Ausgetretene Pfade zu verlassen, ist in der Offroad-Technik derzeit angesagt. Nach BMW und Husaberg überrascht nun auch Yamaha mit einer höchst unkonventionellen Konstruktion. Findet die neue YZ 450 F damit den Pfad der Tugend?
Ausgetretene Pfade zu verlassen, ist in der Offroad-Technik derzeit angesagt. Nach BMW und Husaberg überrascht nun auch Yamaha mit einer höchst unkonventionellen Konstruktion. Findet die neue YZ 450 F damit den Pfad der Tugend?
Deutschland, Herbst 2008. BMW startet die Serienproduktion der Sportenduro G 450 X. Mit koaxialer Lagerung von Schwinge und Kettenritzel, auf der Kurbelwelle drehender Kupplung und filigranem Edelstahl-Rohrrahmen gehen die Bayern technisch höchst unkonventionelle Wege. Österreich, ebenfalls Ende 2008. Husaberg verbaut in die neuen Enduro-Modelle einen quasi hochkant eingebauten Motor mit nahezu flach liegendem Zylinder. Japan, vor wenigen Wochen. Yamaha stellt den neuen Motocrosser YZ 450 F vor. Um 180 Grad gedrehter Zylinderkopf, nach hinten geneigter Zylinder und Luftfilter hinter dem Lenkkopf, mit diesem Konzept erwischten die Yamaha-Ingenieure die Stollenfreaks kalt. Selbst der Werkseinsatz um Weltmeister Antonio Cairoli basierte ausnahmslos auf dem 2009er-Modell. Das Motiv dieser avantgardistischen Layouts: Mehr Traktion (BMW) und besseres Handling durch Zentralisierung der Massen (Husaberg und Yamaha). Und da steht sie nun, die ganz Neue. Die Stimmung ist selbst bei Testpilot Didi Lacher, seines Zeichens immerhin ehemaliger sechsfacher Deutscher Motocross-Meister, angespannt. Es gilt schließlich, Ungewohntes zu akzeptieren und dennoch die Frage objektiv zu beantworten: Was bringt der ganze Aufwand? Brav tackert der Vierventiler im Stand vor sich hin. Vierventiler? Nach dem Supersportler R1 geben die Yamaha-Techniker nun auch beim Vorzeige-Offroader ihr bisheriges Markenzeichen, den Fünfventil-Zylinderkopf, auf. Der R1 hats nicht geschadet und die YZ 450 F schert sich zweifelsfrei wenig um die Markentradition. Druckvoll packt das Triebwerk bereits im unteren Drehzahlbereich an, läuft bei Drehzahlmitte zur Höchstform auf, um danach spürbar abzuflachen. Kein Vergleich zum sanften Antritt des 2009er-Modells. Dennoch überfordert die Spurtstärke des Singles nicht. Selbst auf kritischem Untergrund findet er genügend Traktion, lädt durch die potente Mitte obendrein zum frühen Hochschalten ein. Der quirlige, spontan ansprechende Eindruck des Singles bleibt aber selbst in diesen Situationen erhalten. Der allerdings nicht nur der kurzhubigeren Auslegung und der reduzierten inneren Reibung zuzuschreiben sein dürfte, sondern auch dem weniger restriktiven Schalldämpfer. Ab Drehzahlmitte übertönt die YZ die Konkurrenz um Längen. Die Tage vorbildlich leiser Yamaha-Crosser sind mit der 2010er-Ausgabe jedenfalls gezählt. Schade. Zumal die Geräuschkulisse sich nicht nur achtern, sondern auch im Kommandostand verändert hat. Durch den hinter dem Lenkkopf platzierten Luftfilter erweitert auch das schnüffelnde Ansauggeräusch den ungewohnten Klangteppich. Dabei gerät das Thema Einspritzung fast in Vergessenheit. Die batterielose Keihin-Anlage funktioniert in der Serienabstimmung völlig problemlos. Eine Nachjustierung durch den so genannten YZ Power Tuner (289 Euro) brauchts jedenfalls nicht. Prima. Nur der Heißstart erfordert einen kühlen Kopf. Die empfohlene Prozedur - Gas auf, einmal durchtreten, dann Gas zu und ohne Gas voll durchtreten - im Rennen zu befolgen, strapaziert die Coolness eines Racers wohl bis an ihre Grenzen. Dafür besannen sich die Yamaha-Techniker in Sachen Fahrwerk auf die traditionellen Stärken.
Ob kleine Kanten oder übel herausgefahrene Beschleunigungs- und Bremswellen, die Kayaba-Federelemente stecken nach wie vor alles weg. Auch das Fahrgefühl kennen Yamaha-Fans bestens. Trotz völlig neuem Alu-Brückenrah-men fühlt sich auch die neue Yamsel sehr vorderradorientiert an. Einziger Pferdefuß: Anlieger, die mit wenig Zug durchfahren werden, destabilisieren die Front. Die Maschine wird kippelig, muss immer wieder mit dem Stützfuß auf Kurs gebracht werden. Dass die Fahrwerkstechniker diese Eigenheit wohl ebenfalls bemerkt haben, darauf deutet das in der Serien-Einstellung mit 45 Millimetern Negativfederweg (ohne Fahrer) tief justierte Heck hin. Der übliche Wert beträgt etwa 30 Millimeter. Beim Einlenken und in engen glatten Kehren bleibt die Yamaha spurstabil und ruhig. Auch das kennt man von ihr. Die Segnungen besagter Zentralisierung der Massen schlagen sich offensichtlich erst auf modernen, supercross-ähnlichen Pisten nieder. Selbst nach kantigen Absprüngen fliegt die YZ ausnehmend gut ausbalanciert und neutral, reduziert den Stresspegel des Piloten damit deutlich. Deshalb: Trotz aller spektakulären konzeptionellen Änderungen ist sich die YZ 450 F charakterlich unerwartet treu geblieben. Und diese Erkenntnis kann - je nach Standpunkt - gleichermaßen enttäuschend wie erleichternd wirken.