Impressionen Ducati Scrambler

Impressionen Ducati Scrambler Vergleich der Scrambler-Generationen

Vor gut 50 Jahren feierte Ducati mit seinen Einzylinder-Scramblern in den USA respektable Erfolge. Zum Start der neuen Ducati Scrambler ziehen wir aus, den alten Spirit aufzuspüren. Ein Vergleich der Generationen.

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Doch nicht im Amerika der Flo­wer-Power-Jahre spielt unsere Geschichte, sondern an einem ­Freitagnachmittag an der französischen Mittelmeerküste. Hier, etwa 20 Ki­lometer östlich von Cassis, thront der Mont Caume in der Bucht von Toulon wie eine Cocktailkirsche auf einem Banana-Split. Auf dem Gipfel, etwa 800 Meter über dem ­Meeresspiegel, befindet sich nichts – außer felsiger Einöde, Ruinen und einer lange verlassenen Funkstation des französischen Militärs. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick aufs Meer und auf den Hafen von Toulon. Hier herauf kommen Fotografen, um den spektakulären Sonnenuntergang Richtung Marseille abzulichten, die Jugend zum Partymachen und frisch verliebte Pärchen zum Rummachen.

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Sonst herrscht hier, abgesehen vom strengen Pfeifen des Mistrals, eine ehrfürchtige Stille. Nicht so heute Nachmittag, denn heute kraxeln zwei Ducati Scrambler den Mont Caume hinauf und erfüllen die Szene mit kerniger Verbrennerakustik. Wir sind hergekommen, um die DNA, das Erbgut der alten Maschine, aufzuspüren und um zu sehen, was und wie viel davon in der neuen steckt. Immerhin liegen fünf Jahrzehnte gnadenlosen Technologie-Fortschritts zwischen der roten Großmutter und der gelben Enkelin.

Das ist Scrambler-Land

Warum gerade hierher? Die Straßen und Sträßchen dritter bis vierter Kategorie, die sich hier in malerischer Postkarten-Kulisse vom Meer auf den Berg hinaufschrauben, das ist Scrambler-Land. Verlassenes, schmales Asphaltband, anfangs noch eben, geschwungene Kurven, dritter, selten vierter Gang. Dann weiter und weiter nach oben, aus flüssigen Kurven werden Serpentinen, diese immer enger, derbe Krater und Frostaufbrüche, Spitzkehren, zweiter Gang, bald nur noch Flickwerk, Dreck und Rollsplit, schließlich Schotter, auf den letzten Metern Geröll. Wo, wenn nicht hier, ließe sich das Wesen, die Essenz dieser Maschinen aufspüren und erfahren? Schließlich sind Scrambler vereinfachend gesagt die Vorgänger moderner En­duros. In einer Zeit, in der Endurosport in good old Germany noch Geländesport hieß, in den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren, explodierte die Offroad-Welle in den USA förmlich.

Ducati hatte zwar schon zuvor exklusive Geländesportmotorräder fabriziert, die 1962 auf Bestreben des größten US-Importeurs Joe Berliner präsentierte Ducati Scrambler 250 aber traf mit ihrer gemäßigten Ausrichtung (Dual Pur­pose, leichtes Gelände und Straße) exakt den Geschmack des amerikanischen Publikums. Genauso wie ­ihre später aufgelegten 350er- und 450er-Geschwister. Tatsächlich produzierte man in Bologna für einige ­Jahre deutlich mehr Scrambler als Straßensport-Motorräder. Nur in Deutschland, Frankreich und England trauten die Importeure den Ur-Enduros keinen Erfolg zu und setzten auf die Mark3 und Desmo-Modelle, denen im Gegensatz zur Scrambler auch die desmodromische Ventilsteuerung vorbehalten blieb. So kam es schließlich, dass es zwischen 1974 und 2014 keine Scram­bler-Ducatis mehr gab – doch das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

Modern Classic

Technik zum Reinhören, zum Reinschauen und Reinknien

Hier und heute satteln wir eine 450er Jahrgang 1973. Eine der letzten Ducati Scrambler. Die Startprozedur Schritt für Schritt: den riesigen Dekompressionshebel am linken Lenkerende ziehen, locker durchtreten, Öl in Umlauf bringen. Den Kolben an den oberen Totpunkt hieven, Auslassventil noch mal aushebeln, Kolben langsam hinter den Totpunkt schieben. Deko loslassen, Kickstarter nach oben holen. Benzinhahn offen? Zündung an? Choke? Check, Check und Check. Und jetzt: Reintreten, bloß nicht zaghaft. Klappt, wenn die Maschine so sauber eingestellt ist wie unser Exemplar (herzlichen Dank an Ducati-Spezialist Hermann Beyreuther für die Leihgabe!), auf den ersten Tritt. Wahnsinn, dieser Klang! Warm und weich schnaubt und bollert der 436-Kubik-Königswellen-Single – eine Symphonie in vier Takten. Ansaugen, verdichten, zünden, auspuffen. Suck, squeeze, bang, blow, wie der Amerikaner sagt. Durch den offenen Vergaser (nicht Serie) glaubt man, direkt ins Triebwerk hineinzuhören, jeden einzelnen Arbeitstakt, jeden Ventilhub und jede Nockenwellendrehung ausmachen zu können. Technik zum Reinhören, zum Reinschauen und Reinknien. Schon das brennt sich, wie überhaupt dieser ganze Freitagnachmittag, unmittelbar und tief ins Stammhirn ein.

Vorneweg rollt die Neue, wir folgen. Blümchenpflückertempo verschafft etwas Zeit, die völlige Reizüberflutung dieses Zeitreise-Eisens zu kanalisieren und halbwegs systematisch abzuarbeiten. Alles ist wahnsinnig drahtig und zierlich: Rahmen, Schwin­ge, Gabel, Tank und Sitzbank – die ganze Maschine macht, im Stand wie in Fahrt, einen unwahrscheinlich leichten, luftigen Eindruck. Dann diese Vibrationen. Untenrum noch rund und genüsslich, wird die Alte irgendwo im mittleren Drehzahlbereich, dort wo sich das weiche Bollern in hartes Stakkato und das Schnauben in Röcheln verwandelt und Wind in die Bude kommt, zum waschechten Rüttelplattenvibrator. Irgendwo – geht’s nicht genauer? Kaum, die bildhübschen Smiths-Analoginstrumente geben sich italienisch-leger, zeigen grundsätzlich 4500 Touren und knapp 60 km/h. Das spielt momentan auch wirklich keine Rolle, fordert das Getriebe doch bei jedem Schaltvorgang, um es mal mit Jogi Löw zu sagen, „höggschde Konzentration“. Schaltung rechts, umgekehrtes Schaltschema, Zahnräder aus Schokolade – also schön aufpasse!

Fahrer und Maschine grooven sich ein

Nach ein, zwei Kilometern kommt dann so etwas wie Routine, Fahrer und Maschine grooven sich ein. Bald darauf dann die Erleuchtung, das Maschinen-Rätsel gibt nach und nach sein Geheimnis preis. Anbremsen mit viel Gefühl (hinten trommelbremst es schön dosierbar und ausreichend, vorne nicht), Einlenken (diese Leichtigkeit!), aus der Spitzkehre raus den Zweiten, dann Dritten und Vierten mit rechts nach unten durchsteppen, völlig neu und wahnsinnig befriedigend. Den leicht kurzhubigen Königswellen-Single in seinem Wohlfühlbereich ackern lassen, seine Elastizität nutzen, denn er geht schon früh und so geschmeidig ans Gas, wie nur ein Vergasermotor das kann.

Dann den Schwung mitnehmen. 140 Kilo Trockengewicht, schmale Reifen, vorne 19, hinten 18 Zoll – so lenkt die Alte ein wie eine 125er, braucht merklich weniger Schräglage und durcheilt Kurven überraschend neutral und irgendwann sogar zügig. Ansprechend federn kann das Fahrwerk, dämpfen weniger. Aber wer wird an diesem Freitagnachmittag nach Druck- und Zugstufe fragen?

Sitz­position fast die gleiche

Halbzeit, Maschinen durchtauschen. Hat die Neue überhaupt eine Chance, uns so zu berühren? Aufsitzen – hm, ziemlich gefühlsecht, die Sitzposition. Klar, alles ist breiter, viel massiger, weniger filigran. Auch wenn die neue Scrambler Ducati für sich genommen ein zierliches Motorrad ist, neben ihrer Ahnin wirkt sie wie anderthalb Maschinen. In gewisser Weise verhalten sich die beiden zueinander wie Scarlet Johansson und Twiggy. Trotzdem, die Sitz­position ist fast die gleiche. Niedrig, auf ­einer flachen Sitzbank. Kleiner, flacher Tropfentank, breiter, hoher Lenker, nichts im Blick außer selbigen, eine kleine Tachoeinheit und Berge und Meer – Sitzprobe bestanden, lässige Steve-McQueen-Haltung pflichtgemäß berücksichtigt, Check.

Während sich der Kollege auf der alten Scrambler noch mit Kicker und Warmstartverhalten anfreundet, macht die Gelbe schon ordentlich Meter. Untere Mittelklasse? Von wegen: Wer von der 450er auf die neue Scrambler steigt, wähnt unter ihrem Tank nicht den modifizierten, luftgekühlten L-Twin der Monster 796, sondern den Warp-Kern von Raumschiff Enterprise. Leistung ist eben relativ, und nach einer Weile mit eher zahmen 27 PS fühlen sich diese 75 Desmo-Cavalli nach relativ verdammt viel an, erst recht im winkligen Scrambler-Land. Überhaupt klatschen einem 50 Jahre Fortschritt nach dem Umsteigen wie Backpfeifen um die Ohren. Motor (Druck, Laufkultur, Drehzahlreserven), Kupplung (leichtgängig und prima dosierbar), Getriebe (konventionell, Schaltung links, hat einen auffindbaren Leerlauf!), Bremse (bremst!), ABS, Grip ohne Ende, etc… Nach heutigen Maßstäben mag die neue Scrambler ein einfaches, reduziertes Motorrad sein, gegen ihre Ahnin wirkt sie wie ein Hightech-Geschoss aus dem 23. Jahrhundert.

Alte kann nicht wirklich schnell, Neue will nicht richtig schnell

Trotzdem: Das Herz der alten Scrambler, ihre Essenz, hat das Team um Produktmanager Mario Alvisi so weit wie möglich eingefangen und in die Neuzeit übersetzt. Der Motor hat Charme, Charakter und Sound bis zum Abwinken, da kann man dem Zweiventil-Twin verzeihen, dass er kein Einzylinder ist. Und das Fahrverhalten? Natürlich ist es ganz anders, modern eben, aber irgendwie auch sehr ähnlich. Hä? Klartext: 190 Kilo vollgetankt, ein fetter 180er-Gummi hinten, klar ergibt das ein ­behäbigeres, satteres Einlenken als bei der nach heutigen Maßstäben schwindsüch­tigen 450er. Aber für sich genommen fährt die neue Scrambler ebenfalls easy; und besonders die Sitzposition, die überträgt einen guten Teil vom großen Scrambler-Feeling. Man kann es auch so sehen: Die Alte kann nicht wirklich schnell, die Neue will nicht richtig schnell. Beide entschleunigen auf ihre eigene Weise, beide machen gelassen, und beide lassen dich sehr, sehr cool fühlen.

Ein Ass, das zeigt sich jetzt auf den letzten Metern hinauf zum Mont Caume, hat die 450er noch im Ärmel. Hier, auf Schotter, schwingt sie sich heute noch einmal zu alter Größe auf und hat ruck, zuck zur Enkelin aufgeschlossen. Die ist einfach durch und durch Straßenmotorrad, da nützen auch die grob profilierten Pirellis nix. Aber etwas anderes als ein spaßorientiertes Landstraßen- und Flaniermoped will sie auch nicht sein.

In puncto Optik generationenübergreifende Gemeinsamkeiten

Auf dem Gipfel kommen beide daher ­gemeinsam an. Zeit, die beiden noch mal ganz in Ruhe wirken und die Gedanken schweifen zu lassen. Wie beim Fahrverhalten finden sich auch in puncto Optik generationenübergreifende Gemeinsamkeiten. Die Linien, die Formen – die Neue trägt mit Stolz den Style der Alten, nur eben modern interpretiert. Man beachte nur die Chromzierleiste unter der Sitzbank oder die Tank­embleme. Auch verstehen es beide, einem mit liebevollen Details den Kopf zu verdrehen. Im Falle der Neuen sind dies bewusst gestaltete Designelemente wie der Tank­deckel, bei der Alten eben technische Lösungen wie die fantastische Königswelle.

Und nun, Fazit? Wir haben sie gesucht und gefunden, die Scrambler-DNA, und ja, einiges davon hat es in die Neuauflage geschafft. Im Grunde ist die Sache ganz einfach. Die Alte ist ein Plattenspieler, die Neue ein MP3-Player. Beide dienen dem­selben Zweck, sie spielen denselben schönen Song, nämlich „All along the Watchtower“ von Jimi Hendrix. Bis hierhin gleichen sie sich. Die Gelbe stellt, wie man das von einer Ware im digitalen Zeitalter erwarten darf, ein nahezu perfekt geschliffenes Produkt dar: praktisch, haltbar, bedienerfreundlich, sicher, schnell, und, nicht zu vergessen, verfügbar. Das meiste davon ist die Alte nicht, aber genau das macht halt ihren Reiz aus. Sie hat etwas, was ein MP3-Player niemals haben kann. Sie ist das echte Ding, das analoge Original. Was hier in vielen Worten doch nur angerissen werden kann, lässt sich aber auch viel unmittelbarer erfassen – einfach mal bei Gelegenheit an einem richtig alten Motorrad riechen. Die riechen nämlich so wie unsere 450er: nach Werkstatt, nach ehrlicher Arbeit, nach Öl und Schmierfett, nach Benzin und Abgasen. Die riechen nach „Es war einmal …“

Technische Daten Ducati Scrambler

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Neuinterpretation, dem Original verpflichtet und doch eigenständig: Die gleiche elegante Tank-Sitzbank-Linie, aber mit Vau-Zwei insgesamt viel massiger als der Klassiker.

Technische Daten Ducati Scrambler 450

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Treffen der Generationen: links eine der ­letzten 450er Scrambler, Jahrgang 1973 – rechts die Enkelin, Baujahr 2015.

Einzylinder-Motor, 436 cm³, 20 kW (27 PS) bei 7000/min, Einschleifen-Stahlrohrrahmen mit offenem Unterzug, Telegabel, Doppel-Simplex-Trommelbremse vorn, Trommelbremse hinten, Ø 140/140 mm, Leergewicht 140 Kilogramm, Sitzhöhe 770 Millimeter.

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