Nach der Kritik von PS wollten MV es wissen und hat ein Sondermodell der Brutale RR speziell auf die Nordschleife des Nürburgring abgestimmt.
Nach der Kritik von PS wollten MV es wissen und hat ein Sondermodell der Brutale RR speziell auf die Nordschleife des Nürburgring abgestimmt.
In dieses Motorrad sind alle Erfahrungen eingeflossen, welche MV-Entwicklungschef Brian Gillen und Testfahrer Davide Stirpe im Jahr zuvor bei ihrem ersten Besuch auf der Nordschleife gesammelt haben. So erhielt der von Hand aufgebaute Prototyp der Nürburgring-Edition nicht nur zahlreiche noch edlere Teile als die ohnehin schon hochwertig ausgestattete RR, sondern wurde in Motorcharakteristik und Fahrwerksabstimmung an die anspruchsvolle Strecke angepasst. Weichere Gasannahme, eine weniger spitze Motorcharakteristik und sensibler ansprechende Federelemente waren ein wichtiges Entwicklungsziel. Laut Entwicklungschef Gillen erhielt der Motor Nockenwellen mit anderen Steuerzeiten, eine optimierte Brennraumform und eine Titan-Auspuffanlage, deren längere Krümmer eine fülligere Drehmomentkurve erzeugen. Leichte Titanpleuel verringern die oszillierenden Massen und lassen den Motor schneller hochdrehen, Titanventile erhöhen die Drehzahlfestigkeit, DLC-beschichtete Tassenstößel verringern die Reibung. Die Gasannahme beim ersten Anzupfen im Scheitelpunkt einer Kurve kann bei dieser und anderen MV getrennt von der weiteren Öffnungskurve der Drosselklappen eingestellt werden – es versteht sich von selbst, dass man für die Regenfahrt weit in den sanften Bereich geht. Selbst wenn die 215 PS an der Kurbelwelle der Nürburgring mit Racing-Kit so nicht voll in Szene zu setzen sind. Das Racing-Kit beinhaltet die Voll-Titan-Anlage von Arrow, eine neue ECU mit speziellem Mapping, eine Sitzbankabdeckung aus Kohlefaser und das obligatorische Echtheitszertifikat der limitierten 150 Stück.
Das gilt auch für die Dämpfungsraten der Öhlins-NIX-EC-Gabel und des EC-TTX-Federbeins hinten, zumal wir wegen der Sperrung der Nordschleife nur auf den Landstraßen in der Umgebung fahren können. Die leichten Karbonräder der Brutale RR Nürburgring verringern nicht nur die ungefederten Massen und sorgen damit für sensibleres Ansprechen der Federung und weniger Hysterese – schnellere Rückkehr der Federelemete in die Ausganglage. Sie machen das Motorrad dank ihrer geringeren Kreiselmomente handlicher in den Schräglagenwechseln bei hohen Geschwindigkeiten: Grundübung auf der Nordschleife. Sie wirken sich sogar in den viel tiefer gelagerten Geschwindigkeitsbereichen Alltagsbetriebs positiv aus. Die Karbon-Winglets, die in den Hochgeschwindigkeitspassagen wie dem Kesselchen oder der Döttinger Höhe für wirksamen Abrieb am Vorderrad sorgen sollen, spielen dagegen im Regen verständlicherweise nur eine dekorative Nebenrolle.
Die Nürburgring braucht nur wenige Kilometer, um dem Fahrer klarzumachen, dass sie weitaus komfortabler fährt und bei den schwierigen Straßenverhältnissen weniger kitzelig in der Bedienung ist als die Brutale RR, die PS im Jahr zuvor bei besten Bedingungen per Achse zur Nordschleife gefahren hatte. Dazu läßt sie sich trotz situationsbedingt kühler Reifen willig und präzise in die nassen Kurven legen, geht für MV-Verhältnisse sehr sanft ans Gas. Sie läßt genau spüren, wie die Vorder- und Hinterhand mit den schwierigen Bedingungen zurechtkommen. Die zweifellos sehr kräftige Bremse packt trotz Nässe spontan zu, lä´ßt sich aber gefühlvoll dosieren. Ob das Conti-ABS mit Kurvenfunktion etwas zu regeln hat? Wenn ja, es ist nicht zu spüren. Hatte die RR im Vorjahr trotz stark zurückgenommener Dämpfung noch bockig auf Bodenwellen reagiert, so gibt sich die Nürburgring-Edition sehr gefällig. Sehr fein ansprechend arbeiten die Federelemente mit semiaktiver Dämpfungsjustierung die Konturen der Fahrbahnoberfläche ab. Bei Regen ist das nicht nur eine Komfortfrage, da geht es auch um Grip. Ein Rad, das auf einer Welle den Bodenkontakt verliert, führt wegen der drastisch geringeren Gleitreibungszahl auf nasser Bahn rasch zu heftigen Rutschern oder gar zum Sturz. Andererseits muss man nicht befürchten, die MV sei zur reinen Komfortsänfte geworden, die zu wenige Reserven für schnelle Runden an heißen Tagen bietet. Eine sportlich-straffe Grundabstimmung kann und will sie nicht verbergen. Wie sie sich auf trockener Fahrbahn und standesgemäß hohem Nordschleifentempo verhält, kann PS-Redakteur Tobi Münchinger berichten, der die RR Nürburgring einige Wochen später bei bestem Wetter so schnell fahren konnte, wie es ihr zukommt.
Auf der Nordschleife helfen erstens Power, zweitens Stabilität und drittens Beherrschbarkeit beim souveränen Schnellfahren. Leistung stellte diese Nummer eins von 150 gebauten Brutale Nürburgring-Edition massig bereit, sie drückte schon aus mittleren Drehzahlen mächtig und sprengte in Richtung fünfstelligem Bereich die Tore zur (Grünen) Hölle auf. Gefühlt ist das eine Vorstellung auf bestem Superbike-Niveau in der Größenordnung deutlich über 200 PS! Zur reinen Motorleistung unterhält der Vierzylinder durch seine quicklebendige Spritzigkeit, sodass die mit Arrow-Titan-Anlage ausgestattete Brutale nicht nur auf der Döttinger Höhe wie ein Berserker voranprescht, sondern den Hatzenbach bis runter zum Anstieg in Richtung Quiddelbacher Höhe mit zornigem Swing und perfekten Kurvenanschlüssen durchcarvt. Grip ist auf jedem der 20,8 Nordschleifen-Kilometer immer massig vorhanden. Die funktionale Sitzposition mit starkem Bezug zum Vorderrad, sauberem Knieschluss am Tank und riesiger Schräglagenfreiheit unterstützt dabei, die Brutale zu kontrollieren. Gemeinsam mit MV-Rennmechaniker Lele Grassi wurden die einstellbaren Rasten nach den ersten drei Runden noch etwas weiter nach oben gestellt, dann passte die Ergonomie zum Schnellfahren astrein. Durch die breiten Lenkerstummel bekommt man die Front der Brutale sauber unter Kontrolle, wenn eine Bodenwelle bei hoher Geschwindigkeit doch mal einen harten Impuls in die Lenkung haut und das Vorderrad kurz auskeilt. In Schräglage bleibt die Maschine stabil, und generell traut man sich zu, viel Speed in die gleichmäßig verlaufenden schnellen Kurven wie die lange Links am Metzgesfeld oder durch die Klostertalkurve hoch zum Karussell zu tragen. In den wenigen wirklich langsamen Passagen der Strecke wie beim Umlegen von links nach rechts am Adenauer Forst beziehungsweise am Abschnitt Wehrseifen lieferte die Brutale noch dazu eindrücklichen Beweis für ihre durch Karbonräder unterstützte Handlichkeit. In Zahlen: Mit dem Racing-Kit sinkt das Trockengewicht gegenüber der RR um neun Kilo auf 177 Kilogramm.
Besonders beim Ans-Gas-Gehen aus dem Adenauer Forst (zweiter Gang, relativ niedriges Drehzahlniveau) kann man beobachten, dass die Feinabstimmung der MV doch nicht in jeder Lebenslage passt: In der beschriebenen Situation gehtdas Motorrad hart und plötzlich ans Gas und fordert hohe Konzentration. Grundsätzlich haben wir die elektronische Motorabstimmung der Brutale (Mapping und Ansprechverhalten) eher soft gewählt und sind damit sprichwörtlich gut gefahren. Was Fahrwerk und Bremse betrifft, decken sich meine Eindrücke auf der Nordschleife mit denen von Kollege Ralf auf der Landstraße. Bei hohen Geschwindigkeiten dämpfen die semiaktiven Federelemente sehr ordentlich und halten die MV stabil auf Kurs. Beim härteren Anbremsen – die Stopper sind fantastisch dosierbar und verzögern bestens – stellt sich speziell die Arbeitsweise der Gabel durch ihr feines Ansprechverhalten als extrem sorgsam abgestimmt heraus. Ein Attribut, das für die komplette Maschine so sehr gilt wie mutmaßlich bei noch keiner anderen MV-Testmaschine zuvor. All das spiegelt sich im Preis der auf 150 Stück limitierten Nürburgring-Edition wider: 39.900 Euro kosten das Sondermodell. 7.700 Euro mehr als Standard RR.
Wenn es darum geht, Begehrlichkeiten in Form von exklusiven Sondermodellen zu wecken, macht MV Agusta niemand etwas vor. Die von uns getestete Brutale 1000 Nürburgring sieht aber nicht nur spektakulär aus, sondern hat uns sowohl bei miesen Bedingungen auf der Landstraße als auch auf einigen schnellen Nordschleifenrunden gut gefallen bis beeindruckt: Speziell auf der Nordschleife war der Fahrspaß riesig! Schön wäre es, wenn sich möglichst viele dieser positiven Eindrücke zukünftig im Serienbau sämtlicher MVs widerspiegelten.