbar; bequeme Passform, hautfreundliches, luftiges Futter; beste Stoßdämpfungswerte im Test, guter Abstreifschutz; Windabweiser wirksam, Akustik und Aerodynamik bis Tempo 130 gut; durch riesengroßes Sichtfeld beeindruckendes Integralhelm-Fahrerlebnis; funktionale, optimal getönte Sonnenblende; super Größenvielfalt
Minus
Als Jet extrem tiefgezogenes Visier mit nur vier Stellungen, halb geöffnet (Stellung zwei und drei) vibriert es in Fahrt und behindert die Sicht; Kinnriemen drückt; hohes Gewicht
Fazit
Für die Champions League müsste er ein wenig abspecken und dürfte gerne etwas leiser sein. Ansonsten ein sehr guter Helm: durchdacht, sicher, variabel - eine super Alternative zu Klapphelmen.
MOTORRAD-Urteil: gut
Nexo Multi Jet
Anbieter: Polo, Telefon 0 21 65/8 44 02 00, www.polo-motorrad.de;
Preis: 99,95 Euro;
Größen: XS bis XL;
Gewicht: 1300 ± 50 g/1440 g (Herstellerangabe/in Größe M gewogen);
Farbe: Schwarz;
Helmschale: Thermoplast;
Verschluß: Ratsche;
Herstellungsland: China;
ECE-Prüfzeichen: E 9 (Spanien);
Ersatzvisiere: klar, getönte Sonnenblende;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Innenausstattung herausnehmbar
Plus
Passform geht in Ordnung, Futterhaptik seidig und angenehm; leichtester Helm im Testfeld (mit Kinnschutz und Visier); Kinnriemen gut positioniert; Kinnteilmontage einfach
Minus
Extrem laut, Pfeifgeräusche ab 60 km/h, bei Landstraßentempo nervig, auf Autobahn fast unerträglich; Aerodynamik mangelhaft, ab 150 km/h verwischt die Sicht durch Zittern und Vibrieren; keine kontrollierte Belüftung, Fahrtwind strömt von überall herein, viel zu luftig, Kopf kühlt bei Außentemperaturen unter 15 Grad schnell aus; Visier beschlägt schnell und großflächig, Visiermechanik billig gemacht; Sonnenblende zu nah an Nase (schlägt je nach Fahrer an) und für Brillenträger mit grenzwertigem Abstand; Kinnteilabstand zu Kinn viel zu gering; Stoßdämpfungswerte mäßig, geringe Sicherheit bei Kinnaufschlag; Verarbeitung mäßig
Fazit
Irreführend: Der Multi Jet ist kein echter Multihelm, dazu fehlt ihm die Zertifizierung. Immerhin sicherer als ein „nackter“ Jet, aber für längere Touren taugt der billig gemachte Helm nicht.
MOTORRAD-Urteil: ausreichend
Probiker Multi-Jet
Anbieter: Louis, Telefon 0 40/73 41 93 60, www.louis.de;
Preis: ab 99,95 Euro (Dekor 109,95 Euro);
Größen: XS bis XL;
Gewicht: 1580 ± 50 g/1530 g (Herstellerangabe/in Größe L -gewogen);
Farben: Mattschwarz, eine Dekorvariante (Schwarz/Anthrazit);
Helmschale: Thermoplast;
Verschluß: Ratsche;
Herstellungsland: Taiwan;
ECE-Prüfzeichen: E 13 (Luxemburg);
Ersatzvisiere: klar, getönte Sonnenblende;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Innenausstattung herausnehmbar, Pinlock-Vorbereitung
Plus
Kinnriemen liegt komfortabel an und drückt nicht, Ratschenverschluss sehr bedienfreundlich; Passform okay; Kinnteilmechanismus einfach und funktionell; Stoßdämpfungswerte auf ordentlichem Niveau, Abstreiftest gut bestanden
Minus
Für längere Landstraßenfahrten bei Temperaturen unter 20 Grad zu luftig, Auskühlungsgefahr, keine gezielte Belüftung; recht laut, für höhere Geschwindigkeiten (über 130 km/h) ungeeignet, eher mäßige Geräuschdämmung; Aerodynamik als Integralhelm bescheiden, kaum Unterschied zu Visier-Jet; Verarbeitung und Ausstattung auf preissegmentadäquatem Niedrigniveau; Sonnenblende klapperig und minderwertig mit wenig überzeugender Mechanik
Fazit
Bei diesem Preis kann man nicht meckern, zumal die Sicherheit nicht zu kurz kommt. Kauftipp? Nun ja. Als Jethelm mit Extraschutz auf jeden Fall, als Integralhelm aber zu laut und zugig.
MOTORRAD-Urteil: befriedigend
Scorpion Exo-300 Air
Anbieter: Scorpion Sports, Telefon 08 00/ 1 83 08 99, www.scorpionsports.eu;
Preis: ab 229,90 Euro (Dekor 249,90 Euro);
Grössen: XS bis XL; Gewicht: 1500 ± 50 g/1620 g (Herstellerangabe/in Größe M gewogen);
Farben: Grau, Mattschwarz, Silber, Schwarz, Signalgelb, Signalrot, Weiß, neun Dekorvarianten;
Helmschale: Thermoplast;
Verschluß: Ratsche;
Herstellungsland: Korea;
ECE-Prüfzeichen: E 11 (Großbritannien);
Ersatzvisiere: klar, dunkel getönt, silbern verspiegelt, golden verspiegelt, dunkel getönte sowie gelb getönte Sonnenblende;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Innenausstattung herausnehmbar, Windabweiser, Wangenpolster aufpumpbar
Plus
Angenehme Passform, Kinnriemen mit bequemem Sitz; einfacher Visierwechsel, Sonnenblendenbedienung auch in Fahrt komfortabel; Belüftungsknöpfe gut zu erreichen
Minus
Visierbelüftung (lackiertes Plastikteil) bei geöffnetem Visier stets äußerst störend im Sichtfeld; ab 80 km/h zieht es bei Integralhelmfunktion, als Jet mit punktueller Zugluft (geringe Tourentauglichkeit); schon bei Landstraßentempo relativ laut; Sonnenblende mit irritierendem Graustich; Kinnteil-Mechanismus nach kurzem Gebrauch defekt; hohes Gewicht; schlechter Abstreifwert
Fazit
Übergewichtig und relativ laut, außerdem bestand er den Abstreiftest als einziger Multihelm nicht. Schade, denn solide Verarbeitung und gute Auswahl bei Farben und Dekoren machen an.
MOTORRAD-Urteil: befriedigend
X-Lite X-402 GT
Anbieter: Nolangroup Deutschland, Telefon 0 71 59/9 31 60, www.nolangroup.de;
Preis: 419,50 Euro (Dekor ab 469,50 Euro);
Größen: XS bis XXL;
Gewicht: 1580 ± 50 g/1630 g (Herstellerangabe/in Größe M gewogen);
Farben: Mattschwarz, Schwarz, Silber, Weiß, drei Dekorvarianten;
Helmschale: Duroplast;
Verschluß: Doppel-D;
Herstellungsland: Italien;
ECE-Prüfzeichen: E 3 (Italien);
Ersatzvisiere: klar, getönte Sonnenblende;
Ausstattung: integrierte Sonnenblende, Innenausstattung herausnehmbar, Windabweiser, Pinlock-Innenscheibe, Bluetooth-Vorbereitung
Plus
Auch bei einem Autobahntempo bis 180 km/h souverän bei Akustik und Aerodynamik, auf gutem Niveau von Touren-Integralhelmen; -beste Passform im Testfeld, voll brillentauglich, hoher Tragekomfort, gut ausbalanciert; sechsfache Visierrastung gut definiert; Kinnteil leicht (de)montierbar; fest verschließbarer Doppel-D-Verschluss und bequem gepolsterter Kinnriemen
Minus
Bei Abstreif- und Stoßdämpfungstest nur Mittelmaß, bei Kinnteilaufschlag vergleichsweise hoher Wert; Visier- und Pinlock-Unterkante bei halb geöffnetem Visier im Sichtfeld; im „Jet-Betrieb“ erzeugt Visierabrisskante störende Windgeräusche; hohes Gewicht
Fazit
Bei den Fahrtests überzeugte der leise und spitzenmäßig knackig sitzende, aber teure X-lite komplett. Das bescheidene Ergebnis bei der Stoßdämpfungsprüfung kostete wertvolle Punkte.
MOTORRAD-Urteil: gut
Die noch sehr überschaubare Liga der Multihelme ist auffällig heterogen. Vor allem was die Preise angeht. Wer nur einen Jethelm- mit optionalem Kinnschutz sucht, kommt wohl auch mit den 100-Euro-Billigheimern zurecht. Für einen wirklich sicheren und vielseitigen Vollwert-Multi als gute Alternative zum Klapphelm muss man deutlich mehr Geld anlegen. Für einen modernen Vertreter wie den Nolan N44 lohnt die Ausgabe - hier liegt momentan die Messlatte.
Es hat etwas von einer Guillotine, wenn der Helm heruntersaust. Oder von Hau-den-Lukas, nur andersherum. Der Fallprüfstand ist das Kernstück des Helmtestlabors beim TÜV Rheinland (www.tuv.com). Dort werden unter anderem Baumuster von Helmherstellern für die spätere Serienfertigung nach der verbindlichen aktuellen ECE-Prüfnorm R 22.05 homologiert. Nach einem Aufschlag aus sprungturmhoher Fallhöhe ist der Helm reif für die Mülltonne, -immerhin wirken enorm starke Kräfte ein, wenn die Kopfbedeckung auf den stählernen Amboss trifft.
Erlaubt ist ein Verzögerungswert von 275 g, aus dem g-Wert und weiteren Parametern wie der Dauer der Krafteinwirkung errechnet sich das sogenannte Head Injury Criterion (HIC-Wert). Dieses gibt Aufschluss über mögliche Schädel-Hirn-Verletzungen, auch wenn die Laboraussagen etwas abstrakt zu deuten sind. Schließlich verläuft jeder Motorradsturz anders, und jeder Fahrer ist biomechanisch unterschiedlich konstituiert. Für alle Helme, die nach der ECE-Norm getestet werden, gilt ein HIC-Grenzwert von 2400, dabei treten jedoch Kräfte auf, die wohl kein Mensch überleben würde.
Dementsprechend bedeutet es keineswegs, dass ein Helm mit ECE-Prüfzeichen eine immer und überall sichere Bank ist. Das deshalb vor drei Jahren vom TÜV-Helmexperten Peter Schaudt, dem Biomechaniker und Unfallforscher Florian Schueler sowie den Helmtestern von MOTORRAD neu entwickelte Testprogramm soll bessere Erkenntnisse zum Kopfschutz liefern. Der Helm unterliegt dem auch für die ECE-Prüfung obligatorischen Abstreiftest und fällt ebenfalls aus drei Metern Höhe auf einen Amboss, aber nicht auf den für die übliche ECE-Prüfung vorgesehenen Kanten-Prüfamboss, sondern auf einen Sigmapfosten, der im normalen Leben Leitplanken trägt. Genau an solchen Pfosten entstünden auf der Landstraße draußen die schlimmsten Unfallfolgen, weiß Analytiker Florian Schueler aus seiner Forschungspraxis zu berichten.
Außerdem werden - anders als bei der ECE-Prüfung - die Helme nicht bei minus 20 Grad vorkonditioniert, sondern bei Raumtemperatur. Sie schlagen entsprechend in weicherem Materialzustand auf. Der Aufprall auf die linke und rechte Helmseite erfolgt zudem mit zwei Geschwindigkeiten (7,5 bzw. 5,5 m/s), um zu prüfen, wie sich das dämpfende Material jeweils verhält. In der Realität prallen die Fahrer auch nicht immer gleich schnell auf ein Hindernis - die Wirkung kann also sehr unterschiedlich sein. Aus den gemittelten Werten ergibt sich der MOTORRAD-HIC-Wert. Liegt dieser um 1000 oder darunter, geht die Expertenmannschaft davon aus, dass der Helm einen deutlich besseren Unfallschutz bietet als ein nur nach ECE-Norm geprüftes Produkt. Anmerkungen: Die Multihelme wurden beim Abstreiftest als Jets getestet. Und die Kinnteile bzw. deren Verschlussmechanik nach der Stoßdämpfungsprüfung daraufhin gecheckt, ob sie sich nach dem Aufprall noch öffnen ließen (wichtig für Ersthelfer bei einem Unfall). Zum Glück: alles paletti.
Wichtigstes Kriterium bei Helmen: die Sicherheit, na logisch. Was passive Sicherheit angeht, so ist das Prüflabor, in diesem Fall das des TÜV Rheinland (siehe Seite 76), die richtige Adresse. Und wenn die aktive Sicherheit geprüft werden soll? Am besten auf Tour gehen. MOTORRAD nahm die sieben Testkandidaten mit nach Südfrankreich, um sie ausgiebig über provenzalische Land- und Schnellstraßen zu scheuchen. Stören in Fahrt punktuelle Druckstellen, zieht es irgendwo unangenehm, ist das Sichtfeld eingeschränkt? Alle Fahrtests wurden auf einer definierten Testrunde durchgeführt - ein Teil davon diente als Prüfung für die Integralhelm-Eigenschaften.
Der andere Teil der Testfahrten führte bei viel Sonne und frühlingshaften Außentemperaturen um 16 Grad Celsius nach Abkoppeln des Kinnteils im „Jethelm-Modus“ unter anderem durch Ortschaften und über kurvenreiche Passstraßen, um dort Unterschiede beim akustischen und aerodynamischen Verhalten feststellen zu können. Schwächen und Stärken bei Tragekomfort und Wetterschutz kristallisierten sich beim Touring ebenfalls schnell heraus. Zurück auf deutschen Autobahnen erprobten die Tester auf Naked Bikes mit Geschwindigkeiten von bis zu 180 km/h das Highspeed-Verhalten der Helme. Gleichzeitig eine gute Möglichkeit, die Wirksamkeit der Helmbelüftungen und deren Bedienung zu checken. In der Redaktion überprüften mehrere Kollegen mit unterschiedlichen Kopfgrößen und formen die Passform. Bei diesem Trockentest bot sich gleichzeitig ein Blick auf die Verarbeitungsqualität und Ausstattung an.