- Ergonomie nach Wunsch
- Stabiler Leichtbau
- Feinste Hardware
- Puky-Fahrrad-Feeling
- Die erste Runde
- Einmal nachstellen bitte
- Rennsemmel im Kies
- Fazit
Das Rolltor der Box ist schon halb geöffnet, eine schmale Verkleidung lugt schüchtern in Richtung Boxengasse hervor. Ein paar Leute gehen vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Die haben ja keine Ahnung! Zwar hält die Krämer Motorcycles GP2-R noch still, passt sich dezent grau lackiert mit nur wenig Neongrün ihrer leider noch tristen Umgebung an. Dichter Nebel umhüllt nämlich noch das Automotodrom Brno und verdonnert uns zum Warten. Also erst mal nur schauen. Jeder Schritt näher an die GP2-R offenbart mehr ihres tatsächlichen Potenzials. Das Grundkonzept kennen wir schon von der HKR Evo 2-R, einem Krämer-Racebike-Eigenbau um den KTM-690-LC4- Motor. Lukas "Luki" Wimmer hat damit zwei Titel in der Supermono-Europameisterschaft eingefahren. Jetzt hat Mattighofen den 890er-Motor im Programm – klar, dass Krämer Motorcycles damit etwas Wildes anstellen würde.
Ergonomie nach Wunsch
Die Entwicklung der GP2-R begann genau genommen mit dem Motor der KTM 790 Duke. Um dieses Triebwerk herum konzipierte das Team von Chef Markus Krämer ein komplett neues Motorrad mit Giterrohrrahmen plus Schwinge und Gabelbrücken. Das Upgrade auf den 890er-Twin war dann die logische Konsequenz. Wie eine Maßlederkombi lässt sich die GP2-R auf den Fahrer anpassen. Offset und Lenkkopfwinkel der Eigenkonstruktion sind wie auch Federbeinlänge und Stummelposition einstellbar.

Stabiler Leichtbau
Dazu Leichtbau, soweit das Auge reicht. Das selbsttragende Heck fungiert gleichzeitig als 16-Liter-Tank und schafft unter der GFK-Tankabdeckung Platz für Airbox und Elektronik. Sonst ist nichts dran, was auf dem Track nicht gebraucht wird. Alles filigran, aber stabil: 140 Kilo trocken. Darauf legt Markus Krämer besonderen Wert. Fußrasten und Sturzpads sind so massiv ausgeführt, dass Rutscher oder Ausflüge in den Kies nicht gleich größere Schäden verursachen sollten – werden wir noch testen, dazu später mehr.
Feinste Hardware
Was nicht von Krämer selbst stammt, ist allerfeinste Hardware. Eine Brembo-RCS-Corsa-Corta-Bremspumpe presst die Beläge mit Stylema-Sätteln auf schlanke 290-Millimeter-Scheiben, Apex-ProGabel und Federbein stammen aus dem oberen WP-Regal. An den Schmiederädern findet sich natürlich auch kein überflüssiges Gramm. Die sind längst von den Heizdecken durchgewärmt. Endlich verzieht sich der Nebel.
Puky-Fahrrad-Feeling
Mechaniker Matthias gibt noch eine kurze Einweisung in die Elektronik: "Zwei Gasmodi, einen aggressiven, einen zahmeren, und der Knopf darunter ist für den Pit-Limiter." Die Frage nach der Traktionskontrolle wird mit einem Grinsen quittiert. "So was Überflüssiges haben wir nicht." Dann startet er den Motor und schiebt das Bike vor die Box. Nachdem Werkfahrer Luki ein paar Runden abgespult und das Go gegeben hat, ist es endlich so weit. Aufsitzen, kurz durchatmen und los. Im Pit-Limiter brabbelt die GP2-R so Aufmerksamkeit heischend an den Rolltoren vorbei, dass ihr nun doch viele Blicke ungläubig folgen.

Die erste Runde
Drosselklappen zum ersten Mal auf Durchzug, rein in die ersten Runden. Langsames Vortasten in Schräglage fällt aus, die Krämer GP2-R will sofort volle Attacke. Sie folgt von selbst dem Blick des Piloten, zieht ihn auf immer engere Linien, bettelt ab Sekunde eins um mehr Speed und will bloß keine langweilige Aufwärmphase. Das ist schwer zu ignorieren, aber ich ermahne mich anfangs noch, so oft ich kann, zur Vernunft. Nach wenigen Runden keine Chance mehr. Je forscher das Gasanlegen, desto größer auch das Vertrauen. Beeindruckend, wie viel Traktion das Krämer-Chassis in Kombination mit dem Federbein ermöglicht und aus der berühmten Highsider-Kurve heraus mit kontrollierbarem Slide den Grenzbereich definiert. 130 PS drücken das Fliegengewicht brutal aus den engeren Ecken. Ja, eine 1000er hat mehr Power – aber die kann sie erst ab der Mitte der meisten Geraden ausspielen. Auf die Rundenzeit verliert die GP2-R vielleicht ein wenig, beim puren Erlebnis liegt sie dafür vorn. Auch weil du das Gas noch stehen lässt, wenn die Superbikes längst den Anker werfen. Hart lässt sich die 140-Kilo-Rakete zusammenstauchen. Ihre Bremsanlage bissig zu nennen wäre so untertrieben, wie ein MotoGP-Bike als "kräftig" zu bezeichnen. Die Stopper haben mit dem Bike sprichwörtlich leichtes Spiel, stellen die GP2-R ruck, zuck aufs Vorderrad. Wahnsinn!
Einmal nachstellen bitte
Nur eines gefällt noch nicht. Beim Verzögern bis zum Kurvenscheitel stemmt sich das Bike mit steigendem Tempo immer härter gegen das Einlenken, fällt dann beim Lösen der Bremse nach innen. Angesichts des sonst dominierenden Puky-Fahrrad-Feelings vermutlich ein Setup-Thema. Luki sitzt bei der Rückkehr schon nachdenklich in der Box. Auf das Problem angesprochen, sagt er: "Ich überlege schon, wie wir das wegbekommen." Nach kurzer Beratung mit Matthias wird nachjustiert, Vorspannung und Dämpfung von Gabel und Federbein leicht verändert. Mit Erfolg, das Gefühl beim zweiten Run passt schon besser, megapräzise will sich die GP2-R auf der Bremse aber nicht positionieren lassen. Der Grund: Die langen und harten Bremsmanöver in Brünn fordern vorne stärkere als die verbauten Federn, damit die Gabel am Kurveneingang nicht bis zum Anschlag eintaucht. Wie Tobi später in der Redaktion bestätigt, gab es dieses Problem beim Test in Anneau du Rhin nicht. Auf dem vergleichsweisen kleinen Kurs passte das Setup. Haltung wird belohnt Für den Hobbyracer viel interessanter als Abstimmungsdetails ist die Tatsache, dass die GP2-R ihren Fahrer regelrecht erzieht. Sie belohnt sauberen Stil mit Traktion und Stabilität – und umgekehrt. Kurz mal den Oberkörper in Schräglage nicht weit genug vorgeschoben bedeutet zum Beispiel Unruhe und Gripverlust am Vorderrad. Wie ein Instruktor spricht das Bike mit dir, zwingt dich, wenn du schnell sein willst, auf die Haltung zu achten. Der leicht modifizierte 890er überfordert bei diesem Training jedoch nicht, liefert dafür jederzeit beherrschbare Power.
Rennsemmel im Kies
Wer noch Zweifel an der Performance der GP2-R hat, wird von Luki geheilt. Unglaublich schräg (s. Bild oben links) und schnell zirkelt er mit ihr um den Kurs. Beim abschließenden Endurance-Rennen, das wir im Duo fahren, liegt er zwischenzeitlich gegen die 1000er-Konkurrenz sogar in Führung und übergibt auf Platz drei an mich. Jetzt gilt’s. Lange kann ich die Position nicht verteidigen, finde stattdessen heraus, dass es Bremspunkte gibt, die auch der GP2-R zu spät sind. Mit sinkendem Spritniveau im Heck wandert der Schwerpunkt spürbar nach vorn, die Stoppie-Neigung steigt. Etwas zu forsch, weil zu spät auf der Bremse, und das Heck steigt steil gen Himmel. Bremse lösen, wieder landen – das Bike stabilisiert sich sofort, doch der Kies ist nah. Zum Glück hatten die GP2-R und ich bereits viel Tempo abgebaut – zwei Lenkerschläge in Zeitlupe, dann ein sanfter Aufschlag. Bis auf minimale Kratzer ist nichts passiert. Aufheben, weitermachen – so soll das sein!
Fazit
Was ihr Datenblatt verspricht, hält die Krämer Motorcycles GP2-R auch. Das extrem geringe Gewicht münzt sie eins zu eins in Top-Handling um. Für richtig schnelle Runden muss das Setup aber auch passen. So erzieht das Bike den Fahrer in vielerlei Hinsicht. Gute Setup-Arbeit wird mit Neutralität, eine saubere Körperhaltung mit Stabilität belohnt. Permanentes Auseinandersetzen mit dem eigenen Stil und der Abstimmung werden zur Pflicht, der Trainingseffekt dadurch immens. Ein pfeilschneller Brenner kommt da von Krämer Motorcycles und vielleicht auch von KTM.