Zeit – ein seltenes Gut. Erst Recht bei der Präsentation eines neuen Motorrads. Aber nicht heute. Heute gibt es alle Muße der Welt, um jeden Winkel der Ducati Hypermotard zu erforschen. Ortstermin in Ronda, im Hinterland der Costa del Sol – und es gießt wie aus Kübeln.
Hypermotard – eine Schönheit zum Niederknien
Doch der Regen muss zunächst kein Nachteil sein. Nicht für eine Schönheit vom Schlage der neuen Ducati Hypermotard. Man kann dieses Motorrad ein ums andere Mal umrunden und jedes Mal an einem neuen, liebevoll ausgeführten Detail hängenbleiben. Oder andächtig davorstehen, das große Ganze im Blick haben, die Konsequenz der Linienführung bewundern. Man wird in jedem Fall zum selben Resultat kommen: Mit der Hypermotard hat Ducati das Motorrad aufs Wesentliche reduziert – mit der Bologna-eigenen Konsequenz. Man findet auch nach langer Suche nichts, was man vermisst. Und nichts, was überflüssig ist. Die Kühlrippen des alten, luftgekühlten Zweiventilers? Geschenkt. Der neue Wasserkühler? Überhaupt nicht aufgefallen, jedenfalls nicht negativ. Dafür aber der sich eng um das Hinterrad schmiegende, absolut stimmige Schalldämpfer (Achtung, der hochgereckte Termignoni-Schalldämpfer ist Zubehör). Bei diesem Anblick vermisst kein Mensch die alte Underseat-Anlage.
Ebenfalls gelungen: Die neue, deutlich flachere Tank-Sitzbank-Linie mit spürbar mehr Abstand zwischen Sitzbank und Lenker. Man habe sie „freundlicher“ machen wollen, erklärt Projektleiter Federico Sabbioni. Die Vorgängerin sei ja bisweilen schon ein Biest gewesen. Und alltagstauglicher. Die neue Sitzposition mit nun um sieben Zentimeter nach vorne geschobenen Fußrasten nehme jetzt deutlich Druck vom Oberkörper. Dazu mache die insgesamt um 20 Millimeter geringere Sitzhöhe (jetzt 870 Millimeter bei der Standard-Hypermotard, 890 bei der SP) das Rangieren für kleinere Menschen einfacher. Dazu ein größerer Tank (16 statt zwölf Liter), was angesichts der geforderten schlanken Linie sehr schwierig gewesen sei. Aber zwingend notwendig, um der Ducati Hypermotard endlich eine ordentliche Reichweite und damit mehr Alltagstauglichkeit zu verpassen.

Natürlich habe daran auch der rundum neue, 821 Kubikzentimeter große Testastretta-Motor seinen Anteil, der spürbar weniger Sprit brauche und dessen zahme Ventilüberschneidung von elf Grad einen gleichmäßigen Drehmomentverlauf ermögliche und so … Halt, stopp, es reicht! Auch wenn Sabbioni sicher noch viel erzählen könnte.
Regen hin, Regen her – man möchte fahren. Man möchte sie selbst erleben, die neue Verbindlichkeit der Ducati Hypermotard. Will den neuen Motor spüren, der zwar nominell satte 19 PS mehr hat als das alte 1100er-Aggregat, aber eben auch deutlich weniger Drehmoment (89 zu 105 Newtonmeter) bei einer um 2000/min höheren Drehzahl.
Keine Drehmoment-Attacke mehr
Also Druck aufs Knöpfchen. In guter Ducati-Tradition würgt der Anlasser die beiden 88er-Kolben über OT. Und dann donnert er los, der Neue. Legt wie ein Großer einen dumpfen Klangteppich über das Ascari-Ressort. Keine Frage, in dieser Hinsicht vermisst man den alten nicht. Also Seilzug-Kupplung (jetzt auch in Bologna!) gezogen, erster Gang rein – und los. Sabbioni hat recht, der Motor entwickelt seine Leistung – bis auf einen kleinen Hänger bei 5000/min – ausgesprochen linear. Weg ist sie, die Drehmoment-Attacke des alten, luftgekühlten Recken, die oftmals Spaß, aber gerade unter solchen Bedingungen auch Verdruss bereiten konnte. Dafür dreht der Neue ab 6000/min, dass es eine Freude ist. Wenn nur der Kurs trocken wäre, kommt es einem in den Sinn, denn auch das neue Ride-by-Wire der Ducati Hypermotard setzt Kommandos des jetzt rein elektronischen Gasgriffs direkt und berechenbar um.

Dazu kommt ein Fahrwerk, das sich nun zwar sportlich straff, aber nicht übertrieben hart präsentiert. Und Assistenzsysteme, die nicht nur vielfach individuell justierbar und benutzerfreundlich in drei Fahrmodi sortiert sind, sondern auch feinfühlig regeln. So kommt – sogar unter diesen Bedingungen – eine Spur von Sicherheit auf, und man glaubt zu spüren, wie sich die Ducati Hypermotard SP mit ihren leichten Schmiederädern (minus zwei Kilogramm) und der leichteren, voll einstellbaren 50er-Marzocchi-Gabel aus der Panigale (minus zwei Kilogramm Gewichtsersparnis gegenüber dem Standardbauteil) mit mehr Gefühl fürs Vorderrad als bisher in die Ascari-Schikanen stürzt.
Spürbar entspanntere Sitzposition
Wie sie mit ganz neuem Schwung auf die Geraden pfeffert, dort dank der neuen Fahrwerksdaten stabiler voranstürmt und die überhöhten Kurven mit deutlich mehr Zielgenauigkeit nimmt. Wie sie an den Bremspunkten mit leichter werdendem Heck (im Race-Modus des neuen ABS) vehement verzögert und dann mit Verve einbiegt. Wie gesagt, das deutet sich selbst unter diesen Bedingungen an. Eines aber kann man definitiv sagen: Die Sitzposition bei der neuen Ducati Hypermotard ist tatsächlich spürbar entspannter. Und das ist schließlich etwas, was sich kaum besser testen lässt als bei diesem Sch..., pardon, Donnerwetter.
Das ist neu
Bei der neuen Ducati Hypermotard blieb nichts beim Alten. Die wichtigsten Eckdaten im Vergleich:
- ganz neuer, wassergekühlter Vierventiler mit 821 Kubikzentimetern statt des alten, luftgekühlten 1100er-V2
- neues, abschaltbares Bosch-ABS der jüngsten Generation mit nur 800 Gramm schwerer Regeleinheit
- neue, achtstufige Traktionskontrolle, die lediglich über die Zündung und nicht über die Einspritzung regelt
- neue Bremsanlage mit 320er-Doppelscheiben statt der bisherigen 305er-Scheiben und neue, einteilige Brembo-Zangen
- neue Ergonomie mit um 70 Millimeter nach vorne versetzten Fußrasten und größerem Abstand zwischen Sitzbank und Lenker
- neue Fahrwerksgeometrie mit längerem Radstand und flacherem Lenkkopfwinkel
- neue Preise: 11190 Euro für die Standard, gepfefferte 14590 Euro für die SP
Die Basis-Variante der Ducati Hypermotard
Sie ist nicht ganz so hübsch wie die SP-Schwester und auch nicht ganz so edel. Doch für die Alltagsbelange ist die Standard-Hypermotard gut gerüstet. Viel besser als ihre Vorgängerin. Freundlicher sollte sie werden, die Ducati Hypermotard, sagt Projektleiter Sabbioni. Besonders die Standard-Hypermotard. Da braucht man teure Schmiederäder ebenso wenig wie ein voll einstellbares Öhlins-Federbein oder eine 50er-Telegabel aus der Pani-gale, wie sie die SP-Schwester spazieren fährt. Und tatsächlich: Ein kurzer Regentrip auf der Landstraße lässt durchaus positive Rückschlüsse zu. Die Sitzposition zum Beispiel gestaltet sich – wie schon bei der SP – deutlich ausgewogener, weil wegen der weiter vorn angebrachten Fußrasten weniger Gewicht auf den Armen lastet. Dazu kommen – im Vergleich zur Vorgängerin – spürbare Fahrwerksmodifikationen, die das Leben auf der neuen „Hyper“ merklich angenehmer gestalten.

35 Millimeter mehr Radstand, ein um eineinhalb Grad flacherer Lenkkopfwinkel, ein vier Millimeter längerer Nachlauf, vor allem aber die komfortablere und ausgewogenere Abstimmung der Federelemente sind bei der neuen Ducati Hypermotard auf Anhieb spürbar. Im Vergleich zur Vorgängerin komfortabel gleitet die neue, Sachs-gefederte Hinterhand über straßenbauliche Verwerfungen, fast gelassen folgt die früher hypernervöse Frontpartie den Befehlen am nach wie vor breiten, flach gekröpften Lenker. Dazu ein Motor, der gerade im unteren Drehzahlbereich merklich verhaltener zu Werke geht und obenher-aus nicht explodiert – das mögen manche langweilig finden. Schneller ist es allemal. Erst recht im spanischen Dauerregen.
Hier ist man vielmehr dankbar für jede Hilfe. Vor allem die der Traktionskontrolle, die sich in den Fahrmodi Sport, Touring und Urban (bei der SP Race, Sport und Wet) jeweils individuell justieren und mit der Funktion des ABS und dem Ansprechverhalten des Ride-by-Wire kombinieren lässt und sanft und zuverlässig regelt. Ebenso wie das ABS übrigens, was angesichts der mächtigen 320er-Bremsscheiben und der Brembo-Monoblockzangen der neuesten Generation auch dringend angeraten erscheint und die Vorgängerin so manchen Fahrer über den Lenker expedierte und der Pirelli Diablo Rosso II bei Nässe noch Luft nach oben hat. Wie übrigens auch der Wetterschutz – aber das wird der Ducati Hypermotard niemand ernsthaft übel nehmen.
Technische Daten
(Klammerwerte: Ducati Hypermotard SP)
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 520 W, Batterie 12 V, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 45:15.
Bohrung x Hub: 88,0 x 67,5 mm
Hubraum: 821 cm³
Verdichtungsverhältnis:12,8:1
Nennleistung: 81,0 kW (110 PS) bei 9250/min
Max. Drehmoment: 89 Nm bei 7750/min
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm [Upside-down-Gabel, Ø 50 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung], Einarmschwinge aus Aluminium, Federbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung [verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung], Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder [Alu-Schmiederäder]: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Bereifung im Test: Pirelli Diablo Rossa II [Supercorsa SP]
Maße + Gewichte
Radstand 1500 [1505] mm, Lenkkopfwinkel 64,5 Grad, Nachlauf 104 mm, Federweg v/h 170/150 [185/175] mm, Sitzhöhe 870 [890] mm, Trockengewicht 175 [171] kg, Tankinhalt 16,0 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Serviceintervalle alle 15000 km
Farben: Rot, Schwarz [Rot/Weiß]
Preis: 11190 [14 590] Euro
Nebenkosten: 305 Euro