Diese Geschichte muss mit einem Rückblick beginnen. Wir schreiben das Jahr 1991, Kawasakis ZXR 400 findet offiziell den Weg über den Großen Teich nach Deutschland und stellt damit die Trendsetterin für die aufkommende kleine, aber feine japanische 400er-Supersportler-Gesellschaft. Sie hielt auch am längsten des Quartetts durch, erst 1999 wurde ihre Produktion eingestellt. Und heute? Kann die neue Kawasaki ZX-4RR das Vermächtnis ihrer Ahnin fortsetzen und wieder einen Trend von hochdrehenden, leistungsstarken 400ern setzen? Das wird sich weisen.
Grundsätzlich zeigt die Tendenz jedenfalls auch und gerade bei Sportlern klar Richtung Hubraumschmelze. So lassen Honda und Kawasaki ihre rassigen 600er wieder auferstehen, dazu rollen die Grünen mit der Ninja 500 SE ein weiteres Sportmodell an den Start. Besonders interessant in der 400er-Klasse: Aprilias flammneue RS 457, die das Race-Feeling des Superbikes RSV4 in die kleine Liga transportieren soll. Doch das ist alles noch Zukunftsmusik, hier und heute fordert die Kawasaki ZX-4RR erst mal Yamahas R7 zum Vergleichstest. Äpfel und Birnen? Klares Jein.
Kawasaki Ninja ZX-4R: Drehen als Statement
Zwar trägt die Yamaha R7 mit 689 Kubik verteilt auf zwei Zylinder dick auf und zählt exakt 290 Kubik mehr als die vierzylindrige Kawasaki Ninja ZX-4RR mit vergleichsweise mageren 399 cm³. Doch bei der Spitzenleistung steht es in PS 78 zu 73 zugunsten von Grün. Kleine Einzelhubräume in Kombination mit hoher Spitzenleistung bedeuten aber immer auch hohe Drehzahlen. Man braucht kein Motoren-Guru zu sein, um zu ahnen, wie sich das auf die Leistungsentfaltung auswirkt. 14.500/min jodelt die ZX-4RR laut Kawasaki bei Nennleistung – heftig! Bis zum elektronischen Cut dreht sie gar 15.100 Touren, wobei dann fröhliche 16.000/min auf der Uhr stehen. Drehen als Statement. Und als Voraussetzung für dynamischen Vortrieb.
Denn unter Fünfeinhalb reagiert die Kawasaki Ninja ZX-4RR auf weites Öffnen der Brause nur mit lustlosem "Moaaab", erst ab dieser Marke erwacht der Sportsgeist in ihr. Laut Prüfstand mobilisiert der Vierling dann knapp 25 PS und 30 Nm – gerade ausreichend, um mitzuschwimmen, der Punch für sportive Ambitionen fällt indes noch ziemlich mager aus. Diese bedient die Kawasaki Ninja ZX-4RR erst mit dem zweiten Schwung, zeigt ab circa 9.000/min ihr eigentliches Naturell und giert immer weiter nach Drehzahlen. Schlicht unwiderstehlich, wie sie ab dem fünfstelligen Bereich losfeuert und darauf brennt, alles zu überrollen, was sich ihr in den Weg stellt. Gemessene 76 PS bei 14 200/min und 39 Nm bei satten 13.400 Touren markieren ihre Bestwerte. Natürlich begleitet von entsprechender Klangkulisse, deren Akzeptanz sich beim gemeinen Anwohner beliebter Motorradstrecken freilich stark in Grenzen halten dürfte. Untertourig und im Stand knurrt die 400er derweil finster wie ein halbwüchsiger Rottweiler, dem man gerade sein Lieblingsspielzeug wegnimmt.
Yamaha R7 für Schaltfaule
Sympathisch-vergnügt bollert dagegen die Yamaha R7 aus ihrem knackig-kurzen Endtopf. Insgesamt ein echter Gute-Laune-Motor, der bereits kurz über Standgas feinen Druck generiert und herrlich gleichmäßig durchs Drehzahlband pflügt. 55 Nm Drehmoment bei gerade einmal 3.000/min sprechen für sich, paradiesische Zustände für Schaltfaule und Freunde von Bums von unten. Ihr Maximum von 68 Nm erreicht die R7 bereits bei 6.300 Touren, der höchste Leistungs-Output von 75 PS liegt bei 8.600 Umdrehungen – eine komplett andere Welt. Eine, die schon längst aufgehört hat, Power zu generieren, wenn die Kawasaki Ninja ZX-4RR erst damit anfängt. Aber auch eine, die dadurch etwas weniger Sportsgeist, etwas weniger Aggressivität vermittelt. Das überrascht nicht, schließlich stammt der Yamaha-Antrieb eins zu eins vom braven Naked Bike MT-07, das in seiner Urform übrigens bereits 2014 in den Schaufenstern stand.
Kuriosität am Rande: Obwohl sich die Kawasaki Ninja ZX-4RR die Seele aus dem Kurbelgehäuse dreht, liegt ihre mittlere Kolbengeschwindigkeit bei Nenndrehzahl unterhalb jener der Yamaha R7: 18,9 Meter pro Sekunde schaffen die Kolben der Kawa trotz sehr kurzhubiger Ausrichtung, 20,0 m/s erreicht dagegen die vermeintlich zahmere R7. Insgesamt fällt deren Drehzahlniveau in der Praxis aber geringer aus als bei der 400er, was sich auch beim Verbrauch bemerkbar macht. Während sich die Yamaha bei gemäßigtem Landstraßenswing sparsame 3,8 Liter Hochoktaniges gönnt, zieht sich die Kawa stolze 4,4 Liter durch ihre kleinen Ansaugschlünde.
Dauerhaft präsent bei der Yamaha R7: die Vibes des mit 90 Grad Hubzapfenversatz komponierten Twins. Sie durchdringen den Piloten mit feinem, gleichwohl spürbarem Pulsieren, das mit steigender Drehzahl fester auftritt, aber nie lästig wird und V2-Feeling liefert. Erstaunlich ruhig läuft der Vierzylinder der Kawasaki Ninja ZX-4RR. Die für diese Bauart typischen, feinnervigen Vibrationen fallen selbst bei hohen Touren angenehm gering aus, top Laufkultur auch dank geringer Massen der Motorinnereien. Klasse gestaltet sich außerdem das per Quickshifter unterstützte Schalten – flutsch, flutsch. Dazu benötigt die Kupplung beim Anfahren nur minimale Handkraft und lässt sich perfekt dosieren.
Elektronische Fahrhilfen nur an der Kawa
Bei der Yamaha R7 laufen Gangwechsel insgesamt einen Hauch weniger geschmeidig ab, wohl auch, weil ein serienmäßiger Schaltautomat fehlt. Kosten für das hauseigene Zubehörteil und ein echter Tipp: rund 200 Euro. Allgemein hat die R7 mit elektronischen Fahrhilfen nichts am Hut, bis auf das pflichtgemäße ABS bedeutet das komplett Fehlanzeige. Anders die Ninja. Mit an Bord sind zusätzlich vier Fahrmodi, darunter ein Rider-Mode. Der bietet die Wahl zwischen zwei Powerstufen plus drei Positionen der deaktivierbaren Traktionskontrolle. In dieser Leistungsklasse aber eher nice to have, entscheidender sind vielmehr andere Qualitäten.
Beispielsweise ein launiges Handling, kombiniert mit einem sauberen Strich. Womit wir bei der unstrittigen Sahneseite der Kawasaki Ninja ZX-4RR wären. Ein Mini-Impuls genügt, ratzfatz klappt die ZX ab, stürmt dabei atemberaubend präzise und in einem Schwung in und um die Ecken, der so manchem Superbike gut zu Gesicht stünde – ein kleiner Traum in Grün. Schade nur, dass Gabel und Federbein nicht ganz synchron arbeiten. Erstgenannte ist speziell für die flotte Gangart etwas zu lasch gedämpft, taucht früh und weit ab und bringt dadurch bisweilen leichte Unruhe in die Front. Dazu lässt sie sich nur in der Federvorspannung variieren. Recht straff dagegen: der Monoshock. Komplett einstellbar zwar, doch beim Einfedern herrscht trotz weit geöffneter Druckstufendämpfung sportliche Härte. Die zu rasche Ausfederbewegung (Zugstufe) könnte dagegen etwas stärker gedämpft sein.
Yamaha R mit homogeneren Federelementen
Spürbar homogener arbeiten die Federelemente der Yamaha R. Auch, weil die vollständig justierbare Gabel ein breites Band an Einstellmöglichkeiten bietet. Fürs straffe Federbein gilt das allerdings nur eingeschränkt, wünschenswert daher: ein Tick mehr Komfort. Außerdem verlangt die R7 beim Einlenken einen etwas höheren Kraftaufwand und pfeilt im direkten Vergleich einen Hauch weniger linientreu um die Radien. Nuancen, wie gesagt. Reifen als Ursache? Reine Spekulation. Naheliegend jedoch, dass der Supersportgummi Bridgestone S 22 in Sonderspezifikation in Sachen Präzision auf der Yamaha R7 nicht ganz so brilliert wie die ebenfalls mit Sonderkennung ausgestatteten, vermeintlichen Billigheimer Dunlop GPR 300 auf der Kawasaki Ninja ZX-4RR.
Brems-Performance der beiden Midsize-Sportler
Gleichstand herrscht bei den Bremsen. Beide Anlagen verzögern klassengerecht auf gutem Niveau, wobei die Kawasaki Ninja ZX-4RR mit stärkerem Initialbiss glänzt und weniger Handkraft einfordert. Allerdings, und das ist die Kehrseite der Medaille, greift ihr ABS relativ früh ein. Wohl auch, weil die Gabel schnell Richtung Anschlag abtaucht, der Reifen dadurch einen Teil der Dämpfungsarbeit übernehmen muss und früher zu blockieren beginnt. Dazu verhärtet sich der Druck am Hebel während des Regelns und das System lässt dann bis zum Stand gefühlt weniger Bremskraft zu.
Transparenter arbeitet der Blockierverhinderer der Yamaha R7, zudem regelt er später. Einziger Wermutstropfen: Wegen der sportlichen Ausrichtung neigt das Hinterrad bei kräftigem Ankern selbst auf der Ebene zum Abheben. Bergab gilt das erst recht, Abflug über den Lenker für ehrgeizige Spätbremser nicht gänzlich ausgeschlossen.
Begann die Geschichte mit einem Rückblick, wagen wir zum Schluss einen Ausblick. Ob die Kawasaki Ninja ZX-4RR tatsächlich einen alten Trend neu einleiten kann, ist in Zeiten einer immer lärmsensibleren Gesellschaft und dem Bewusstsein darüber vielleicht fraglich. Dennoch wird sie ihre Fans finden. Kollege Steinmacher bringt es auf den Punkt, indem er sagt: "Die Ninja ist für Leute, die das sportliche Kawa-Image lieben, ohne permanent den vollen Punch abzurufen." Man könnte ja, wenn man denn wollte. Auch das macht ihren Reiz aus. Übrigens: Für Nachwuchs-Racer und jung gebliebene Angreifer richtet der deutsche Importeur einen Cup mit der Ninja aus, Altmaterial aus den Neunzigern für Gaststarts ausdrücklich erlaubt. Für die Yamaha R7 läuft ein Cup bereits seit 2022. Wenn das mal keine guten Nachrichten für Sportsfreunde sind.