Wenn beim Italjet Dragster 700 Twin die dreieckige rote Rampe der Anti-Hopping-Kupplung unter dem gläsernen Deckel klar sichtbar rotiert und dann bei jedem Gasstoß das Motoröl in einer kreisrunden Welle das Glas verdunkelt, dann ist das eine neue Dimension – für Roller-Verhältnisse.
Italjet Dragster 700 Twin – ist das überhaupt noch ein Roller?
Ist der Italjet Dragster 700 Twin überhaupt noch ein Roller? Oder ist die Bezeichnung Roller für ihn eher eine Beleidigung? Denn mit den Dingern, die auf kleinen Rädern mit stufenlosem Automatik-Getriebe durch die Städte huschen, hat er nur den mehr oder weniger freien Durchstieg gemein. Und auch mit Maxi-Scootern nur die 15 Zoll großen Räder. Wer je mit einem Yamaha T-Max gefahren ist, weiß, dass sich auch damit richtig sportlich fahren lässt. Mehrere Hersteller, allen voran Honda, haben sich auch immer wieder mit Crossover-Konzepten zwischen Roller und Motorrad versucht.
6-Gang-Getriebe mit Fußschaltung
Doch bisher war keiner auch nur annähernd so radikal wie der Italjet Dragster 700 Twin. Weder beim Design noch bei der Technik. Ein Handhebel für die Kupplung, das fußgeschaltete 6-Gang-Getriebe, Fußrasten und Fußbremse – kann man da überhaupt noch von einem Roller sprechen? Über Begriffe sollte man bei echten Innovationen nicht streiten, und bei den klassischen Rollern wie Vespa oder Lambretta musste ebenfalls noch gekuppelt und geschaltet werden. Mein seliger Zündapp-Roller hatte auch Fußschaltung.
Zuerst der Rennstrecken-Test in Imola
Die freundliche Dame im hautengen Italjet-Bodysuit ruft meinen Namen auf, und vor der gewaltigen Box des Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola wartet der Italjet Dragster 700 als Limited Edition in den Farben des Gresini-Moto2-Teams auf mich. Der Twin hämmert sonor aus den zwei hochgezogenen Akrapovic-Endrohren. Er folgt brav den Befehlen der rechten Hand, die Kupplung geht leicht, ebenso flutscht der erste Gang hinein.
ABS und Traktionskontrolle ausgeschaltet
Wäre nicht das außergewöhnliche Erscheinungsbild des Italjet Dragster 700 Twin, dann könnte das auch eine Yamaha R7 sein, auf der ich aus der Boxengasse hinausbeschleunige. Zuvor wurde mir noch gesagt. "ABS und Traktionskontrolle sind ausgeschaltet, du hast alles selbst in der Hand." Trotzdem wollen sich meine Sinne nicht so recht sortieren, wie ich die breite Rennstrecke entlangfahre. Überhaupt: Imola. Wie die Nordschleife mit doppelter Breite, nur dass auf den Hügeln Zypressen wachsen und Villen im toskanischen Stil stehen, deren Bewohner sich auf den Terrassen sonnen.
Bissige Brembo-Bremsen für 190 sehr handliche Kilos
Ein Griff in die Eisen des Italjet Dragster 700 Twin. Die vordere Doppelscheibe mit Vierkolben-Monoblock-Zangen von Brembo beißt gewaltig zu. Im Abschnitt Tamburello mit dem nach hinten offenen Doppel-S habe ich gleich mal überlenkt. Das 190-Kilo-Fahrzeug ist viel handlicher, als man glaubt. Aber wie viel Lenkkraft es braucht, findet man schnell heraus, und von da an folgt es messerscharf der Linie, die man anpeilt. Trotzdem ist es zunächst ein komisches Gefühl, zu fahren wie auf einem Motorrad, ohne etwas zwischen den Knien zu haben.
Aufsetzende Fußrastenhalter im Racing-Modus
Die Sinne sind auf den Italjet Dragster 700 Twin geschärft, und die Fußrastenhalter beginnen zu kratzen. Dann passiert es im sich zuziehenden Bergauf-Linksbogen der Tosa: Das Knie, der Fußrastenhalter und die Stiefelspitze setzen gleichzeitig hart auf und das Hinterrad versetzt. Hoppla. Dann doch mit etwas weniger Elan. Es macht aber auch so richtig Spaß, durch das Labyrinth zu schwingen und sich von dem elastischen Twin herumtragen zu lassen. Natürlich sind das hier "nur" 68 PS. Wer 200-PS-Hypersportler gewohnt ist, fühlt sich mit dem Dragster auf dieser gigantischen Rennstrecke etwas verloren.
So viele schöne Details
Dafür hat das Auge umso mehr Freude am Italjet Dragster 700 Twin. Man kann sich an den Details kaum sattsehen. Die von der MotoGP inspirierten Kohlefaser-Flügelchen, die Akrapovic-Endrohre wie beim Ducati-Superbike, wie in der WM vorgeschriebene Schutzbügel vor Brems- und Kupplungshebel, aber stabiler und mit integrierten LED-Blinkern. Dazu eine Fahrhöheneinstellung mit einem Drehgriff auf der rechten Seite, welche die untere Aufnahme des Öhlins-Federbeins über einen Exzenter verschiebt.
Sogar 2 Kameras an Front und Heck
Obendrein hat der Italjet Dragster 700 Twin auch noch so Spielereien wie Kameras vorn und hinten, deren Bilder sich auf das TFT-Display projizieren und sogar aufnehmen lassen. Und natürlich einstellbare Fahrmodi für Motor, Traktionskontrolle und ABS sowie USB-A- und USB-C-Anschlüsse.
Anschließender Besuch im Werk
Nach einem heiteren Abend, an dem Italjet-Boss Massimo Tartarini sich als Party-Animal geoutet hat, merke ich am nächsten Morgen, dass mir noch Fotos fehlen. "Fahr ins Werk", meint Italjet-Importeur Uwe Kilian auf meinen Anruf hin. Und dort darf ich nicht nur fotografieren, sondern auch noch einmal fahren.
Landstraßen-Test mit dem Italjet Dragster 700 Twin
Welch eine Offenbarung! Fühlte man sich mit dem Italjet Dragster 700 Twin auf der Rennstrecke nicht wirklich im richtigen Jagdrevier, klickt es nun sofort. Hände und Füße fallen wie automatisch auf den mittelbreiten Lenker und die nicht zu hoch angebrachten Fußrasten, die Sitzposition ist lässig locker. Dass der Twin von 3.000/min bis 9.000/min in jedem Gang ordentlich und gleichmäßig schiebt, hatte er schon in Imola gezeigt. Aber seine Manieren überzeugen auf der Straße noch mehr.
Sport-Scooter mit unglaublich leichtem Handling
Dann kommt hinter dem Ortsschild die erste enge 90-Grad-Kurve: Nur hineinschauen, und mit geringstem Kraftaufwand und messerscharf folgt der Italjet Dragster 700 Twin der angepeilten Linie. Es gibt nichts in dieser Gewichtsklasse, was nur annähernd so handlich ist. Es ist schwer zu glauben, bis man es selbst erlebt hat: Bei einem Motorrad hat man den Tank zwischen den Knien, und dessen Massenträgheit muss man von links nach rechts und umgekehrt bewegen. Das fällt bei diesem "Roller" weg.
Öhlins-Federbein und Marzocchi-Gabel
Wie die Marzocchi-Gabel und das Öhlins-Federbein am Italjet Dragster 700 Twin die Unebenheiten der italienischen Nebenstraße wegbügeln, ist mustergültig, und die Balance stimmt einfach. Bei einer so ausgefallenen Neuentwicklung kann man deren Schöpfern nur größten Respekt aussprechen, dass sie so eine Punktlandung hinlegen konnten. Übrigens war es MotoE-Weltmeister Matteo Ferrari, der die Feinabstimmung vornahm. Der muss auch eine Sozia dabeigehabt haben, denn obwohl es gar nicht so aussieht, ist der Rücksitz gut gepolstert und der Kniewinkel zu den Rasten angenehm.
ABS und Schlupfregelung am radikalen Konzept
Naja, das ABS und die Traktionskontrolle des Italjet Dragster 700 Twin könnten etwas weicher funktionieren, aber was ist das schon gegen diese geballte Ladung Fahrvergnügen, die sich hier auftut. Hier waren Motorrad-Enthusiasten und Könner am Werk, die etwas Unerwartetes, Radikales geschaffen haben. Radikal geil! Und der Preis? Ab 14.490 Euro.