Herrgott noch mal, kann MOTORRAD-Top-Tester Karsten Schwers auf der KTM nicht ein einziges Mal anständig aus der Kurve rausbeschleunigen? Gepflegt das Gas anlegen, bei mittleren Drehzahlen hochschalten, eine saubere Linie ziehen. Kann er nicht. Nein, will er nicht. Vorderrad oben, Drehzahl noch höher, Tunnelblick. Äußert sich so Torschlusspanik? Mitnehmen, was geht – solange es solche Supermoto-Bikes wie die KTM 690 SMC R noch gibt. Ohne Traktionskontrolle, ohne ABS, ohne Fahrmodi, ohne Vernunft – und ohne zweiten Zylinder.
KTM 690 SMC R auf Platz 19 der Zulassungscharts
Denn die KTM 690 SMC R ist in der Tat eine der Letzten ihrer Art. Nur noch ihre domestizierte Schwester, die KTM Duke, die BMW G 650 GS und die braven Yamaha XT-Modelle bollern noch im einstmals populären Sound of Singles. Und schuld daran sind eben solche Bikes wie die Ducati Hypermotard SP. Maschinen, die aus ihren zwei Pötten nicht nur lässig mehr Hubraum und Leistung generieren, sondern mit feiner Laufkultur den Zuschlag auch noch gefällig servieren.
Doch bevor die Tränen für die bedrohten Singles kullern, hellt ein Blick auf die Zulassungsstatistik die Stimmung auf. Denn es gibt sie noch, die überzeugten Eintopf-Liebhaber. Und gar nicht so wenige. Die neue Duke verkauft sich wie geschnitten Brot, und auch die KTM 690 SMC R kann ihr Orange stolz tragen: Platz 27 in den letztjährigen Verkaufscharts, in diesem Jahr bislang Position 19 – damit darf sich die knapp 9000 Euro teure Österreicherin selbstbewusst in die Brust werfen.
Und wenn Karsten anhält, kann sie das sogar vor der in diesem Jahr von Grund auf neu konzipierten Ducati Hypermotard SP tun. Denn die kletterte in dieser Saison nur auf den 32. Rang – Basisversion und SP-Modell zusammengenommen. Allerdings dünnen wohl deren Tarife die Interessentenschar aus. 11 500 Euro kostet das Standardmodell, für ein Supermoto-Bike sicher grenzwertige 14.900 Euro die SP-Ausgabe.

Karsten hält an. Aber nicht dem Ego-Trip der KTM 690 SMC R zuliebe, sondern aus ganz profanem Grund: Ein Rückspiegel hat sich losvibriert. Das passt zur glasklar definierten Supermoto-Ausrichtung der SMC R. Was nicht unmittelbar dem zügigen Vorankommen dient, wird minimiert. Blinker, Spiegel und Licht wagen kaum, das Bild vom kompromisslosen Renner zu stören. Erst recht nach der kräftigen Überarbeitung zu Beginn vergangenen Jahres. 690 statt 654 cm³ Hubraum, 67 statt 63 PS und auf 250 Millimeter reduzierte Federwege schärfen den Charakter in technischer Hinsicht, blitzsauber gefräste Gabelbrücken oder orangefarben eloxierte Felgen addieren sportsgeistige Optik.
Minimierung spielt offensichtlich auch bei der Ducati Hypermotard SP eine wichtige Rolle. Allein das gegossene Rahmenheck und der unten liegende Auspuff tragen entscheidend zur neuen optischen Luftigkeit der Italienerin bei. Doch gibt sich die Duc im Vergleich zur KTM 690 SMC R edler. Statt offroad-inspirierter simpler Kunststoffteile zeichnen die aufwendig geformten Verschalungen von Front- und Heckpartie sowie Tank und Kühlerhutzen eine elegante fließende Linie. Auch das neckisch verspielte Design der Rückspiegel oder die in die Handschalen integrierten Blinker sprechen eine klare Sprache: Von Rennsport, erst recht Supermoto, hält die Ducati wenig. Daran ändert auch die Liste der technischen Schmankerln der SP-Version nichts. Geschmiedete Felgen, Marzocchi-Gabel, Öhlins-Federbein und einige Karbon-Abdeckungen – alles zusammen für immerhin 3400 Euro Aufpreis – reduzieren das Gewicht um fünf Kilogramm und sind letztlich zu schade für die Kartstrecke. Für das Kiesbett sowieso.
V2 der Ducati Hypermotard SP ist ein Sahnestück
Doch wieso brummt Karsten immer vorweg? Wer hat denn hier die Macht im Gasgriff? Die nächste Gerade gibt die Antwort. Gegen die auf dem MOTORRAD-Prüfstand gemessenen 107 PS des neuen 821er-Testastretta-Motors der Ducati hat der Single der KTM 690 SMC R keine Chance. Da kann er mit 70 PS noch so gut im Futter stehen. Überhaupt dieser V2 der Ducati Hypermotard SP. Ein Sahnestück. Allein der sonore, bassige Klang. Herrlich. Und dieser Schub. Beeindruckend, wie lässig der Desmo-Vierventiler ab 3000/min vorandrückt und anschließend wunderbar leichtfüßig bis knapp über 10.000 Umdrehungen durchs Drehzahlband schnellt. Unwillkürlich nützt der Hypermotard-Treiber diese Universalität des Kurzhubers, verzichtet gelegentlich aufs Hochschalten und lässt sich mit moderaten Drehzahlen aus Kurven hinausbugsieren.
Dass der Ducatist sich dabei auf ein per Ride-by-Wire gesteuertes Motormanagement mit gut funktionierender einstellbarer Traktionskontrolle sowie in drei Stufen justierbarer Leistungscharakteristik verlassen darf, gibt dem Vergnügen noch einen zusätzlichen Kick. Den der KTM-Pilot auf eine ganz andere Art erfährt. Denn unter 3000/min peitscht der große Eintopf widerspenstig mit der Kette, über 6000 Touren mahnt er mit kribbelnden Vibrationen zum Gangwechsel.
Dazwischen spielt die Musik. Dieser schmale Korridor zwingt den Dirigenten dazu, den Taktstock entschlossen zu führen. Hochschalten, runterschalten, den 690er immer auf Zug halten, das ist der Anspruch, den die KTM 690 SMC R stellt. Wer den erfüllt, dem impft sie die volle Dosis ihrer Supermoto-DNA ein. Entschlossen reißt der kurzhubige Single an, dreht blitzartig hoch, reizt allein durch das leichtgängige Gas und die mit einem Finger zu ziehende Kupplung, das Potenzial des Einzylinders auszunutzen. Denn 70 PS sind eine Bank. Kein zulassungsfähiger Einzylindermotor war jemals stärker. Jede Ampel mutiert zur Startanlage, jede Kurve animiert zu gewagter Schräglage, und jede Kehre lädt zum Anbremsdrift ein. Dass die KTM dabei auf jede Art von elektronischen Helfern verzichtet, passt zum unverfälschten Charakter der KTM 690 SMC R wie die eiskalte Morgendusche zum Naturburschen.

Allein beim Gedanken daran fröstelt es die Ducati Hypermotard SP. Oder doch nicht? Denn in Sachen Fahrwerk verlässt die Dame aus Bologna ihre vom famosen Motor begründete so distinguierte Ausrichtung. Vor allem die Sitzposition irritiert. Die Sitzmulde rückt den Piloten unnatürlich weit nach vorn, nah an den Lenker. Liegt’s daran? Denn Lenkpräzision ist nicht die Stärke der Ducati. In engen Kehren kippt das Vorderrad zur Kurveninnenseite, muss mit Gegendruck am Lenker auf Kurs gehalten werden. Schon beim Top-Test der Basis-Hypermotard (MOTORRAD 10/2013) neutralisierten Conti RoadAttack 2 das Lenkverhalten. Ein guter Tipp wohl auch für die SP-Variante, die auf Pirelli Diablo Supercorsa Sp rollt. Zudem die aufgerüsteten Federelemente den Charakter der Hypermotard ebenfalls in der SP-Version fortschreiben. Denn während die Marzocchi-Gabel vorn ordentlich arbeitet, teilt das Heck auch mit dem teuren Öhlins-Monoshock derbe Schläge aus. Die Härte der Feder kann selbst eine versuchsweise voll aufgedrehte Zug- und Druckstufendämpfung nicht kompensieren. Wohlbehagen will sich so – gerade auf den Supermoto-Traumstrecken, den wenig befahrenen, aber oft holprigen Landsträßchen – nur selten einstellen.
KTM wiegt 154 Kilogramm - vollgetankt!
Schade, denn gerade dort läuft die KTM 690 SMC R zur Hochform auf. Sei es das mit 154 Kilogramm (vollgetankt!) sensationell niedrige Gewicht, die trotz besagter Kürzung mit 250 Millimetern immer noch stattlichen Federwege oder die gertenschlanke Tank-Sitzbank-Kombination – auf diesem Terrain braucht die Österreicherin nichts und niemanden zu fürchten. Mit links bügeln die Federelemente von WP Suspension auch die allerschlimmsten Asphaltverwerfungen weg, mit Präzision schneidet sie sich jeden Kurvenradius entlang, und mit Bravour korrigiert sie so manchen im Überschwang begangenen Fahrfehler. Allerdings: Wie bei ihrem Motor erwartet die KTM auch fahrwerksseitig gehöriges Engagement.
Ob die stolze Sitzhöhe von 930 Millimetern, die schmale und straffe Sitzbank oder der Verzicht auf ABS – der Pilot der KTM 690 SMC R muss sich ganz bewusst auf diese spezielle, grundehrliche Spezies von Motorrad einlassen. Nur wer sich darüber im Klaren ist, kann mit dem Einzylinder sein Glück finden. Wer daran zweifelt, wird mit dem V2 der Ducati Hypermotard SP gepflegt das Gas anlegen, bei mittleren Drehzahlen hochschalten, eine saubere Linie ziehen – und für diesen kultivierten Auftritt das zusätzliche Gewicht oder den höheren Preis längst vergessen haben.
Fazit
Betrachtet man es emotionsfrei, bleibt nur ein Urteil: Eine Zweizylinder-Supermoto wie die Ducati Hypermotard SP ist stärker, schneller und kultivierter, als es ein Single je sein kann. Punkt. Doch KTM hat mit der 690 SMC R die feine Linie zwischen Unvernunft und Faszination gut getroffen. Ob der satte Einzylinder-Schlag und das tolle Handling die mäßige Laufkultur eines Eintopfs wert sind, diese Entscheidung bleibt eine Herzenssache – so wie Motorradfahren generell.
Ducati Hypermotard SP

Motor
Bauart | Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor |
Einspritzung | Ø 52 mm |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) |
Bohrung x Hub | 88,0 x 67,5 mm |
Hubraum | 821 cm³ |
Verdichtung | 12,8:1 |
Leistung | 81,0 kW (110 PS) bei 9250/min |
Drehmoment | 89 Nm bei 7750/min |
Fahrwerk
Rahmen | Gitterrohrrahmen aus Stahl |
Gabel | Upside-down-Gabel, Ø 50 mm |
Bremsen vorne/hinten | Ø 320/245 mm |
Assistenz-Systeme | ABS, Traktionskontrolle |
Räder | 3.50 x 17; 5.50 x 17 |
Reifen | 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17 |
Bereifung | Pirelli Diablo Supercorsa SP |
Maße und Gewichte
Radstand | 1505 mm |
Lenkkopfwinkel | 64,5 Grad |
Nachlauf | 104 mm |
Federweg vorne/hinten | 185/175 mm |
Sitzhöhe** | 910 mm |
Gewicht vollgetankt** | 195 kg |
Zuladung** | 211 kg |
Tankinhalt/Reserve | 16,0 Liter |
Service-Intervalle | 15000 km |
Preis | 14590 Euro |
Nebenkosten | 305 Euro |

MOTORRAD-Messwerte
Höchstgeschwindigkeit* | 220 km/h |
Beschleunigung 0–100 km/h 0–140 km/h 0–200 km/h | 3,3 sek 5,5 sek 13,7 sek |
Durchzug 60–100 km/h 100–140 km/h 140–180 km/h | 3,7 sek 4,2 sek 5,1 sek |
Verbrauch Landstraße | 5,4 Liter |
Reichweite Landstraße | 296 km |
*Herstellerangabe; **MOTORRAD-Messungen
KTM 690 SMC R

Motor
Bauart | Einzylinder-Viertaktmotor |
Einspritzung | Ø 46 mm |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) |
Bohrung x Hub | 102,0 x 84,5 mm |
Hubraum | 690 cm³ |
Verdichtung | 12,5:1 |
Leistung | 49,0 kW (67 PS) bei 7000/min |
Drehmoment | 68 Nm bei 5500/min |
Fahrwerk
Rahmen | Gitterrohrrahmen aus Stahl |
Gabel | Upside-down-Gabel, Ø 48 mm |
Bremsen vorne/hinten | Ø 320/240 mm |
Assistenz-Systeme | - |
Räder | 3.50 x 17; 5.00 x 17 |
Reifen | 120/70 ZR 17; 160/60 ZR 17 |
Bereifung | Continental ContiAttack SM |
Maße und Gewichte
Radstand | 1480 mm |
Lenkkopfwinkel | 63,0 Grad |
Nachlauf | 112 mm |
Federweg vorne/hinten | 250/250 mm |
Sitzhöhe** | 930 mm |
Gewicht vollgetankt** | 154 kg |
Zuladung** | 196 kg |
Tankinhalt/Reserve | 13,5 Liter |
Service-Intervalle | 10000 km |
Preis | 8695 Euro |
Nebenkosten | 200 Euro |
MOTORRAD-Messwerte
Höchstgeschwindigkeit* | 180 km/h |
Beschleunigung 0–100 km/h 0–140 km/h 0–200 km/h | 4,3 sek 7,6 sek – |
Durchzug 60–100 km/h 100–140 km/h 140–180 km/h | 5,1 sek 4,7 sek – |
Verbrauch Landstraße | 4,2 Liter |
Reichweite Landstraße | 321 km |
*Herstellerangabe; **MOTORRAD-Messungen
Einzylinder im Trend

Lange galt die KTM Duke als Synonym des raubauzigen Einzylinder-Funbikes. Eine Maschine, die im Lauf der Jahre allerdings zusehends ein Nischendasein führte. Zur Saison 2012 krempelte KTM den kleinen Extremisten völlig um. Mehr Hubraum, mehr Spitzenleistung, mehr Laufkultur und ein serienmäßiges ABS werteten den Herzog genauso auf, wie ihn eine niedrigere Sitzhöhe, komfortabler abgestimmte Federelemente und der um 500 Euro reduzierte Preis gefälliger machten.
Das Resultat: Mit jeweils über 1000 hierzulande verkauften Maschinen katapultierte sich die Duke in den vergangenen beiden Jahren auf Platz 13 (2012) respektive elf (Stand August 2013) der Zulassungsstatistik. Noch eindrücklicher: In der Addition verkauften sich die straßenorientierten KTM-Einzylinder-Modelle (Duke, Duke R, SMC R) in dieser Saison allein in Deutschland etwa 2500-mal. Das würde für Platz fünf in der Zulassungsstatistik reichen.