Munter draufloskonstruieren, der Phantasie freien Lauf lassen, so stellt sich mancher das Leben in den Konstruktionsabteilungen vor. Die Realität sieht aber meist nüchterner aus: Bei jedem Zeichenstrich muß der Techniker die Kosten im Hinterkopf haben, der Kalkulations-Rotstift zwingt dazu, bestehende Bauteile zu übernehmen oder das Teilelager abzubauen. Es bleibt der Traum, einmal bei Null beginnen und sich rücksichtslos austoben zu können. Solche paradiesischen Zustände scheint es bei Cannondale gegeben zu haben, als sich der Fahrradhersteller Anfang letzten Jahres entschloß, in Zukunft auch bei motorisieren Zweirädern mitzumischen. Das Ergebnis ist eine Off Road-Maschine, vollgepfropft mit technischen Raffinessen.
Bereits im vergangenen Herbst waren die ersten Prototypen des neuen 400er Crossers fertig, damals noch mit einem Motor des schwedischen Spezialisten Folan, der konstruktiv stark an den Husaberg-Motor angelehnt ist. Ob die Amerikaner mit dem unspektakulären Folan-Antrieb ernsthafte Pläne hatte oder ihn von Beginn an lediglich als Versuchsträger ansahen, bleibt offen. Für die letzte Version spricht, daß der hauseigene, technisch revolutionäre Motor viel eher die von Beginn an hochgesteckten Ansprüche der selbstbewußten Amerikaner verkörpert, außerdem kann die MX 400 somit das Etikett »Made in USA« glaubhafter transportieren.
Die zentrale Idee des Cannondale-Crossers ist der umgedrehte Zylinderkopf, ein ähnliches Konzept hatte MOTORRAD in der Studie »Enduro 2002« bereits 1997 vorgestellt (siehe Kasten Seite xxx). Diese Kehrtwende bringt eine ganze Reihe von Vorteilen: Die Gemischaufbereitung kann bei sehr günstigen, steilen Einlaßkanälen in den Steuerkopfbereich verlegt werden, während sie bei konventioneller Technik immer mit Rahmen und Stitzbank kollidiert. Vor dem Motor entsteht Raum für einen großen, tief plazierten Kühler. Der Luftfilter wandert hinter das vordere Startschild und saugt weit oben saubere Luft an. Auch die Auslaßwege sind gradlinig, die Wärme wird so besser vom Motor abgeleitet.
Eine Kette treibt die beiden Nockenwellen an, aber nicht direkt, sondern über ein Zahnradvorgelege. Das reduziert das Bauvolumen des Zylinderkopfs, und die Fliehkräfte an der Kette werden durch kleine Kettenräder verringert, die Steuerzeiten bleiben so bei extremen Drehzahlen nahezu konstant. Das Motorgehäuse ist als einteiliges Tunnelgehäuse konzipiert. Die aus einem Stück geschmiedete Kurbelwelle wird von der Seite eingesetzt, ein riesiger Deckel auf der linken Seite verschafft den Zugang zu den Innereien. Auch das Fünfgang-Kassettengetriebe wird von der linken Seite aus eingebaut, daher lassen sich einzelne Gangstufungen schnell ändern.
Vor dem kompakten Kurbeltrieb rotiert die ungewöhnlich große Ausgleichswelle. Die Vorteile der großen Masse: Die Kurbelwelle fällt entsprechend kleiner aus, damit wird Bauhöhe gespart. Zudem elimiert die gegenläufig drehende Welle nicht nur einen großen Teil der Massenkräfte, sondern auch der Kreiselmomente. Das könnte die Handlichkeit der ohnehin extrem leichten Cannondale auf Zweitakt-Niveau heben. Beim Ölkreislauf ließen sich die Cannondale-Techniker etwas Besonders einfallen. Das Getriebe ist vom Kurbeltrieb komplett abgeschottet und läuft im eigenen Öl, dadurch gerät verschleißfördernder Abrieb von Kupplung und Zahnrädern nicht in den empfindlichen Motorkreislauf. Der Kurbeltrieb und Zylinderkopf haben eine Trockensumpfschmierung, das Öl (1,5 Liter) wird im linken Rahmenrohr gebunkert.
Topmodern ist das Motormanagment, eine aufwendige Blackbox mit hoher Rechenkapazität steuert Zündung und Einspritzanlage. Beim Zünd-Kennfeld fließen die Parameter Drehzahl, Drosselklappenstellung und Gangstufe ein. Die Einspritzanlage berücksichtigt außerdem Kühlwassertemperatur, Luftdruck und -temperatur. Umbedüsungen sind daher ebenso wenig nötig wie ein Choke. Der Nachteil: Bei Eingriffen, etwa Motortuning - vielleicht ist das gar kein Thema mehr -, ist die Abstimmung aufwendig.
Integriert ist in die Blackbox zudem ein Zündunterbrecher für leichteres Schalten, auf dessen Funktion wohl nicht nur der Autor gespannt ist. Denn Versuche mit Schaltautomaten an einer Super Moto-Husqvarna schlugen im Offroad-Einsatz bei starkem Schlupf stets fehl. Gestartet wird die Cannondale per Elektromotor, und zwar ausschließlich, ein Kickstarter ist gar nicht erst vorgesehen.
Fahrwerksseitig ist die MX 400 nicht revolutionär, jedoch auf dem aktuellen Stand. Zwei kräftige Profile zwischen Steuerkopf und Schwingenlager machen den Alu-Rahmen extrem steif. Die Unterzüge sind wie das Rahmenheck angeschraubt. Der nach vorn gedrehte Einlaßtrakt bringt viel Platz für das Federbein. Daher kann der direkt angelenkte Öhlins-Dämpfer mit progressiver PSD-Technik (Öhlins-Patent) sehr schräg eingebaut werden, die Geometrie ergibt zusätzliche Progression.
Deutlich unter 110 Kilogramm geben die Amis für die fahrfertige MX 400 an. Wenn´s zutrifft, liegt die Cannondale damit trotz E-Starter klar unter der Yamaha YZ 400 F und etwa auf dem Niveau der neuen KTM, die ebenfalls noch in diesem Jahr als Serienmaschine debütieren soll. Zur Zeit testet Cannondale noch mit verschiedenen Motor-Konfigurationen auf eigenen Strecken sowie Prüfständen. Parallel wird ein modernes Labor errichtet, in dem Belastungen von Rahmen simuliert werden können.
Bereits im Juli wollen die Amerikaner im neuen Werk, in dem später einmal 600 Leute arbeiten sollen, Motorräder produzieren. Der 2000er Jahrgang ist nach der Präsentation auf der Motorrad-Messe in Indianapolis Anfang Februar weitgehend ausverkauft. Wieviele Motorräder nach Europa kommen, ist nicht bekannt, ebensowenig, was sie hierzulande kosten sollen. Bisher steht nur der amerikanische Verkaufspreis von 7950 $ fest. Der liegt um fast 40 Prozent Prozent über einer YZ 400, dementsprechend wäre in Deutschland mit etwa 17500 Mark zu rechnen. Ein Preis, der sicherlich vielen Interessenten über den Kopf wächst.
Die Ähnlichkeit ist verblüffend
Wie sich die Off Road-Fraktion der Redaktion eine moderne Enduro vorstellt, hat MOTORRAD bereits in Ausgabe 14/1997 präsentiert. Auch bei der »Enduro 2002« war der gen Steuerkopf gerichtete Einlaßtrakt die zentrale Idee, mit diesem Konzept läßt sich ein moderner Viertakter mit steilen Einlaßkanälen in einem kompakten Chassis unterbringen. MOTORRAD griff damals im Gegensatz zum konventionell aufgebauten Cannondale-Kopf auf das Apfelbeck-Prinzip zurück, bei dem die Einlaßkanäle zwischen den Nockenwellen nach oben gerichtet sind. Die Ansaugwege führen auch in der Enduro 2002 durch den Lenkkopf des Rahmens, allerdings ist der Luftfilter oberhalb des Motors plaziert. Husaberg arbeitet zur Zeit an einer ähnlichen Konstruktion. Die Schweden haben den Zylinder ihres Einzylinders nach hinten gekippt und schaffen so Platz für gerade Ansaugwege. Bisher wird mit einem Vergaser experimentiert, der später einmal durch eine Einspritzanlage ersetzt werden könnte. Der ohc-Motor läuft bereits in Prototypen und ist in einen Brückenrahmen aus Stahl eingebaut.
Technische Daten
Cannondale MX 400Technische DatenMotorWassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, zwei obenliegende, über Kette und Zwischenräder angetriebene Nockenwellen, vier über Tassenstößel betätigte Ventile, einteilige, geschmiedete Kurbelwelle, Trockensumpfschmierung für Kurbeltrieb und Zylinderkopf, Naßsumpfschmierung für Getriebe und Kupplung, elektronisch gesteuerte Einspritzanlage, digitale Kennfeldzündung, E-Starter, Fünfgang-Kassettengetriebe, Mehrscheiben-ÖlbadkupplungBohrung x Hub 91 x 61 mmHubraum 397 cm³Verdichtungsverhältnis 13 : 1FahrwerkBrückenrahmen aus Alu-Profilen, angeschraubte Unterzüge und Rahmenheck aus Aluminium, Öhlins Upsidedown-Gabel (Standrohrdurchmesser 46? mm) mit einstellbarer Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Alu-Profilen, direkt angelenktes Öhlins- PSD-Zentralfederbein mit verstellbarer Federbasis, Zug- und DruckstufendämpfungMaße und GewichteGewicht ohne Benzin 108 kg Tankinhalt/Reserve 8 LiterRadstand mmLenkkopfwinkel 62,5 GradFarben Rot oder Schwarz