Hardenduro gleich KTM LC4 am Image ihres Bestsellers haben die Markting-Strategen fleißig gebastelt. Mit Erfolg. Das Macho-Bike für Stollen-Freaks transportiert heute gekonnt die Rallye- und Sporterfolge auf die Parkplätze vor der Uni oder dem Kino. Was ist dran am Harte-Männer-Gehabe? Und für welchen Preis erkauft man sich im Alltag den Individualisten-Touch?
Eine harte Maschine für noch härtere Typen war die LC4 freilich von Anfang an. Anno 1987 präsentierte KTM einen kompakten und leichten Viertaktmotor, dessen Detaillösungen wie die elektrische Kühlwasserpumpe oder die zweitakttypische Schottwand zwischen Kurbelgehäuse und Getriebe ebenso eigenwillig waren wie sein Startverhalten. Auf Anhieb etablierte sich die 600 LC4 im Sporteinsatz, Crosser und Enduristen waren begeistert. Intensive Modellpflege milderte die Startallüren, und nachdem einige Motoren durch lose Kontakte zur Wasserpumpe verendeten, gab es eine mechanisch angetriebene Umwälzpumpe. Mit diesen Maßnahmen wurde der Sportler zusehends softer und einem breiteren Publikum zugänglicher.
Der Durchbruch zur alltagstauglichen Enduro gelang 1997. Nach dem Probelauf bei der Duke gab es die Hardenduro das Image war längst zementiert mit zusätzlichem Elektro-Starter. Und siehe da, viele Offroad-Fans mochten sich fortan nur die halbe Härte geben.
Für den Top-Test darf es ruhig die ganze Härte sein. Der Marathon beginnt nach frostiger Nacht bei drei Grad minus – per Kick. Choke am Lenkerende gezogen, zweiter Tritt auf den noch in akzeptabeler Höhe montierten Starterhebel, und der Motor läuft. Während der Warmlaufphase das Eis vom Minimal-Cockpit kratzen, dann kann es losgehen.
Kurs Süd, der allmählich kräftiger werdenden Sonne entgegen. Auf der Fahrt in wärmere Gefilde freut sich der KTM-Fahrer über die nicht all zu harte und ausreichend breite Sitzbank. Marathonqualitäten besitzt der zwölf Liter fassenden Kunststofftank freilich nicht, vor allem nicht in Kombination mit den Trinksitten. Nach einem Vollgassprint auf der Autobahn was aufrecht sitzend etwa Tacho 155 entspricht fordert der Einzylinder schon nach knapp 90 Kilometern mit kräftigem Schütteln dazu auf, den Benzinhahn in die Reservestellung zu drehen. Das entspricht einem Verbrauch von über zehn Litern. Bei gemäßigtem Tempo reichen die verbleibenden 2,5 Liter dann immerhin noch ungefähr 50 km, ehe der abschließbare Tankdeckel runter und Super rein muss. Beim Überlandeinsatz genehmigt sich die 640 LC4 im durchschnitt 6,2 Liter auf 100 Kilometer.
Aber die Autobahn ist ohnehin nicht das Revier der LC4, denn bei höheren Drehzahlen überschreitet sie mit ihren zermürbenden Vibrationen im wahrsten Sinne des Wortes die Schmerzgrenze. Eine aktuelle Enduro, die die Handgelenke härter malträtiert gibt es vermutlich nur im Lager der Wettbewerbs-Maschinen. Die kleine, erst im Verlauf der Evolution hinzu gekommene Ausgleichswelle ist den Massenkräften nicht Herr, und die Rücksicht in den Spiegeln ist ab Tempo 110 nur noch ein unkenntliches Zerrbild.
Zudem macht sich bei höherem Tempo ein endurotypisches, leichtes Pendeln bemerkbar. Dieses Eigenleben nimmt nie gefährliche Ausmaße an, doch die Signale sind eindeutig der Dampfhammer gehört einfach nicht auf den Highway, er liebt die Landstraße.
Hier schwingt die LC4 unbeschwert von einer Schräglage in die nächste und lässt sich mit dem breiten Lenker auch zügig in ganz enge Kehren zwingen. Zu diesem Einsatzgebiet am liebsten auf drittklassigen Mittelgebirgsstraßen paßt die für einen Einzylinder angenehm kräftige und drehfreudige Motorcharakteristik. Die gemessenen XXX Nm schieben aus den Kurven kräftig an, vorausgesetzt, die eingelegte Übersetzung stimmt. Leider gehen die Gangwechsel recht harte von statten ein altes Leiden. Bei zu niedrigen Drehzahlen peitscht die Kette indes lautstark über den Schwingenschutz. Insgesamt sind die Anschlüsse von einem Gang zum anderen trotz der recht langen Sekundärübersetzung ganz passabel.
Als Folge der soften Fahrwerksabstimmung kann man nicht vermeiden, dass die 640 LC4 bei jedem Beschleunigen und Bremsen heftig aus- und einfedert. Das ist jedoch nicht weiter tragisch, da Federbein und Gabel genügend Dämpfung besitzen und rasch wieder Ruhe einkehrt. Auch in schnell durchfahrenen, mit Wellen gespickten Kurven zieht die Österreicherin ruhig ihre Bahn. Für den Solo-Betrieb reicht die Verzögerung der vorderen, recht filigranen Bremsscheibe aus. Im Zweipersonen-Einsatz oder bei maximaler Verzögerung bis zum Stand stößt die Brembo-Anlage allerdings an ihre Grenzen. Längere Touren zu zweit sind auf der relativ kurzen Sitzbank aber ohnehin kein reines Vergnügen, da Beifahrer mit dem soliden Gepäckträger kollidieren. Am Abstand zwischen der Sitzbank und den rahmenfesten Soziusrasten gibt es dagegen nichts auszusetzen.
Ein kleines Highlight ist der kompakte H4-Scheinwerfer. Er ist schön hell und leuchtet die Straße relativ gleichmäßig aus, so dass auch nächtliche Fahrten auf der Landsraße nicht zum Horrortrip geraten. Die richtige Einstellung lässt sich zwar nur etwas ungenau aber ohne großes Gefummel mittels Bordwerkzeugs mit wenigen Handgriffen erzielen. Dass die KTM-Techniker ihre Maschinen nicht nur vom Zeichenbrett kennen, belegt auch die Zusammenstellung des praxisgerechten Bordwerkzeugs. Ungeklärt ist lediglich warum ein Flaschenöffner mit an Bord ist. Um für alle Fälle gewappnet zu sein, sollte man dieses besser durch einen 14er-Gabelschlüssel für die Spiegelbefestigung ersetzen. Vermisst wurde außerdem ein Vierer- und Fünfer-Innensechskant (für die Bremspedalbefestigung und exzenter sowie die Gepäckträgerbefestigung). Ein Pärchen Montierhebel, einen Reserveschlauch und Pressluftpatronen haben erfahrene Enduristen ohnehin in abgelegenen Gegenden dabei. Und spätestens bei einer Reifenpanne lernt man den etwas unhandlichen, aber sehr soliden Hauptständer zu schätzen. Ein zusätzlicher Seitenständer vielleicht aus Alu würde den Alltag erleichtern.
Dass KTM-Besitzer keinem Abstecher ins geschotterte Terrain widerstehen können, liegt sicher auch an ihrem Bike. Denn trotz der zahlreichen Weichspülungen im Lauf der Jahre besitzt die 640 LC4 noch immer die knackigen Offroad-Qualitäten ihrer Ahnen. Mit etwas erhöhter Duckstufendämpfung an Gabel und Federbein ballert der Klassiker souverän durch dick und dünn. Das stattliche Gewicht von 160 Kilogramm vollgetankt lässt sich zwar nicht wegdiskutieren. Doch das Alpen-Krad zählt noch immer zu den Leichtesten unter den Alltagstauglichen. Auch bei der Sturzvorsorge leisteten die Österreicher mit geschmiedeten Handhebeln und robusten Kunststoffteilen ganze Arbeit. Die empfindlichen Kühler sind ebenfalls recht gut geschützt, da meist zuerst der Lenker den Boden berührt.
Wenig Freude bereiten jedoch die serienmäßigen Metzeler Enduro 3. Gefielen sie auf Asphalt noch durch guten Grip und ein neutrales Lenkverhalten, wirken sie auf losem Untergrund geradezu hilflos. Seitenführung und Traktion sind nur auf fester Erde oder auf Fels vorhanden. Wer das Potenzial seiner LC4 im Gelände ausschöpfen will, kommt um grobstolligere Alternativen nicht herum. Für die Geländetests wurden probeweise Pirelli MT 21 montiert, die einen akzeptablen Kompromiss zwischen Asphalt- und Geländeeignung bieten.
Im Gelände fällt die lange Endübersetzung stärker ins Gewicht als auf der Straße, so dass für eine ausgedehnte Endurotour der Tausch des 16er-Ritzels gegen ein 15er-Exemplar zu empfehlen ist. Die Kupplung hält zwar auch intensiver Schleifarbeit stand, doch speziell in langsameren Passagen lässt sich die KTM so übersetzt relaxter fahren. Spätestens in trialartigen Abschnitten, wenn der Verlauf des Mulipfads zum Überqueren größerer Felsblöcke zwingt, lohnt der Tausch. Und für den Geländeeinsatz sollte man auch gleich den etwas über die Sitzbank empor stehenden Gepäckträger demontieren, sonst sind bei Steilabfahrten im Stehen blaue Flecken am Allerwertesten unvermeidlich.
Als Viertakt-Enduro alten Schlages zählt die LC4 nicht zu den handlichsten, wenn es durch enge Rechts-Links-Kombinationen geht. Damit kann man sich aber gut arrangieren, wenn man nicht auf der Jagd nach Sekunden ist. Die Stärke der KTM ist eher der stabile Geradeauslauf. Unangenehmer ist jedoch die Eigenschaft, über das Vorderrad zu schieben. In Verbindung mit den Serienreifen eine unglückliche Allianz. Auch hier hilft die Umbereifung auf den Pirelli MT 21, mit dem das Motorrad durch den besseren Grip förmlich auf Kurs gezwungen wird.
Die Grenzen der Federelemente werden beim Übergang vom zügigen zum sportorientierten Fahren erreicht. Klar, Cross-Pisten sind nicht die Heimat der 640er, sie will schließlich kein Wettbewerbs-Bike sein. Doch sportlich Endurofahren, möglicherweise auch mal bei einem ersten Hobbywettbewerb Rennsport-Luft schnuppern, verkraftet die 640 LC4 allemal. Und das ist das Besondere dieser Enduro: ihre Vielseitigkeit. Denn welches alltagstaugliches Motorrad biete eine so breites Einsatzgebiet.
War sonst noch was? – KTM LC4-E 640
War sonst noch was?Plus· kräftiger Einzylinder mit guten Fahrleistungen· hochwertige und robuste Ausstattung· praxisgerechte und servicefreundliche DetaillösungenMinus· harte, zermürbende Vibrationen · im Gelände etwas unhandlich mit der Tendenz zum UntersteuernWunschzettel· endlich einen soliden Motorschutz aus Aluminium· einen zusätzlichen leichten Seitenständer als bequeme Parkstütze· ein etwas größeres und vor allem abschließbares Werkzeugfach· ein modernes Cockpit eventuell in Digitalausführung mit Drehzahlmesser, Ölthermometer und einstellbarem Tripmaster· Rückspiegel, in denen man auch bei Tempo 110 mehr als nur wild hüpfende Zerrbilder erkennen kannFahrwerkseinstellungenGabel: Zugstufe XXX (XXX) Klicks, Druckstufe XXX (0) Klicks offen Federbein:Zugstufe XXX (XXX) Klicks,Druckstufe XXX (XXX) Klicks offen((Fußnote)Klammerwerte für Offraod-Einsatz
MOTORRAD-Messwerte
BremsmessungBremsweg aus 100km/h 40,6 mMittlere Bremsverzögerung 9,5 m/s2Bemerkungen: Vorderradbremse verlangt nach hoher Handkraft, befriedigende Dosierbarkeit in kaltem und heißem Zustand. Gabel taucht extrem weit ein und verzieht sich spürbar.Überraschend geringe Fadingneidung auch nach fünf Vollbremsungen.Handling-Parcours IBeste Rundenzeit 21,5 sVmax am Messpunkt 97,2 km/hBemerkungen: Motorrad taucht vorn und hinten beim Schräglagenwechsel stark ein, dabei leichte Verwindung der Gabel. Durch breiten Lenker und schmale Reifen relativ geringe Lenkkräfte notwendig.Handling-Parcours II.Beste Rundenzeit 28,3 sVmax am Messpunkt 53,6 km/hBemerkungen: Fährt sich im Endurostil (Drücken) sehr einfach und auf engen Linien. Störend wirken sich nur die langhubigen Federelemente aus. Gripbalance nicht optimal, rutscht zuerst übers Vorderrad. Kreisbahn 0 46mBeste Rundenzeit 11,0 sVmax am Messpunkt 53,6 km/hBemerkungen: Befriedigende Kurvenstabilität, kein Aufsetzen. Garnicht witzig: Auch in der Kreisbahn rutscht das Vorderrad bei konstant extremer Kurvenfahrt teilweise früher als das Hinterrad.
Fazit – KTM LC4-E 640
Die KTM 640 LC4 schafft es, Geländeeigenschaften mit Alltagsqualitäten zu verknüpfen. Und damit kommt sie dem Ideal vieler Stollenfreunde nahe, die seit jeher »eine für alles« suchen. Mit der 640er hat das Konzept vermutlich seine höchste Stufe erreicht. Es ist bis ins Detail ausgereift aber auch ausgereizt. Eine Weiterentwicklung wird es kaum geben.