Enduros auf Supermotos umzubauen ist nicht wirklich neu, aber diesen Weg einmal rückwärts gehen? Die Idee hat etwas begeisternd Unvernünftiges. Und aus den Gedanken wurde Ernst. Grund eins: Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Grund zwei: Leistung ist keine Sünde und auch abseits der Straße kann man nie genug davon haben. Grund drei: Serienhersteller bedienen sich bei ihren Modellen aus dem Baukasten, so zum Beispiel BMW bei der F 800-Baureihe, von der auch die hier umgebaute Husqvarna Nuda 900 R abstammt.
Mächtig dumpfes Gewitter
Warum also soll eine Mutation vom Straßen- zum Offroad-Brenner nicht machbar sein? Schließlich hat sich die Nuda unter der kundigen italienischen Hand von der biederen BMW F 800 R zu einem stylischen und temperamentvollen Schmuckstück verwandelt.
Schon im Stand provoziert der Umbau der Nuda R durch seine ungewöhnliche Linienführung. Gespannt wie eine Bergkatze vor einem gewaltigen Sprung, so steht sie da. Entfesselt man ihr Temperament durch einen Druck aufs Starterknöpfchen, prasselt ein mächtig dumpfes Gewitter los. Es manipuliert die Sinne und verkündet unheilvoll von der schieren Gewalt, die im Innersten der Nuda lauert. Das ist sehr beeindruckend.
Hinter diesem Wahnsinns-Projekt steht der Zubehör-Spezialist Touratech. Die Schwarzwälder haben dieses Stück nicht zum Spaß erschaffen, sondern um beim legendären Erzberg-Rennen in Österreich den Prolog zu rocken. Die Offroad-Nuda ist nicht nur optisch sehr gelungen, auch das Motormanagement wurde feingetunt. So drückt dieses Stollentier 110 PS und 100 Nm und entlässt seinen heißen Atem ungefiltert durch eine eigens im Durchmesser optimierte Remus/ Phönix-Auspuffanlage. Extraklasse ist auch das Fahrwerk. Wie ein Puma schwebt dieses Bike sicher über lange Geröllpassagen und Wellen. Es saugt sich förmlich an den unsichtbaren Untergrund, der unterm Schnee verborgen liegt und verlässt auch bei rabiaten Wedelversuchen seine Spur nicht. Wenn man den Hahn spannt, verbeißen sich die Stollen wie Krallen im kalten Weiß und schleudern es zu Frau Holle zurück.
Puma punktet

Unglaublich, wie hoch der mechanische Grip dieses Biests ist. Der Touratech-Suspension-„Extrem“-Dämpfer leistet vorbildliche Arbeit und verhindert durch seine Zweikolben-Technik und der hohen Progression bei harten Schlägen das „Bottom out“. Und die gelungene Gewichtsverteilung von vorne 93 und hinten 103 Kilo bei vollem Tank lässt selbst im Schnee endlose, fette Wheelies zu. Beim Anbremsen spürt man allerdings das hohe Gewicht. Doch die große 300er-Bremsscheibe vorn nimmt’s gelassen, ebenso die fette 50-mm-Marzocchi-Gabel mit Öhlins-TTX-Cartridge. Sie meistert kleine wie große Wellen souverän und man kann sich voll auf das Einlenken in tiefen Spurrillen konzentrieren.
Die speziell gefräste Gabelbrücke mit 22 Millimeter Versatz wirkt sich positiv auf den Gesamteindruck aus. Leider wird dadurch der Lenkeinschlag ziemlich verringert. Durch ihre Fahrwerksabstimmung mit viel Zugstufendämpfung wirkt die Nuda zwar träge, aber immer erhaben. Üble Schläge, die auf einer ausgefressenen Schotterpiste bei Highspeed auf einen lauern oder unsichtbare Gräben unterm Schnee, alles kein Problem.
Weitere nützliche Details, wie zum Beispiel Mousse statt Schläuchen in den auf 21 und 18 Zoll gewachsenen Rädern, sind für extreme Einsätze unverzichtbar. So auch die griffigen Touratech-Fuß-rasten oder der vergrößerte und stabiler gebaute Fußbremshebel. Wenn’s dann tatsächlich mal schiefgeht, verhindern Sturzbügel am Kühler teure Schäden oder gar Ausfälle. Hochwertig aufgewertet sind auch die Handbrems- sowie Kupplungshebel, und die verstärkte Motorschutzplatte vermittelt eine gewisse passive Sicherheit.
Gute Gründe für den Umbau eines Straßen-Brenners haben wir also gefunden. Bleibt noch die Frage, ob sich der Aufwand auch lohnt? Wir sagen ja! Denn die Erfolge von Marco Straubel und Lars Würdemann (Platz drei und fünf) beim Erzberg-Prolog 2012 in der Zweizylinderklasse sind kaum ein Zufall. Schade nur, dass die Touratech-Nuda ein Prototyp ist.
PS-Daten

Antrieb:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt- Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, Hubraum 898 cm³, 81 kW (110 PS) bei 7000/min, 100 Nm, Verdichtung 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 46-mm-Drosselklappen, Sechsganggetriebe, mechanisch betätigte Mehrscheiben-ÖlbadKupplung.
Fahrwerk:
Stahlrahmen, direkt angelenkte Zweiarmschwinge, Touratech-Suspension-Federbein, Typ Extreme, Federbasis und Druckstufe high und low einstellbar, Zugstufe und Länge einstellbar, PDS. 50-mm-Marzocchi-Gabel mit Öhlins-TTX-Cartridge, Zug- und Druckstufe einstellbar, Gabelbrücke mit 22 mm Versatz, Federweg v./h.: 295/250mm.
Räder und Bremsen:
Von der Firma Hahn eingespeichte Exel-Felgen, 1.75 x 21/2.50 x 18, Reifen vorn: 80/100-21 (Pirelli Mid hard), hinten: 140/80-18 (Pirelli Scorpion Rallye), 300-mm-Einscheibenbremse mit Brembo-Zweikolbensattel vorn, 265-mm-Einscheibenbremse mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, kein ABS.
Gewicht (vollgetankt):
196 kg,* Tankinhalt 13 Liter
Preis:
Prototyp ohne Preis
*Herstellerangaben