Wobei, das mit der Sandkiste ist ja so eine Sache. Erstens ist es in unserem nicht eben wenig durchreglementierten Land gar nicht so einfach, eine legal befahrbare zu finden. Und zweitens: Ein realistisches Einsatzszenario für Scrambler stellen sie dieser Tage auch eher selten dar. Wer wirklich Ambition fürs Grobe hat, kauft in der Regel einschlägigeres Material. Andererseits: Wer sucht, der findet auch …
Nun denn, ähnlich wie bei vielen Reiseenduros, oder auch ihren vierrädrigen Pendants namens SUV, geht es eher um ein "Man könnte ja" als um ein "Man sollte mal". Zumal das "Könnte" bei genauerem Blick eh nur von begrenzter Schlagkraft sein sollte. Lange Federwege, grobe Stollengummis, schwindsüchtiges Gewicht: findet sich an unserem Dreckwühler-Trio von Ducati, Fantic und Mash wenn eher vereinzelt als Inselbegabung.
Retro-Schick bis ins Detail
Volle Breitseite gibt es dagegen an der Ästhetik- und Geschichtsfront. Ob nun an der kühl technoiden Ducati, an der herrlich gestrigen Mash oder an der geschmackssicher zwischen gestern und heute wandelnden Fantic: Überall wird das Auge umfangreich zum Verweilen eingeladen, überall wird reichlich aus der eigenen Historie zitiert. Oder aus der von anderen.
Design Mash X-Ride 650 Classic
Goldene Speichenfelgen, Tropfentank, hoher Schnabel: Im französischen Mash-Designstudio hing bei der Entwicklung der X-Ride 650 Classic wohl nicht nur ein Bild der seligen Yamaha XT 500. Nicht die schlechteste Blaupause, immerhin die erste richtige Großserien-Enduro. Und nicht zum ersten Mal Inspiration für modernes Material, man werfe nur einen Blick in Richtung Desert Sled, einer weiteren Variante der Ducati Scrambler. Selbst unter dem Tank zitiert Mash bei alten Größen. Der 644er-Single ist ein Lizenznachbau der Dominator von Honda und wird wie das ganze Motorrad bei Shineray in China gefertigt. Kopiert wird ja bekanntlich nur Gutes, und in diesem Fall wurde sogar vorher freundlich um Erlaubnis gefragt. Und solange das Ergebnis so betörend ist, muss keiner meckern. Es sei denn, man schaut etwas zu genau hin. Fragwürdige Schweißnähte, Armaturen direkt aus den 80ern und rustikal aus Plastik und Metall gehauene Komponenten allerorten trüben den positiven Ersteindruck doch ein wenig.
Design Ducati Scrambler Icon Dark
Wie es besser geht, zeigen die italienischen Nachbarn. Das Motorrad aus Bologna, das 2015 den ganzen Scrambler-Hype neu entfachte, weiß immer noch zu gefallen. Routinierte Großserien-Standards treffen auf lässig geschwungenen, modernen Federstrich ohne allzu bemüht wirkende Retro-Kapriolen. "Freedom born in 1962"-Sprüche auf dem Tankdeckel hin oder her. Die Linie der Ducati Scrambler passt, und es braucht nicht erst einen Steinbruch und novemberliches Kaiserwetter, um mit dem "Skerrrrrembleeerrrr", wie die Italiener gerne sagen, jederzeit eine gute Figur zu machen.
Design Fantic Caballero Scrambler 500
Noch besser gar geht es nicht weit entfernt von Bologna, nämlich in Treviso, nördlich von Venedig. Was die noch gar nicht so lange wiederbelebte Offroad-Legende Fantic an Grandezza in ihre größte Caballero pumpt, ist in Hinblick aufs Preisschild herausragend. Beispiele? Gern: aus dem Vollen gefräste Gabelbrücken und Fußrastenausleger. Eine kleine, aber feine Portion Karbon am Krümmer. Stilsichere Form- und Farbgebung. Und allerhand liebevolle Details, die ein Garagen-Zwiegespräch mit dem "Ehrenmann" (Caballero) aus Italien zu einer befriedigenden Abendbeschäftigung werden lassen.
Doch so weit ist es noch nicht, noch steht die Sonne weit oben am Firmament. Ein Zustand, der in Frequenz, Dauer und Intensität im späten November bereits mächtig an Drive verloren hat. Und was bringt der schönste Anzug, wenn man ihn nur im Schrank hängen lässt? Also, ab nach draußen, solang’ es noch geht.
Ergonomie und Fahreindrücke Mash
Der Vortritt gebührt dem Ältesten. Oder dem, der zumindest danach aussieht. Obwohl das neueste Motorrad im Trio, scheint die Mash per Marty McFlys Zeitmaschinen-DeLorean direkt aus den Eighties in die Gegenwart geflogen zu sein. Ein Eindruck, der sich auch beim ersten Aufsitzen zementiert. Es gilt, fast 85 Zentimeter Sitzhöhe zu erklimmen. Ein Maß, an dem man gut erkennen kann, ob ein Hersteller sein Motorrad breitentauglich zu platzieren versucht. Denn abseits von echtem Spezialistenmaterial ist man heutzutage tunlichst darauf bedacht, möglichst viele potenzielle Kunden abzuholen. So wie es Ducatis Scrambler mit seinem fast sechs Zentimeter tieferen Sitz, aber sehr viel höheren Verkaufszahlen vormacht. Nun denn, Respekt jedenfalls an Mash für solch konsequentes Retro-Enduro-Feeling.
Griff zum breiten Lenker, Blick auf das winzige, aber umfänglich informierende Cockpit und Druck aufs Knöpfchen. Und die Zeitreise geht weiter. Voluminös tönendes und gefühlsecht schepperndes Einzylinder-Ballern: Wo gibt es das heute schon noch? Solche Vibrationen findet man heute auch nicht mehr ohne Weiteres. Hat man einmal zur strammen Kupplung gegriffen, im rustikalen Getriebe nach unten gehackt und am schwergängigen Gasgriff gedreht, diktieren die intensiven Lebensäußerungen des Einzylinders nachdrücklich seinen Wohlfühlbereich. Zwischen 3.000 und 5.000 Umdrehungen spielt sich das Leben mit der X-Ride ab, darunter hackt’s, darüber scheppert’s.
Arturo Rivas
Die Retro-Mash atmet heftigst den Geist vergangener Tage. Optisch gefällt das überaus.
Apropos intensiv und nachdrücklich: zwei Vokabeln, die auf das, was in diesem kleinen Drehzahlfenster geht, nicht unbedingt passen. Gemütlich trifft es da schon besser. Das alte Honda-Baumuster hat nämlich gar nicht so wenig an der Mash zu schleppen, hatte es doch früher, als die Abgasnormen noch weniger drastisch waren, etwas mehr Leistung und befand sich in etwas leichterer Umgebung. Nicht lustvoll, aber beharrlich stampft es sich das schmale Drehzahlband empor. Thema Gewicht: So ganz versteht man nicht, was bei einem ausgewiesenen Lowtech-Motorrad mit luftgekühltem Single doch noch 180 Kilogramm auf die Waage bringt. Aber glücklicherweise weiß die Mash ihre Pfunde gut zu kaschieren, wenn sie rollt. Erfrischend, ja fast schon erstaunlich, wie flott sie von Schräglage zu Schräglage schwingt. Die Metzeler-M7-Gummis sind da aber auch ein kleiner Wettbewerbsvorteil, spenden gar eine zarte Prise SuperMoto-Feeling. Moment, Sportreifen auf einem Scrambler? So kam jedenfalls das eilig herbeigeschaffte Händlermotorrad. Kein Nachteil angesichts der eher griparmen Serienbereifung aus China. Zumindest außerhalb der Sandkiste.
Präzision und Feedback sind zwar trotzdem keine Paradedisziplinen der X-Ride, aber Spaß macht es trotzdem, zumal der Old-School-Ballermann keine bösen Überraschungen bereithält. Nur erwartbare, denn je mieser der Untergrund, desto mehr fährt es ins Kreuz. Das hintere Federbein bleibt zwar nicht mehr stecken wie bei der letzten Testmaschine, aber agiert immer noch "gefühlsecht". Viel Härte, wenig Dämpfung. Die Gabel führt dafür ganz manierlich, agiert gnädiger. Und die Bremse? Sagen wir so, die Gabel kann sich ihr Komfortplus ruhig leisten, denn die Gefahr, beim Verzögern auf Block zu gehen, ist eher gering. Man muss schon ordentlich reinlangen für amtliche Verzögerung. So wie früher halt.
Ergonomie und Fahreindrücke Ducati
Aber: Pas de problème, wenn man auf der Franko-Chinesin an den Italo-Schwestern dranbleiben will, sollte man besser eh nicht zur Bremse greifen. Vor allem die Ducati ist dann innerhalb kürzester Zeit aus dem Blickfeld. Klaro, doppelt so viele Zylinder, gefühlt doppelt so viel Laufkultur, mit gutem Willen fast doppelt so viel Leistung und ganz faktisch kaum mehr Kilos: Der Scrambler-Pionier der Neuzeit liefert in dieser Kraxel-Runde Fahrdynamik wie aus einer anderen Welt. Sein V2 hat Band, feinste Manieren, Punch im Keller und ordentlich Ambition oben raus. Dazu ballert es zwar nicht, aber so ein metallisch-gutturales Rumpeln macht sich auch ganz gut im Gehörgang. Das Fahrwerk hat die übertriebene Härte der ersten Jahre abgelegt, liefert aber trotzdem genug Dämpfungsreserven, um es knackig angehen zu lassen. Die Duc fährt zwar nicht endlos stabil, aber spaßfördernd handlich. Auch ein Verdienst des fast schon unanständig weit nach oben geschwungenen Lenkers.
Trotz der niedrigen Sitzposition lässt sich die Duc so wirklich fluffig bewegen. Dazu schaltet und bremst es sich knackig, und für die Kupplung reicht auch ein zartes Damenunterärmchen. Schnell ergibt sich so auf dem Scrambler alla bolognese ein intuitiver Fahrfluss, bei dem alle Rädchen wie in einer gut geölten Maschine fast wie von selbst ineinandergreifen.
Arturo Rivas
Macht seit 2015 eine gute Figur. Also, die Ducati Scrambler. Der Fahrer schon etwas länger.
Auch wenn schon die typischen Motorrad-Schauwerte zeigen, dass die Ducati in einer anderen Welt rumpoltert als die beiden Einzylinder, so ist es doch diese Geschliffenheit, diese mit der Routine der Großserie fühlbare Evolution, die über alle Sinne in die Synapsen kriecht und die der Fantic etwas und der Mash etwas mehr fehlt. Ein grundsympathisches Motorrad, das die Quirligkeit und das Leichte eines Scramblers mit Dynamik und Ästhetik einer Ducati verbindet. Das alles ist nicht billig, aber preiswert. Man versteht, warum die Italiener solch einen Hit landeten, als sie das Scrambler-Genre quasi aus dem Nichts neu belebten.
Aber man versteht auch, dass die Strahlkraft über die Jahre etwas nachgelassen hat. Genug Zeit, der Perfektion der Ducati (wer hätte gedacht, dass diese Worte mal zusammenfallen) und ihres Neo-Retro-Designs gegebenenfalls gar überdrüssig zu sein. Gäbe es doch nur einen Scrambler, der kantiger und weniger avantgardistisch als die Duc, aber fetziger und leichter als die Mash wäre …
Ergonomie und Fahreindrücke Fantic
Es gibt ihn, und er kommt von Fantic. Die schon stationäre Begehrlichkeit der hoch attraktiven Caballero ist bemerkenswert. Und spätestens, wenn man aufs Knöpfchen rechter Hand drückt und der knallige Single loslegt, wird sie sogleich auch eine ambulante. Auch dieser wassergekühlte und mit 449 Kubikzentimetern großzügig zur 500er geadelte Motor wird in China gefertigt (Zongshen), ist sonst aber meilenweit von der Gemütlichkeit seines hubraumstärkeren Pendants in der Mash entfernt. Hier wird wirklich noch kernig geballert. Akustisch und fahrdynamisch. Der Einzylinder lässt sich früh ans Gas nehmen, reagiert schnell auf jede kleine Handbewegung und steigt ambitioniert sowie weit die Drehzahlleiter hinauf. Die fast schon zu kurze Übersetzung lässt einen beim Mosten kaum mit dem Schalten hinterherkommen. Es gibt auch nur knapp 40 PS, sie wirken aber stets aufgeweckt und haben mit den kaum mehr als 160 Kilogramm der Fantic leichtes Spiel.
Dazu sind Kupplung, Getriebe, Bremse und Fahrwerk funktional näher an der Ducati als an der Mash. Leicht und präzise bedienbar, aber jeweils mit saftigem Output. Vor allem die Federelemente stechen hervor, sind noch gnädig justiert, bieten aber trotzdem satte Dämpfung. Dazu eine schön aktive Sitzposition, weniger lümmelig als auf der Ducati, aber breitentauglicher als auf der Mash. Wenn man das alles oben in einen Mixer schmeißt, kommt unten ein herrlich auf den Punkt abgestimmtes, agiles Motorrad heraus, das das Maximale aus seinen Möglichkeiten holt. Nur die leichte Kippeligkeit in mittleren Schräglagen passt nicht ins Bild, zumal der bewährte Pirelli Scorpion Rally STR eigentlich nicht dafür bekannt ist. Wir behalten das mal bei zukünftigen Testmaschinen im Auge. Genau wie die Kupplung, die zum Testende anfing, leicht zu rutschen. Was leider eine Messung der Fahrleistungen verhinderte. Erste Recherchen sprechen für einen Einzelfall, erste Untersuchungen lassen zu wenig vorgespannte Kupplungsfedern vermuten. Wie dem auch sei, die Ursachenforschung läuft, und die Messungen werden nachgeholt, versprochen.
Arturo Rivas
In diese Augen schaut man auch gerne zweimal. Oder noch am nächsten Morgen.
Was nichts daran ändert, dass den aus der Versenkung auferstandenen Italienern vielleicht das authentischste, quirligste und luftigste Scrambler-Feeling gelungen ist. Was auch für die Sandkiste gilt. Schließlich gilt es, einen Ruf zu verlieren, Fantic und Offroad, das waren viele Jahre Synonyme. Und wenn wir schon mal da sind …
Die längsten Federwege, das größte Vorderrad, die gröbsten Gummis, das geringste Gewicht und ein antrittsstarker, kultivierter Motor: Wenn man wirklich im Dreck springen und wühlen will, kann es nur die Caballero sein. Mit einigem Abstand folgt die Scrambler, deren Raddimensionen und Bereifung straßenorientierter sind und deren Mehrgewicht deutlich zu spüren ist. Die X-Ride hingegen bietet sich mit ihrem reinen, harten Straßenfahrwerk, der Kombi aus mildem Motor, vergleichsweise hohem Gewicht und Sportpellen am wenigsten an. Dafür sieht aber auch hier keine besser aus. Und das ist heutzutage ja fast die wichtigste Kompetenz eines Scramblers. Wie schon gesagt, das mit der Sandkiste ist halt so eine Sache.
Die ausführliche 1000-Punkte-Wertung, Messwerte und Diagramm gibt's in MOTORRAD 1/2021 als PDF zum Download.
Fazit
Fantic Caballero Scrambler 500: Was für ein Auftritt. Die Caballero ist optisch wie funktional betörend, federleicht, wertig gemacht, fair eingepreist. Dazu ein knalliger Eintopf und veritable Scrambler-Qualitäten. Nur der Testdefekt trübt die ansonsten tolle Bilanz ein wenig.
Mash X-Ride 650 Classic: Retro kann keiner besser, mehr schönes Gestern gibt es nicht. Das gilt aber auch für Machart und Fahrverhalten, was den niedrigen Preis etwas relativiert. Zwar weder off- noch onroad ein Brenner, aber dafür herzerwärmend.
Ducati Scrambler Icon Dark: Das Urmeter der Scrambler-Renaissance. Fährt in dieser Runde in einer eigenen Liga und bietet trotzdem auch ein bisschen was fürs Herz. Das neomoderne Design ist Geschmackssache, die solide Machart nicht.