Anfangs litt der ersten Seriencrosser mit Einspritzung an Atembeschwerden. Doch nun kann man es mit der Cannondale MX 400 richtig spritzen lassen.
Anfangs litt der ersten Seriencrosser mit Einspritzung an Atembeschwerden. Doch nun kann man es mit der Cannondale MX 400 richtig spritzen lassen.
Selbstbewusst sind die Amis bekanntermaßen. Und mutig: Statt wie allgemein üblich den Journalisten taufrisches Material zu präsentieren, stellt Cannondale für die Probefahrten zwei ziemlich heruntergenudelte Dauertestmaschinen zur Verfügung. Verrostete Schrauben, geschweißte Risse am Motorgehäuse und verkratztes Plastik, den Versuchsträgern ist der harte Testalltag des vergangenen Winters an allen Ecken und Enden deutlich anzusehen. Getestet wird bei Cannondale ausgiebig (siehe Kasten auf Seite 38/39). Anlass dazu gibts ja auch reichlich, denn der Viertakt-Crosser ist gespickt mit innovativen Lösungen (siehe Technik-Report in MOTORRAD 7/1999). Angefangen vom umgedrehten Zylinderkopf mit Ansaugweg durch den Steuerkopf über die Einspritzung mit modernem Motormanagment bis hin zum einteiligen Tunnelgehäuse des Motors, in das die geschmiedete Kurbelwelle ebenso wie das Kassettengetriebe von der Seite eingesetzt wird.
Aber die ungewöhnliche Bauweise bereitete Sorgen. Als die ersten Vorserienmaschinen der US-Presse im Sommer letzten Jahres vorgestellt wurden, hagelte es Kritik. Zu hohes Gewicht, mäßiges Fahrwerk, heikle Einspritzung. Die Abstimmung des Motors schien vermurkst, was die Testfahrer auf die unkonventionellen Atemwege zurückführten: Der Einlasskanal am Steuerkopf erschien den US-Kollegen zu eng, der Auspuff zu kurz. Kurzum, ein Riesendesaster, im Werk wurde schon der spontane Rückzug aus dem Cross-Geschäft diskutiert, um stattdessen das überaus erfolgreiche Quad - übrigens mit gleichem Motor - zu forcieren. Schließlich werden in den USA jährlich mehr als eine halbe Million Quads abgesetzt.
Nun geht´s aber doch mit dem Zweirad weiter, viele Kritikpunkte der ersten Serie sind bereits behoben. Den europäischen Testern stand neben dem roten MX 400-Crosser die gelbe XC 400 zur Verfügung, die Cross-Country-Version mit anderem Auspuff, Seitenständer und etwas sanfterer Motorcharakteristik. Beide, wie erwähnt, ziemlich heruntergekommen, aber technisch angeblich auf dem neuesten Stand. Jedoch nicht topfit, vor der ersten Probefahrt waren umfangreiche Einstellungsarbeiten am Fahrwerk nötig. Nicht einmal frische Batterien hatten die Amis den geplagten Testträgern spendiert, bei der XC verweigerte der E-Starter bereits nach wenigen Umdrehungen den Dienst. Ein Starthilfekabel beendete die Energiekrise.
Der Verzicht auf den Kickstarter ist sicherlich konsequent und zukunftsweisend, KTM wagt ihn sogar bei den diesjährigen GP-Maschinen von Joel Smets. Ein unsicheres Gefühl bleibt bei den Cannondale jedoch. Zwar sprangen die Hightech-Crosser warm stets an, der Starter dreht den Motor aber nur so gerade eben durch. Ein Millimeter Gas, und schon würgt die komprimierte Luft den Anlasser ab. Ob das auf Dauer unter allen Bedingungen funktioniert? Ein Überbrückungskabel wird bei skeptischen Cannondale-Kunden wohl auf der Einkaufsliste stehen.
Bereits bei den ersten Gasstößen fällt auf: Der Sound ist typisch amerikanisch, nämlich brüllend laut. Ein leiserer Dämpfer, der auf dem Prüfstand sogar deutlich mehr Leistung brachte, ist bereits in Arbeit. Der erste Spurt raus zur Crosspiste bringt weitere Erkenntnisse: Der Motor läuft butterweich fast vibrationsfrei und hängt direkt am federleicht drehbaren Gasgriff. Der Verdacht, dass der jüngst auf 432 cm³ vergrößerte Motor wegen des kurzen und offenen Auspuffs hart und hakig agiert, bestätigt sich nicht. Im Gegenteil, er lässt sich sanft und sauber dosieren, vielleicht gerade wegen der Einspritzung. Nur beim trialmäßigen Fahren in winkligen Waldpassagen mit der XC bleibt der Motor manchmal schlagartig stehen. Laut Cannondale einzig eine Folge geringer Schwungmasse - auch hier sei Abhilfe bereits geplant.
Bei crossgemäßer Fortbewegung fällt das nicht auf, da begeistert der lineare, jederzeit berechenbare Leistungsanstieg. Der MX-Motor legt ähnlich wie eine 1998er-YZ 400 F gleichmäßig zu, aber mit mehr Punch von unten heraus. Und ganz anders als die aktuelle 426 mit dem brutaleren Einsatz im mittleren Bereich und dem blitzartigen Drehzahlanstieg, der mehr Konzentration und Kondition verlangt. Zur YZ fehlt es jedoch spürbar an Spitzenleistung, zur 520er KTM erst recht. Knapp unter 50 PS dürfte die MX 400 derzeit leisten. Das Drehzahllimit liegt mit knapp über 12000 Umdrehungen extrem hoch, die Cannondale röhrt eher wie ein Formel-1 als ein Ami-V 8. Zahmer und noch gutmütiger wirkt die 1000 Umdrehungen niedriger begrenzte XC-Version.
Das Fahrwerk gibt mehr Rätsel auf. Im Stand wirkt die Hinterradfederung mit dem direkt angelenkten Öhlins-PSD-Dämpfer seltsam. Das Niveau lässt sich kaum einstellen, das Motorrad bleibt mal ganz ausgefedert hängen, dann wieder sackt es fünf Zentimeter durch. Als ob irgendetwas klemmen würde. Ein aus der Fabrik herbeigeschaffter, neuer Dämpfer bringt kaum Besserung, ein mehrmaliger Austausch der ziemlich straffen Serienfeder ändert auch wenig. Immer noch wirkt die Federung im oberen Bereich hart, auf der Strecke schlägt sie trotzdem gelegentlich durch. Fehlt es da an Progression oder Druckstufendämpfung? Auf dem weichen Wiesenparcours lässt sich das Problem nicht eindeutig lokalisieren. Hier arbeitet die Hinterhand ganz passabel, bietet auf den weichen Wellen sogar jede Menge Traktion. An der tadellosen Funktion der Öhlins-Gabel bestehen dagegen keine Zweifel. Die Abstimmung passt, die Gabel spricht weich an und arbeitet auch bei gröberer Beanspruchung gut.
Während die Federung nicht endgültig beurteilt werden kann, kommt auf dem engen, rutschigen Enduroparcours das fantastische Handling deutlich zum Tragen. Der Amicrosser biegt wie ein Mountainbike in die Kurven ein und bäumt sich im Scheitelpunkt auch unter Vollgas nicht auf, sondern folgt präzise den Lenkbefehlen. Wer so früh ans Gas geht, kann ein kleines Leistungshandicap auf den Geraden locker überspielen. Ausschlaggebend für das exzellente Handling ist sicher die kompakte Bauweise und die Konzentration des Gewichts um den Schwerpunkt, möglicherweise auch die große Ausgleichswelle, die einen Teil der Kreiselkräfte der Kurbelwelle eliminiert. Entscheidenden Anteil am neutralen Kurvenverhalten hat die flache, funktionelle Tank-Sitzbankkombination. Automatisch rutscht man in Kurven nah an den Lenker ran, so lässt sich Druck aufs Vorderrad bringen.
Das Gewicht spielt dabei offensichtlich keine Rolle. Denn leicht ist die Cannondale nicht gerade: 117 Kilogramm mit Öl, ohne Benzin - im Werk auf einer geeichten Waage klammheimlich nachgewogen. Zwar kann sie den E-Starter in die Waagschale werfen, das zählt aber auf der Piste nicht, dort muss sie sich mit Maschinen messen, die sechs bis zehn Kilogramm leichter sind.
Vielleicht lässt sich ja bei den Anbauteilen etwas einsparen. Kotflügel und Seitenteile sind aus einem weichen, dicken Kunststoff, trotzdem unangenehm scharfkantig und labil. Verbesserungsbedürftig ist zudem der tief angebaute und breite Kühler, schon ein harmloser Ausrutscher ruiniert ihn. Auch zieht er den Schlamm magisch an, da er unterhalb des Kotflügels sitzt. Unnötig ausladend sind außerdem die seltsam geformten Unterzüge. Kritikpunkte wie ein etwas langer Schalthebel, ein schlecht erreichbares Bremspedal oder ein weicher Sitzbank-Schaumstoff lassen sich leicht korrigieren. All das notieren die Konstrukteure eifrig in ihren Notizbüchern. Wenn das Motorrad zum nächsten Frühjahr nach Europa kommt, wird sicherlich vieles anders aussehen.
Um Räder dreht sich bei Cannondale alles, bis vor einigen Jahren allerdings nur um Fahrräder. Was treibt einen weltweit erfolgreichen Fahrradhersteller dazu, Motorräder zu bauen? Ganz nüchterne wirtschaftliche Erwägungen. Das Ende des Mountainbike-Booms kündigte sich bereits Anfang der neunziger Jahre an. Als Aktiengesellschaft, die dem Wachstum verpflichtet ist, musste Cannondale sich zwangsläufig nach neuen Betätigungsfeldern umschauen. Zwei Stärken hatten die Verantwortlichen, allen voran Firmenboss Joe Montgomery, focussiert: die Verarbeitung hochwertiger Materialien, etwa Aluminium-Legierungen, und die Erfahrung im Umgang mit Federungs-/Dämpfungselementen, denn Cannondale war Pionier bei vollgefederten Mountainbikes. Diese Felder sollten die Grundlage des Motorradprojekts bilden, weitere Komponenten für einen konkurrenzfähigen Viertakt-Crosser wie der Motor zugekauft werden. Aber schon nach wenigen Testfahrten zerschlugen sich Ende 1997 die Hoffnungen, auf den schwedischen Folan-Einzylinder - eine eher konventionelle Weiterentwicklung des Husaberg-Motors mit dohc-Kopf - zurückgreifen zu können. Blieb als einzige Lösung ein eigener Motor. Hastig wurden europäische und amerikanische Spezialisten angeheuert und am Standort Bedford/Pennsylvania ein weiteres Werk gebaut, in dem heute die Produktion des Motorrads und des Quads läuft. Bisher hat Cannondale etwa 500 Motorräder ausgeliefert, rund 300 sollen noch in diesem Jahr dazu kommen. Für 2002 ist eine deutlich höhere Stückzahl geplant.Die Investitionen für das Ptrojekt waren enorm, schon Mitte 2000 waren mehr als 20 Millionen Dollar verschlungen. Cannondale musste praktisch bei Null anfangen. So beschäftigt sich die Entwicklungsabteilung zu einem großen Teil immer noch mit Grundlagenforschung. Die Techniker rüsteten zum Beispiel Rahmen, Anbauteile und Motorgehäuse mit Dehnmessstreifen aus, um den tatsächlichen Belastungen auf der Crossstrecke auf den Grund zu gehen. Mit diesen Werten werden Computer gefüttert, die mit modernsten CAD-Programmen Teile auf Festigkeit berechnen. Die Daten aus Praxisversuchen versorgen auch die Belastungs- und Dauerprüfstände, auf denen etwa Rahmen oder Radaufhängungen getestet werden. Bemerkenswert ist auch der Computer-gesteuerte Motorenprüfstand, denn auf ihm lässt sich zum Beispiel das Last-/Drehzahlkollektiv einer realen Runde auf der Crossstrecke nachfahren. Selbst Zulieferteile wie etwa Kolben eines italienischen Zulieferers werden auf einen speziellen Hydropuls-Prüfstand untersucht. Bis die Amis mit Motorrädern Geld verdienen, wird wohl noch viel Wasser den Mississippi hinunterfließen. Zur Zeit werden etwa 250 Maschinen der ersten Produktionsstaffel zum »Update«, etwa Austausch der Motorgehäuse, ins Werk zurückgerufen, eine teure, aber kundenfreundliche Maßnahme. Ein Glücksfall und sicherlich auch die Rettung für das ganze Projekt war der Erfolg des Quads, die Produktion hat zur Zeit oberste Priorität.