Fangen wir mit dem Groben an – und stellen der BMW R 12 G/S eine ganz und gar nicht grobe Retro-Enduro gegenüber: die Ducati DesertX , 2022 vorgestellt und seither unverändert im Programm. Unverkennbar zitiert sie den legendären Cagiva-Wüstenrenner Elefant 900, übersetzt dessen puristisch-funktionale Rally-Ästhetik mit klarer, moderner Linienführung gekonnt ins Hier und Jetzt. Fast schon futuristisch wirkt die Ducati – ganz im Gegensatz zur neuen G/S, die ihren 80er-Jahre-Charme eher klassisch zur Schau stellt.
Retro-Enduros von BMW und Ducati – die Fahrwerke
Weil Ducati allerdings kein Testmotorrad zur Verfügung hatte, half uns Motorradhandel März mit einem Vorführfahrzeug aus – dafür ein dickes Dankeschön. Abseits befestigter Wege geht es allerdings weniger um Form als um Funktion, etwa beim Fahrwerk. Während Ducati auf japanisches Offroad-Know-how von Kayaba setzt, liefert Marzocchi die 45er-Upside-down-Gabel und das Federbein für die R 12 G/S. Zwar bietet die Duc mit 230/220 Millimeter Federweg (vorn/hinten) und 250 Millimeter Bodenfreiheit nominell die üppigeren Reserven, in der Praxis fühlt sich die G/S mit 210/200 Millimeter und nur einem Zentimeter weniger Luft unterm Motorschutz aber kaum schlechter gewappnet an.
Beide Fahrwerke verfügen über eine vergleichsweise straffe Grundabstimmung und sind an Front wie Heck voll einstellbar. Die Gabel der Ducati spricht dabei eine Spur sanfter an, dafür glättet die Paralever-Aufhängung am Heck der BMW eine Idee feinfühliger. Relevanter ist jedoch: Harte Schläge und tiefe Furchen schnupfen beide Enduros gelassen weg, selbst kleinere Flugeinlagen sind ohne Durchschlag machbar.
Retro-Enduros von BMW und Ducati – die Motoren
Größer sind die Differenzen im Maschinenraum. Der wassergekühlte 937-Kubik-L-Twin der DesertX hängt spontan am Gas und marschiert feurig, läuft allerdings erst ab rund 4.000 Touren so richtig geschmeidig, was durch die kurz übersetzten ersten beiden Gänge geschickt kaschiert wird. Trotzdem gibt sich der luft-/ölgekühlte 1200er-Boxer gerade bei engen und langsamen Passagen benutzerfreundlicher. Das liegt nicht nur am tiefen Schwerpunkt, der der Fahrstabilität zuträglich ist, sondern auch an seiner Gutmütigkeit: Leicht kontrollierbar und mit sanfter Gasannahme tritt die G/S quasi ab Standgas an – eine Eigenschaft, die Offroad-Neulingen entgegenkommt, ohne Könner zu langweilen.
Gelungene Abstimmung – auch fürs Gelände
Beiden Enduros lässt sich eine gelungen abgestimmte Regelelektronik bescheinigen, die spürbar, aber nicht zu invasiv ins Geschehen eingreift. Trotz der milderen Serienpneus wirkt die DesertX insgesamt kompromissloser und dürfte mit ihrer fahraktiveren Stehposition und besserem Vorderrad-Feedback vor allem ambitionierten Enduristen zusagen. Die G/S hingegen markiert ganz den unkomplizierten, souveränen Kletterkumpel.
BMW R 12 G/S – die Top-Neuheit 2025
Kaum eine andere 2025er-Neuheit zieht derzeit in freier Wildbahn mehr Aufmerksamkeit auf sich als die BMW R 12 G/S. Der Look sitzt, das Retro-Zitat ist stimmig, die Umsetzung hochwertig und konsequent. BMW schlägt mit der "Heritage"-G/S bewusst einen neuen Weg ein – weg von der funktionalen Reiseenduro, hin zum stilbewussten Solisten. Und obwohl sich über den Begriff "Reise" bei ihr durchaus streiten lässt, ist sie technisch auf der Höhe der Zeit. LED-Kurvenlicht, "Keyless Ride", schräglagensensible Regelsysteme und ein exzellenter Schaltassistent zählen mittlerweile zum guten Ton, zumal in der "Premium"-Preisklasse.
Sonderausstattung – mehr oder weniger nützlich
Weniger verständlich ist hingegen, dass die im optionalen Navigationsgerät der BMW R 12 G/S für 710 Euro integrierte Restreichweiten-Anzeige auch bei fast leerem Tank noch konstant 225 Kilometer verspricht. Besonders, da die BMW auch sonst nirgendwo den Füllstand anzeigt. Für ambitionierte Enduristen lohnt sich das Enduro-Pro-Paket: Grobstoller, 18-Zoll-Hinterrad, breitere Rasten und erweiterter Offroad-Fahrmodus sorgen für großartige Steh-Ergonomie und Performance auf losem Untergrund. Voraussetzung dafür, dass das Arrangement größeren Fahrern auch sitzend passt, ist allerdings die um 20 Millimeter erhöhte Rally-Sitzbank für 230 Euro.
Kette oder Kardan als Verschleißteil
Kritisch sehen viele BMW R 12 G/S-Interessenten das 40.000-Kilometer-Wartungsintervall des eigentlich robusten Kardanantriebs. Offiziell begründet BMW die Maßnahme mit der erhöhten Belastung im Gelände – ein kostspieliger Eingriff, der für Diskussionen sorgt. Auch dass die neue G/S in Grundausstattung nur als Einsitzer ausgeliefert wird, wirkt wenig kundenfreundlich. Wer zu zweit fahren möchte, muss für 205 Euro das Soziuspaket mit Sitzbank, Halteriemen und Fußrasten separat bestellen.
Ducati DesertX – die kompromisslose Allround-Enduro
Dagegen liefert die Ducati DesertX eine bemerkenswert runde Performance ab. Sie kombiniert messerscharfes Fahrverhalten auf der Straße mit gutem Restkomfort und ernst zu nehmender Geländetauglichkeit. Und nicht vergessen: Wem diese Vorstellung nicht reicht, der kann zur Rally-Version mit Closed-Cartridge-Gabel, Öhlins-Dämpfer und Carbonteilen greifen. Die kostspielige Zubehörliste umfasst sinnvolle Touren-Extras wie einen hohen Windschild, robuste Alu-Koffer und einen 8-Liter-Zusatztank, der die schon serienmäßig enorme Reichweite – über 400 Kilometer – nochmals deutlich erweitert. Wer weder bei Dynamik noch Styling noch Vielseitigkeit kompromissbereit ist, findet in der DesertX den passenden "Blast from the past".
BMW R 12 G/S (Enduro) (2025) | Ducati DesertX (2025) | |
Motor | 2, Boxermotor | 2, V-Motor |
Leistung | 80,0 kW / 108,0 PS bei 7.000 U/min | 83,0 kW / 113,0 PS bei 9.250 U/min |
Hubraum | 1170 cm³ | 937 cm³ |
Sitzhöhe | 860 mm | 875 mm |
Grundpreis | 16.990 € | 17.090 € |