Eine schöne, kurvige Straße mit feinstem Asphalt bei trockenem Wetter alleine für sich zu haben – davon träumen wohl die meisten Motorradfahrer. Doch die Realität sieht in unseren Breiten leider oft genug anders aus. Und aussuchen kann man sich weder das Wetter noch den Füllgrad der Straßen, sofern man sich auch mal etwas weiter von der heimischen Garage entfernen will.
Regen wie im Bild oben ist zwar fies, aber mit guten Reifen und ebensolcher Bekleidung kein großes Problem. Trocken und dank Anti-Beschlagvisier auch mit guter Sicht sollten wir trotzdem deutlich Fahrt rausnehmen, denn durch die Nässe und niedrigere Temperaturen steht uns spürbar weniger Grip zur Verfügung. Fahrbahnmarkierungen und Bitumenstreifen, Kopfsteinpflaster und Kanaldeckel sind noch glitschiger als bei Trockenheit. Hinzu kommt, dass wir bei Nässe so gemeine Fallen wir eine Ölspur und Ähnliches später bis gar nicht wahrnehmen können. In Trockenphasen lagert sich jede Menge Öl, Staub und Gummiabrieb in den Belagporen ab. Beim nächsten Regen werden diese Substanzen dann angefeuchtet und wirken wie Schmierseife. Kurz nach Regenbeginn ist es daher am rutschigsten, nach einem Tag Dauerregen hat sich der Grip dann oftmals wieder verbessert. Wie sich die Reifen auf der nassen Piste trotzdem verzahnen können, erklären die Zeichnungen auf der rechten Seite.
Kurven bei Nässe: weiche Linie fahren
Kurven, die sich im Trockenen mit lockerem Schwung nehmen lassen, fordern bei Nässe sensiblen Umgang mit Gas und Bremse. Bei Regen ist die optimale Linienwahl in Kurven noch wichtiger als auf trockener Straße. Angesagt sind eine defensive Fahrweise und ein weicher, runder Fahrstil, das ist gleichzeitig ein gutes Training für Feinmotorik und Konzentration. Die Fahrdynamik funktioniert bei Regen nicht anders als auf trockener Straße – mit dem entscheidenden Unterschied, dass Vorgänge wie Beschleunigen, Bremsen, Einlenken und Kurvenfahren deutlich sanfter vonstatten gehen sollten. Wer zackig einlenkt, schreckhaft in die Eisen steigt oder hastig am Gas dreht, kann den Reifengrip auf nasser Fahrbahn schlagartig überfordern. Auch beim Herunterschalten und Einkuppeln (Tipp: Zwischengas!) sollte man sanfter zu Werke gehen; in den Kurven lieber einen Gang höher wählen, um mit weniger Drehzahl weich und gleichmäßig aus der Schräglage zu beschleunigen.

Bei all dem gilt: bewusst locker bleiben. Gerade beim Übergang von trockener auf nasse Fahrbahn neigt so mancher dazu, sich zu verkrampfen. Und wer verkrampft, spürt die Reaktionen des Motorrads später, vielleicht zu spät. Um auch im Regen sicher anzukommen, sollte man sich immer wieder bewusst entspannen: Schultern fallen lassen, Oberlippe locker, die Hände etwas lösen, die Spannung aus dem Gesäß nehmen. Das geht durchaus auch während der Fahrt. Zusätzlich vielleicht eine Pause mehr machen sowie das Tempo so wählen, dass man sich trotz Nässe noch wohlfühlt. Empfehlenswert ist ein Training unter professioneller Anleitung, bei dem Bremsmanöver und Kurvenfahrten auf künstlich bewässerter Fahrbahn intensiv geübt werden.
Damit das Vorderrad bei einer Vollbremsung ohne ABS auf dem feuchten Asphalt nicht gleich wegrutscht, heißt es vorsichtiger am Bremshebel zu ziehen und den Bremsdruck zügig, aber etwas langsamer aufzubauen als im Trockenen. Dabei etwas unter dem persönlichen, trainierten Maximalwert bleiben. Wichtig: hinten kräftig mitbremsen. Bremsverzögerungen bis zu 8,0 m/sek² können bei griffigem Asphalt im Nassen erreicht werden. Das entspricht einem Bremsweg aus 100 km/h von 48 Metern, also nur rund acht Meter länger als das Optimum im Trockenen. Allerdings ist die Gefahr eines blockierenden Vorderrades dabei relativ hoch, was ein blitzartiges Lösen und Nachgreifen erfordert. Oder ein wirkungsvolles ABS, mit dem bei Regen oder rutschiger Fahrbahn trotzdem voll reingelangt werden kann (siehe Kapitel „Richtig bremsen“).
Nasse Straßen: Rutschgefahr

Bei Nässe sinkt der Grip der Reifen dramatisch, wodurch deutlich weniger Schräglage möglich ist als auf trockener Strecke. Allerdings kommt es ganz wesentlich auf den Fahrbahnbelag an. In einer groben Oberfläche mit feinen Spitzen (Fachbegriff: mikrorau) kann sich der Reifen perfekt verzahnen und erlaubt selbst bei Nässe ordentliche Schräglagen, wie sie bei Regenrennen immer wieder zu bestaunen sind.
Hingegen verdrängen grobe Oberflächen mit glatten Kanten (Fachbegriff: makrorau) wie Kopfsteinpflaster zwar den Wasserfilm, die Verzahnung und somit die Reifenhaftung sind aber schlecht, die mögliche Schräglage geht stark zurück.
Reifenhaftung im Regen

Enorm wichtig bei Nässe ist auch das Reifenprofil, da über die Profilrillen das Wasser nach außen transportiert wird und sich an der Kante des Profilblocks ein hoher Anpressdruck aufbaut. Nur damit kann der Wasserfilm durchstoßen und der Kontakt zur Straße aufgebaut werden.
Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang Kieselsäure (Silika), die vielen Reifen inzwischen beigemischt wird. Sie sorgt neben anderen guten Eigenschaften für die nötige Elastizität auch bei niedrigen Temperaturen, um sich mit den mikrorauen Asphaltspitzen zu verzahnen.
Aquaplaning beim Motorrad

Vorteil fürs Motorrad: Im Vergleich zu den breiten Autoreifen (rechts) hat der Motorradreifen (links) eine geringere Aufstandsfläche und – noch wichtiger – eine abgerundete Kontur. Diese drängt den Wasserkeil seitlich ab, der Reifen schiebt sich durch die Wasserfront, die Aquaplaning-Gefahr sinkt. Die flächige Kontur des Autoreifens baut dagegen eine breite Wasserfront direkt in Fahrtrichtung auf.
Motorrad fahren bei Dunkelheit
Aber auch bei Trockenheit ist nicht jeder Teer griffig, rutschige Fahrbahnbeläge sind nun mal keine Seltenheit. So können sich etwa Bitumenstreifen, die bei Sommerhitze glatt wie Eis werden, als unangenehme Überraschungen entpuppen. Und bei Rollsplitt oder Schotter heißt es ebenfalls Gas weg. Bremsmanöver auf rutschigem Terrain gelingen wiederum am besten mit ABS.

Auch die Ränder in Kurven, wo kurvenschneidende Autos nie entlang fahren, bieten mehr Dreck als Grip, was die Linienwahl speziell in Linkskurven anspruchsvoll macht.
Mit Vorsicht zu genießen sind so auch Ausfahrten im späten Herbst. Restfeuchte und feuchtes Laub in schattigen Kurven sind mitunter spiegelglatt, und in Flusstälern behindern üble Nebelbänke die Sicht. Da hilft nur, hellwach, aber körperlich locker im Sattel sitzen und auf der Hut sein. Gerade bei widrigen Umständen gilt es auch bewusst darauf zu achten, dass der Blick nicht vor das Vorderrad fällt.
Eine Strategie, die auch bei Dunkelheit empfehlenswert ist. Größtes Problem bei Überlandfahrten: die Blendung durch entgegenkommende Autofahrer. Gegen diesen Blindflug hilft nur gute Blickführung, sprich, stur weit auf seine eigene Fahrbahn voraus ins Dunkel blicken, bewusst weg von den Scheinwerfern des Gegenverkehrs. Wichtig dabei ist ein möglichst kratzerfreies, sauberes Visier, was man ja im Gegensatz zum Stadtverkehr auf der Landstraße nicht so einfach öffnen kann.
Frust kann Gefahrenquelle sein
Und wenn dann doch mal die Verhältnisse optimal sind, dann müssen wir uns oft genug die Straße mit anderen teilen. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Schon die Autobahn auf der Anfahrt war knüppelvoll, dann sonntäglicher Kolonnenverkehr auf der Lieblingsstrecke, Kurve um Kurve vergeht ohne rechten Fahrspaß.

Wir kommen einfach nicht vorbei, und irgendwann reicht es uns – nach dem Motto „Jetzt oder nie“ wird zum Überholen angesetzt.
Dieses Szenario ist der Stoff, aus dem die Unfälle bei besten Verhältnissen gemacht sind. So schwer es fällt, hier heißt es warten, warten auf die richtige Gelegenheit. Oder Pause machen, eine andere Stecke wählen, die Kurven auf der Außenlinie so weit wie möglich ausfahren, oder auch mal versuchen dann zu fahren, wenn es nicht alle anderen auch tun.
Vor allem aber ist es wichtig, zu erkennen, wenn man in solch eine innere Verfassung gerät und sich dann ganz bewusst einzubremsen. Sonst kann es passieren, dass wir bei trockener Straße, bester Sicht und feinstem Grip einfach viel zu schnell in die nächste Kurve stechen, das eben überholte Auto wüst ausbremsen und trotzdem rausfliegen, weil wir es vor lauter Schreck nicht schaffen, die Bremse zu lösen.
Baustellenausfahrten

Diese Spuren einer Baustellenausfahrt bringen das Motorrad leicht aus dem Tritt. Zudem können plötzlich Bauarbeiter oder Baufahrzeuge auftauchen und abrupt zum Bremsen zwingen, was auf einem solchen Untergrund kein Spaß ist
Sperrflächen

Sperrflächen dürfen nicht befahren werden, deshalb sammelt sich dort jede Menge Dreck an. Das bedeutet aber für einen Motorradfahrer: Wenn er sie einmal als Ausweichraum benötigt, sind Schräglagen und Bremsungen dort äußerst heikel
Brückenabsätze

Brückenabsätze sind oft mit Stahlplatten garniert, die dem Reifen kaum Grip bieten. Da man sie nicht umfahren kann, gilt hier bei Regen generell: nicht bremsen, nicht beschleunigen, sondern das Motorrad möglichst ohne Schräglage rollen lassen
Kanaldeckel

Kanaldeckel aus Gusseisen sind rutschig. Speziell, wenn sie sich in einer Kurve befinden, sollte man sie daher umfahren. Alternativ das Motorrad leicht aufrichten und rollen lassen. Die meist kurzen Rutscher können so leichter ausbalanciert werden.
Bitumen

Bitumenstreifen bieten schon im Trockenen wenig Grip, bei Nässe sind sie richtig glatt. Meist zuckt nur mal kurz die Lenkung, wenn ein oder beide Räder drüberrollen. Je breiter und größer sie aber ausfallen, umso eher muss man sie umfahren
Fahrbahnmarkierungen

Im Trockenen sind Zebrastreifen und andere Fahrbahnmarkierungen kein Problem, doch bei Regen ist der aufgebrachte Kunststoff spiegelglatt. Daher nicht beschleunigen oder bremsen, sondern das Motorrad einfach darüber weg rollen lassen