Impression BMW R 100 RS und R 1200 RS

Impression BMW R 100 RS und R 1200 RS Zukunft ist Vergangenheit

Sie gilt als modernster und vielleicht auch vielseitigster Sporttourer, die BMW R 1200 RS. Doch schon ihr Urahn R 100 RS war 1976/77 ein echter Meilenstein: Nicht allein die erste serienmäßige Vollverkleidung bei einem Groß­serien-Motorrad machte sie epochal.

Zukunft ist Vergangenheit Bilski
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MOTORRAD-Redakteur Markus Biebricher erinnert sich noch gut an das Jahr 1977, als er 14 war: „Da hing ein DIN-A2-Poster der BMW R 100 RS über meinem Bett. Ich schaute die RS stundenlang bewundernd an, nahm sie mit in meine Träume, fuhr mit ihr nach den Hausaufgaben Touren im Kopf. Beim Wachwerden machte sie mich fit für den Tag, weil sie für mich ein Sinnbild war: das eines sicheren, soliden, sportlichen Motorrads, das mit spektakulärem, stimmigem Design seinen Fahrer vor Wind und Wetter schützt.“ BMWs damaliges Top-Modell begeisterte. Sie war eine Sensation, die 1976 präsentierte Über-BMW. Ihr 980-Kubik-Boxer war der stärkste der drei neu präsentierten 1000er der /7-Reihe, verhieß nur in der RS 70 PS. Dazu brachte die erste rahmenfeste Vollverkleidung bei einem Großserien-Motorrad – schon die glücklose Vincent Black Prince trug 1954/55 ein Kunststoffkleid – vor 39 Jahren die Zukunft auf die Straße.

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Das Ganze garniert mit BMWs klangvollem Kürzel RS. Es stand bis dato für „Rennsport“, adelte Königswellen-Rennmaschinen wie die legendäre RS 54. Doch nun meinte dies „Reise und Sport“, touristisch wie sportlich. Zwischen dem ersten Tastentelefon der Deutschen Bundespost und dem Tod Charlie Chaplins war ein neuer Stern aufgegangen am Motorradhimmel. Er strahlt bis heute. Mit topmoderner, 9,5 Kilo leichter Vollverkleidung schickte die BMW R 100 RS den drah­tigen Vorgänger R 90 S per Paukenschlag in Rente.

Neue RS zerklüftet, kantig, verschnörkelt

BMW-Chefdesigner Hans A. Muth landete seinen zweiten Geniestreich. Der Wiedererkennungswert der Verkleidung ist bis heute enorm: mit bündig eingepassten, keilförmigen Blinkern und dem 180-Millimeter-Rundscheinwerfer hinter der schräg stehenden, trapezförmigen Glasscheibe. Das ist zeitloses, elegantes und charakteristisches Design: klar, geradlinig, sauber. Dazu passen klassische Weinmann-Speichenfelgen der ersten Serie: silbern eloxiert mit blauen Zierlinien. Geplant war die BMW R 100 RS von vornherein mit filigranen Gussrädern. Doch die waren erst im Frühjahr 1977 qualitativ gut genug aus Italien verfügbar, kosteten volle 725 Mark Aufpreis.

Ganz anders wirkt die aktuelle BMW R 1200 RS. Zerklüftet, kantig, verschnörkelt. Und trotz der an den Supersportler S 1000 RR angelehnten Front mit Multireflektor-Scheinwerfern austauschbarer. Daran ändert auch optionaler weiß-blau-schwarzer Lack nichts. Das Auge weiß nicht, wo es zuerst hinschauen soll, kann sich, anders als bei der BMW R 100 RS, nirgendwo ausruhen. Hier noch eine Sicke, da noch ein transluzentes Flügelchen … Beide RS-Generationen sind Kinder der Aerodynamik, geboren und geschliffen im Windkanal. Was 1976 noch exklusiv war.

Kein Getriebefortschritt in 40 Jahren?!

Schon das Öffnen der zwei Benzinhähne links und rechts, sie rasten klickend in die Stufe „auf“, ist ein sinnliches Erlebnis. Obacht beim Aufsteigen: Von alleine schnappt der Seitenständer ein, so war das damals. Der gut bedienbare Choke liegt links unterm Tank. Blubbernd erwacht der alte Schlegel, pröttelt dezent aus den beidseitig verlegten Schalldämpfern. „Wroumm“, mit motiviertem Bellen erwacht der Wasserboxer. Da lupft wohl die Bordelektronik die Auspuffklappe beim Start etwas. Akustisch präsent, klingt der neue Motor aus dem dicken, knubbeligen Auspuff. Wirklich wahr: Gleichmäßiger wirkt der Leerlauf der BMW R 100 RS, die neue BMW R 1200 RS sprotzelt mitunter. Hörbar tickernd arbeitet der Ventiltrieb beider Boxer.

Leichtes Kippmoment um die Längsachse beim Spiel mit dem Gasgriff, heute als elektronisches Ride-by-Wire, haben beide RS: Sanft wiegen sie sich erst nach rechts und dann zurück nach links in die Mitellage. Besser dosierbar gibt sich die historische Seilzugkupplung! Da verzeiht man der BMW R 100 RS gern, dass sie sich aus dem flachen Tankdeckel mit einer Wolke „Aral Ultimate“-Parfüm einebelt, unter Volllast mal die Kupplung rutscht, dass zwischen zwei Gängen tückische Zwischenleerläufe lauern, Runterschalten einen kräftigen Tritt erfordert. Der Hydraulikzylinder der 1200er-Kupplung rückt digital ein, an oder aus. Stört nur beim Anfahren, denn ab zirka 2500/min lässt der optionale Schaltassistent Hoch- und Runterschalten ohne Kuppeln zu, gibt sogar von selbst Zwischengas. Man konzentriert sich nur noch auf Brems- und Einlenkpunkte, kann das Kuppeln auf der BMW R 1200 RS komplett vergessen. Tut man’s doch, sind die Schaltwege ebenso lang wie beim Ahnen, das „Kalonk“ der akustischen Ganganzeige (es gibt auch eine digitale im Cockpit) heftiger als an der R 100. Kein Getriebefortschritt in 40 Jahren?!

Leistungssteigerung von über 78 Prozent

Bullig können beide Boxer. Aber so richtig nur der neue. Wahnsinn, wie der 1200er einem schon unter 3000 Touren die Arme lang zieht. Er wirkt viel spritziger und agiler, dreht schön frei hoch. Wow, das ist perfekt umsetzbarer Punch in allen sechs Gängen. In den finalen Fahrstufen vier und fünf liegt die Wohlfühldrehzahl des träger hochdrehenden R 100-Motors zwischen 3000 und 5000. Gefühlt hat er viel mehr Schwungmasse als sein Ururenkel. Vibrationen? Ja, sind spürbar, aber auf beiden nie störend. 1976 waren rundliche, heute so beliebte „Körbchen“-Ventildeckel plötzlich passé. Nun gab es kantige mit angegossenen, waagerechten Längsrippen. Die eckigen, mächtigeren Okolyten des wassergekühlten Boxers tragen kurze, dicke Kühlrippen – mit Ventildeckeln glatt wie ein Kinderpopo. Geschichte sind die reizenden Kronenmuttern an den markant nach vorn mündenden Krümmern der BMW R 100 RS. Samt kühlender Verrippung der Ölwanne und luftdurchlässigen Schlitzen vorn im Kunststoffrock. Heute gibt‘s einen XXL-Wasserkühler, basta!

Immens: die Leistungssteigerung von 70 auf 125 PS, ein Plus von über 78 Prozent! Dabei wuchs der Hubraum quer über alle Boxer-Generationen dazwischen nur moderat: von 980 auf 1170 cm3 (plus 20 Prozent). Aktuell rotieren in den beiden Köpfen vier obenliegende Nockenwellen statt einst nur eine untenliegende mittschiffs. Sie treiben über Schlepphebel statt langer Stoßstangen vier statt nur zwei Ventile je Zylinder an: Viel größere Ventilquerschnitte bedingen effektivere Gaswechsel. Weniger gekrümmte Ansaugwege sorgen für bessere Strömung und Füllung als beim Traditionsboxer mit kompakt-kurzem Motorgehäuse. Höhere Drehzahlen sind kaum das Geheimnis der Kraftkur – die Nenndrehzahl wuchs in knapp 40 Jahren lediglich von 7250 auf 7750 Touren. Der stabilere Thermohaushalt der teilwassergekühlten Zylinder ermöglicht engere Fertigungstoleranzen, verkürzt die Warmlaufphase und hält die Brennkammern kühler. Viel höhere Verdichtung, 12,5 statt 9,5 zu eins, holt mehr Kraft aus weniger Kraftstoff! Einspritzung und elektronische Zündung neuester Generation dosieren den Sprit und steuern sein Abfackeln viel feiner, als es Zündkontakte und 40er-Bing-Vergaser je vermochten.

BMW R 1200 RS nur 10 Kilogramm schwerer

Einlassen muss man sich auf den Fahrstuhleffekt der BMW R 100 RS: Ihre Kardan-Zweiarmschwinge hebt das Heck beim Gasgeben und lässt es beim Gaswegnehmen wieder in sich zusammensinken. Darauf muss man sich in, nein vor Kurven einstellen: Das Schalten, Bremsen und Kuppeln sollte abgeschlossen sein, der Radius mit gleichmäßig Last umrundet werden, um Bodenfreiheit zu gewinnen und die angepeilte Linie nicht zu verlassen. Auch hier ist die Neue einfacher zu fahren, die Momentabstützung an ihrer Einarmschwinge unterbindet Kardanreaktionen ziemlich. Bei Schleichfahrt dringen Dröhngeräusche aus der voluminösen Front der BMW R 100 RS – Resonanzschwingungen der mehrteiligen Verkleidung. Im Falle eines Falles waren lediglich Einzelteile auszutauschen. Hinter ihren breiten Hamsterbacken fühlt man sich wunderbar geborgen. In der Stadt ruht viel Last auf den Handgelenken, Folge des stark gekröpften, nur knapp 60 Zentimeter schmalen Lenkers. Eng liegen die Knie am schmalen, aber langen 24-Liter-Tank an. Und die Unterschenkel an den Bing-Vergasern. Die eng stehenden Spiegel zeigen eigentlich nur die eigenen Oberarme.

Komfortabel gepolstert ist die nicht überbreite und recht kurze 1,5-Personen-Sitzbank. In Deutschland war die BMW R 100 RS nie für Zweipersonen-Betrieb zugelassen; optional gab es die längere Bank der offiziell 65 PS starken R 100 S. Inklusive der sechs Kilogramm leichten Krauser-Koffer samt deren Trägern erlaubt die 244 Kilo leichte RS (das war sehr wenig für ihre Zeit!) ohnehin bloß 154 Kilogramm Zuladung. Sensationell, wie eng sich die Koffer ans Heck schmiegen, 73 Zentimeter schmal! Sehr kommod sitzt man auch auf der BMW R 1200 RS, eben sport-touristisch leicht nach vorn gebeugt. Ihr Lenker kommt einem schon fast zu sehr entgegen, bei sportlicher Fahrt möchte man intuitiv mehr Last aufs Vorderrad bringen. In Vollausstattung wiegt die 1200er 254 Kilogramm, bloß zehn Kilo mehr als einst. Je einen Helm fassen nur die heutigen Koffer. Viel größer sind Rücksitz und Zuladung (196 Kilogramm). Den Trumpf ihrer perfekt abschirmendenen Verkleidung spielt die BMW R 100 RS auf der Autobahn aus. Der Fahrer sitzt fantastisch integriert – ohne Turbulenzen, und fast ohne Sog. Sobald man sich auch nur etwas klein macht, herrscht völlige Windstille. Doch mehr Endgeschwindigkeit bringt das nicht. Viel Reise, etwas Sport.

BMW R 1200 RS amtierender Alpenmaster 2015

So ab 140 bis 160 geht ein leichtes Rühren durchs alte Gebälk. Dabei war ja die Abtrieb erzeugende Verkleidung gerade auf Hochgeschwindigkeitsstabilität ausgelegt. Für 1976 war das klasse! Da haben Japaner ganz anders gewackelt. Wie schrieb MOTORRAD 3/1977: „Mit dieser BMW R 100 RS sind Reisedurchschnitte erreicht worden, die noch nie irgendeine andere Testmaschine zuließ.“ 160 als Dauertempo! Der Komfort geht absolut okay, die Gabel spricht für ihre Zeit richtig gut an, federt nur etwas schnell wieder aus. Richtig gut arbeiten auch die Ikon-Federbeine, australische Nachbauten legendärer Konis. Und Bridgestone BT 45 sind seit 1999 Top-Reifen für alle Youngtimer! Krude: der BMW-Blinkerschalter aus den 70ern. Er sitzt in der rechten Lenkerarmatur, nach oben blinkt er links, nach unten rechts. Hauptsache anders. Vom Handbremshebel geht ein Seilzug(!) zum Hauptbremszylinder unterm Tank. Erst von dort führen hydraulische Leitungen zu den Schwenksätteln. Rückmeldung und Wirkung bleiben irgendwo hängen, fühlt sich eher an wie eine kräftige Trommelbremse. Eben diese im Hinterrad muss wertvolle Unterstützung leisten.

Dagegen ist die BMW R 1200 RS ein Bote aus der Zukunft. Sie rennt selbst bei Tacho 230 wie am Schnürchen. Hat man die kleine, effektive Scheibe ohne Werkzeug per cleverer Parallelogramm-Mechanik hochgestellt, braucht man sich kaum abzuducken. Telepathisch findet die R 1200 RS den richtigen Kurs. Trotz breiterer Reifen – heute gibt’s vorn mehr Gummi als einst hinten –, die bei gleichem Tempo mehr Schräglage erfordern: Die Neue fährt als amtierender Alpenmaster 2015 Kreise um die Alte. Das semiaktive Fahrwerk erhöht beim Bremsen die Druckstufendämpfung vorn, ein elektronisches Anti-dive. Das direkt angelenkte Zentralfederbein reicht kurze, harte Stöße ein wenig trocken weiter. Viel Sport, viel Reise! Zieht man am dünnen, wenig gefühlsechten Bremshebel der 1200er, beißen alle drei Scheiben vereint zu. Das ist kein Stöckchen in den Speichen, sondern ein Vierkantholz! In Kehren oder beim Wenden kann man per Pedal auch gezielt hinten bremsen. Genial einfach. Von Traktionskontrolle und Blockierverhinderern an den Rädern wagte man vor 40 Jahren nicht zu träumen.

Informationsflut wie im 7er-BMW

Der „Bordcomputer Pro“ der BMW R 1200 RS bietet Informationsfülle und Anzeige-Funktionen wie ein Siebener-BMW. Er schaltet selbsttätig in der Dämmerung und in Tunneln auf „Nacht-Ansicht“, das Tagfahr- auf Abblendlicht. Dazu gibt der Rechner auf Rädern Hochschalt-Empfehlungen, passt den roten Bereich an die aktuelle Motortemperatur an. „Keyless go“ verriegelt Tank- und Zünd-/Lenkschloss nur mit Transponder, ohne Schlüssel. Wird sich die RS in 40 Jahren per Knopfdruck selbst aufbocken?
Heute ist der Blinkerschalter konventionell, sind die Ständer aus jeder Lage leichter erreichbar, das Auf- und Absteigen einfacher als bei der R 100 RS. Jetzt kann es jeder. Happige 11.210 Mark (ohne Koffer) entsprachen 1977 ziemlich genau acht Durchschnitts-Monatslöhnen. Auch nicht günstigen 18.610 Euro in Vollausstattung stehen statistisch nun rund 3500 Euro brutto pro Monat gegenüber. Die Zukunft, sie war einmal.

Fazit

Die BMW R 100 RS war 1976 eine sehr moderne und kühne Konstruktion. Am Übergang vom Metall- zum Kunststoffzeitalter gab ihr die große, charakteristische Vollverkleidung echte Aura. Wer sie heute fährt, ahnt, wie fortschrittlich dieses Fahrverhalten damals war. Er muss sich aber auch viel mehr auf die sensiblere Technik einlassen. Im direkten Vergleich ist kaum zu glauben, um wie viel besser und benutzerfreundlicher heutige Maschinen sind. Zumal die mit Technologie vollgestopfte R 1200 RS eines der besten Motorräder ihrer Zeit ist – ganz wie ihr Ahne. Also ein echter Traditionsbewahrer.

Meinung des R 100-Besitzers

Schmieder
Georg Godde („Cafemoto“) ist BMW-Lieb haber, Veredler und Industriedesigner.

Georg Godde aus Gelsenkirchen (47) ist Besitzer dieser 77er-BMW R 100 RS und selbst Industriedesigner (0815design.de). Bereits mit 19 hatte er seine erste BMW, eine R 60/5, die heute im Keller eines guten Freundes auf ihre Restauration wartet. Darüber hinaus haben Georg und sein Bruder Michael aktuell rund ein Dutzend BMWs mit Schwerpunkt 70er- und 80er-Jahre. Manche sind im Originalzustand, andere baute Georg kräftig nach eigenen Vorstellungen zusammen mit seinem Partner Holger Maninger unter ihrem Label „Cafemoto“ um, worüber MOTORRAD schon öfter berichtete. In der „FUEL“-Ausgabe 4 ist ein Werkstattporträt von „Cafemoto“, der BMW-Schmiede aus dem Ruhrpott.

Goddes Meinung zur BMW R 100 RS: „Das ist bis heute zeitlos funktionales Design in Vollendung, weil Form und Funktion im Einklang stehen. Für mich ist das die Vollverkleidung schlechthin, ein wirklicher Meilenstein im Motorraddesign. Vor Hans A. Muth als Designer dieses Motorrads ziehe ich meinen Hut. Leider steht die R 100 RS deutlich unterbewertet im Schatten der R 90 S – die ja ebenfalls Hans A. Muth entwarf.“ Wer darüber mit Georg Godde diskutieren will, erreicht ihn unter info@cafemoto.de

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