Sie wird quasi die RR-Multistrada für Hardcore-Ducatisti. MOTORRAD konnte den Hochbeinrenner auf der Straße testen.
Sie wird quasi die RR-Multistrada für Hardcore-Ducatisti. MOTORRAD konnte den Hochbeinrenner auf der Straße testen.
Ducatis Pikes Peak-Version der Multistrada V4 konnte MOTORRAD in Kalifornien antesten und feststellen, dass sie einiges an Multifunktionalität aufgegeben, dafür auf der Straßenseite ganz schön zugelegt hat. Macht sie das zur besseren Wahl?
Die Straßenbauer haben sich an den Berghängen ins Palm Valley bei Los Angeles richtig ausgetobt. Durch die Felsenlandschaft windet sich das Asphaltband aberwitzig in die Höhe. An einigen Stellen tut es das in derart übersichtlichen, verführerischen Omegas, dass man es einfach fliegen lassen muss: Parade-Terrain für die neue Multistrada V4 Pikes Peak. Die Modellvariante ist nach dem berühmten Berg in Colorado benannt, an dem seit 1915 das ruhmreiche Bergrennen "to the clouds" stattfindet. Zuletzt leider mit negativen Schlagzeilen, denn Mehrfachsieger Carlin Dunne verunglückte dort 2019 mit einer Ducati tödlich – und seither will man beim Rennen keine Motorräder mehr haben. Doch von den alten V2-Multis war jede sechste eine Pikes Peak-Version. Entsprechend wollten nicht nur die Amerikaner so eine V4-Neuauflage haben.
Nur, diesmal gab es ein Problem. Ducati hegte mit der kompletten Neukonstruktion der Multistrada ein einziges ehrgeiziges Ziel: nämlich der übermächtigen BMW R 1250 GS eine überzubraten. Aus diesem Grund musste es in der Multistrada V4 ein offroad- und touringtaugliches 19-Zoll-Vorderrad sein. Doch das stand den sportlichen Ambitionen einer Pikes Peak im Weg. Jetzt hätte man in Bologna einfach das Vorderrad tauschen und die typische Pikes-Peak-Lackierung mit weißen Feldern draufsprühen können – fertig! Das wäre Ducati jedoch zu einfach gewesen. Neben dem 17-Zoll-Rad und dem MotoGP-inspirierten Ornat bekam die Neue ein paar Extra-Goodies. Dazu gehört neben der vorderen Radgröße auch die Materialwahl. Die Marchesini-Schmiedefelgen wiegen vier Kilo weniger als am Multi-Tool. Auch ein paar Karbon-Teile wie am Schutzblech und in der Kanzelverkleidung sowie der eigenständige Auspuff hobelten noch mal ein paar Kilos runter. Wer den Rennauspuff dazu ordert, kann noch einmal fünf Kilo einsparen.
Das semiaktive Fahrwerk von Öhlins entspricht in der Funktionsweise dem der Panigale V4 S. Zwar sind der Pikes Peak die Brembo-Stylema-Zangen aus der Standard-Multi geblieben, aber die Beläge stammen ebenfalls aus dem Panigale-Superbike. Das große Alleinstellungsmerkmal zur Basis-Multi ist neben dem Vorderrad aber die Einarmschwinge. Und eine sportlichere Ergonomie, die sofort auffällt, wenn man sich in den Sattel der Pikes Peak schwingt. Der Lenker ist deutlich flacher, die Fußrasten sind höher und weiter nach hinten verlegt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es einen auf der Pikes Peak zusammenfaltet wie auf einem Supersportler, dafür ist auf dem großen Motorrad zu viel Platz. Aber man spürt die deutlichere Betonung des Vorderrades, und das wünscht sich die Sportseele nun einmal.
Und damit los – den Berg hoch! Man fühlt die Veränderung sofort, aber feiert zunächst im Stadtverkehr von Palm Springs die Laufkultur des unverändert übernommenen V4-Triebwerks mit den 170 PS Spitzenleistung. Ansprechverhalten, Durchzug, Gangwechsel, Schiebebetrieb, Gleitflug – der Vierzylinder ohne desmodromische Ventilsteuerung ist ein Traumantrieb. Zunächst im Fahrmodus "Touring", später dann am Berg im zupackenden "Sport". Und das ist einer dieser Momente, den die Pikes Peak insgesamt so erlebnisreich gestaltet. Dann, wenn sie am Kurvenausgang die Muskeln spannt und aus der Schräglage heraus stoisch ruhig losballert.
Das erste Aha-Erlebnis wartet aber bereits am Kurveneingang. Dort spürt man nämlich genau, was die zur Standard-Multi neue Ergonomie, das geringere Gewicht gerade bei den ungefederten Massen und die leicht geänderte Geometrie bewirken. Die Pikes Peak klappt wild entschlossen ab, zieht zielgerichtet ihre Bahn, wirkt niemals kippelig, wedelt mühelos von einer Seite hinüber zur anderen und giert geradezu nach Kurven mit makellosem Asphalt, wo man es schön übers Vorderrad reinlaufen lassen kann. Das Handling ist für so ein großes Motorrad, das immerhin doch 239 Kilogramm Gewicht mitbringt, geradezu verblüffend. Auf dieser Art Straßen wirkt die Pikes Peak richtig fluffig. Und dennoch stabil, wofür wohl der etwas längere Radstand (+ 28 mm) und flachere Lenkkopfwinkel (+ 1,25 Grad) mit mehr Nachlauf (+ 17,5 mm) sorgen.
Die Gangart, die sich so aufdrängt, wird nicht nur von den sportlichen Pirelli Diablo Rosso IV unterstützt, sondern auch von der großartig dosierbaren und entschlossen zubeißenden Bremse mit drei ABS-Wahlstufen und dem formidablen Schaltautomat mit Hoch/Runter-Funktion. Die direkt aus der Panigale übernommene und lediglich für die Pikes adaptierte Elektronik passt da ins Bild, in der man über eine klare Menüführung herumwildern, Fahrmodi wählen und einzelne Parameter wie Wheelie-Kontrolle, Motorschleppmoment bis zur Slide-Control alles anpassen kann. Das funktioniert so gut, dass beispielsweise auf niedriger Anti-Wheelie-Stufe eigentlich jedem Einrad-Einlagen gelingen, ohne sich ernsthaft Sorgen machen zu müssen. Dazu das sahnemäßige Fahrwerk von Öhlins, das vorn an der Gabel über die 170 mm Federweg der Standard-Multistrada verfügt, dessen Federbein sportlich-straff agiert und 10 mm weniger Federweg bietet.
Die Pikes Peak ist ein sportliches Abenteuer- und damit "Dual Bike", zweifelsohne das sportlichste seiner Art, und damit weiter weg von der Standard als jede ihrer Vorgängerinnen. So verbieten sich mit ihr alle Optionen, die das 19-Zoll-Modell bietet. Wem aber ausschließlich etwas an der fein gemachten Straße liegt, dem – nur dem – bietet die Pikes Peak das passende duale System.