KTM 990 RC R: Exklusiver Fahrtest mit dem Prototyp

KTM 990 RC R – Prototyp im Fahrtest
So fährt die neue Sport-KTM

Zuletzt aktualisiert am 29.10.2024

Organspender für den Prototyp der neuen KTM 990 RC R war vor allem die Duke. Als nämlich deren 990er-Version entwickelt wurde, war den Ingenieuren in der Entwicklungsabteilung schlagartig klar, was für ein Schätzchen sie da hatten. Einen großartigen Motor vor allem, der von unten klasse durchzieht und mit höchster Laufkultur bis knapp unter die fünfstelligen Drehzahlen ein Feuerwerk abbrennt. Perfekt fürs Wildern auf der Landstraße. Wir dürfen hier auch schon verraten, dass die RC-Variante des 990er-Twins 5 PS mehr drückt als die Duke. Dazu später mehr.

Der neue 990er-Racer entstand nebenher

In KTMs Entwicklungsabteilung jedenfalls lodert ein derart gewaltiges Sportfeuer, dass sie sich einen Duke-Rahmen und die Schwinge schnappten, eine WP-Gabel reinsteckten, sich das Heck eines abgenudelten Duke-Prototyps und im Teileregal ein paar Stummel besorgten – so nebenbei auf Überstundenbasis. Denn eine RC oberhalb des 390er-Einzylindermodells stand überhaupt nicht im berühmten Lastenheft. Einfach mal machen, ohne die ganz große Planungsmaschine anzuwerfen, das war der Spirit. Wer also auf Jobs im Modus "9 to 5" steht, ist in KTMs F&E (für Forschung und Entwicklung) einfach falsch.

Ein Projekt namens Frankenstein

Als die mattschwarze Kunststoffverkleidung schließlich irgendwie hindrapiert war, rückte der harte Kern mit dem optisch etwas gewöhnungsbedürftigen Ding aus. "Wir merkten sofort, wie gut das auf der Landstraße funktioniert", beschreibt Andreas Schülling, Leiter der F&E, die erste Ausfahrt. "Das war selbst in dem Stadium nicht einfach eine Duke mit Verkleidung. Das hatte richtig Potenzial." Und da es zu dem Zeitpunkt ein reines F&E-Projekt war, tauften sie ihren Versuchsträger selbst. Analog zu Mary Shelleys Kultroman, in dem ein Schweizer Arzt aus geklauten Leichenteilen einen gewaltigen, aber nicht unbedingt hübschen Menschen baut, bekam der grobschlächtige Prototyp den passenden Arbeitstitel "Frankenstein".

Von Prototyp P minus 1 bis zum Zwischenstand P2

"Streng genommen war es halt noch nicht einmal ein Prototyp", erzählt der Racing-affine André Klipphahn. Als Chief Engineer begann der Deutsche mit der Feinarbeit an seinem österreichischen Frankenstein, der in der üblichen Prototyp-Abfolge von P0 (erster offizieller Prototyp) bis P3 (der letzte Prototyp vor der Umsetzung in die Serie) entsprechend bei P-1 – minus eins – startete.

Exklusiver Fahr-Termin bei KTM in Mattighofen

MOTORRAD durfte diesen Frankenstein tatsächlich schon vor einiger Zeit einmal nach dem Versprechen auf Geheimhaltung fahren und konnte den Einschätzungen der Entwickler nur begeistert zustimmen. Bitte bauen! Nun ergab sich die Gelegenheit, in Mattighofen nicht nur Frankenstein wiederzusehen, sondern auch dessen Enkel – einmal in Mattschwarz, einmal mit Tarnfolie. Mittlerweile hatte die F&E nämlich den offiziellen Auftrag eingeheimst, eine 990 RC R zu entwickeln, und ist bereits bis zum P2-Prototyp vorgedrungen. Wir durften dann sogar beide fahren – Ahn und Enkel! Der Unterschied ist sofort spürbar, während der Grundcharakter, der das Projekt schließlich ins Rollen brachte, nach wie vor vorhanden ist.

Reihenzweizylinder-Motor mit 947 Kubik und 128 PS

Der Reihenzweizylinder-Motor Typ LC8c mit 947 Kubik ist einfach eine Wucht. Hier mit 128 PS (die 990 Duke hat 123 PS) steht er gut im Saft, und seine Charakteristik passt im Umland der KTM-Zentrale in Mattighofen wie die Faust aufs Auge. Denkt man beispielsweise an den V2 der "kleinen" Ducati Panigale, der sich mit der Desmodromik vor allem durch seine Drehfreude und den Punch mit maximal 155 PS in oberen Drehzahlen auszeichnet, liefert der KTM-Reihentwin vor allem im landstraßenrelevanten Bereich zwischen 3.500 und 7.000/min in Sachen Drehmoment gewaltig ab. Auf den Straßen konnten wir das nicht dezidiert ausprobieren, aber der Ösi-Zweizylinder in der RC R dreht noch mal höher als der Duke-Motor. So an die 11.500 bis 12.000/min dürfte das in Serie dann bedeuten. Das maximale Drehmoment jedenfalls, so heißt es, liege mit 103 Nm bei 10.500/min an.

Smoothes Getriebe mitsamt Schaltautomat

Während Frankenstein mit hakeligem Getriebe ohne Blipperfunktion dem Fahrer noch sorgfältiges Kuppeln und sortiertes Schalten abnötigte, serviert sein Enkel ein flauschig-smoothes Getriebe mit Schaltautomat für präzise gesetzte Gänge in beide Richtungen. Gerade für die Abstimmungsarbeiten in Sachen Elektronik musste der "alte Knochen" herhalten, und die erfolgreiche Feinarbeit spürt man beim Umstieg auf die P2-Version entsprechend sofort. Worauf sich RC-Fans freuen dürfen: tolles Ansprechverhalten und massig Schub schon aus dem Drehzahlkeller. Alles aus einem fein agierenden, nie störend vibrierenden Antrieb.

Fahrwerk ebenfalls auf Basis der 990 Duke

Das Grundchassis hat sich dagegen nicht großartig verändert. Nach dem Baukastenprinzip kommt der gleiche Hauptrahmen zum Einsatz wie bei der Duke. Nach Angaben von Chief Engineer "Klippi" ist auch der Lenkkopfwinkel mit der Duke identisch. Der Offset der Gabelbrücke hat sich allerdings leicht verändert. Der Gabeldurchmesser ist sportlich angewachsen. Im P2-Prototyp steckte eine voll einstellbare 48-Millimeter-WP-Apex-Gabel – eine klare Aufwertung gegenüber der 43er-Standard-Gabel an der 990 Duke. Am Heck fällt vor allem die Umlenkung am Federbein auf. Der bei der Duke noch direkt angelenkte Dämpfer wird bei der RC außerdem voll einstellbar sein – inklusive High- und Lowspeed. Die Dämpfung insgesamt ist zunächst mal sportlich straff, aber das Ansprechverhalten noch mal eine ganze Schippe besser als bei der ohnehin schon auf gutem Niveau agierenden Duke.

Die KTM 990 RC R wird kein weichgespülter Sportler

Das Handling der kommenden KTM 990 RC R hat uns wirklich überzeugt. Zu diesem positiven Eindruck verhilft auch das vom Frankenstein zum P2 etwas angehobene Heck, während die Stummel ähnlich hoch und damit nicht allzu brutal tief angebracht bleiben. Trotzdem wird die 990 RC R kein weichgespülter Sportler. Die Fußrasten sind, verglichen mit der Duke, schräglagenförderlich weiter hinten und oben positioniert. Übrigens bekommt die RC allen Baukastengedanken zum Trotz einen eigenständigen Heckrahmen und, wie auf unseren Fotos zu sehen ist, einen Mono-Höcker mit kleinem Heckspoiler.

Racing-Ergonomie mit schmaler Taille bei circa 190 Kilo

Das Sitzgefühl auf der KTM 990 RC R ist top. Die schmale Taille zwischen dem eigens für die RC R geformten Tank und der Sitzbank sorgt für knallengen Knieschluss. Die Bewegungsfreiheit erlaubt dennoch sportliches Herumturnen. So lassen sich schnelle, lang gezogene Kurven genießen, in denen die RC R mit ihren circa 190 Kilo sauber der angepeilten Linie folgt. Und auch das Hin- und Herwerfen in Wechselkurven ist begeisternd. Die auf den Alu-Gussrädern montierten Power Cup 2 von Michelin sind eine glänzende Wahl.

Display und Bremsen der nächsten Generation

Elektronisch ist der P2 der KTM 990 RC R noch ein gutes Stück von der Serienreife entfernt. Zwar deutet das montierte TFT-Display eine ganz neue Generation an, aber unterschiedliche Modi für die Motorabstimmung und die uns versprochenen vielfältigen Modi für das ABS – von supersportlich bis deaktiviertem Hinterrad-ABS – ließen sich noch nicht anwählen. Die Bremse agierte aber auch so auf allerhöchstem Niveau. Hier ist schon die nächste Generation der Brembo-Sportzangen ("Hypure") im Einsatz, mit denen sich, gepaart mit der ebenfalls aus Italien stammenden Radialbremspumpe, die Verzögerung haarfein dosieren lässt.

Fullspeed-Verkleidung mit Winglets

Die finale Form der Verkleidung für die KTM 990 RC R konkretisiert sich vom Frankenstein zu P2 immer mehr. Aber final ist das noch nicht, denn sämtliche Träger und Halter sind auch beim P2 noch aus improvisiertem, wackeligem Kunststoff. Aber mit Sicherheit dürfte sich die 990 RC R deutlich vom ersten kantigen Superbike 1190 RC8, damals mit dem fetten V2 aus der Super Duke, unterscheiden. Das unterstreichen auch die schon sichtbaren Winglets, die nach Aussage von Klipphahn vor allem bei Fullspeed deutlich spürbar Stabilität bringen sollen.

KTM 990 RC R ab 2025 für Landstraße und Rennstrecke

Wieso Fullspeed – soll aus dem Landstraßensportler auch ein echter Renner werden? Oh ja. Schon 2025, direkt nach der Serien-RC R dürfte auf deren Basis eine waschechte Rennstrecken-990er käuflich sein. Die wird dann voraussichtlich 990 RC Track Edition heißen. Darüber, was die Serien-RC kosten soll, können uns die Techniker nichts Genaues sagen. "Wir bauen die Dinger", lacht Andreas Schülling. "Was die dann kosten müssen, wird an anderer Stelle entschieden." Aber arg viel mehr als für die 990 Duke mit allem Drum und Dran, so war im Talk mit den Marketing-Experten später herauszuhören, ist für die Serien-990 RC R nicht vorgesehen. Und vielleicht kommt in der Zwischenzeit bei weiteren F&E-Überstunden noch so ein großes Ding zustande? Wir stünden bereit.