A2-Scrambler im Test: Retro-Coolness bezahlbar und alltagstauglich

Honda CL 500, Royal Enfield Guerrilla 450, Triumph Scrambler 400 X
Retro-Coolness in alltagstauglich und bezahlbar

ArtikeldatumVeröffentlicht am 06.10.2025
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Große Auftritte gelingen auch mit kleinem Besteck – das zeigt schon die kurze Stadtfahrt zur nächsten Tanke auf Honda CL 500 , Royal Enfield Guerrilla 450 und Triumph Scrambler 400 X. Fetter V-Twin, 20.000-Euro-Reiseenduro oder 200 PS? Auf solche Superlative verzichten diese Scrambler gern und ziehen die Blicke stattdessen gekonnt mit Retro-Style "wie von damals" auf sich.

An der Ampel oder Zapfsäule kann man es förmlich in den Blicken der Passanten lesen: "Oh, was haben wir denn da? Schick. Will ich auch." Retro-Coolness und Schotter-Attitüde wirken eben – auch in kleiner, alltagstauglicher und bezahlbarer Form.

Honda CL 500: solide und robuste Verarbeitung

Schon auf den ersten Blick gibt sich die Honda betont zurückhaltend. Viel Schwarz, sandbrauner Mattlack für den Tank, klare Linien – die Honda CL 500 verzichtet auf Glanz und Gimmicks, bleibt bis auf den fetten, hochgezogenen Endtopf mit Edelstahl-Hitzeschutz nüchtern und funktional.

Im direkten Vergleich zur aufwendig gestylten Triumph Scrambler 400 X und der frisch präsentierten Royal Enfield Guerrilla 450 wirkt sie fast schon schlicht. Doch genau dieser Pragmatismus beschreibt ihren Charakter ziemlich treffend. Nichts dran, was man nicht braucht – und was dran ist, wirkt robust und solide verarbeitet, trotz Fertigung in Thailand. Freunde verspielter Details holt dieser Auftritt dann eben kaum ab. Wer es puristisch mag, dürfte sich aber genau davon angesprochen fühlen.

Triumph Scrambler 400 X: verspielter und edler Look

Wer beim Streben nach Freiheit etwas mehr Ausdruck sucht, findet ihn bei den beiden in Indien gefertigten Einzylindern – verspielter, edler, insgesamt aufregender. Besonders die Triumph Scrambler 400 X setzt optisch lieber auf Klotzen statt Kleckern: gebürstete Alu-Seitendeckel, hochwertiges Oberflächenfinish und ein durch und durch typischer Triumph-Look, der sich bis ins Detail an den größeren – und oft doppelt so teuren – Geschwistern orientiert. Besonders die schicke Abgasanlage mit elegant geschwungenem Krümmer, eine Upside-down-Gabel mit schickem Goldanstrich und ein fescher LED-Rundscheinwerfer hinter Gittern stechen ins Auge. Kaum zu glauben, dass dieses Motorrad zur Einsteigerklasse zählt – und absolut beeindruckend, wie konsequent die Briten ihren Stil in die kleine Klasse übertragen, ohne dass es nach Sparversion riecht.

Royal Enfield Guerrilla 450: unkonventioneller Eyecatcher

Anstatt auf klassische Eleganz und edles Understatement zu setzen, schlägt die Royal Enfield Guerrilla 450 den passenderen Weg zu ihrem Namen ein: unkonventionell, rebellisch, selbstbewusst. Wo die Honda Understatement predigt und die Triumph britische Noblesse zelebriert, setzt die Guerrilla auf Rebellion im Kleinformat. Statt des scramblertypischen 19-Zoll-Vorderrads rollt sie als Einzige im Trio auf 17 Zoll im Naked-Stil, kreuzt sportlich-kompakte Proportionen mit breitem Tank, breitem Lenker und reichlich modernen Features. Ihr knalliges 80er-Jahre-Lackkleid macht sie endgültig zum Eyecatcher – nicht mit der Brechstange, aber mit reichlich Selbstbewusstsein.

Motoren der A2-Scrambler

Doch guter Stil allein hat bekanntlich noch niemanden ans Ziel gebracht – was steckt also unter den klassisch geformten Spritfässern? Im Fall der Honda CL 500 ein altbekannter A2-Evergreen: Ihr 471-Kubik-Reihentwin mit 180-Grad-Kurbelwelle steckt seit 2013 in unterschiedlichsten 500er-Hondas – unter anderem in der CB 500 F, der CB 500 X und dem Adventure-Modell NX 500. Ein robuster, vielfach bewährter Allrounder, seit Jahren als sparsam, zuverlässig und gleichzeitig unterhaltsam bekannt.

In der Enfield werkelt hingegen ein deutlich frischeres Triebwerk: Die Royal Enfield Guerrilla 450 wird von einem wassergekühlten Einzylinder mit 452 Kubikzentimetern befeuert – der erste Motor der indischen Traditionsmarke mit zeitgemäßer DOHC-Ventilsteuerung. Seine Premiere feierte der Antrieb vergangenes Jahr im Offroad-Modell Himalayan 450 und markiert technisch einen spürbaren Entwicklungsschritt für die Inder.

Auch Triumph kann mit einem modernen Aggregat aufwarten: Die Triumph Scrambler 400 X setzt auf einen wassergekühlten Einzylinder, der baugleich auch die Roadster-Schwester Speed 400 antreibt – 398 Kubikzentimeter, DOHC-Vierventilkopf und Ausgleichswelle inklusive. Entwickelt wurde das feine Motörchen in Kooperation mit Bajaj in Indien, gefertigt wird es ebenfalls dort. Er soll Triumphs Einstiegsklasse künftig eine solide technische Basis liefern.

Ergonomie der A2-Scrambler

Ebenso essenziell wie ein solider Motor ist die Ergonomie. Und spätestens beim ersten Aufsteigen zeigt sich: Nicht jeder Scrambler schlägt denselben Ton an. Am erwachsensten wirkt die hochbeinig-schlanke Britin. Hoher Lenker, entspannter Kniewinkel, großzügige, braun kunstbelederte Sitzbank – selbst große Fahrer fühlen sich hier auf Anhieb wohl, auch auf längeren Strecken. Das gilt auch für Beifahrer: Vor allem im Vergleich zur knapp bemessenen Honda ist der Soziusplatz der Triumph Scrambler 400 X ordentlich nutzbar. Hinten wie vorne geht es auf der Honda CL 500 deutlich kompakter zu. Der Lenker fällt schmal aus und spürbar nach hinten gekröpft, was im direkten Vergleich eine leicht inaktive Sitzposition ergibt – wenn auch nicht unbequem.

Größere Fahrer müssen mit spitzerem Kniewinkel leben, dafür fällt der für Hondas 500er-Baureihe typische, ausladende Kupplungsdeckel ergonomisch nicht so negativ auf wie bei der Softchopper-Schwester Rebel. Sportsfreunde dürften sich am ehesten zur Guerrilla 450 hingezogen fühlen. Der breite Lenker liegt gut in der Hand, rückt den Fahrer spürbar weiter nach vorn und bringt Druck aufs Vorderrad, ohne zu stressen. Okay, der Kniewinkel fällt noch eine Idee sportlicher aus als bei der Honda, und die ausladenden Tankflanken verhindern bei langen Haxen perfekten Knieschluss. Dafür bietet die straffe, aber effektiv gepolsterte Sitzbank trotz direktem Gefühl ausreichend Restkomfort – auch für längere Runden. Längere Schotteretappen dürften bei keinem der drei wirklich im Lastenheft stehen. Stattdessen genießt man die freche Kraxler-Optik, bleibt aber dort, wo diese Bikes die meiste Zeit ihres Lebens verbringen werden: auf der Straße. Hier zeigen sich die konzeptionellen Unterschiede noch deutlicher als im Datenblatt.

Honda CL 500: Ruckelfreier und durchzugsstarker Zweizylinder

Wenig überraschend liefert die Honda CL 500 motorisch den souveränsten Auftritt – quasi ab Standgas ruckelfrei, durchzugsstark, angenehm. Der gründlichst durchentwickelte Zweizylinder schiebt linear an und bleibt dabei nahezu völlig frei von Allüren. Erst ab etwa 6.000 Touren meldet sich ein feines Vibrato, das ausgedehnte Autobahnetappen zur kribbeligen Angelegenheit macht. Im Alltag und auf der Landstraße fällt das aber kaum ins Gewicht. Man schaltet selten auf der Honda, braucht dazu nur einen Finger am federleicht laufenden Kupplungshebel. Alles funktioniert einfach. Fast zu gut. Denn sprudelnde Emotionalität hat das Aggregat weniger im Programm. Wer einfach nur in Ruhe dahinblubbern will, wird allerdings sofort glücklich.

Fahrdynamisch größter Unterhaltungswert bei der Guerrilla 450

Ganz anders die Royal Enfield Guerrilla 450: Ihr Eintopf hängt spritzig am Gas, bollert kernig und vermittelt spürbar mehr mechanisches Leben. Beim Anfahren braucht’s Gefühl – die Kupplung kommt spät, verlangt etwas mehr Handkraft, und dazu funkt die Anfahrhilfe (Ride-by-Wire!) manchmal unerwartet rein. Außerdem nervig: Schaltet man zackig hoch, gibt’s im Zweiten beim Gasanlegen eine kurze Gedenksekunde. Gerade lang genug, um irritiert weiter aufzuziehen – nur um im selben Augenblick wieder Schub wegzunehmen, weil die Inderin plötzlich doch losmarschiert. Wir verbuchen es als Early-Adopter-Problem, denn abseits davon wirkt die Guerrilla nicht unausgereift, aber eben auch noch nicht komplett glattgezogen. Dafür fühlt sich der Single sportlich, direkt und ehrlich an, bringt Leben in die Bude und bietet am Ende fahrdynamisch den größten Unterhaltungswert – für alle, die gerne flink über enge Landstraßen wedeln.

Kultivierter und geschliffener läuft der Triumph-Single. Auffallend laufruhig und vibrationsarm marschiert er trotz vergleichsweise knappem Hubraum energisch vorwärts – kurzer Übersetzung sei Dank. Dazu braucht er allerdings Drehzahl, fällt ganz oben dann aber vor Honda und Enfield ab. In Summe bietet die Triumph Scrambler 400 X das schmalste nutzbare Drehzahlband und nervt bei Konstantfahrt auf der Autobahn mit hohen Drehzahlen. Ansonsten funktionieren Kupplung und Getriebe unauffällig gut.

Honda CL 500 mit intuitiver und berechenbarer Lenkung

So unterschiedlich sie sich im Antrieb geben, so klar grenzt sich das Trio auch in Schräglage voneinander ab. Die Honda CL 500 kann hier direkt an den Grundvertrauen vermittelnden Antrieb anknüpfen: Egal ob Stadtverkehr, Serpentine oder langer Bogen – Stress oder Unvorhersehbarkeit sind der kleinen Japanerin völlig fremd. Sie lenkt intuitiv, berechenbar, verzeihend. Ein Motorrad als symbiotische Verlängerung der eigenen Gliedmaßen – ohne Ablenkungen und Kinkerlitzchen. Erst wenn’s richtig flott wird, kommen das große Vorderrad und der vergleichsweise lange Radstand zum Tragen. Umlegen braucht dann etwas Nachdruck. Gegenüber der beinahe überhandlich wieselflinken Enfield fehlt ihr dann ein Quäntchen Direktheit und Spieltrieb. Auf ruppigem Holper-Asphalt kommt das komfortbetont abgestimmte Fahrwerk vor allem am Heck bald an seine Dämpfungsreserven und gerät ins Schaukeln.

Üppige Schräglagenfreiheit und hoher Grip bei der Guerrilla 450

Die Honda CL 500 will lieber entspannt dahingleiten, überlässt die Kurvenhatz der Royal Enfield Guerrilla 450. Die nimmt dankend an: Der kleine Straßenkämpfer liebt enge Kehren und verwinkeltes Geläuf. Das hippe Naked Bike im Scrambler-Kostüm erhebt wenig Anspruch auf Schotterqualitäten, sondern rückt Fahrspaß in den direkten Fokus. Anfangs fordert ihr Hang zur Nervosität etwas Aufmerksamkeit, doch nach kurzer Eingewöhnung kostet man die üppige Schräglagenfreiheit und den überraschend hohen Grip der hierzulande wenig etablierten "Ceat Gripp XL Rad Steel"-OEM-Bereifung gerne aus. Immer und immer wieder. Die Guerrilla reißt mit, weckt den Halbstarken in dir und ist absoluter Garant für Fahrspaß und regelmäßig fette Grinser unterm Helm. Dazu verzögert sie von allen dreien am kraftvollsten – ABS-Abstimmung, Standfestigkeit und rohe Stopping-Power der J.Juan-Zangen waren eine handfeste Überraschung.

Triumph Scrambler 400 X: benötigt öfter Korrekturen

Auch überraschend – wenn auch nicht im euphorischen Sinne – ist der Ritt auf der Triumph Scrambler 400 X. Sitzposition, Fahrwerk, Gesamtauftritt: Alles signalisiert Kontrolle und Souveränität. Doch schon beim ersten Einlenken stellt sich Stirnrunzeln ein. Um auf Kurs zu kommen braucht’s ordentlich Druck am Lenker, dann kippt die Scrambler plötzlich in die Kurve. Das wirkt seltsam entkoppelt – und lässt sich sogar aus der Verfolgerrolle beobachten: In den ersten Kehren ist man auf der Triumph öfter am Korrigieren. Klar, mit der Zeit groovt man sich ein, irgendwann liegt sie zuverlässig auf der Raste. Aber das letzte Quäntchen Vertrauen zum Vorderrad will nicht aufkommen – vielleicht auch wegen der grobstollig anmutenden Metzeler Karoo Street, die onroad eher zurückhaltend agieren. Und wie schon die Honda muss sich auch die Triumph auf der Bremse der Guerrilla geschlagen geben: weniger Biss, gröbere Regelintervalle, längerer Bremsweg.

Royal Enfield Guerrilla 450 mit Connectivity und Ladebuchse

Kleine Sensation: Ein Erstaufschlag aus Indien stiehl den sonst fahrdynamisch ausgefeilten Briten und Japanern die Show. Und trumpft dazu zum Kampfpreis mit Ausstattungsdetails auf, die selbst deutlich teurere Modelle alt aussehen lassen – TFT-Farbdisplay, Connectivity, Temperaturanzeige, Hauptständer, umfassendes Bordwerkzeug, Ladebuchse … Die etwas wirre Menüführung verzeiht man da gern. Dagegen wirkt die Honda-Nullausstattung zum spürbaren Aufpreis fast knauserig.

Und was bleibt am Ende? Drei Charakterköpfe, die ganz unterschiedlich ticken, aber dasselbe wollen: den Weg zum Abenteuer ebnen – ohne großes Getöse, dafür mit Charme und Alltagstauglichkeit. Verbrauch, Wendekreis, Stadtverkehr? Kein Thema. Ob zum Pendeln, Brötchenholen oder dem Sonnenuntergang entgegen – Honda CL 500, Triumph Scrambler 400 X und Royal Enfield Guerrilla 450 zeigen, dass Freiheitsgefühle längst kein Privileg großer Maschinen mehr sind.