Can-Am Ryker gefahren: Dreirad für Individualisten

Fahrbericht Can-Am Ryker
Dreirad mit Triple für Individualisten

Zuletzt aktualisiert am 04.07.2023

Der Look des Fahrzeugs ist kurios – mindestens. Und wie steht es um die dynamischen Qualitäten des Konzepts mit 2 Rädern vorn und einem hinten? Can-Am hat für MOTORRAD einen Ryker am Pacific Coast Highway in Los Angeles geparkt, damit wir genau diese Frage beantworten. Warum die Wahl der Szenerie und Route besonders clever ist, klärt sich am Ende im Fazit.

Triple mit 3 Rädern am und im Ryker

Im Top-Ryker steckt ein Rotax-Dreizylinder mit 900 Kubik und 82 PS, die Einsteigerversion kommt mit zwei Zylindern, 600 Kubik Hubraum und 50 PS aus. Ob Triple oder Twin: Ein stufenloses CVT-Getriebe inklusive Rückwärtsgang treibt das einzelne Hinterrad an, ein klassischer Motorradlenker mit Gasgriff erinnert an das Zweirad. Die Kombination aus Doppel-Querlenker-Vorderachse und Multilink-Einarmschwinge sind allerdings keine gängigen Schlagworte für einen Motorradfahrer. Passend, unpassend: Gebremst wird allein mit dem rechten Fuß. Alle drei Räder messen 16 Zoll (40,64 cm) im Durchmesser, wobei das Hinterrad mit der Dimension 205/45 Kompaktwagenrad-Ausmaße annimmt. Allerdings ist die Bereifung vorn in 145/60 ebenso exotisch.

Startprozess eines Spaceshuttles

Nicht nur Optik und Fahrwerk sind weit weg von einem klassischen Motorrad, auch der Startvorgang ist anders und das eigentliche Fahren. Einen Hinweis bekommt der Ryker-Reiter gleich zu Beginn: Weil das Fahrzeug im Stand nicht umkippen kann, gehören die Füße immer auf die Rasten. Da benötigt man sie zum Starten. Vorher sind ein paar überraschende Verrichtung in korrekter Reihenfolge auszuführen: Der eigentümlich geformte Schlüsselersatz muss zunächst auf einem runden Köpfchen in der Nähe des Ortes sitzen, wo man einst den Benzinhahn fand. Dann muss der Startwillige den Not-Aus-Schalter auf "An" stellen, den Gasgriff nach vorn drehen, der rechte Fuß auf der Bremse stellen und gleichzeitig den Anlasserknopf drücken. Also in etwa die Zahle an Handgriffen im Kontrollcenter beim Start eines Spaceshuttles.

Erst dann erwacht der Rotax-Dreizylinder und verfällt in einen stabilen Leerlauf bei 800 U/min. Losfahren geht immer noch nicht: Erst muss noch die Feststellbremse gelöst werden: ein kleiner unscheinbarer schwarzer Hebel in der Nähe des Schlüssels – gelöst werden. Die "Handbremse" braucht’s, weil sich das CVT-Getriebe nicht durch Einlegen eines Ganges blockieren lässt. Drum piept der Ryker ziemlich impertinent, wenn der Fahrer den Motor abstellt und nicht sofort die Bremse schließt.

Die Performance des Rykers

Mit laufenden Triples geht es im Konvoi auf den Pacific Coast Highway. Wir starten an der Grenze von Santa Monica und fahren in Richtung Malibu: Cruisen auf der sanft geschwungenen Straße bei überwiegend 80 km/h. Zeit, sich auf Komfort und Durchzug zu konzentrieren, die Kurven kommen später. Die Werkangabe von 8,5 Sekunden für den 0-100-Sprint wird dem Fahrgefühl nicht gerecht. Speziell bis 60 km/h zieht der Ryker beherzter durch, als das Datenblatt suggeriert. Wheeliegefahr besteht nicht. Schließlich hält der Großteil der 285 Kilo Fahrzeuggewicht die Vorderachse am Boden.

Ungewohntes Fahrwerk

Unruhig wird es, wenn die Straße größere Verwerfungen für den Ryker bereithält. Vor allem, wenn ein Rad Unebenheiten nachgeht, überträgt sich das auf den Lenker und der Fahrer muss zusätzlichen Aufwand betreiben, um die Richtungsstabilität beizubehalten. Insgesamt bleibt der Fahrkomfort überschaubar, oder diplomatischer ausgedrückt: rückmeldungsintensiv.

Rauer Triple, hartes Getriebe

Rein akustisch wirkt der Dreizylinder kräftig und leistungsbereit, läuft aber immer etwas rau. Erst ab 5.000 U/min tönt er befreit und drehfreudig. Leider bringt er dabei alle umgebenden Teile zum Dröhnen. Dazu mischt sich das Laufgeräusch des CVT-Getriebes mit einem heulenden Unterton, vor allem, wenn man bei niedrigeren Geschwindigkeiten vom Gas geht. Funktional ist dem Getriebe zwar sonst wenig vorzuwerfen, aber so sportlich bewegt wünscht man sich für den Ryker dennoch eine manuelle Schaltung. Zugegeben: Es ist schwer vorstellbar bei der intensiven Arbeit am Lenker dort auch noch einen Kupplungshebel zu bedienen und mit dem linken Fuß einen Ganghebel. Vielleicht würde das immerhin dem Verbrauch guttun – auf der zugegeben meist engagiert absolvierten Testfahrt lag er durchgehend bei rund acht Liter.

Fahrdynamik auf 3 Rädern

Nach einigen Kilometern nordwärts geht es rechts ab ins hügelige Umland von Los Angeles. Die Straße ist nicht minder bekannt: der Mullholland Highway. Mit der Topografie und Routenführung steigt die Herausforderung. Fahrdynamisch ist der Ryker für Motorradfahrer gewöhnungsbedürftig: Mit den zwei Rädern vorn, die keine Schräglage erlauben, neigt er sich in Kurven nach außen. Also kein Vergleich zum Zweirad, dem Gespann allerdings verwandt. Außerdem kommen sich, wie beim Kinder-Dreirad, Hüfte und Lenkerende umso näher, je enger und schneller die Kurve ist. Zumal die Sitzhöhe von knapp 60 Zentimeter eher Chopper als Sportkrad ist. Das ist gut für einen niedrigen Schwerpunkt.

Viele Räder, viel Grip

Die Vorderräder von Kenda kleben auf schlechten Straßen wie Kaugummi am Asphalt und ziehen den Ryker selbst bei hohen Kurvengeschwindigkeiten wie auf Schienen durch den Radius. Der Fahrer kann beim Anpeilen des Kurvenscheitels der Aufhängung schön bei ihrer emsigen Arbeit zusehen. Das ist wirklich beeindruckend. Beängstigend für den Ryker-Neuling ist allenfalls die beträchtliche Seitenneigung, die den Fahrer zum Lehnen des Oberkörpers Richtung Kurvenmitte bringt und ihm meist so viel Respekt einflößt, dass er die Haftgrenze der zwei 145er-Vorderreifen nicht erreicht. Angst vor einem Umkippen des Dreirads ist unbegründet: Erstens liegt der mentale Neigungssensor im Kopf des Fahrers viel höher als der Schwerpunkt und schlägt zeitig Alarm. Zweitens hat der Ryker eine elektronische Stabilitätskontrolle, die ihn einfängt, sollte ein Rad abheben.

Gewöhnungbedürftiges Fahr(er)verhalten

Gewöhnungsbedürftig sind die enormen verlangten Haltekräfte: Während am Motorradlenker ein leichter Zug an der Kurveninnenseite genügt, empfiehlt sich beim Ryker kräftiger stabilisierender Druck am kurvenäußeren Lenkerende – und zwar so lange der Kurvenradius anhält. Eine Servolenkung wie ein Auto hat der Ryker nicht. Spontan bewegen sich die Vorderräder nur bei kleinen Lenkbewegungen um die Mittellage. Die langgezogenen Kurven auf den hügeligen Straßen während der Testfahrt entpuppten sich am Ende als veritables Workout, denn der Fahrer muss sich zudem mit den Oberschenkeln gegen die Fliehkraft abstützen. Gut, dass eine Pause am legendären Biker-Treff "Rock Store" eingeplant ist. Und vielleicht gut, dass wir außerhalb der regulären Öffnungszeiten dort aufschlagen, denn waschechte Biker dürften das Dreirad mit Argwohn begutachten.

Optionen und Preise

Auffälligkeit ist etwas, das man dem Ryker insgesamt jedenfalls kaum absprechen kann. Zum skurrilen Dreirad-Layout kommen mannigfaltige Individualisierungsmöglichkeiten. Um den Design-Gedanken zu unterstreichen, hat Can-Am in Kooperation mit der Kreativ-Truppe "The Shoe Surgeon" in Los Angeles drei Sondermodelle gezeigt, die für einen guten Zweck versteigert werden sollen. Zu jedem der drei umgestalteten Ryker gibt es ein passendes Outfit inklusive handgearbeiteter Sneaker.

Serienmäßig haben die Kunden ebenfalls die Wahl zwischen drei Modellen, deren Gestaltung sie allerdings selbst in die Hand nehmen müssen. Los geht es beim Basismodell ab 11.900 Euro. Umfangreichere Ausstattung wie etwa die KYB-Gasdruckdämpfer und schickere Felgen bieten die höher positionierten Modelle Sport (ab 14.900 Euro) und Rally (ab 16.700 Euro). Mit ein paar Griffen in den Farbtopf landet der geneigte Käufer mühelos jenseits der 20.000 Euro.

Viel Geld für ein – ja was denn eigentlich? Motorisiertes Spielzeug? Eine Art Zweitwagen? Motorrad-Ersatz? Vorrangig wohl ersteres. Fahrdynamisch lässt sich kein Vorteil zum Zweirad erkennen, das zudem das involvierendere Erlebnis bietet. Beim Komfort wiederum kann der Ryker keinem Cabrio das Wasser reichen. Zu trocken sind die durchgereichten Stöße, zu unpraktisch die vorgeschriebene Motorradkleidung. Und trotzdem sorgt das Dreirad für gute Laune. Mit kräftigem Antritt, einfacher Handhabung und dem extravaganten Auftritt. Ein Vehikel für Individualisten – und das bringt uns zum Fazit.