Die Grenzen der Reifenhaftung werden von diversen Kräften beeinflusst. Da sind die Umfangs- oder Längskräfte, die beim Bremsen und Beschleunigen entstehen, sowie die Seitenkräfte, die sich in Schräglage entwickeln. Das Verhältnis dieser Kräfte zueinander beschreibt der Kammsche Kreis (siehe Grafik unten), benannt nach dem Stuttgarter Ingenieur Wunibald Kamm. Die eingeleiteten Kräfte in Schräglage müssen immer innerhalb dieses Kreises bleiben, damit die Räder nicht wegrutschen.
Der Kammsche Kreis zeigt, dass man bei moderaten Schräglagen fast die volle Brems- oder Beschleunigungskraft nutzen kann. Ab einer gewissen Schräglage aber verringern sich die übertragbaren Längskräfte überproportional, und schon eine geringe Brems- oder Beschleunigungskraft genügt, um den Kreis zu verlassen, sprich, zu stürzen.
Der Kammsche Kreis wird umso kleiner, je weniger Haftung die Reifen haben. Deshalb genügen bei Nässe oder verschmutzter Fahrbahn schon ein kleiner Gasstoß, um das Hinterrad durchdrehen zu lassen, oder eine geringe Schräglage, um wegzurutschen.
Der Kammsche Kreis im Detail erklärt
Der Kammsche Kreis zeigt, welche Kräfte beim Beschleunigen, Bremsen und in Schräglage auf die Reifen wirken, hier ausgehend von einem Reibbeiwert von µ = 1,1.
Die grünen Linien entsprechen einer zügigen Landstraßenfahrt. Bei 38 Grad Schräglage sind noch 79 Prozent der Umfangskräfte möglich, so stark darf also gebremst oder beschleunigt werden. Die roten Linien zeigen flottes Tempo mit 48 Grad Schräglage; jetzt bieten die Reifen nur 18 Prozent ihrer Umfangskräfte, was sehr gefühlvolles Beschleunigen oder Verzögern erfordert, will man nicht aus dem Kreis und damit von der Straße fliegen. Je weniger Haftung die Reifen aufbauen, desto kleiner wird der Kammsche Kreis, weshalb bei Nässe nur eines hilft: das Kurventempo zu drosseln. Auch „Kurven-ABS“ vergrößert diesen Kreis nicht – aber es reduziert die Bremskraft so weit, dass wir ihn nicht wegen zu hoher Umfangskräfte verlassen.