Die Viertaktfraktion in der MotoGP-WM, wie die GP1-Klasse ab 2002 offiziell heißt, hat überraschend Verstärkung bekommen. Wie Kai aus der Kiste trat Ende November Suzuki auf den Plan. Eigentlich wollte das japanische Werk erst 2003 mit einem neuen Motorrad in der Grand-Prix-Königsklasse antreten, nun wurde das Viertakt-Debüt kurzerhand um ein Jahr vorgezogen: Beim WM-Start am 7. April 2002 in Suzuka werden die Werkspiloten Kenny Roberts und Sete Gibernau mit 990er-Viertaktern ins Rennen gehen.
Suzuki verteilt den knappen Liter Hubraum auf vier Zylinder, die in einem 60-Grad-V angeordnet sind. Der kompakte und leichte Motor soll 210 PS bei 14 000/min leisten. Das Chassis des XRE0 genannten Werksrenners ist von den Dimensionen her identisch mit dem Fahrwerk der RGV 500. Im letzten Jahr war die V4-Zweitaktmaschine noch für den WM-Titel gut, in dieser Saison hatte Kenny Roberts damit mangels Leistung keinerlei Chancen mehr.
Angesichts dieses Debakels hatte Suzuki-Direktor Sadayuki Inobe seinen Fahrern im Herbst ein ehrgeiziges Versprechen gemacht: Er habe seine Rennabteilung angewiesen, die Grand-Prix-Bikes 2002 hätten besser zu sein als die Motorräder von Honda oder Yamaha, mit zwei oder vier Takten.
Die Worte des Chefs haben ihre Wirkung bei den Suzuki-Ingenieuren offenbar nicht verfehlt. Im Februar 2000 wurde das XRE0-Projekt gestartet. Es kam so rasch voran und die Prüfstandversuche verliefen so erfolgsversprechend, dass der Zweitakter nun schon ein Jahr früher zugunsten des Viertakters ins Museum wandern kann. »Durch die Verbindung unserer Superbike- und Grand-Prix-Technologie konnten wir in relativ kurzer Zeit eine Maschine entwickeln, von der wir glauben, dass sie im nächsten Jahr in der MotoGP-WM gewinnen kann«, ist Projektleiter Kunio Arase überzeugt, dass Suzuki bald wieder ein gewichtiges Wörtchen in der Formel 1 des Motorradsports mitreden wird.
Der Sprung nach vorn soll also mit einem V4-Motor gelingen. Mit diesem Konzept fällt die XRE0 in die selbe Gewichtsklasse wie die Yamaha M1 und die Honda RC 211 V. Vier- und Fünfzylindermaschinen müssen in der neuen MotoGP-WM mindestens 145 Kilogramm wiegen. Der Spritverbrauch ist auf 22 Liter begrenzt.
Suzukis neues Viertakt-Kraftwerk verfügt über eine Kurbelwelle, zwei zahnradgetriebene Nockenwellen und vier Ventile pro Zylinder. Zwischen den Zylinderbänken sitzt die elektronische Einspritzung. Sie soll den Verbrennungsvorgang so steuern, dass der Motor bei möglichst geringem Spritverbrauch möglichst viel Power entwickelt. Neben der Spitzenleistung wurde vor allem Wert auf reichlich Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich gelegt, damit die Maschine gut kontrollierbar bleibt. Bei den Reifen steigt Suzuki im Grand-Prix-Sport von Michelin auf Dunlop um jener Marke, der das Werk auch in der Superbike-WM vertraut.
Für Kenny Roberts, den 2001 vernichtend geschlagenen 500er-Weltmeister, und seinen Teamkollegen Sete Gibernau, der Suzuki in Valencia den einzigen Sieg der Saison beschert hatte, kommt die Entscheidung pro Viertakter einem verfrühten Weihnachtsgeschenk gleich. »Das sind die besten News seit langem«, freute sich Roberts.
Ab dem Suzuka-Grand-Prix wird sich zeigen, ob Suzuki mit dem V4-Konzept richtig liegt. Honda baute einen V5-Motor, bei dem drei Zylinder nach vorn und zwei nach hinten stehen. Yamaha setzt wie schon bei den Superbikes auf einen Reihenvierzylinder. Aprilia wird sein Glück mit einem von Cosworth entwickelten Reihendreizylinder versuchen. Diese Lösung mit identischen Einzelhubräumen wie in der Formel 1 bevorzugte auch Sauber Petronas Engineering. Doch das Joint-Venture-Unternehmen zwischen dem Schweizer Formel 1-Rennstall und dem malaysischen Ölkonzern fand keine Kunden für den Motor. Da entschloss man sich, das Aggregat ab nächstem Jahr in der Superbike-WM rennen zu lassen in einem Team mit Viertaktlegende Carl Fogarty als Chef.
Technische Daten - Suzuki XRE0
MotorWassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-60-Grad-V-Motor, eine Kurbelwelle, vier Ventile und zwei obenliegende, zahnradgetriebene Nockenwellen pro Zylinder, elektronische Einspritzung.Hubraum: 990 cm3Leistung: 210 PS bei 14 000/minFahrwerkAluminium-Brückenrahmen, Brembo-Scheibenbremsanlage vorn und hinten, Dunlop-ReifenSonstigesTankinhalt 22 Liter, Trockengewicht 145 kg (damit liegt die Suzuki XRE0 genau am Gewichtslimit für Vier- und Fünfzylindermaschinen)