Fahrbericht Energica Eva Ribelle RS
Ein Zisch und du bist weg

MOTORRAD durfte den neuen EMCE-Motor von Energica schon fahren. 10 Kilo leichter, 25 PS stärker. Elektrisch fahren war noch nie so eindrucksvoll.

Fahrbericht Energica Ribelle RS EMCE 2021
Foto: Markus Jahn
In diesem Artikel:
  • Bremsen schiebt
  • Gas schiebt auch
  • Neuer Motor
  • Überraschend schnell
  • Energica macht es selbst
  • Fazit

Die nächste enge Rechts schmiegt sich um den felsigen Hang, doch Alessandro Brannetti lässt das Gas stehen. Im Sinne der Rekuperation, der Energierückgewinnung, ist das ein Frevel. Aber für den Fahrspaß eben das genaue Gegenteil. Der Bursche kennt nicht nur jeden Zentimeter dieser Straße, er weiß auch, wie man reinhält – das hat er schon im 125er- und 250er-Grand-Prix gezeigt. Punktgenau dreht er die Brause zu. Ich versuche hartnäckig an Energicas Testfahrer dranzubleiben: Diese Kurveneingänge – zumal nicht einsehbar – haben es in sich.

Motorrad-Neuheiten

Bremsen schiebt

Wer nämlich spät bremst und damit das angewählte Bremsmoment des Motors nur minimal nutzt, spürt den mächtigen Schub der gut 260 Kilo schweren Eva Ribelle RS. Selbst der bremsfaule rechte Fuß wird aktiv, um nicht am Scheitel auf der Gegenfahrbahn zu landen. Gott sei Dank muss man sich keine Gedanken zum passenden Gang machen, sondern kann sich voll und ganz auf Brems- und Einlenkpunkt konzentrieren. Die RS ist das Flaggschiff des Energica-Straßenprogramms, hat eine hochwertige Marzocchi-Gabel und top Brembo-Stopper. Damit bekommt man den Kurveneingang gebacken. Erstaunlich gut lässt sich das Bike auf den leichten Schmiederädern einlenken und völlig neutral mit degressivem Bremseinsatz in Schräglage zum Scheitel hin verzögern. Das Gewicht der Rebellin, wie die Übersetzung lautet, wird immer unwichtiger.

Gas schiebt auch

Und dann kommt der Moment, an dem wir im Perlenkettenflug das Gas, den E-Griff, den Energiezufuhrregler oder wie man auch sagen soll, wieder aufdrehen. Dieses Gefühl ist die ganze harte Arbeit vor jeder Kurve wert. Wie mit dem Katapult abgefeuert geht es aus dem Bogen. Völlig linear, ohne Verzögerung, ohne jeden Ruck, ohne Kraftschlussunterbrechung, die auch der beste Schaltautomat am tollsten Superbike nicht zu verhindern weiß. Weit über 200 Nm pushen dich augenblicklich vorwärts – einfach irre.

Neuer Motor

Energica hat den Antriebsstrang jetzt kräftig überarbeitet. MOTORRAD durfte diesen schon exklusiv testen. Neben der Steuereinheit, die alles regelt und die das Team um den technischen Direktor Giampiero Testoni sagenhaft fein entwickelt hat, besitzen die Ribelle, die touringhafte Esse Esse und der Supersportler Ego nun einen neuen Motor, der deutlich leichter und wesentlich kleiner baut als der Vorgänger. Und er kann auch noch mehr. Die beweglichen und festen Teile, Rotor und Stator, wurden laut Testoni in der gemein-samen Entwicklung mit dem italienischen Spezialisten Mavel so deutlich verbessert, dass der Energieverlust noch einmal verringert und die Performance entsprechend verbessert wurde. Dazu gehört auch ein ausgeklügeltes Flüssigkühlungssystem, das den Inverter einschließt, wodurch mehr Energie unkritisch eingesetzt werden kann. Fast 170 PS Spitzenleistung erreicht der EMCE getaufte Antrieb bei 8500 Umdrehungen wohl jetzt. Gleichzeitig wurde das Bike dadurch gute zehn Kilo leichter (noch einmal ein paar Kilo sparen die neuen Schmiederäder), was am Ende auch die Reichweite um bis zu zehn Prozent steigern soll. Das ist abhängig vom Fahrstil. Und das, was wir gerade auf den Apenninen-Ausläufern unweit vom Energica-Werk in Modena treiben, wird kaum für hohe Reichweite sorgen. Aber es macht einfach zu viel Spaß, um sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Alessandro hat das auch sicher auf dem Schirm, und noch zeigt das Display gut 63 Prozent Energie. Schmunzeln muss ich jedes Mal beim Blick in das recht kleine Dashboard, denn unser angewählter Sport-Modus, der diese irre Beschleunigung serviert, wird durch die Streckenskizze der Mugello-Rennstrecke angezeigt.

Überraschend schnell

Verdutzt stelle ich aber auch jedes Mal fest, dass wir uns meist jenseits der 120 km/h bewegen und dafür kaum ein Gefühl aufbauen. Kein Wunder, denn es fehlen diese gewohnten Lebenszeichen eines Verbrennermotors, die dich ständig daran erinnern, was an mechanischer Arbeit nötig ist, um 100 km/h und mehr zu erreichen. Hier macht es jetzt lediglich zisch, dann heult es – und ab geht die Post!

Energica macht es selbst

Nach unserer Rückkehr will Testoni alles genau wissen, und ich muss ihm ein großes Kompliment machen. Die Fahrdynamik stimmt nicht nur beim Antriebsstrang, auch das Chassis ist vorzüglich. Wie schafft man das mit einer derart schweren Batterie? "Wir beginnen die Konstruktion mit und nicht um die Batterie", erklärt der smarte Ingenieur. Deshalb baut Energica die Batterie komplett selbst, passt sie optimal ins Chassis ein und erreicht so diese tolle Fahrdynamik. Wenn sie nur noch leichter wäre. "Verglichen mit dem Verbrenner sind wir noch in den 1940er-Jahren, da war dessen Entwicklung rasant – wie bei uns. Da kommt noch ganz viel."

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Fazit

Der neue Antriebsstrang von Energica ist ein spürbarer Schritt vorwärts; aktuell einzigartig, was E-Motorräder angeht. Die pure Performance stellt jeden Verbrenner in den Schatten. Die Ressentiments um Gewicht und Reichweite bleiben, aber die Entwicklung geht rasant weiter. Und Energica ist ganz vorn dabei.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023