Nicht immer ist Leistung ein Segen. MOTORRAD-Testchef Gerhard Lindner bekam das bei einer Vergleichsfahrt auf den Honda-Werksrennern NSR 250 und 500 im japanischen Motegi eindrucksvoll zu spüren.
Nicht immer ist Leistung ein Segen. MOTORRAD-Testchef Gerhard Lindner bekam das bei einer Vergleichsfahrt auf den Honda-Werksrennern NSR 250 und 500 im japanischen Motegi eindrucksvoll zu spüren.
Wir haben Glück, der tagelange Dauerregen in Motegi hört gerade noch rechtzeitig auf, die Werksmaschinen von 500er-Ex-Weltmeister Alex Crivillé und dem 250er-WM-Dritten Daijiro Kato werden mit gleichmäßigen Gasstößen auf Temperatur gebracht. Reifenwärmer erübrigen sich dagegen. Es ist sicherer, die superweichen, stark profilierten Regengummis im Fahrbetrieb aufzuwärmen und sich so langsam an den von Runde zu Runde besser werdenden Grip heranzutasten.
Das funktioniert natürlich einfacher auf der gerade mal 96 Kilogramm leichten 250er. Ich bin überrascht, wie viel Platz ich mit meinen 190 Zentimeter auf dem kleinen Renner habe. Dem zierlichen Katoh dürfte die Maschine dagegen wie ein ausgewachsenes Bi Bike erscheinen. Dank meiner zweijährigen Erfahrung in der 250er-DM fühle ich mich auf dem Werksrenner auf Anhieb wohl. Fast wie ein Spielzeug lässt sich die extrem schmal bauende NSR 250 über den patschnassen Kurs zirkeln. Keine Sekunde muss ich damit verschwenden, über die Dosierung von Kupplung oder Bremse nachzudenken. Alles erklärt und regelt sich durch glasklare Rückmeldung wie von allein. Das ist Motorradfahren pur, spielerisch und ohne störendes Beiwerk.
Selbst die Scheu vor Schräglage auf dem glitschigen Kurs ist wie weggeblasen. Die Regenreifen verbeißen sich förmlich in den nassen Asphalt. Anbremsen, dass das Hinterrad leicht abhebt, blitzschnell abwinkeln und eine superenge Linie wählen, schon kurz nach dem Scheitelpukt wieder mutig beschleunigen. Ein Gedicht. Und obwohl der V2-Motor etwas zu fett bedüst ist und bereits bei 13000/min die Lust an der Beschleunigung verliert, reicht das Gebotene für den ultimativen Kick.
Mit zirka 100 PS gesegnet, katapultiert dich diese Maschine derart vehement aus den Ecken, dass keine Wünsche offen bleiben. Perfekt reagiert der Zweizylinder auf das kleinste Zucken der Gashand, spielerisch lassen sich endlose Wheelies provozieren. Das sehr kurz gestufte Sechsganggetriebe will allerdings recht rasch bearbeitet werden, soll die NSR immer im richtigen Drehzahlfenster zwischen 9000 und 13000/min laufen.
Wie so oft im Leben sind die schönen Dinge meist nur von kurzer Dauer, und ich muss mein Spielzeug gegen eine echte Waffe tauschen. NSR 500, lange Jahre das Maß der Dinge in einer Kategorie, die nicht umsonst als Königsklasse bezeichnet wird. Mit rund 200 PS offizielle Angaben verkneift man sich mit einem breiten Grinsen unterm Hintern und einem entsprechend mulmigen Gefühl in der Magengegend mache ich mich auf zu einer neuen Erfahrung im Grenzbereich.
Und die unterscheidet sich ganz gewaltig von dem, was ich auf der 250er erlebte. Obwohl die 500er mit ihren 131 Kilogramm nicht unbedingt schwer wirkt, ist sie im Vergleich zu Katohs 250er ein echter Bolide. Der 32-Liter-Tank wirkt riesig, der Rahmen um den breiteren V4-Motor beeinträchtigt den Knieschluss, das ganze Motorrad wirkt größer, unhandlicher, aggressiver. Und dann ist da ständig dieses Überangebot an Leistung. Anders als bei der NSR 250, bei der selbst beim Beschleunigen in Schräglage der Gashahn ordentlich gespannt werden kann, spielt sich das Geschehen auf der NSR 500 meist im Bereich zwischen 20 und 40 Prozent der möglichen Gasgrifföffnung ab. Und auch bei diesen vergleichsweise zarten Bewegungen der rechten Hand kommt es immer wieder zu ungewollten Gefühlsausbrüchen des explosiven Zweitakters.
Nur auf den recht kurzen Geraden des hakeligen, japanischen GP-Kurses verträgt die Halblitermaschine Vollgas. Es ist ein Kampf mit dem ständig steigenden Vorderrad, immer voll konzentriert auf den nächsten Schaltvorgang: Zack, zack, zack, die Gänge flutschen dank Schaltautomat fast automatisch in die Rasterungen, die Honda nimmt erschreckend schnell an Tempo zu. Sogar im großen Gang ist von einem Nachlassen der Beschleunigung nichts zu bemerken.
Doch Achtung, schon heißt es wieder in die Eisen zu langen. Welch angenehme Überraschung. Die bei Regen verwendeten Stahlscheiben sind kein Vergleich zur erst kürzlich gefahrenen Kohlefaserbremse an der Suzuki von Kenny Roberts. Durch die höhere Handkraft und ein deutlich sanfteres Anbeißen lassen sich die Brembo-Stopper erfreulich einfach und sicher dosieren. Dennoch fällt es mir viel schwerer, den Geschwindigkeitsüberschuss im Vergleich zu 250er punktgenau abzubauen. Mehr als einmal verpasse ich den richtigen Einlenkpunkt, traue mich kaum, das teure Stück ordentlich schräg um die Ecken zu zirkeln. Was mit der 250er ein wahrer Genuss war, artet mit der 500er in eine echte Mutprobe aus.
Noch schlimmer wirds am Kurvenausgang. Diese Power macht mich fertig. Selbst bei nur 5000/min sollte die Gashand mit Bedacht agieren. Ab 8000/min steigt das Vorderrad. Ob noch in leichter Schräglage oder nicht, der Honda ists egal. Alles untermalt von einem extrem zornigen, harten Sound des vibrationsarmen V4. Nach wenigen Runden bin geschafft und zu meinem Erstaunen rund drei Sekunden langsammer als mit der 250er.
Es ist also kein Wunder, dass die Rundenzeiten der 250er immer enger an die der 500er heranreichen. Vor allem auf sehr winkligen Kursen wie beim deutschen Grand Prix auf dem Sachsenring stehlen die kleineren 250er Königsklasse die Schau. Von dieser Veranstaltung stammen auch einige interessante Daten, die MOTORRAD von den Datarecording-Spezialisten der Firma 2D überlassen wurden. Anhand dieser Beispiele wird schnell klar, dass die Geschwindigkeiten in der Anbremszone, am Kurvenscheitelpunkt und in der ersten Beschleunigungsphase nahezu identisch sind. Die brutale Power der 500er sorgt lediglich für einen leichten Vorsprung, wenn es mal über die 200-km/h-Marke geht. Um diesen Vorteil allerding richtig auszunutzen, bedarf es nicht nur eines extremen Feingefühls der Gashand und einer ordentlichen Portion Mut, sondern auch einer perfekten Abstimmung der Maschine, damit nicht jeder noch so kleine Fahrfehler in einem Sturz endet.