Rather use the revs than the torque – nutze lieber die Drehzahlen als das Drehmoment. Diesen Rat hat mir einst Ron Haslam gegeben, als ich einen Tag lang seine "racing school" in Donington Park besuchen durfte. Er beschreibt treffend, wie man die neu aufgelegte Kawasaki ZX-6R auf der Rennstrecke fahren sollte. Unsere Testfahrten haben jedoch ein weiteres Mal gezeigt, dass man sie auf der Landstraße selten so fahren kann, wie es der GP-Altmeister fordert.
Motorcharakteristika der Kawasaki ZX-6R und Aprilia RS 660
Trotz kurzer Sekundärübersetzung und ernstem Bemühen der Fahrer um hohe Kurvengeschwindigkeiten fallen die "revs" in landstraßenüblich engen Kurven bei der Kawasaki "Ninja" ZX-6R öfter einmal unter eine kritische Grenze. Dann dauert es einige Zeit, bis genügend "torque" zur Verfügung steht, um Motorrad und Fahrer zügig voranzubringen. Die Taktik, mit höchsten Drehzahlen und schleifender Kupplung um enge Radien zu randalieren, haben die Tester sich und dem Motorrad erspart.
Keine Frage, die Kawasaki ZX-6R glänzt mit fulminanten Durchzugswerten und distanziert die Aprilia RS 660 auch in der Beschleunigung. Doch die Messwerte müssen um eine wichtige Erkenntnis aus der Fahrpraxis ergänzt werden: Die ersten 20 bis 30 Meter nach dem Kurvenscheitel gehören der Aprilia; ihr Reihenzweizylinder ist in den Situationen besonders präsent, die einem im all- und sonntäglichen Fahrbetrieb am häufigsten begegnen.
Lastwechselverhalten der Aprilia RS 660 und der Kawasaki ZX-6R
Hinzu kommt eine Eigenschaft des Twins in der Aprilia RS 660, die man nicht in Messwerte fassen kann: Wenn er sich mit der Traktionskontrolle in Stufe 2 oder schärfer frei entfalten darf, drückt er so spontan und kräftig voran, als müsse er einen Motocrosser nach kurzem Anlauf über einen "table" katapultieren. Dies alles ohne harte Schläge beim Übergang von Schiebebetrieb auf Zug. Harte Lastwechsel stellen sich dagegen beim Kawa-Vierzylinder ein, und zwar kurioserweise deshalb, weil sie sich oft um einen Augenblick verzögern.
Ansprechverhalten der Kawasaki ZX-6R
Dies geschieht bei der Kawasaki ZX-6R hauptsächlich dann, wenn der Fahrer aus höheren Geschwindigkeiten weit herunterbremsen muss, die Drosselklappen also lange geschlossen bleiben. Sie wirken dann beim erneuten Gasanlegen, als wären sie festgeklebt – ein Phänomen, das bei früheren Kawas öfter zu beobachten war. Woran es auch immer liegen mag, der Fahrer zieht das Gas dann weiter auf als nötig, der Leistungseinsatz erfolgt leicht verspätet und härter als gewünscht. Ob die Kawasaki ZX-6R wohl auch wie die BMW S 1000 RR diese kleinen Zusatzdrosselklappen in der Einspritzanlage hat, die den Lastwechsel so schön glätten? Vermutlich nicht.
Antrieb im Test: Kawasaki ZX-6R bietet mehr Leistung
Während die Wertung Ansprech-/Lastwechselverhalten also klar an die Aprilia RS 660 geht, besticht der Kawasaki-Motor durch seine Laufkultur. Sie geht sogar über den bauartbedingten Vorteil eines Reihenvierzylinders gegenüber einem Reihenzweizylinder mit 270 Grad Hubzapfenversatz und nur einer Ausgleichswelle hinaus – der japanische 636er läuft selbst in höchsten Drehzahlbereichen nahezu vibrationsfrei.
Schaltung bei Kawasaki ZX-6R und Aprilia RS 660
Dem entspricht die Präzision und Geschmeidigkeit der Gangwechsel der Kawasaki ZX-6R. Diese vollziehen sich bei der Aprilia RS 660 zwar ebenso exakt, aber etwas härter, vorwiegend beim Herunterschalten mit Blipper. Dafür, und das spricht wiederum für die Aprilia, hat sie einen Blipper, und er funktioniert auch, während der reine Hochschaltassistent der Kawa im Lauf des Tests seine Funktion einstellte und sich nicht mehr reaktivieren ließ. Das Gleiche gilt übrigens für den linken Druckknopf im Display, der synchron mit dem rechten gedrückt werden muss, damit der Zugang zu den Einstellmenüs freigegeben werden kann.
Benzinverbrauch der Kawasaki ZX-6R zu hoch
Bei aller Faszination für Laufkultur und Drehfreude soll nicht verschwiegen werden, dass die kurze Übersetzung der Kawasaki ZX-6R und die Vorteile, die sie daraus zieht, mit einem relativ hohen Benzinverbrauch einhergehen. In Anbetracht der moderaten Fahrweise, der wir uns bei der Verbrauchsmessfahrt befleißigen, sind 5,5 Liter auf 100 Kilometer kaum mehr zeitgemäß. Die Aprilia nimmt auf gleicher Strecke zur selben Zeit 1,1 Liter weniger.
Kawasaki ZX-6R: Anspruchsvolle Leistung und Dynamik
Fasst man die Eindrücke von Motor und Antrieb zusammen, konturierten sich bereits sehr unterschiedliche Charakterbilder: Die neu aufgelegte Kawasaki ZX-6R erfüllt höhere Ansprüche an Leistung und Fahrdynamik, stellt aber auch höhere Anforderungen an die Fahrer, die ihr Potenzial nutzen wollen. Der Umgang mit der Leistungsentfaltung und dem Lastwechselverhalten will geübt sein und erfordert mehr Konzentration. Das Potenzial der Aprilia erschließt sich leichter, sie strengt auf Dauer weniger an.
Ergonomie und Fahrverhalten: Kawasaki ZX-6R vs. Aprilia RS 660
Schon nach einem kurzen Vergleich von Ergonomie und Fahrverhalten zeichnen sich die verschiedenen Charaktere noch deutlicher ab. Die Aprilia RS 660 trägt ihre Lenkerhälften über der Gabelbrücke und insgesamt höher als die Kawasaki ZX-6R. Zugleich sind ihre Fußrasten etwas tiefer platziert. Das ergibt trotz der etwas geringeren Sitzhöhe der Aprilia eine aufrechtere Sitzposition als auf der ZX-6R. Beim Fahren auf öffentlichen Straßen, bei dem man ständig auf alles Mögliche achten muss, bietet die Aprilia eine bessere Übersicht und mehr Sitzkomfort.
Die Sitzposition auf der Kawasaki ZX-6R ist fürs Fahren auf der Rennstrecke optimiert. Dort orientiert man sich fast ausschließlich nach vorn und hat den immer gleichen Streckenverlauf. Das ermöglicht gelenkigen Supersport-Gymnasten, sich in Schräglage gleichsam seitlich unter das Motorrad zu legen. Auf kurvenreichen Landstraßen ist dies nur passagenweise möglich – und wenn, dann merkt der Kawa-Fahrer, dass sein Motorrad es eigentlich immer so haben möchte.
Fahrwerksvergleich: Kawasaki ZX-6R zeigt Überlegenheit in Sensibilität
Wie ernst es die Kawasaki ZX-6R mit der Renntauglichkeit ihres Fahrwerks meint, lässt sie bei der Arbeit der Federelemente spüren. Die voll einstellbare Showa-Gabel und das über ein Hebelsystem wirkende Federbein desselben Herstellers sprechen sehr sensibel an. Zugleich dämpfen sie satt, selbst mit geöffneter Zugdämpfung vorn und hinten. Das wirkt nicht unkomfortabel, aber straffer sollte die Dämpfung bei kühlem Wetter nicht sein.
Elektronik der Aprilia RS 660: Überlegenheit gegenüber der Kawasaki ZX-6R
Im Hinblick auf Elektronik verhält es sich umgekehrt. Die Aprilia RS 660 hält unter den Begriffen "Road" und "Dynamic" fünf Fahrmodi bereit, deren Parameter für Ansprechverhalten, Motorbremsmoment, Traktionskontrolle, Wheeliekontrolle und ABS an verschiedene Bedürfnisse angepasst werden können. Die Unterschiede sind spürbar. Im Unterschied bietet die Kawasaki ZX-6R nur zwei Motor-Modi und eine dreistufige Traktionskontrolle, die man auch abschalten kann.
Bremssysteme im Vergleich: Kawasaki ZX-6R vs. Aprilia RS 660
Viel wichtiger ist das spontane, energische und gut dosierbare Zupacken der Aprilia RS 660-Bremse. Sie ermöglicht es, sehr genau auf den Punkt die Kurven anzubremsen, während das defensiv abgestimmte ABS der Kawasaki die Bremsphase in die Länge schmiert. Ausgerechnet bei einem so sportlichen Motorrad wie der ZX-6R.
Aprilia RS 660 (2024) | Kawasaki Ninja ZX-6R (2024) | |
Motor | 2, Reihenmotor | 4, Reihenmotor |
Leistung | 73,0 kW / 100,0 PS bei 10.500 U/min | 91,0 kW / 123,0 PS bei 13.000 U/min |
Hubraum | 659 cm³ | 636 cm³ |
Leergewicht vollgetankt | 198 kg | |
Sitzhöhe | 820 mm | 830 mm |
Grundpreis | 11.599 € | 12.595 € |