Honda CRF 1100 L Africa Twin (2020) im Fahrbericht

Honda CRF 1100 L Africa Twin (2020) im Fahrbericht
Durchentwickelte und vor allem angenehme Reiseenduro

Zuletzt aktualisiert am 09.10.2019

Die spannendste technische Neuerung an der 2020er Honda CRF 1100 L Africa Twin stellt fraglos das elektronische Showa-Fahrwerk dar: Die Abkürzung EERA steht für „Electronically Equipped Ride Adjustment“. Das System bleibt der Adventure Sports-Variante vorbehalten, kostet 1.600 Euro Aufpreis, und passt in Gabel und Federbein die Dämpferrate im Zeitrahmen von 15 Millisekunden dem jeweiligen Fahrzustand an – dies mit speziell angepassten Kennfeldern für die jeweiligen Fahrmodi „Tour“, „Urban“, „Gravel“ und „Offroad“.

Schaukeln wird im Keim erstickt

Das funktioniert brillant. Für den Straßenbetrieb wählen wir zunächst das „Tour“-Setting mit moderat straffem Grundsetup. Firm und kontrolliert bügelt die Honda CRF 1100 L Africa Twin Adventure Sports damit über Wellen und Schlaglöcher, schafft einen beeindruckend breiten Spagat: Angemessener Komfort, dabei feste, vertrauenerweckende Stabilität. Schaukeln wird im Keim erstickt. Auch üble Kanten dämpft das Fahrwerk sauber und ohne Hauch eines Nachschwingens, ein wohldosierter Anti-Dive über das Schließen der Gabeldruckstufe unterbindet zu weites Abtauchen der Front auf der Bremse angenehm. So stellt sich ein beinahe gespenstisch gutes Fahrgefühl ein, nämlich das des Schwebens. Entscheidend ist dabei, dass die ganze Magnetventil-Magie nicht synthetisch wirkt, sondern natürlich und transparent. Ein Punkt, auf den die Showa-Ingenieure nach eigener Aussage besonderen Wert gelegt haben, und der als erfüllt gelten darf. Manche – einige – elektronische Fahrwerke erkaufen hohe Fahrstabilität über eine hölzerne, undurchsichtige Arbeitsweise – es fehlen Rückmeldung und Erdung. EERA liefert ein glasklares, elegantes, harmonisches Fahrgefühl.

Und das durch alle Modi: „Urban“ verfügt über die weichere Grundkennlinie, was den Fahrkomfort spürbar steigert, auch das ohne Verlust an Stabilität. Selbst im weichsten „Gravel“-Mode bleibt die neue Honda Africa Twin mit EERA auf Asphalt, auch flott bewegt, einwandfrei fahrbar, bietet dann einen sensationellen Komfort. Weil uns das daran gekoppelte, extrem sanfte Ansprechen des Twins im Straßenbetrieb nicht glücklich macht, basteln wir flugs einen maßgeschneiderten Fahrmodus in einen der beiden frei konfigurierbaren „User“-Slots: schärfstes Ansprechverhalten des Motors (immer noch mehr als smooth genug), stärkste Motorbremse (jetzt auch dreistufig einstellbar), Fahrwerk vorne und hinten mittelweich. Perfekt.

Honda CRF1100L Africa Twin Fahrbericht
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Bedienkonzept wirkt insgesamt zu komplex

Die mannigfaltigen Einstellmöglichkeiten der mit EERA ausgestatteten Honda CRF 1100 L Africa Twin Adventure Sports erfordern dabei einige Experimentierfreude – und Eingewöhnung an die Menüstruktur. Neu bei allen Africa Twins: ein 6,5-Zoll TFT Display mit Touchscreen. Das ist bestens im Sichtfeld positioniert und bleibt auch bei Sonneneinstrahlung trotz leichtem Spiegeln gut ablesbar, kommt aber pickepacke-voll mit Informationen zu den verschiedenen Settings und dem Bordcomputer. Nicht unbedingt hilfreich dabei, dass die Bedienung auf zahlreiche Schalter Links und Rechts am Lenker verteilt ist. Vierwege-Schalter mit Wippe, Enter, Vor und Zurück, Licht und Hupe, Griffheizung und Tempomat (beides Serie, beides gut), und in unserem Fall noch die Wahlschalter für DCT-Modi sowie die dazugehörigen Schalttaster links: Man kann im Eifer des Gefechts schonmal vergessen, wo der Blinkerschalter vergraben war. Ein Thema nur in der ersten Kennenlernphase, doch das Bedienkonzept wirkt insgesamt komplex und wird manch einen vor Fragen stellen. Der Touchscreen bleibt während der Fahrt gottlob gesperrt, lässt sich im Stand auch mit Handschuhen gut bedienen. Ob in ihm ein unbedingter Mehrwert besteht, möchten wir nach nur zwei Fahrtagen nicht abschließend beurteilen. Wie beim Flaggschiff GL 1800 Gold Wing lässt sich ein iPhone über Apple Car Play koppeln und als Navi nutzen. Ein hübsches Feature, auf das Android-Nutzer neidisch sein dürfen.

Motor der neuen Honda CRF 1100 L Africa Twin

Hoffentlich wichtiger als das Digitale: Der 270-Grad-Zweizylinder, welcher es mittels verlängerten Hubs nun auf 1.084 ccm³ bringt und der Hondas erster Euro 5-Motor ist, bleibt sich in seinen bekannten Grundzügen erst mal treu. Er ist ein angenehm zurückhaltender, gelassen kräftiger Begleiter für sämtliche Begebenheiten. Sanft pulsierender Lauf, feine Manieren, moderater Verbrauch, lockerer Schub schon im ersten Drehzahldrittel. Ein ungestümer Reißer wird die Africa Twin auch als CRF 1100 nicht. Erst recht nicht, wenn wir auf der DCT-Version sitzen, die im automatischen D-Modus die nächste der 6 Gangstufen immer möglichst früh einlegt. Passt fürs Gemütliche.

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Schräglagensensorik und DCT einwandfrei

Für mehr Vergnügen wählen wir uns durch die S-Modi, welche die Gänge bekanntermaßen länger halten, und früher herunterschalten. Je nach Gusto bieten sich da S1 und S2 an, hier passt dann mit Schrittweise steigender Schaltdrehzahl auch der Vortrieb zu einer 1100er – S3 bringt ordentlich Hektik in die Sache, das taugt bloß wenn der Kittel brennt. Im Übrigen weiß der Doppelkuppler nun dank IMU-Schräglagensensorik (sechs Achsen) auch um eine Kurvenfahrt und bezieht dies in seine Schaltstrategie ein. Dies funktioniert unauffällig gut. Wer noch nie DCT gefahren ist: Innerhalb der ersten Stunde Fahrzeit verinnerlicht man ganz gut die Schaltpunkte, kann das Motorrad dann wunderbar allein mit dem Gasgriff fahren, hie und da bietet sich weiterhin der manuelle Eingriff an – etwa wenn man vor Überholvorgängen nicht auf den „Kickdown“ warten möchte. Der extreme technische Reifegrad des Systems ist unstrittig. Schon seit Generation 2 erfolgen die Schaltvorgänge sanft und feinst verschliffen, nun noch etwas besser, und stets hat der Rechner den richtigen Gang vorsortiert. Ein beeindruckendes Stück Technik, dass es so nur bei Honda gibt. Und weiterhin eines, an dem sich die Geister scheiden. Man liebt es, oder man liebt selbst schalten. Vorteil des DCT: großer Komfortgewinn, Alleinstellungsmerkmal. Vorteil des Manuellen Schalters: 1.100 Euro gespart, minus 10 Kilo, geringerer Verlust im Antriebsstrang.

Fahreigenschaften der Basis-Africa Twin

Damit zum Basismodell Honda CRF 1100 L Africa Twin, welches wir mit Schaltgetriebe fahren, und welches ausschließlich das konventionelle Showa-Fahrwerk trägt. Randnotiz: Beide Modelle verfügen nun über den gleichen Federweg, die neue Positionierung der Varianten wirkt dabei stimmiger. Das Basismodell als noch bezahlbare, leichtere, offroad-affinere Variante, die Adventure Sports (die, das ist noch wichtig, in ihren Abmessungen nun deutlich weniger einschüchternd wirkt, dank der erheblich reduzierten Sitzhöhe auch für Normalgewachsene passt) nicht mehr als „Extrem“-Version, sondern als Touring-Fulldresser. Der niedrige Windschild der Basis als offensichtlichstes Unterscheidungsmerkmal bietet, klar, weniger Windschutz, im Gegenzug aber die deutlich bessere Sicht, weil die Abrisskante des hohen Adventure Sports-Pendants leider ziemlich genau durch das Sichtfeld verläuft. Ergonomisch gleichen sich beide weitgehend, entsprechen übrigens bis auf einen etwas höheren Lenker und die neue Sitzbank auch im Kern dem 2016er Modell, das seinerseits schon als praktisch perfekt gelten durfte: Schöner, offener Kniewinkel, angemessen breiter Lenker, der ideal gekröpft zur Hand fällt, aufrechte Sitzposition, gute Spielübersicht. Dazu eine urbequeme Sitzbank, jetzt eben mit kürzerer Schrittbogenlänge. Ausgezeichnete Ergonomie war und bleibt, neben dem herrlich flüssigen Fahrverhalten, das große Pfund der Africa Twin. Auch wenn der riesige 24,8-Liter-Tank der Adventure Sports nirgends stört, wirkt ihre Schwester mit dem immer noch großen 18,8-Liter Tank doch wesentlich schlanker und kompakter. Wenn schon nicht zierlich, so austrainiert.

Kupplung und Getriebe der manuellen Honda CRF 1100 L Africa Twin stellen jedenfalls keinen zwingenden Grund dar, zum DCT zu greifen, im Gegenteil. So wurde die Handkraft der ohnehin schon sehr guten Seilzugkupplung noch einmal verringert, bald kann man von einer Einfingerkupplung sprechen. Ihre Dosierbarkeit ist hervorragend, allein der einstellbare Hebel fehlt. Womöglich ein Fingerzeig Hondas, welches Getriebe man verkaufen möchte? Die Schaltvorgänge selbst gelingen leichtfüßig und geräuschlos.

Laut Honda speckten alle neuen Africa Twin um 5 Kilogramm ab, sicher ein löblicher Schritt, dessen Effekt man aber nur im direkten Vergleich alt gegen neu beurteilen können wird. Eindeutiger: Verglichen mit den 250 Kilo (Werksangabe) der Adventure Sports mit DCT und EERA sind die 226 Kilo (Werksangabe) der „nackten“ CRF 1100 L schlicht viel weniger. Dank dieses Gewichtsvorteils, und sicher dank direkterem Schaltgetriebe, prescht die Basis-Africa Twin dann auch erheblich spritziger voran, gibt sich motorisch schon im Drehzahlkeller eindeutiger als 1100er zu erkennen. Bringt im ersten Gang gar die neue, dreistufige, recht sauber applizierte Wheelie-Kontrolle zum arbeiten. Beim Schalter fällt das Motor-Upgrade vordergründiger aus als beim DCT-Motorrad.

Fahrwerk und Serienbereifung

Das konventionelle Fahrwerk? War schon spitze, wurde mit angepasster Feder- und Dämpfungsrate noch etwas besser. Das Ansprechverhalten der 45-Millimeter Cartridge-Gabel von Showa gehört auch ohne EERA zum Besten, was der Markt hergibt, das per Umlenkung beaufschlagte Federbein steht dem kaum nach. Ebenfalls sehr kontrolliert dämpft das Ensemble in Werkseinstellung akkurat und komfortabel alles weg, auch in Schräglage. Die einfache Verstellmöglichkeit per Knopfdruck sowie das Anpassen der Basis des hinteren Federbeins per Servomotor aber bleibt der Adventure Sports mit EERA vorbehalten – was ihr fahrwerksseitig insgesamt doch deutlich mehr Breitbandigkeit verleiht. Elektronisches Fahrwerk ja oder nein? Im Falle der Africa Twin, wo beide hervorragend arbeiten, eine besonders knifflige Frage.

Honda CRF1100L Africa Twin Fahrbericht
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Ein Wort zu den Gummis: Im Gegensatz zur unglücklichen Erstbereifung des 2016er-Modells rollen die Honda Africa Twin CRF 1100 für das Modelljahr 2020 nun auf dem neuen Bridgestone AX41T, und der harmoniert prächtig mit dem Motorrad. Neutral, ohne wegkippen, viel Grip, Gefühl auch bei Nässe. Ebenfalls homologiert ist der gröbere Metzeler Karoo Street.

Honda CRF 1100 L Africa Twin im Gelände

Die 230 Millimeter Federweg vorne und 220 hinten bei allen Modellen bringen üppige Reserven, die Africa Twin schottert angenehm ausbalanciert, von Kopflastigkeit keine Spur. In engen Kehren hilft besonders die feine Dosierbarkeit der Kupplung, das DCT bietet einen speziellen Gravel-Mode der früher Kraftschluss herstellt – das ist sinnvoll. Dass allerdings die bei Honda HSTC genannte Traktionskontrolle losgelöst vom Fahrmodus ihre Einstellung behält, daher für Geländefahrten stets einzeln justiert sein will, erschließt sich uns nicht. Ein MX-Piste-taugliches Geschoss will die Honda CRF 1100 L Africa Twin auch nicht sein, dafür bleibt sie zu viel Motorrad. Doch das, was sie tun soll, erledigt das 2020er-Modell auch abseits des Asphalts ausnehmend gut.

Preise Africa Twin 2020

  • CRF 1100 Africa Twin: 14.165 Euro
  • CRF 1100 Africa Twin DCT: 15.265 Euro
  • CRF 1100 Africa Twin Adventure Sports: 15.965 Euro
  • CRF 1100 Africa Twin Adventure Sports DCT: 17.065 Euro
  • CRF 1100 Africa Twin Adventure Sports EERA: 17.565 Euro
  • CRF 1100 Africa Twin Adventure Sports EERA DCT: 18.665 Euro