Vor knapp 50 Jahren pflügte Willy Oesterle mit seinem Eigenbau Oepo über die Crosspiste und räumte zahlreiche Titel ab.
Ursprünglich war MOTORRAD Classic auf einer ganz anderen Spurensuche. Tief im Schwäbischen Wald entstand Anfang der 70er-Jahre eine Straßenrennmaschine, die wir liebend gerne ausgegraben hätten: die Oesera 500. Die Suche nach diesem Renner führte uns logischerweise zuerst zu Günter Seifert, dem "se" im Namenszug Oesera. Leider hatte auch der geniale Tüftler und Tuner (er tunte 1980 die Weltmeister-Motoren von Jon Ekerold) keine Idee, wo das Unikat aufzutreiben sei.
Einzig die Adresse von Willy Oesterle aus Rudersberg, dem "Oe" von Oesera, gab er uns als kleinen Lichtblick mit auf den Weg. Diesen Weg kreuzte auch noch Horst Oberwalder aus dem hessischen Rodgau, der MOTORRAD Classic mit seiner Adler 250 Sixdays überraschte (Heft 2/2011). Horst hatte zwar keine 500er-Oesera, dafür bastelte er an der Wiederauferstehung der Oepo V1, eines der Eigenbauprojekte von Willy Oesterle und Konsorten. Und so war es höchste Zeit, den direkten Kontakt zu dem schwäbischen Tüftler und Rennfahrer zu knüpfen.
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Schwäbisch-hessische Fleißarbeit: die fahrbereite Oepo V1 von 1963.
Einen freudigen Anlass gab es auch: Horst Oberwalder hatte tatsächlich die Oepo V1-Motocross-Maschine zum Laufen gebracht und kutschierte das gute Stück dorthin, wo das Ganze begonnen hatte - auf der WM-Motocross-Strecke in Rudersberg. Hoch über dem idyllischen Wieslauftal, versteckt zwischen Streuobstwiesen und Obstplantagen, verteidigt der ortsansässige Motorsportclub die kurvige Lehmpiste bis zum heutigen Tag. Eine Strecke, die bei Willy Oesterle nicht nur gute Erinnerungen weckt.
Denn neben Punkten und Pokalen erlebte der drahtige Schwabe 1976 als Rennleiter des MSC Wieslauftal den Tod eines kleinen Mädchens, das im Zuschauerbereich von einem außer Kontrolle geratenen Motocross-Gespann erfasst wurde. Willy Oesterle, ein ebenso sportlich zäher wie auch sensibler Mensch, stieg daraufhin über Jahre hinweg auf kein Motorrad mehr, bis er 20 Jahre später wieder an einer Enduro Gefallen fand, mit der er gemütlich durch den schwäbisch-fränkischen Wald gondelte. Wobei die Begriffe "gemütlich" und "Motorradfahren" im wilden Leben des Willy Oesterle nie zusammen fanden.
Willy war ein Vollgastier, einer, der auf schnellen und damit auch gefährlichen Strecken immer zur Höchstform auflief. So wundert man sich auch nicht, dass er nach seinen Jahren als DKW-und Maico-Werksfahrer die Idee eines zweizylindrigen 500er-Zweitakters in die Tat umsetzte, der gegen die etablierten englischen Viertakt-Twins in Sachen Leistung die Nase vorne haben sollte. Zusammen mit Diplom-Ingenieur Ulrich Pohl entstand im Winter 1959 die Oepo 500, der MOTORRAD-Chefredakteur Siegfried Rauch im Januar 1961 eine umfassende Technik-Reportage widmete. Als Basis diente ein aus Magnesium gegossenes, zweiteiliges Kurbelgehäuse, auf dem zwei 250er-Maico-Zylinder verschraubt wurden.
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Willy Oesterle (links) mit Freund und Helfer Horst Oberwalder, der 1968 mit der Oepo V1 den zweiten Platz in der DAMCV-Meisterschaft belegte
Dass ein solch rein privates Projekt überhaupt gelingen konnte, war auch dem glücklichen Umstand zuzuschreiben, dass es im Großraum Stuttgart nichts gab, das es nicht gab. Die schwäbischen Tüftler und Rennfahrer konnten sich auf die heimischen Firmen wie Höckle (Kurbelwellen), Mahle (Kolben) und Bosch verlassen. Auch deshalb, weil in den 60er- und 70er- Jahren die Wege in die Versuchs- und Entwicklungsabteilungen kurz und die Begeisterung der Chefetagen für die engagierten und erfolgreichen Bastler groß war.
Für eine Kiste Bier, ein paar Flaschen selbstgekelterten Wein und ein paar Dosen leckere Wurst vom Land wechselten so manche Teile den Besitzer. So mutet es aus heutiger Sicht geradezu als Märchen an, dass die Firma Hähl in Dußlingen für die kompletten Gussformen des Kurbelgehäuses gerade mal 35 D-Mark verlangte.
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Tupfer, Kickstarter: drei Versuche, dann knattert die V1 los.
Auch hier war der Chef ein großer Freund des Motocross-Sports. Natürlich drehte sich auch in den Oepo-Zweizylindermotoren eine spezielle, wälzgelagerte Höckle-Welle, die von Meister Krauter persönlich berechnet wurde. Kurbelwelle und Messerpleuel entstanden aus extra handgeschmiedeten Rohlingen und waren an die Maße der DKW 3=6-Kurbelwelle angelehnt. Ein BSA-Getriebe mitsamt Kupplung übertrug das Drehmoment auf den geplagten Stollenreifen. Geschätzte 54 PS machten aus Willys Wunderwaffe ein kaum zu bändigendes Monster. "Entweder hat das Hinterrad durchgedreht, oder das Vorderrad schnappte nach oben", kommentiert Willy Oesterle den Charakter seines Twins, von dem 1962 vier Maschinen gebaut und insgesamt bis 1964 sieben Stück verkauft wurden.
Die Einsicht, dass weniger (etwa 25 Kilogramm weniger Gewicht und 20 PS weniger Leistung) durchaus auch mehr sein kann, überkam die Clique um Oesterle auch deshalb, weil die schärfsten deutschen Konkurrenten wie Walz, Betzlbacher und Hauger mit ihren aufgebohrten 250er-Maico-Motoren auch bei internationalen 500er-Rennen eifrig mitmischten. Das Projekt Zweizylinder war damit, zumindest für den Geländesport, erledigt.
Wie leistungsfähig dieses Konzept sein kann, zeigte sich beim Schauinsland-Bergpreis 1961, als Willy Oesterle seinen Crosser mit schmalem Lenker, Straßenreifen und einer längeren Übersetzung zur Straßenrennmaschine umfunktionierte. Dass er gleich bei der Premiere einen Sieg landete, sprach nicht nur für das fahrerische Talent des ehrgeizigen Schwaben, sondern auch für die Möglichkeiten, den Motor als reinen Rennmotor weiterzuentwickeln.
Was mit dem verschollenen Oesera-Projekt in Angriff genommen wurde. Mit Prinz Hubert zu Hohenlohe, der sich beim Treffen mit MOTORRAD Classic ebenfalls die Ehre gab, fand Willy Oesterle 1963 einen technisch versierten Partner, der die Konstruktion eines 440er-Einzylinders unterstützte.
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Echt antik: Der speziell gefertigte Mahle-Kolben in Ölpapier gewickelt und original verpackt.
Als Basis für die V1 (steht für Vergeltungswaffe 1 gegenüber der Maico-Übermacht) diente der robuste 250er-Puch-Unterbau, auf den der große Aluminium-Zylinder mittels Adapterplatten angeflanscht wurde. Um eine möglichst hohe Vorverdichtung zu erreichen, wurde der Totraum über der neu konstruierten Kurbelwelle mit 80 mm Hub durch eine Aluminiumplatte aufgefüttert. Die kurzen Überströmkanäle wurden in die Zylinderwand integriert und das Kolbenhemd mit entsprechenden Fenstern ausgespart.
Dieser Trick ließ sich allerdings nur deshalb umsetzen, weil alle Kanäle um 45 Grad nach links verdreht sind. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätten die Fenster im Kolben mit dem Bolzenauge kollidiert. Ein ganz heikler Moment bei der Herstellung des als Kleinserie geplanten 400er- und 440er-Zylinders war das Einschrumpfen der fertigen Graugussbuchse in den aufgeheizten Alu-Zylinderrohling. "Nach dem Einsetzen hatte man nur drei Sekunden Zeit, die ausgesparten Fenster mit den Kanälen in der Gussform auszurichten, danach war die Buchse unverrückbar und unwiderruflich fest", erinnert sich Hubert zu Hohenlohe. Wie der Motor, so entstanden auch Rahmen und Fahrwerksteile in Heimarbeit mit leidenschaftlicher Unterstützung des Freundeskreises.
"Stumpen-Hugo" zum Beispiel, der beim Aufbau des Zweizylinders eine Nachtschicht nach der anderen einschob und dessen Frau mit belegten Broten und Getränken die Truppe bei Laune hielt. Nicht zu vergessen die Dreher, Fräser, Schweißer, technischen Zeichner und unbürokratischen Ingenieure der Stuttgarter Spezialfirmen, ohne die es weder eine Oepo noch eine der anderen unzähligen Eigenbau-Rennmaschinen gegeben hätte.
Ein ganz besonderes Dankeschön unserer Redaktion aber geht an Willy Oesterle, Horst Oberwalder und Prinz Hubert zu Hohenlohe, die den authentischen Stoff für dieses Porträt geliefert haben. Hier das Wiedersehen von Willy Oesterle und seiner Oepo V1:
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Der 440er-Oepo-Zylinder wird mittels Adapterplatte am Zylinderfuß auf dem Puch-Motorgehäuse verschraubt.
Motor
Luftgekühlter Einzylinder-Zweitaktmotor, Bohrung x Hub 84,4 x 80,0 mm, Bing-Rundschiebervergaser, Ø 32 mm, Batteriezündung, kontaktgesteuert, Hubraum 440 cm³, Leistung zirka 30 PS
Kraftübertragung
Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Rollenkette
Fahrwerk
Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, hydraulisch gedämpfte 35er-Ceriani-GP-Telegabel vorn, Zweiarmschwinge, zwei hydraulisch gedämpfte Ceriani-Federbeine, Federweg v/h 160/110 mm, Drahtspeichenräder mit Stahlfelgen, Reifen 2.75-21 vorn, 4.00-18 hinten, Puch-Simplex-Trommelbremse vorn, Ø 180 mm, Maico-Simplex-Trommelbremse hinten, Ø 160 mm,
Maße und Gewichte
Radstand 1440 mm, Trockengewicht 115 kg
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Willy Oesterle.
- Geboren 11.9.1932 in Rudersberg bei Schorndorf
- 1946 Lehre als Kfz-Mechaniker
- 1951 erstes Motorrad, DKW RT 125,erste Erfolge beim Motocross
- 1957 Vize-Europameister auf Maico 250 hinter Fritz Betzlbacher
- 1957 und 1958 Deutscher Meister
- 121 Siege
- 56 zweite Plätze
- 41 dritte Plätze
- 2 Goldplaketten
- 1 Silberplakette
Erfolge bei Straßenrennen:
- 1959 Sieger Solitude auf Maico 250
- 1961 Sieger Schauinsland-Bergpreis und Fulda-Rhön-Bergrennen auf Oepo 500