Vorhang auf für das größte Zweizylinder-Motorrad der Welt. Die Gunbus 410 hat einen V2 mit 6,7 Liter Hubraum, wiegt etwa 950 Kilo und hat XXXXL-Abmessungen. Sie krönt das Lebenswerk ihres Erbauers Clemens F. Leonhardt.
Vorhang auf für das größte Zweizylinder-Motorrad der Welt. Die Gunbus 410 hat einen V2 mit 6,7 Liter Hubraum, wiegt etwa 950 Kilo und hat XXXXL-Abmessungen. Sie krönt das Lebenswerk ihres Erbauers Clemens F. Leonhardt.
Ein bedeutender Philosoph hat gesagt, es gibt nur drei Unendlichkeiten auf der Welt: Dem unendlich Kleinen steht das unendlich Große gegenüber. Und über allem thront das unendlich Komplexe. Willkommen in der Welt des Clemens F. Leonhardt: „Ich habe immer das gemacht, was mich faszinierte, gebaut, was ich will, nicht mit der Intention, es zu verkaufen.“ Seine Gunbus 410 ist eines der vielen (Luft-)Fahrzeuge des gelernten Kraftfahrzeugmeisters und Flugzeugbauers. Sie krönt die Ausstellung „Crazy Wheels“ im viel besuchten Technik Museum Sinsheim. Und zwar nicht allein wegen ihrer enormen Abmessungen, groß wie ein Traktor. Das mächtigste Zweizylinder-Motorrad der Welt beeindruckt auch dank seiner Komplexität.
6,7 Liter Hubraum im metrischen System sind aufgerundet 410 Kubik-Zoll. Zum Vergleich: Unsere aktuelle Dauertest-Harley, eine Heritage Classic, hat satte 1.868 cm³, gleich 114 Kubik-Inch. Aber neben der motorisch fast viermal so großen Gunbus nimmt sich das US-Bike aus wie ein Kinderfahrrad. Was beide eint? 45 Grad Zylinderwinkel. Aus welcher Hubraum-Quelle der 68-Jährige da aus dem Vollen schöpfte? Nun, der Flugzeug- und Fahrzeugbauer fügte einfach Himmel und Erde zusammen: Der russische Sternmotor namens Schwezow ASch-62 befeuert die Antonow An-2, den meistgebauten und größten einmotorigen Doppeldecker des Planeten. Aus diesem kreisrunden Neunzylinder operierte Leonhardt als Konstrukteur alter Schule („CAD-Design kann ich nicht, dafür bin ich zu alt“) nur zwei Zylinder heraus.
Diese Organ-Entnahme war keine Transplantation, sondern lediglich die Keimzelle eines komplett eigenen Antriebs. Denn nur die Zylinder samt Köpfen und Stoßstangen lang wie Zollstöcke konnte Clemens weiterverwenden. Alles andere baute, goss und schliff er sich selbst, selten mithilfe von befreundeten Spezialisten: vierteiliges Motorgehäuse (aus einem 160-Kilo-Alublock gefräst), Kurbelwelle, gefräste Pleuel, Primärtrieb per je ein Zoll starker Doppelduplex-Kette, Ölpumpe und Kolben. Jeder der beiden Kolben mit feisten 156 Millimeter Durchmesser wiegt satte 1,8 Kilogramm. „Das spielt keine Rolle, der Motor dreht ja maximal 2.800 Touren.“ Die Kurbelwelle fertigte Leonhardt aus einem Stück.
Sensationell, diese Fertigungstiefe. Da ist man erst mal baff. Der Kurbelwellen-Rohling aus Stahlguss („Gusseisen können viele“), den eine Firma in Pirna goss, wog 50 Kilogramm. Die fertig bearbeitete Kurbelwelle bringt es immer noch auf 43 Kilo. Kostenpunkt alleine für Kurbelwelle und Pleuel: 36.000 Euro, alle Teile für den Gesamtmotor beliefen sich auf ungefähr 80.000 Euro. Das Problem: „Ich fand lange keine Firma, die mir die Kurbelwelle schleifen konnte, das machte erst die Firma Maus aus Köln.“ Der Konstrukteur hat dazugelernt: „Heute würde ich die Kurbelwelle aus Einzelteilen bauen, Welle, Hubzapfen und Wangen separat.“
Welche Teile der technikbegeisterte 68-Jährige sonst noch zugekauft hat? Da muss der badische Tüftler lange überlegen: „Ketten, Federbeine und Bremsen, Reifen und Schrauben.“ Alles andere konstruierte er selbst: Rahmen und Schwinge, (Schutz-)Bleche, die aufwendige Trapezgabel samt Lenker („die hält den Nachlauf beim Bremsen konstant“), Räder, Tank – alles Eigenbau. Das Zeichenbrett, auf dem Leonhardt seine Konstruktion noch händisch geplant hat, „steht heute bei mir im Wohnzimmer“. Fünf Jahre vergingen von der Idee bis zum fertigen Motorrad. Der Motor ist ein echter V2 mit einem Hubzapfen und Gabelpleuel. „Wie bei Harley-Davidson schleppt ein Pleuel das andere mit.“
Beim nächsten Mal würde Clemens einiges leichter und filigraner bauen. „Aber leicht ist teuer.“ So würde der Nord-Badener eine schwächere Ölpumpe konstruieren, die jetzige produziert satte zehn statt notwendiger fünf Bar Öldruck. „Daher öffnet fast ständig das Überdruckventil.“ Oder doch lieber gleich eine rollen- statt gleitgelagerte Kurbelwelle? „Da muss man nur ein wenig Öl drauftropfen.“ Schade, dass wir hier und heute diesen satten Bass, dieses Langhub-Erlebnis (175 Millimeter Hub!) erster Güte nicht live anhören können. Aber der Schalldämpfer fehlt, und Clemens Leonhardt müsste erst noch mal beim Öltank der Trockensumpfschmierung bei. Der neue Öltank soll im Beiwagen unter den Sitz.
Aber sonst wäre sie schon fahrfertig, diese Über-Maschine. Der Erbauer sieht sein XXXL-Vehikel selbstkritisch. „Der Seitenwagen ist eher provisorisch, das dritte Rad hat noch keine Bremse.“ Dabei hat er als Stütze eine wichtige Funktion: Er verhindert Umfallen, was mit der 650 Kilo schweren Solomaschine im Stand unweigerlich ab 15 Grad Neigungswinkel passiert. Ausprobiert am Kran-Ausleger. „Fahren ging nur, wenn man viel Mut hatte.“ Die drei innenbelüfteten Scheibenbremsen mit Achtkolben-Festsätteln könnten vielleicht auch eine Boeing 747 abfangen. Und auf den 22,5 Zoll großen Felgen seien „falsche Reifen“ drauf – für ein Gespann. Auch hinten hätte Clemens Leonhardt gern Speichen gehabt, aber sie waren zu schwach. So fräste er den mehrteiligen Mittelstern für die amerikanische Lkw-Felge eben auch noch selbst.
MOTORRAD hat drei Mercedes Sprinter, rund 7,5 Meter lang und drei Meter hoch. Aber keiner kann die Gunbus mit Seitenwagen aufnehmen. Der Tieflader für den Transport zur Kölner INTERMOT Anfang Oktober ist schon bestellt. Bis dahin (und danach) kann man den dicken Brummer in Sinsheim bewundern.
Der Erbauer: Clemens F. Leonhardt ist Kraftfahrzeugmeister und Flugzeugbauer. Er gewann mit 19 Jahren die „1000 Kilometer Hockenheim“, fing mit 21 beim legendären Konstrukteur Friedel Münch als Mechaniker an.
Später arbeitete Leonhardt bei BMW Motorrad im Fahrversuch: „In der Dauererprobung fuhren wir jeden Tag 1.000 Kilometer, bei den Pendelversuchen kamen wir nicht selten zum Sturz.“ 1972 eröffnete der Motorrad-Fan eine Vertretung für BSA und Triumph, wurde später Pilot und steuerte Dampfloks.
Technische Daten: Luftgekühlter 45-Grad-V2-Motor, 6690 cm³, 257 kW (350 PS) bei 2.650/min, 710 Nm bei 2.200/min, Bohrung x Hub 156 x 175 mm, Verdichtung 8,7:1, Doppelzündung, je zwei Ventile per Nockenscheibe, Rollenstößel, Stoßstangen und Kipphebel betätigt, Trockensumpfschmierung, Dreiganggetriebe, Trockenkupplung, Stahlrohrrahmen, Trapezgabel, Länge 3,45 Meter, Radstand 2480 mm, Sitzhöhe 800 mm, Tankinhalt 27 Liter, Gewicht vollgetankt ca. 950 kg, Räder vorn/hinten 22,5 x 6/22,5 x 13 Zoll, Preis ab 200.000 Euro. Kontakt: info@leonhardt-manufacturing.de
Es muss ja nicht gleich eines der größten fahrbaren Spezial-(Gespann-)Motorräder der Welt sein, auch kleinere Maschinen oder Roller machen Spaß und bringen ein völlig neues Mobilitätsgefühl – vor allem für Jugendliche und Neueinsteiger.
Cool mit dem 50er-Roller vor der Eisdiele auftreten oder mit einer 125er erste Erfahrungen in Sachen Fahrdynamik erleben. Die Vorteile liegen auf der Hand: leicht im Handling, günstig im Verbrauch und in der Großstadt nahezu unschlagbar. Wer jetzt Bock auf zwei Räder mit Motor hat, sollte im Oktober zur INTERMOT kommen. Hier stehen nicht nur die PS- und hubraumstarken Bikes, auch die kleineren Kubikklassen und Roller sind hier im Fokus. Und das Beste: Man kann die Fahrzeuge im Probefahrparcours der INTERMOT auch gleich ausprobieren. Also: Den Termin 3. bis 7. Oktober 2018 unbedingt im Kalender ankreuzen!
Sonderausstellung "Total abgefahren": Auf dem Messeboulevard im Gang zwischen den Messehallen 6 und 9 und am Stand von MOTORRAD in Halle 9, Stand A 41.