Die alpine Tier- und Vogelwelt muss perfekt an den extremen Luft- wie Lebensraum angepasst sein. So wie die zweirädrigen Spezies an die Welt hoch droben, wenn die Kehren enger, die Sträßchen steiler und die Blicke weiter werden. Leicht zählt hier doppelt. Deswegen gebührt der KTM 690 Duke R der Vortritt. 165 Kilogramm stempeln den Einzylinder zur leichtesten Maschine aller 20 Teilnehmer des Alpenmasters 2014, gemessene 72 PS reizvoll zum weltstärksten Serien-Single! Konzeptbedingt verlangt er in hohen Gängen nach mindestens 3000/min, darunter peitscht die Kette.
Hart hämmernd, wild pulsierend stürmt die KTM 690 Duke R ab der 5000er-Marke nach vorn. Gierig hängt der Eintopf am Kabel des Ride-by-Wire. Ab 7500 Touren erlahmt der Vortrieb wieder. Ein schmales Leistungsband – mit dem schlechtesten Durchzug dieser Gruppe im sechsten Gang. Mit viel Schaltarbeit heißt es, den mächtigen 102-Millimeter-Kolben bei Laune zu halten. Ist dank perfekt klickenden Getriebes und butterweich zu ziehender Kupplung easy. Bollernd, aber nicht zu laut tönt der Akrapovic-Endtopf.
KTM 690 Duke R handlich wie ein Mountainbike
Er ist eines der Kennzeichen der gut 2000 Euro teureren R-Version des Herzogs. Hinzu kommen das voll einstellbare, viel ausbügelnde WP-Fahrwerk, der bequemere, höhere Sitz (860 Millimeter) und andere Edel-Goodies wie die Radialbremspumpe. Trotz feiner Brembo-Parts kommt die Einzelscheibe bergab an Grenzen: Recht hohe Handkraft flankiert wenig brachiale Bremspower. Die Wirkung lässt bei Dauerbelastung speziell mit Sozius spürbar nach (Fading). Dafür regelt das ABS gut, hält das Heck stets am Boden – trotz recht hohen Schwerpunkts und kurzen Radstands. Kehre um Kehre schrauben wir uns von Canazei im Val di Fassa bis auf über 2400 Meter empor.
Im Kurvendickicht ist die KTM 690 Duke R eine Wucht. Handlich wie ein Mountainbike lässt sie sich über den Alu-Lenker im Stil der Cup-Maschinen hin und her werfen. Ihre Schräglagenfreiheit ist unauslotbar. Agilstes Handling aller 20 Alpenmasters-Testmotorräder trifft tolle Zielgenauigkeit. Wo die Alpendohlen am Himmel auf der Stelle wenden, schlägt die Duke R am Boden ihre Haken. Ein Springinsfeld und Funbike erster Güte. Das aber auch nervös werden (und auch machen) kann: Die mechanische Traktion ist eher gering. An den Rampen zum Pordoi-Pass rutschen die Michelin Pilot Power öfter mal weg, steht das Hinterrad quer. Zwar lässt sich die federleichte KTM 690 Duke R easy wieder einfangen, doch dieses (Ab-)Driften muss man mögen.
Honda CB 650 F benutzerfreundlich und ausgewogen
Gefälliger wirkt die neue Honda CB 650 F. Sie wiegt 212 Kilogramm, ist die Schwerste ihrer Gruppe. Doch typisch Honda, macht sie es Neu- und Wiedereinsteigern sehr leicht: benutzerfreundlich und ausgewogen. Das beginnt mit dem leise säuselnden, kurz übersetzten Vierzylindermotor. Er gibt sich elastisch, läuft selbst im tiefsten Drehzahlkeller rund, legt homogen und gleichmäßig an Leistung zu. Allerdings auch ohne Kick. Die kleinen Kölbchen im komplett neuen Vierzylinder bemühen sich redlich. Doch bergauf aus den Kehren raus ist die Kraftentfaltung im zweiten Gang recht mau. Bis 8000 Touren ist dies der schwächste der vier „Fun“-Motoren. Soll es flott vorangehen, muss man im Honda-untypisch etwas hakigen Getriebe rühren.
Volle 89 PS, zwei mehr als versprochen, drückt die Honda CB 650 F erst bei fünfstelligen Drehzahlen. Das wirkt im alpinen Umfeld eher deplatziert. Zumal obenheraus und beim Gaswegnehmen die Vibrationen kribbelig-nervig ausfallen. Spürbar sind Lastwechselreaktionen beim Gas-auf-Gas-zu-Gas-wieder-Auf. Einfach gestrickt, aber effektiv funktioniert das Stahlrahmen-Fahrwerk mit angeschweißtem Heck, konventioneller Telegabel und direkt angelenktem Federbein. Gut ausbalanciert und stabil zieht die komplett in Thailand gebaute CB 650 F ihre Kreise. Nicht eben superhandlich, aber gutmütig und berechenbar. Adrett und nett.
Entspannt und bequem bettet die Honda CB 650 F den Fahrer auf der gut zugeschnittenen Sitzbank. Da kostet man die sagenhafte Reichweite gern aus. Der schmale, doch gut gekröpfte Lenker bietet gute Vorderradkontrolle. Etwas rutschig rollt der recht breite 180er-Hinterreifen, ein Dunlop Roadsmart II. Sicher ankern die ABS-Bremsen, erfordern wenig Handkraft. Schick sind Wave-Bremsscheiben, Alu-Schwinge in Bananenform und Gussräder mit filigranen Speichen. Pepp bringen die vier parallel seitwärts geschwungenen Edelstahl-Krümmer samt Unterflur-Auspuff unterm „cleanen“, aufgeräumt wirkenden Motor. Trotz knallgelber Warnfarbe ist die Nachfolgerin der Hornet 600 weniger Aufreger als guter Kumpel.
MV Agusta Rivale 800 mit harter Gasannahme
Am anderen Ende des Spektrums liegt die MV Agusta Rivale 800. Ein echtes Machobike, eine verwegen-verrückte Mixtur aus Funbike und Supermoto. Ihr Augenweiden-Auspuff – knubbelige Orgelpfeifen – gibt den Blick auf das schöne, von einer Einarmschwinge geführte Hinterrad offen frei. Superedle High-end-Details kontrastieren mit improvisiert wirkenden Detaillösungen wie den untauglichen Lenkerenden-Spiegeln. Italienisch eben, Design oder nicht sein. Hoher Sitz (87 Zentimeter) und großer Wendekreis brauchen nicht nur am Berg Erfahrung. Radikalst fällt die Sitzposition aus. Der megabreite Lenker liegt nah vor der Brust, spannt einen extrem weit nach vorn. Man glaubt fast, überm Vorderrad zu sitzen, die Radachse in Händen zu halten.
Das kompakt-gedrungene Kraftpaket von MV befeuert der fauchend-knurrige, gut 125 PS starke Dreizylinder. Er powert unten noch verhalten, kommt erst ab der 6000er-Marke vehement zur Sache. Dann schon fast zu gewaltig-feurig. In der zweiten Drehzahlhälfte muss die exklusive achtstufige Traktionskontrolle der MV Agusta Rivale 800 oftmals energisch dazwischengehen. Das Zusammenspiel von E-Gas, Kupplung und knochigem Getriebe fällt schwerer als beim Rest des Felds. Lange Übersetzung und untenrum wenig füllige Leistungsabgabe empfehlen den ersten Gang fürs Rausfeuern aus den Kehren. Da ist der Hochschalt-Assistent keine Hilfe. Hart fällt die Gasannahme aus, groß der Benzindurst, klein der 12,9-Liter-Tank. Dies begrenzt den Radius um die hiesige Agip-Tankstelle.
Zur geringen Zuladung passt der schlechte Soziussitz. Unkomfortabel, wenig nachgiebig arbeitet das straffe Sachs-Federbein, haut auf harten Absätzen mächtig ins Kreuz. Schön handlich lenkt die 194 Kilogramm leichte MV ein, ungefiltert-direkt. Doch auf Bodenwellen stellt sich die Rivale merklich auf. Ihr stabiles, frontlastiges Fahrwerk bietet zwar viele Reserven, mag aber lieber ebenen Belag mit flüssig zu fahrenden Kurven. Das wahre Potenzial der knackigen Bremsen kann man kaum ausnutzen – wegen der angewinkelten Arme kann man sich kaum abstützen. Die Rivale ist nicht Everybody’s Darling, sondern ein 13000 Euro teures Spiel- und Feuerzeug für Gutbetuchte. Hassen oder lieben, sie polarisiert. Sehr sinnlich, aber für die Alpen eindeutig zu radikal.
Yamaha MT-09 beglückt Anfänger, begeistert alte Hasen
Viel benutzerfreundlicher ist der zweite Triple im Feld, die Yamaha MT-09. Was für ein antrittsstarker Unten-Mitte-oben-Motor das ist, immer voll da. Sein bäriges Drehmoment überflügelt die drei anderen Kandidaten wie die Gipfel der drei Zinnen unsere Teststrecke. Elastizität trifft Kraft und tolle Fahrleistungen. Drehfreude ohne Drehzwang. Oft glaubt man, im dritten Gang zu fahren, dabei vermeldet die Ganganzeige bereits die „4“. Das kickt! Genau wie der dumpfe Auspuffklang mit seiner rauchigen Grundnote. Leichtgängig, aber gar nicht so oft nötig ist der Griff zur Seilzugkupplung. Gut, dass sich nach Triumph, Benelli und MV Agusta nun auch Yamaha wieder auf den Dreizack zurückbesinnt.
Wermutstropfen sind die ruppigen Lastwechselreaktionen und die harsche Gasannahme aus Rollphasen heraus. Dies kann am Kurven-Scheitelpunkt durchaus mal die Linie verhageln. Dann klappt die Upside-down-Gabel weg. Geschmeidiger fällt die Gasannahme im B-Modus aus, einem von drei Motor-Mappings. Das Fahrwerk federt weich, unterdämpft vor allem beim Einfedern, also der Druckstufe. Die softe Abstimmung wirkt zunächst mal komfortabel, bietet aber tatsächlich wenig Reserven. Buckelasphalt bringt die ansonsten so kurvengierige Yamaha MT-09 in Schräglage allzu leicht vom Kurs ab. Und das Federbein stempelt auf derbem Asphalt. Das ginge alles auch stabiler!
Zur insgesamt guten Beherrschbarkeit trägt die bequeme Sitzposition bei: Tief drin im Motorrad, bauen sich Lenkkopf wie Lenker ungewöhnlich hoch vor einem auf: vertrauensbildend und handlingfördernd. Die Fußrasten liegen touristisch tief, fürs Sporteln dürfte es gerne höher sein. Für die weiche Upside-down-Gabel beißen die radial verschraubten Vierkolbenstopper fast schon zu giftig zu. Dies stellt das ABS-Regelverhalten auf eine harte Probe. Noch mehr Alltagstauglichkeit bei Gepäck- und Soziustransport hätte das Konzept sicher nicht verwässert. Trotzdem: Die Yamaha MT-09 beglückt Anfänger und begeistert alte Hasen.
Platzierung und Fazit





Platz 1: Yamaha MT-09

Plus
- bärige Leistungsentfaltung, toller Durchzug
- seidiger, laufruhiger Dreizylinder-Motor
- gut abgestuftes Getriebe
- bequemer „Arbeits“-Platz
Minus
- kippeliges Fahrverhalten
- Soziussitz unkomfortabel
- schwierige Gepäckunterbringung
- geringe Zuladung
Platz 2: Honda CB 650 F

Plus
- bestes ABS dieser Gruppe
- wenig Benzinverbrauch
- enorme Reichweite
- toller Sitzkomfort für Fahrer und Sozius
- sehr leicht zu fahren
Minus
- etwas müde Leistungsentfaltung
- Durchzug im zweiten Gang mau
- recht karge Ausstattung
Platz 3: KTM 690 Duke R

Plus
- Motor mit viel Kraft in der Drehzahlmitte
- superhandlich, kurvengierig und zielgenau
- hohe Schräglagenfreiheit
- niedriger Verbrauch
- hohe Fahrwerksreserven
Minus
- harte Vibrationen
- schmales Drehzahlband
- eher durchzugsschwach
Platz 4: MV Agusta Rivale 800

Plus
- obenraus starker Motor
- sinnlich-emotionales Fahrerlebnis
- edle Machart
- Traktionskontrolle
Minus
- extreme Sitzposition
- hoher Verbrauch
- dürftige Reichweite
- hartes Federbein
- sehr geringe Zuladung
Daten und Messwerte

Honda
CB 650 F KTM
690 Duke R MV Agusta
Rivale 800 Yamaha
MT-09 Motor Vierzylinder Einzylinder Dreizylinder Dreizylinder Hubraum 649 cm³ 690 cm³ 798 cm³ 847 cm³ Leistung 87 PS 70 PS 125 PS 115 PS Drehmoment 63 Nm 70 Nm 84 Nm 88 Nm Gewicht (ohne Koffer) 212 kg 165 kg 194 kg 192 kg Zuladung 184 kg 185 kg 168 kg 173 kg ABS/Traktionskontrolle
●/- ●/● ●/- Preis ohne Nebenkosten 7690 Euro 9995 Euro 13190 Euro 8295 Euro Testverbrauch Pässe 4,2 l/100 km 4,3 l/100 km 6,6 l/100 km 4,9 l/100 km theoretische Reichweite Pässe 412 km 326 km 195 km 286 km Durchzug in 2000 m über NN,
50–100 km/h 9,7 sek 11,2 sek 6,6 sek 6,5 sek Durchzug bergauf mit Sozius,
2. Gang, 25–75 km/h 6,9 sek 6,4 sek 6,0 sek 4,7 sek Bremsweg bergab mit Sozius,
2. Gang, 75–25 km/h23,0 m28,6 m27,5 m24,9 m
● = Serie; – = nicht vorhanden
MOTORRAD Wertung
Motor
Maximale Punktzahl Honda
CB 650 F KTM
690 Duke R MV Agusta
Rivale 800 Yamaha
MT-09 Beschleunigung 0–140 km/h 20 15 15 17 18 Durchzug in 2000 m über NN 20 12 9 18 18 Durchzug im 2. Gang bergauf mit Sozius 20 11 13 14 17 Leistungsentfaltung 20 12 11 16 18 Ansprech-/Lastwechselverhalten 20 12 13 9 11 Kupplung 20 14 16 11 13 Schaltung 20 13 16 13 13 Getriebeabstufung 10 7 8 8 9 Summe15096101106117
Fahrverhalten
Maximale Punktzahl Honda
CB 650 F KTM
690 Duke R MV Agusta
Rivale 800 Yamaha
MT-09 Abstimmung/Komfort 20 12 13 9 11 Federungsreserven bei Beladung 20 11 13 13 9 Handlichkeit auf Passstraßen 20 15 19 17 16 Stabilität in Kurven 20 13 13 12 11 Lenkpräzision/Rückmeldung 20 14 15 10 13 Bremswirkung 20 14 13 14 15 Bremsverhalten bergab/Fading 20 12 9 9 12 ABS 15 11 10 10 10 Traktionskontrolle 5 0 0 2 0 Aufstellmoment beim Bremsen 10 8 9 5 6 Schräglagenfreiheit bei Beladung 10 6 9 9 7 Summe180116123110110
Alltag
Maximale Punktzahl Honda
CB 650 F KTM
690 Duke R MV Agusta
Rivale 800 Yamaha
MT-09 Ausstattung 20 4 7 6 7 Gepäckunterbringung 10 1 1 1 1 Reichweite Pässe 20 19 14 5 11 Zuladung 20 8 8 4 5 Handhabung beladen 10 8 9 8 8 Sicht nach vorne/hinten 10 8 5 3 7 Bodenfreiheit mit Sozius und Gepäck 10 7 7 6 5 Summe10055513344
Komfort
Maximale Punktzahl Honda
CB 650 F KTM
690 Duke R MV Agusta
Rivale 800 Yamaha
MT-09 Sitzkomfort Fahrer 20 13 10 8 13 Sitzkomfort Sozius 20 10 9 4 8 Wind- und Wetterschutz 20 0 0 1 0 Laufruhe Motor 10 7 3 7 8 Summe7030222029
Maximale Punktzahl Honda CB 650 F KTM 690 Duke R MV Agusta Rivale 800 Yamaha MT-09 Gesamtwertung 500 297 297 269 300 Platzierung 2. 2. 3. 1.
Fazit
KTMs 690er-Duke R bietet beachtliche Reife und tollen Fahrspaß. Doch ihr Supermoto-Konzept erlaubt wenig Kompromisse. Dies gilt erst recht für die radikale MV Agusta Rivale 800. Als Favorit galt Hondas brandneue CB 650 F. Doch ein wenig zahm, ohne Qualm und Kick, überzeugt ihr Vierzylinder im Kurvenkarussell nicht voll. Das tut der Yamaha-Dreizylinder umso mehr. So schafft es die Yamaha MT-09 trotz unterdämpften Fahrwerks ganz knapp ins Finale.