Scrambler waren der Hit – in den 1960er- und 1970er-Jahren. Kann der Neu-Aufguss von Ducati das Erlebnis von damals in die Zukunft zurückholen? Da hilft nur ein Selbstversuch.
Scrambler waren der Hit – in den 1960er- und 1970er-Jahren. Kann der Neu-Aufguss von Ducati das Erlebnis von damals in die Zukunft zurückholen? Da hilft nur ein Selbstversuch.
"Kann das weg, oder braucht das die Classic-Abteilung noch, um eine Retro-Kiste zu bauen", könnte als Frage durch die Ducati-Hallen geklungen haben. Jaja, für echte Ducati-Fans eine ketzerische, fast blasphemisch-entwürdigende Verhöhnung des guten alten luft-/ölgekühlten Zweiventil-V2, der so viele Jahre in der kleinen Monster treu gedient hat. Und um es vorwegzunehmen: Der 803-Kubik-Twin der Ducati Scrambler macht seine Sache gut – in emotionaler und rationaler Hinsicht. Aber reicht das allein, um dem Scrambler-Gedanken gerecht zu werden und als Neu-Interpretation der alten, originalen Scrambler-Modelle eine Daseinsberechtigung zu finden?
Genau das gilt es hier im Test der Ducati Scrambler herauszufinden. Schon das Startprozedere hat natürlich nichts mit dem einstigen Vorgang zu tun, der notwendig war, um den Einzylinder (anfangs mit 250, später mit 350 oder 450 cm³) zum Leben zu erwecken. Dass ein moderner Twin mit Einspritzung auf Knopfdruck anspringt, ist keine Überraschung. Doch der bassig-dumpf hämmernde Sound, der dem kurz geratenen, dicken Stummel-Endtopf entweicht, ist einer Ducati Scrambler durchaus würdig.
Dass sich 189 Kilogramm auf mächtig breiten Reifen (hinten 180 mm) weniger spielerisch anfühlen als die deutlich leichtere Urahnin, ist auch klar. Doch die aufrecht lässige Sitzhaltung hinter dem enorm breiten Lenker vermittelt sehr gut das lässige Feeling, das man auf einer Scrambler erwarten darf. Und in puncto Handlichkeit lässt sich die moderne Ducati Scrambler ja ebenfalls nicht lumpen, lenkt willig und berechenbar ein, liegt satt auf der Bahn, auch wenn die Abstimmung eher etwas zu straff ausgefallen ist. Von der ursprünglich ins Konzeptheft geschriebenen leichten Geländetauglichkeit ist jedenfalls nicht allzu viel übrig. Macht nichts, es geht ja eh meist um den Fahrspaß onroad, das Erleben von Motorsound und dessen kernigem Pulsieren, von Fahrtwind und der Coolness, die solch ein Bike automatisch verleiht.
Fahrspaß ist garantiert, auch weil die modernen Brembo-Bremsen, vorn eine 330-mm-Scheibe mit Vierkolbensattel, amtlich zubeißen und es so erlauben, die durchaus strammen Fahrleistungen der 75 PS starken Ducati Scrambler auszureizen. So viel bleiben nach der Neuabstimmung des einst in der Monster 87 PS leistenden V2 übrig. Mehr als genug, zumal der leicht modifizierte V-Twin (Drosselklappenkörper, Nockenwellen) nun tolle Manieren an den Tag legt, ohne Verschlucken durchzieht und eine saubere Drehmomentkurve hinzaubert, ohne Dellen und Hänger.
Das Fahrerlebnis begeistert also, und auch das Auge wird nicht beleidigt, wofür die vielen liebevollen Details sorgen, die im Design dem Vorbild huldigen. Eine passende Zierleiste hier, ein Schriftzug dort, der Alu-Lampenring – schön gemacht. Dass unter der Sitzbank ein Zeugnis der modernen Zeiten in Gestalt einer USB-Steckdose schlummert, wirkt angesichts des gelungenen Retro-Stylings fehl am Platz – kann man ja aber einfach ignorieren. Den kleinen Digitaltacho der Ducati Scrambler verstehe jedoch wer will – was technisch keine Notwendigkeit oder echten Fortschritt darstellt und zudem in der Funktion (Ablesbarkeit) Schwächen zeigt, muss nicht modern sein um des Modernseins willen. Klassische Runduhren mit Zeigern hätten der Ducati besser zu Gesicht gestanden. Sei‘s drum – wieder Raum für eigene Gestaltung und Umbauten. Dem Retroisieren und Individualisieren sind schließlich kaum Grenzen gesetzt. Ob der Preis von 8740 Euro (inkl. Nebenkosten, Gelb kostet 100 Euro Aufpreis) der Verbreitung der Ducati Scrambler Grenzen setzt, wird sich zeigen.
Fest steht: Auch wenn den meisten von uns der Sinn mehr nach den alten Originalen steht – für ein modernes Bike im Retro-Stil ist die neue Ducati Scrambler äußerst gelungen. Und wenn wir Klassiker-Fans auf den Straßen schon von jungen oder gar brandneuen Motorrädern umzingelt sind, dann doch lieber von solch schönen Exemplaren als von hässlichen.
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